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DOI: 10.1055/s-0029-1214993
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Prognosefaktoren bei Patienten mit COPD mit chronisch-hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz und außerklinischer Beatmungstherapie
Mögliche Implikationen für die tägliche PraxisPrognostic Factors for COPD Patients with Chronic Hypercapnic Respiratory Failure and Home VentilationPossible Implications for Daily Routine
PD Dr. med. Stephan Budweiser
Klinik Donaustauf, Zentrum für Pneumologie
Ludwigstraße 68
93093 Donaustauf
Email: stephan.budweiser@klinik.uni-regensburg.de
Publication History
eingereicht 2. 7. 2009
akzeptiert nach Revision 16. 7. 2009
Publication Date:
11 September 2009 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Prädiktoren des Langzeit-Überlebens bei Patienten mit COPD und chronisch-hyperkapnischer respiratorischer Insuffzienz
- Implikationen für die Charakterisierung von Patienten mit COPD und chronisch-ventilatorischer Insuffizienz (multidimensionale Krankheitseinschätzung)
- Parameter zur Verlaufsbeurteilung und zum Therapiemonitoring bei COPD mit chronisch-ventilatorischer Insuffizienz
- Mögliche Bedeutung der Prognoseparameter für die Initiierung einer NIV bei schwerer COPD
- Interessenkonflikte
- Literatur
Zusammenfassung
Die Prävalenz der Patienten mit schwerer COPD und chronisch hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz (CHRI), die einer außerklinischen Beatmung zugeführt werden, hat erheblich zugenommen. Im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung erscheint eine multidimensionale Betrachtung sinnvoll. Der Basenüberschuss (BE) reflektiert die langfristige metabolische Kompensation der chronischen Hyperkapnie und stellt einen vielversprechenden, leicht fassbaren und integrativen Parameter der CHRI dar. Dieser konnte zusätzlich zu Ernährungsstatus und Lungenüberblähung als unabhängiger Prädiktor des Langzeitüberlebens detektiert werden. Darüber hinaus sind in Zusammenschau mit der Literatur sowohl zur Krankheitseinschätzung als zur Verlaufsbeurteilung weitere Marker sowie häufige Komorbiditäten zu berücksichtigen. Dementsprechend sollte auch die Entscheidung für eine außerklinische Beatmung nicht nur auf der Basis von Symptomen bzw. der chronischen Hyperkapnie erfolgen, sondern auch Faktoren einbeziehen, welche die Schwere der Erkrankung in spezifischer Weise abbilden. Retrospektive Daten deuten zudem daraufhin, dass auch COPD-Patienten mit wiederholten hyperkapnischen Dekompensationen oder nach prolongierter Beatmungsentwöhnung für eine außerklinische Beatmung infrage kommen. Dies ist allerdings noch in prospektiven Studien weiter zu evaluieren.
#Abstract
The prevalence of patients with severe COPD and chronic hypercapnic respiratory failure (CHRF) receiving non-invasive home ventilation has greatly increased. With regard to disease severity, a multidimensional assessment seems indicated. Base excess (BE), in particular, reflects the long-term metabolic response to chronic hypercapnia and thus constitutes a promising, easily accessible, integrative marker of CHRF. Infact, BE as well as nutritional status and lung hyperinflation have been identified as independent predictors of long-term survival. In addition and in a review with the literature, a broad panel of indices including frequent comorbidities are helpful for assessment and monitoring purposes of patients with CHRF. Accordingly, in view of the patients' individual risk profile, the decision about the initiation of NIV should probably not rely solely on symptoms and chronic persistent hypercapnia but include a spectrum of factors that specifically reflect disease severity. Owing to the physiologically positive effects of NIV and according to retrospective data, patients with COPD and recurrent hypercapnic respiratory decompensation and patients with prolonged mechanical ventilation and/or difficult weaning could also be considered for long-term non-invasive ventilation. This, however, has to be corroborated in future prospective trials.
#Einleitung
#Epidemiologie
Großen epidemiologischen Studien zufolge ist die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease, COPD) eine der häufigsten chronischen Erkrankungen überhaupt. Basierend auf neueren spirometrischen Daten ist weltweit – mit offensichtlichen geographischen Unterschieden – davon auszugehen, dass sich die Prävalenz einer COPD bei Personen über 40 Lebensjahren zwischen 2,6 und 22,2 % bewegt, sofern man ein Krankheitsstadium von mindestens II gemäß der Klassifikation der Global Initiative of Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) zugrundelegt [1]. Da das Auftreten einer COPD zum einen an das Lebensalter gekoppelt ist, zum anderen schwergradig Erkrankte von den Fortschritten der Medizin infolge einer Reduktion der Sterblichkeit profitieren, ist anzunehmen, dass die Häufigkeit der Erkrankung generell und somit auch diejenige höherer Krankheitsstadien weiter zunehmen werden. Als weitere Folge steht zu erwarten, dass auch die Zahl derjenigen Patienten ansteigen wird, die eine respiratorische Insuffizienz aufweisen und einer effektiven, durch hinreichende klinische Evidenz abgesicherten Therapie bedürfen.
#Therapie der chronisch respiratorischen Insuffizienz
Bei Patienten mit COPD und ausgeprägter chronischer Hypoxämie, d. h. einem PaO2-Partialdruck von ≤ 55 mm Hg unter Ruhebedingungen, gilt die Indikation zur Sauerstofflangzeittherapie (long-term oxygen therapy, LTOT) als gut belegt, da eindeutige Überlebensvorteile in randomisiert-kontrollierten Studien aufgezeigt wurden. Dies ist in neueren Übersichtsarbeiten oder Leitlinien umfassend dargestellt [2] [3]. Demgegenüber gilt der klinische Nutzen der langfristigen, außerklinischen, nicht-invasiven Beatmungstherapie (non-invasive ventilation, NIV) bei Patienten mit schwergradiger COPD und chronischer Hyperkapnie nicht als zweifelsfrei erwiesen [4]. Dies ist insofern bemerkenswert, als diese Patienten mit ca. 34 % europaweit einen großen Anteil außerklinisch beatmeter Patienten und in einigen europäischen Ländern sogar die häufigste Indikation stellen [5]. Immerhin ergaben sich in neueren – wenn auch überwiegend nicht-kontrollierten oder retrospektiven – Untersuchungen vermehrt Hinweise darauf, dass die außerklinische NIV bei Patienten mit COPD neben einer Verbesserung physiologischer und funktioneller Kenngrößen [6] [7] [8] [9] auch zu Verbesserungen in wichtigen klinischen Endpunkten wie der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (health-related quality of life, HRQL) [10] oder der Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen [11] führen kann. Demgegenüber ist die Datenlage nach wie vor widersprüchlich, was die mögliche Verbesserung des Langzeit-Überlebens von Patienten mit COPD durch NIV anbelangt [12] [13] [14] [15].
Eine nähere Analyse der publizierten Daten legt als wahrscheinlichste Erklärung nahe, die Diskrepanzen zumindest teilweise auf eine ineffektive Beatmung zurückzuführen, insbesondere eine zu niedrige inspiratorische Druckunterstützung sowie eine inadäquate Therapieadhärenz [13] [14] [15]. Darüber hinaus ist es offensichtlich, dass die Auswahl der Patienten in der jeweiligen Untersuchung in kritischer Weise das Ergebnis beeinflussen kann und welche Patienten langfristig von einer NIV profitieren könnten; dies gilt vermutlich vor allem für den Endpunkt „Überleben”. Auf der Grundlage der pathophysiologischen Mechanismen, welche der chronisch-ventilatorischen Insuffizienz zugrunde liegen [16], wird eine symptomatische chronische Hyperkapnie derzeit als wichtigste Indikationskenngröße für die Einleitung einer NIV angesehen. Jedoch sollte man im Auge behalten, dass die Hyperkapnie per se bislang keineswegs in konsistenter Weise als negativer Prädiktor für das Langzeitüberleben etabliert werden konnte. Vielmehr ist die Datenlage hierzu widersprüchlich und lässt keine eindeutigen Schlüsse zu [17] [18] [19] [20]. Zudem erscheint es im Hinblick auf die COPD als multidimensionale Systemerkrankung geboten, nicht auf einzelne Kenngrößen zu fokussieren, die den Schweregrad der Erkrankung abbilden sollen, sondern ein Spektrum von Risikofaktoren heranzuziehen, wenn wichtige therapeutische Entscheidungen, beispielsweise über die Einleitung einer NIV, zu treffen sind. Gleiches gilt auch für die Beurteilung des Verlaufs der Erkrankung.
Andererseits sollte man die Möglichkeit in Rechnung stellen, dass auch bereits etablierte, mehrere Kenngrößen umfassende Prognosescores wie etwa der BODE-Score [21] bei diesen Patienten nicht notwendigerweise das in der Praxis erreichbare Optimum darstellen, um eine hinreichend genaue Beschreibung des klinischen Zustandes zu liefern. Mit Blick auf die insgesamt hohe Mortalität von Patienten mit schwergradiger COPD und respiratorischer Insuffizienz einerseits, ihre unverkennbare klinische Heterogenität andererseits erscheint eine weitere Präzisierung des individuellen Risikoprofils möglich und wünschenswert. Hierbei könnten beispielsweise Kenngrößen zur Beschreibung der Gasaustauschkapazität und der Reaktion des Organismus auf Hyperkapnie, Kenngrößen der Ventilation und Auslastung der Atemmuskulatur sowie systemische Marker einen Platz finden.
#Prädiktoren des Langzeit-Überlebens bei Patienten mit COPD und chronisch-hyperkapnischer respiratorischer Insuffzienz
Ausgehend von diesen Überlegungen untersuchten wir in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Arbeiten Prädiktoren des Langzeitüberlebens in einer großen und vermutlich statistisch repräsentativen Population von Patienten mit schwergradiger COPD, die aufgrund einer chronisch-ventilatorischen Insuffizienz auf eine langfristige außerklinische Beatmungstherapie eingestellt wurden. Der Beobachtungszeitraum betrug bis zu 10 Jahre [6]. Neben anthropometrischen Daten wurden der Body-Mass-Index (BMI), spirometrische und ganzkörperplethysmografische Funktionsgrößen sowie Laborwerte und Blutgase berücksichtigt. Angesichts des unklaren prognostischen Wertes von PaCO2 wurde unter anderem auch der Basenüberschuss (base excess, BE) in die Analysen einbezogen. Grundlage war die Überlegung, dass der BE eine längerfristige, integrative metabolische Antwort auf die chronische Hyperkapnie darstellt und gegenüber kurzfristigen Änderungen der Ventilation nicht in demselben Maße wie PaCO2 sensitiv ist. Daher sollte er gut geeignet sein, die chronische Hyperkapnie in einer stabilen und zugleich klinisch leicht verfügbaren Messgröße abzubilden. In diesem Zusammenhang wird bekanntlich bisweilen von dem „HbA1c des Pneumologen bzw. Beatmungsmediziners” gesprochen.
In der genannten Untersuchung [6] zeigten univariate Analysen, dass Faktoren, die unterschiedliche Dimensionen der Erkrankung beschreiben, wie Alter, BMI, Hämoglobin-Wert, FEV1, spezifischer Atemwegswiderstand, Grad der Lungenüberblähung (Quotient von Residualvolumen zu totaler Lungenkapazität, RV/TLC), pH und BE signifikant mit dem Langzeitüberleben assoziiert waren; dies galt jedoch nicht für PaCO2 ([Abb. 1] ). Bemerkenswerterweise erwiesen sich in multivariaten Analysen, in denen die genannten Prädiktoren miteinander statistisch konkurrierten, nur BMI, RV/TLC and BE als linear unabhängige Prädiktoren; alle anderen Prädiktoren waren somit redundant bzw. sekundär. Die Liste der genannten Risikofaktoren konnte einerseits als Bestätigung der Ergebnisse anderer Autoren gelten [22] [23] [24] und zeigte an, dass die Charakteristika des von uns untersuchten Patientenkollektivs denen vorheriger Studien vergleichbar waren. Andererseits bestätigten die Ergebnisse die Erwartung, dass der BE – vermutlich eben aufgrund der Trägheit der Kompensationsmechanismen – die Chronizität der ventilatorischen Insuffizienz in besonderem Maße widerspiegelt und im Vergleich zu PaCO2 den verlässlicheren prognostischen Marker darstellt ([Abb. 1] ).
#Implikationen für die Charakterisierung von Patienten mit COPD und chronisch-ventilatorischer Insuffizienz (multidimensionale Krankheitseinschätzung)
Ungeachtet der bekannten Grenzen retrospektiver Untersuchungen unterstreichen die genannten Daten einige beachtenswerte Aspekte für die tägliche Routine. So erscheint es sinnvoll, die Schwere der Erkrankung nicht alleine anhand der Ausprägung der Hyperkapnie einzuschätzen, sondern ein möglichst breites Spektrum von anthropometrischen, physiologischen und funktionellen Kenngrößen heranzuziehen und auf diese Weise das individuelle Risikoprofil der Patienten zu charakterisieren ([Tab. 1]). Dabei sollten unseren Daten und Literaturdaten zufolge Blutgaswerte (insbesondere BE und PaO2), Lungenfunktionsgrößen (nach Möglichkeit ganzkörperplethysmografische Werte zur Erfassung der Lungenüberblähung) sowie der Ernährungsstatus mittels BMI herangezogen werden. Obwohl der BMI auf einfache Weise verfügbar und als wichtiger Prognosefaktor etabliert ist [21], deuten neuere publizierte [25] [26] und eigene, noch nicht publizierte Ergebnisse darauf hin, dass der Fett-Freie-Masse-Index (FFMI), der sich beispielsweise durch bioelektrische Impedanzanalyse für klinische Zwecke valide erfassen lässt, dem BMI hinsichtlich der prognostischen Aussagekraft bei COPD und respiratorischer Insuffizienz überlegen sein könnte ([Abb. 2]).
Kenngröße zur Einschätzung der Erkrankung und Prognose |
–
Ernährungsstatus (Body-Mass-Index, BMI; Fat-free-Mass-Index, FFMI) als
integrative Marker metabolischer und funktioneller Reserven – Arterieller Kohlendioxidpartialdruck (PaO2) als Marker des Gasaustauschs und Organstress – Arterieller Kohlendioxidpartialdruck (PaCO2) bzw. Base excess (BE) als Marker für die langfristige metabolische Kompensation der respiratorischen Azidose – Lungenfunktion (Lungenüberblähung als Verhältnis von Residualvolumen zu totaler Lungenkapazität, RV/TLC; forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde, FEV1) als Maß organsspezifischer funktioneller Reserven – 6-Minuten-Gehstrecke (6-MWD) als integrativer Marker kardiopulmonaler Reserven – Systemische Entzündungsmarker (z. B. C-reaktives Protein, CRP; Serumamyloid) und kardiale Marker (brain natriuretic peptide, BNP) – Hämoglobin bzw. Hämatokrit als Marker der funktionellen Sauerstoffkapazität – Atemnot-Skala gemäß Medical Research Concil (MMRC) und gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQL) als integrative subjektive Einschätzung der Erkrankung – Mundverschlussdruckmessung 100 ms nach Inspiration relativ zum maximalen Inspirationsdruck (P0.1/PImax) als nicht-invasiver Marker des Verhältnisses von Last zu Kapazität der Atempumpe – Kardiovaskuläre, metabolische and psychische Komorbiditäten |
Ferner ergab sich aus unseren Untersuchungen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Autoren und in konsistenter Weise [27] [28], dass erniedrigte Hämoglobin- bzw. Hämatokrit-Werte bei Patienten mit COPD negativ mit dem Langzeitüberleben assoziiert sind. Dieser Zusammenhang sollte gerade beim Bestehen einer chronisch-respiratorischen Insuffizienz Beachtung finden, auch wenn bislang noch keine Daten zur Prognosemodifikation mittels Erythrozyten-Transfusion zur Verfügung stehen [29]. Darüber hinaus fand sich, dass mit dem konventionellen 6-Minuten-Gehtest (6-MWD) eine weitere, relativ einfach zu erhebende Kenngröße zur Verfügung steht, die selbst bei bereits schwerkranken Patienten im stabilen Krankheitszustand eine zusätzliche, statistisch unabhängige Differenzierung hinsichtlich der Prognose zulässt [30] ([Abb. 3] ). Demgegenüber wurde die spiroergometrisch erfasste maximale Sauerstoffaufnahme zwar ebenfalls als prädiktiv beschrieben [31], erscheint aber unter anderem mit Blick auf die schwere funktionelle Limitation und Komorbiditäten dieser Patienten und des relativen hohen Aufwands nicht geeignet, in der klinischen Routine regelhaft durchgeführt zu werden. Ein weiterer wertvoller Parameter könnte auch die häusliche körperliche Aktivität sein [32], die mit der körperlichen Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Krankheitsbildern assoziiert ist. Allerdings sind die Wertigkeit bei Patienten mit COPD und respiratorischer Insuffizienz bzw. die prognostische Aussagekraft dieses Markers noch zu evaluieren. Neuere Daten deuten zudem darauf hin, dass auch das Geschlecht hinsichtlich des Überlebens und insbesondere der respiratorischen Todesursache eine Rolle spielt [33] ([Abb. 4]).
Schließlich könnte die subjektive Einschätzung des Zustandes durch den Patienten in Form der modifizierten Atemnotskala (Modified Medical Research Concil (MMRC) dyspnoea scale) [34] [35] das Spektrum des individuellen Risikoprofils abrunden ([Tab. 1] ). Passend dazu fanden wir, dass die subjektive Einschätzung der Lebensqualität bei Patienten mit chronisch-respiratorischer Insuffizienz und NIV mit dem Langzeit-Überleben korrelierte, wenn auch bei Patienten mit COPD letztlich objektive Größen relativ dazu für die Prognose des Überlebens verlässlicher schienen [36]. Interessanterweise zeigen kürzlich publizierte Daten, dass unter den subjektiven Charakteristika bereits alleine das Vorliegen depressiver Symptome mit dem Überleben assoziiert ist [37] [38] ([Abb. 5] ), was vermutlich gerade bei fortgeschrittenen Formen der COPD zum Tragen kommen dürfte.
Einen weiteren Fortschritt würden vermutlich Kenngrößen darstellen, welche die Pathophysiologie der chronisch-hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz in spezifischer Weise erfassen. So könnte ein für die klinische Routine brauchbarer – wenn auch bekanntermaßen mitarbeitsabängiger – Index der Quotient aus statischem Mundverschlussdruck 100 ms nach Beginn der normalen Einatmung und maximalem statischen Inspirationsdruck (P0.1/PImax) sein. Dieser Quotient gilt als nicht-invasiver Marker des Verhältnisses von Last zu Kapazität der Atemmuskulatur [39]. In der Tat erwies sich diese Kenngröße als weiterer statistisch unabhängiger Prädiktor für das Langzeitüberleben bei Patienten mit chronisch-respiratorischer Insuffizienz und außerklinischer Beatmung [40].
Insgesamt umreißen diese Befunde die Möglichkeit, die klinisch-prognostische Einschätzung von Patienten mit schweren Formen der COPD bzw. mit respiratorischer Insuffizienz über die bereits bestehenden Prognose-Scores hinaus durch Einbezug weiterer Dimensionen der Erkrankung zu verbessern. Vermutlich sollten dabei ebenfalls Komorbiditäten [41] berücksichtigt werden sowie systemische Entzündungsmarker wie CRP [42] und Serumamyloid [43], oder andere Biomarker [44].
Ferner ist an Faktoren wie brain natriuretic peptide (BNP) zu denken, welche die Interaktion mit dem kardiovaskulären System anzeigen [45], sowie zweifelsohne die Hypoxämie als einer der wichtigsten Prädiktoren bei respiratorischer Insuffizienz ([Tab. 1] ). Individuelle Informationen zum Bestehen einer relevanten pulmonalen Hypertonie wären gerade bei Patienten mit respiratorischer Insuffizienz prognostisch wertvoll [46], allerdings ist diese auch bei fortgeschrittener COPD eher selten [47] und meist nur durch Rechtsherzkatheter zuverlässig bestimmbar. Wünschenswert wäre, dass künftige Studien über die bekannten Prädiktoren [48] hinaus an hinreichend großen Kollektiven verschiedene umfassende, multidimensionale Scores definieren, vergleichen und validieren. Dabei ist im Sinne der Anwendbarkeit eine vernünftige Balance zwischen Informationsgehalt und Messaufwand anzustreben.
#Parameter zur Verlaufsbeurteilung und zum Therapiemonitoring bei COPD mit chronisch-ventilatorischer Insuffizienz
Als eine Schwäche vieler Studien zum Wert von Prognosefaktoren ist die Tatsache zu sehen, dass die Faktoren nur einmalig zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst und sodann hinsichtlich ihres prädiktiven Wertes über einen langen Beobachtungszeitraum ausgewertet wurden. Offenbar werden durch einen solchen Ansatz eine eventuelle zeitliche Dynamik und der mögliche Einfluss einer für den Langzeitverlauf relevanten Änderung der jeweiligen Messgröße nicht angemessen berücksichtigt [49] [50]. In der oben genannten Untersuchung [6] wurden daher auch die Änderungen der Prognosefaktoren nach Therapieeinleitung in Hinsicht auf das Langzeitüberleben analysiert. Dabei zeigte sich, dass neben den Ausgangswerten auch günstige Änderungen dieser Werte beim Kontrolltermin 6 Monate nach dem Beginn der NIV positiv mit dem Langzeitüberleben assoziiert waren. Dies war für Ernährungsstatus (BMI), Lungenüberblähung (RV/TLC) und BE als Indikator chronischer Hyperkapnie der Fall und galt primär für Patienten mit ungünstigen Ausgangswerten ([Abb. 6]). Dies belegte zum einen die statistische und inhaltliche Konsistenz der Befunde für die identifizierten Prognosefaktoren. Zum anderen legte dies die Vermutung nahe, dass diese Messgrößen auch zur Therapieüberwachung bzw. -steuerung in der Langzeitverfolgung von Patienten mit chronisch-hyperkapnisch respiratorischer Insuffizienz geeignet sein könnten. Diese Überlegung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die beobachteten Effekte vermutlich nicht ausschließlich auf die NIV zurückzuführen waren, sondern sich mit Effekten der medikamentösen Optimierung und anderen Faktoren überlagerten. Schließlich scheint eine NIV schon aufgrund des technischen Aufwandes unabdingbar mit einer allgemein verbesserten Betreuung der Patienten einherzugehen.
Ein wichtiger Aspekt ist ferner, dass Patienten mit einem BMI < 25 kg/m2, die weiter an Gewicht verlieren, ein zusätzlich erhöhtes Risiko haben, zu versterben [6] [51]. Daher erscheint es unzureichend, bei Patienten mit chronisch-respiratorischer Insuffizienz primär oder ausschließlich auf die Verlaufsbeobachtung der Blutgase zu fokussieren und andere Dimensionen der Erkrankung außer Acht zu lassen oder ihnen geringe Beachtung zu schenken. Wenn auch eine Therapie der pulmonalen Kachexie oftmals schwierig ist [52], so sollte dennoch versucht werden, zumindest eine Gewichtsstabilisierung und gegebenenfalls sogar einen Gewichtszuwachs zu erreichen [6] [53].
Gerade durch den Einsatz der NIV konnten in mehreren – wenn auch überwiegend nicht-kontrollierten – Studien positive Effekte auf bekannte Risikofaktoren erreicht werden. Insbesondere kann man bei ausreichender Therapieadhärenz und Anwendung hinreichend hoher inspiratorischer Beatmungsdrucke von positiven Effekten auf den Gasaustausch, speziell einer Reduktion der Hyperkapnie bzw. des BE, ausgehen [6] [8] [9] [54]. Darüber hinaus wurden sowohl in randomisiert-kontrollierten Untersuchungen mit kurzen Bebachtungszeiträumen [55] [56] als auch in Langzeit-Beobachtungsstudien [57] günstige Effekte auf die Lungenüberblähung beschrieben. Ferner gibt es sogar Hinweise darauf, dass die NIV im Langzeitverlauf bei kachektischen Patienten mit COPD zu einer Verbesserung des Ernährungszustandes beitragen kann [58].
Insgesamt unterstützen diese Ergebnisse die Annahme, dass die NIV ein klinisch und pathophysiologisch plausibles Potential besitzt, die Prognose von Patienten mit chronisch-hyperkapnisch respiratorischer Insuffizienz zu verbessern. Dennoch muss nach gegenwärtiger Einschätzung der Evidenzerfordernisse diese Behauptung durch randomisiert-kontrollierte Studien in diversen Populationen von Patienten mit COPD bestätigt werden. Hinsichtlich der NIV bei COPD mit stabiler Hyperkapnie könnten die Ergebnisse der deutschen Multicenter-Studie weiteren Aufschluss geben [59]. Aufgrund der bestehenden, zwar heterogenen, jedoch durchaus suggestiven Datenlage und im Hinblick auf die Tatsache, dass die NIV unabhängig von aller formalen Evidenz de facto breite Anwendung findet, muss man speziell bei Patienten mit hohem Risikoprofil (s. u.) mit ethischen Bedenken rechnen, sofern man ihnen die NIV innerhalb einer kontrollierten Studie vorenthalten will.
#Mögliche Bedeutung der Prognoseparameter für die Initiierung einer NIV bei schwerer COPD
In Ergänzung zu den möglichen Implikationen für Krankheitseinschätzung und Verlaufskontrolle ergeben sich vermutlich beachtenswerte Aspekte für die Therapieentscheidung zugunsten einer NIV. Derzeit sind seitens der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin Leitlinien zum Einsatz der NIV zur Therapie der chronisch-respiratorischen Insuffizienz in Bearbeitung. Der gegenwärtigen Datenlage zufolge orientiert sich die Entscheidung für die Einleitung einer NIV praktisch immer noch ausschließlich an den Symptomen und dem Grad der Hyperkapnie [60] [61]. Gemäß den inzwischen 10 Jahre alten Empfehlungen einer Expertenkonferenz besteht insbesondere bei einem PaCO2 ≥ 55 mm Hg (7.3 kpa) eine Indikation für eine intermittierende NIV [62]. Erwähnenswert ist, dass diese Kriterien auf einer Experteneinschätzung beruhen, jedoch bislang nicht prospektiv validiert wurden. Dies ist insofern bedauerlich, als der PaCO2 bekanntermaßen einer hohen intra-individuellen und tageszeitlichen Variabilität unterliegt und merklich von der momentanen Ventilation des Patienten abhängt. Im Gegensatz dazu stellt die metabolische Kompensation der respiratorischen Azidose, wie sie sich im BE widerspiegelt, einen deutlich langsameren Prozess dar, der etwa erst nach einer Woche seinen Höhepunkt erreicht [63]. Aufgrund dieser relativen Stabilität sowie seiner nachgewiesenermaßen [6] unabhängigen prognostischen Aussagekraft ([Abb. 1]) erscheint der BE im Vergleich zum PaCO2 als verlässlicherer Indikator für die chronisch-hyperkapnische respiratorische Insuffizienz und damit den Schweregrad der Erkrankung. Voraussetzung ist allerdings, dass nicht andere gravierende Störungen (z. B. eingeschränkte Nierenfunktion, Diuretikaeinnahme) seine Aussagekraft schwächen. Bevor allerdings der BE in der klinischen Routine inklusive der Indikationsstellung für eine NIV auf eine allgemein akzeptable Weise etabliert werden kann, erscheinen prospektive Studien erforderlich, welche seine Wertigkeit im Vergleich zum PaCO2 tagsüber und nachts unter verschiedenen klinischen Bedingungen eruieren und zweifelsfrei belegen.
Gemäß der genannten Expertenempfehlung [62] besteht auch bei geringerer Hyperkapnie (PaCO2 50 bis 54 mmHg) eine Indikation zur langfristigen NIV, wenn in den zurückliegenden 12 Monaten mindestens 2 Krankenhausaufenthalte aufgrund eines hyperkapnischen Atemversagens notwendig wurden. Tatsächlich haben retrospektive Analysen gezeigt, dass Patienten, die aufgrund akuten hyperkapnischen Atemversagens mit NIV behandelt wurden und überlebten, ein hohes Risiko für eine erneute stationäre Einweisung, ein weiteres lebensbedrohliches Ereignis oder ein Versterben aufweisen [64]. Obwohl in unseren eigenen Untersuchungen die genannten Krankheitsmarker primär auf ihren prognostischen Wert bezüglich der Mortalität ausgewertet wurden, könnten sie auch hilfreich sein, das Risiko einer respiratorischen Dekompensation und/oder eines instabilen Krankheitsverlaufs mit häufigen schweren Exazerbationen vorherzusagen. Diese Überlegung spricht ebenfalls dafür, diese Messgrößen in die Entscheidung für eine NIV einzubeziehen. Unterstützt wird der Gedanke von einer Beobachtungsstudie, die ergab, dass Patienten, die durch ein hohes Risikoprofil charakterisiert waren, in besonderem Maße von der außerklinischen NIV im Hinblick auf ihr Langzeitüberleben profitierten [65]. Tatsächlich ist der Ansatz, über die formal evidenzbasierte Medizin hinaus einen Satz weiterer Messgrößen in therapeutische Entscheidungen einzubeziehen, im praktisch-klinischen Alltag keineswegs unüblich; vielmehr zeichnet es offenbar den guten Arzt aus, die unumgänglichen Grenzen allgemeiner Leitlinien im Einzelfall durch ad-hoc-Information zu kompensieren. Eine derartige individuelle Betrachtung von Patienten unter Beachtung einer Vielzahl von Messgrößen wird bei anderen weitreichenden therapeutischen Entscheidungen wie etwa derjenigen über eine Lungentransplantation bereits regelhaft praktiziert.
Im Bemühen, geeignete Gruppen von Patienten mit schwergradiger COPD zu definieren, die von der langfristigen außerklinischen Beatmung im Hinblick auf den Endpunkt „Langzeit-Überleben” am meisten profitieren, erscheint es ratsam, auch die pathophysiologische Evidenz bezüglich der Mechanismen zu beachten, die dem Langzeit-Nutzen der außerklinischen NIV inklusive der Verbesserung des Langzeitüberlebens vermutlich zugrunde liegen [4] [66]. Da – wie erwähnt – der PaCO2 per se kaum prognostische Bedeutung besitzt, müssen weitere Kenngrößen der Mechanismen in Betracht gezogen werden. Pathophysiologisch orientierte und klinische Studien haben gezeigt, dass den positiven Effekten der NIV eine komplexe Interaktion zugrunde liegt. Diese umfasst eine Entlastung der Atemmuskulatur, Wiederherstellung der Chemosensitivität für PaCO2 und Verbesserung der Atemmechanik. Diese Effekte sind von einer Veränderung des Atemmusters mit Zunahme des Atemzugvolumens und Abnahme der Atemfrequenz begleitet [4] [66]. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Effekte nicht nur während der NIV auftreten, sondern in den Perioden der anschließenden Spontanatmung positiv nachwirken. Unter der Vorstellung, dass so die funktionellen Reserven des Patienten verbessert werden, ist es naheliegend anzunehmen, dass die günstigen Effekte vor allem in solchen Situationen von Vorteil sind, die eine gesteigerte Ventilation verlangen. Demnach wäre eine geringere Vulnerabilität in Phasen der klinischen Verschlechterung bzw. bei akuten Exazerbationen zu erwarten. Diese Mechanismen dürften auch der in einigen Studien nachgewiesenen Abnahme der Krankenhauseinweisungen [11] [13] [67] nach Einleitung der NIV zugrunde liegen. Wie retrospektive Analysen belegt haben, lässt sich unter diesen Umständen mittels NIV trotz der zusätzlichen Kosten für die Beatmung im Ergebnis sogar eine Einsparung an Gesamtkrankheitskosten erreichen [11].
Analoge pathophysiologische Überlegungen könnten auch für Patienten mit schwergradiger COPD nach schwieriger Beatmungsentwöhnung oder nach einer Episode prolongierter, invasiver, mechanischer Beatmung gelten. Tatsächlich hat die NIV auf der Intensiv- bzw. Beatmungsstation bereits einen hohen Stellenwert erlangt, was das Management von Risiko-Patienten zur Verhinderung eines Post-Extubations-Atemversagens anbelangt, da eine Re-Intubation bekanntlich mit hoher Mortalität einhergeht [68]. Darüber hinaus ist die NIV inzwischen wichtiger Bestandteil der Beatmungsentwöhnung bei COPD mit schwierigem Weaning [69]. Im Vergleich dazu ist der klinische Stellenwert einer längerfristigen, außerklinisch fortgeführten NIV nach erfolgreicher Beatmungsentwöhnung bislang nicht ausreichend durch Studien belegt. Immerhin ergaben retrospektive Untersuchungen einen Überlebensvorteil für Patienten mit COPD, die nach schwieriger, aber erfolgreicher Beatmungsentwöhnung mit NIV aus der Klinik entlassen wurden, im Vergleich zu Patienten, die nicht auf außerklinische Beatmung eingestellt wurden [70] [71] ([Abb. 7]). In Analogie zu den oben angeführten Argumenten profitieren möglicherweise gerade Patienten mit hohem Risikoprofil in dieser Situation am meisten von der langfristigen NIV. Selbstverständlich wäre in jedem individuellen Fall eine Re-Evaluation notwendig, um zu überprüfen, ob die Indikation einer NIV weiter besteht bzw. ob die NIV infolge zwischenzeitlich wiedererlangter funktioneller Reserven beendet werden kann.
#Interessenkonflikte
Keine angegeben.
#Literatur
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PD Dr. med. Stephan Budweiser
Klinik Donaustauf, Zentrum für Pneumologie
Ludwigstraße 68
93093 Donaustauf
Email: stephan.budweiser@klinik.uni-regensburg.de
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PD Dr. med. Stephan Budweiser
Klinik Donaustauf, Zentrum für Pneumologie
Ludwigstraße 68
93093 Donaustauf
Email: stephan.budweiser@klinik.uni-regensburg.de