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DOI: 10.1055/s-0029-1214734
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Was müssen Intensiv- und Notfallmediziner über Impfungen wissen?
Prof. Dr. Gerhard Jorch
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Universitätskinderklinik, Haus 10
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
eMail: gerhard.jorch@med.ovgu.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
12. August 2009 (online)
- Impfungen und elektive Operationen
- Kardiorespiratorische und zentralnervöse Komplikationen nach Impfungen
- Riegelimpfungen zum Schutz vor Infektionsübertragung in definierten Kollektiven
Als mich die Mitherausgeber der Intensivmedizin up2date beauftragten, in einem Editorial das Thema Impfungen zu beleuchten, war ich zunächst etwas erstaunt: Impfungen sind entweder Maßnahmen der Primärprävention (Regelimpfungen für eine gesamte Population) oder solche der Sekundärprävention (Indikationsimpfungen eines Risikokollektivs), während Intensivmedizin sich gewöhnlich höchstens mit Tertiärprävention (Verhinderung von Komplikationen einer bereits manifesten Erkrankung) befasst. Dass sie den Kinderarzt in ihrem Kreis damit beauftragten, war weniger erstaunlich, weil die Prävention durch Impfungen eine Domäne dieses Fachgebietes nach Einführung des ersten Diphtherieimpfstoffes im Jahre 1923 ist.
Impfungen rufen eine Immunantwort hervor, indem hinsichtlich ihrer Pathogenität abgeschwächte vitale Erreger („Lebend-Impfstoffe”), abgetötete Erreger („Tot-Impfstoffe”), biochemisch isolierte Teile eines Erregers („Komponenten-Impfstoffe”) oder gentechnologisch hergestellte Erregermoleküle („gentechnische Impfstoffe”) oral, intracutan, subcutan oder intramuskulär appliziert werden. Ziel jeder Impfstoffentwicklung ist es, einen möglichst umfassenden und langanhaltenden Schutz gegenüber einer Infektion mit dem Erreger (hohe Immunogenität) bei möglichst geringer Nebenwirkungsrate (niedrige Pathogenität) zu erhalten. Insofern entspricht eine Impfung einer Infektion unter ausgewählten besonders günstigen Bedingungen und gehört somit zu den „natürlichsten” Maßnahmen der Medizin.
Die Behandlung mit Immunglobulinen (Gammaglobuline, Hyperimmunglobuline, monoklonale Antikörper) ist keine Impfung. Der frühere Begriff „passive Impfung” wird nicht mehr benutzt. Gleichwohl lässt sich bei genau definierten Indikationen auch hiermit ein – allerdings zeitlich auf wenige Wochen oder Monate befristeter – Schutz gegenüber bestimmten Krankheiten erreichen.
Aktuelle Informationen über Impfungen enthält das regelmäßig herausgegebene „Epidemiologische Bulletin” des Robert Koch-Instituts, welches abonniert oder auf der RKI-Homepage (www.rki.de) eingesehen werden kann. Gewöhnlich erscheinen jährlich ab der 31. Kalenderwoche (Ende Juli/Anfang August) umfassende Darstellungen der aktuellen Beschlusslage der „Ständigen Impfkommission (STIKO)”, die meistens weitgehend von den für verbindliche Impfempfehlungen zuständigen Sozialministerien der Länder übernommen werden.
Intensiv- und Notfallmediziner werden insbesondere in nachfolgenden Situationen mit dem Thema Impfungen konfrontiert.
#Impfungen und elektive Operationen
Es gibt keine Daten, die belegen, dass das Operations- oder Narkoserisiko bei Operationen durch zeitgleiche Impfungen steigt. Um aber die Rechtssicherheit hinsichtlich der Kausalitätszuordnung von Komplikationen zu erhöhen, sollten elektive Operationen frühestens 3 Tage nach Impfungen mit einem Tot-, Komponenten- oder gentechnischem Impfstoff und nicht eher als 14 Tage nach Verabreichung eines Lebend-Impfstoffes angesetzt werden. Bei dringlichen Operationen brauchen verabreichte Impfungen nicht berücksichtigt zu werden. Nach einer Operation empfiehlt es sich im Regelfall, erst dann zu impfen, wenn postoperative Komplikationen nicht mehr zu erwarten sind.
#Kardiorespiratorische und zentralnervöse Komplikationen nach Impfungen
Wie jede medizinische Maßnahme (auch Naturheilmittel stellen hier keine Ausnahme dar) können auch Impfungen Nebenwirkungen haben. Impfreaktionen wie leichte Temperaturerhöhung, Unbehagen, Appetitminderung, schmerzhafte Schwellung an der Einstichstelle und der regionalen Lymphknoten sowie Exantheme sind mindestens bei Kindern bei kritischer Beobachtung sogar ziemlich häufig und treten gewöhnlich in den ersten 3 Tagen und (bei Lebend-Impfstoffen) etwa eine Woche nach der Impfung auf. Auch das – allerdings sehr seltene – Auftreten von schweren Komplikationen kann nicht grundsätzlich geleugnet werden, wenngleich Häufigkeit und Schwere um mehrere Zehnerpotenzen unter der Komplikationsrate der durch die empfohlenen Impfungen verhinderten Krankheiten liegen. So treten beispielsweise sehr selten allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock als Sofortreaktion kurz nach der Impfung, hohes Fieber, Fieberkrämpfe bei Säuglingen oder auch Apnoen bei ehemaligen sehr unreifen Frühgeborenen auf. Solche Impfkomplikationen sollten dem Paul-Ehrlich-Institut (Kontaktformular unter www.pei.de) oder der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft (Meldebögen im Deutschen Ärzteblatt) gemeldet werden, da Impfnebenwirkungen nach Zulassung eines Impfstoffs durch „passive Surveillance”, d. h. durch freiwillige Meldungen von Ärzten oder Patienten, überwacht werden und somit die Melderate die Bewertung eines Impfstoffs direkt beeinflusst.
#Riegelimpfungen zum Schutz vor Infektionsübertragung in definierten Kollektiven
Bei Ausbruch regionaler Epidemien oder globaler Pandemien sowie Einzelerkrankungen nach jahrelangem Verschwinden einer Infektionskrankheit, wie sie in den letzten Jahrzehnten bei Masern, Windpocken, invasiven Meningokokkeninfektionen, Rotaviren, Poliomyelitis, Hepatitis A und B, Influenza A und B und Diphtherie vorkamen, ist die rasche Diagnose und Identifikation, Isolierung und Behandlung der Kontaktpersonen die wichtigste und effektivste Maßnahme zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung. Da mit den ersten Indexfällen nicht selten auch Intensivmediziner und Notärzte konfrontiert werden (sie sind im Gegensatz zu den vielen anderen medizinischen Berufsgruppen 168 Stunden pro Woche verfügbar), ist ein Grundwissen über die präventiven Möglichkeiten, die sich allerdings nicht auf Impfungen der gefährdeten Personen beschränken, sondern Isolierung, Hygienemaßnahmen und die prophylaktische Gabe von Antibiotika, Virostatika und Immunglobulinen miteinschließen, hilfreich und nützlich.
Dieses Editorial kann nicht die Aufgabe erfüllen, alle Situationen, in denen vom Intensiv- oder Notfallmediziner veranlasste Impfungen erforderlich sind, darzustellen. Es soll anregen, das Thema Impfungen im Aufgabenfeld auch der Intensiv- und Notfallmedizin zu verankern.
Prof. Dr. Gerhard Jorch
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Universitätskinderklinik, Haus 10
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
eMail: gerhard.jorch@med.ovgu.de
Prof. Dr. Gerhard Jorch
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Universitätskinderklinik, Haus 10
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
eMail: gerhard.jorch@med.ovgu.de