Rofo 2009; 181(4): 392-393
DOI: 10.1055/s-0029-1220599
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
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Herausgabe von Krankenunterlagen Verstorbener

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Rechtsanwälte Wigge

Sebastian Sczuka Rechtsanwält

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. April 2009 (online)

 
Inhaltsübersicht #

Reichweite der ärztlichen Schweigepflicht

Die ärztliche Schweigepflicht gehört zu den historischen Pflichten eines Arztes. Bereits im Eid des Hippokrates heißt es: "Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf." (nach Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 69 Rn. 1) Die Pflicht des Arztes über alle ihm in beruflicher Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen und Umstände Stillschweigen zu bewahren, soll heute einerseits das Grundrecht des Einzelnen auf Achtung seiner Geheim- und Individualsphäre, welches Teil des verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, und andererseits das staatliche Interesse an einer funktionsfähigen ärztlichen Gesundheitsvorsorge, die ohne ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient unmöglich ist, schützen.

Die ärztliche Schweigepflicht findet sich in verschiedenen Vorschriften wieder. So macht sich gem. § 203 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) u. a. strafbar, "wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als Arzt [...] anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist". Die Schweigepflicht ist darüber hinaus standesrechtlich in den ärztlichen Berufsordnungen verortet. In § 9 Abs. 1 Satz 1 Musterberufsordnung (MBO-Ä) heißt es: "Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen." Ferner ist die Schweigepflicht auch eine Nebenpflicht des zwischen Arzt und Patienten zustande kommenden Arztvertrages.

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Reichweite der ärztlichen Schweigepflicht

Gegenstand der ärztlichen Schweigepflicht sind Tatsachen und Umstände, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein bei Berücksichtigung seiner persönlichen Situation sachlich begründetes Interesse hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Geheimhaltungsinteresse positiv oder negativ zu bewerten ist. Eine Tatsache verliert ihren Geheimnischarakter auch nicht zwingend, wenn Sie bereits kundgetan wurde. Der geschützte Geheimbereich ist also weit zu ziehen. Er umfasst in persönlicher Hinsicht grundsätzlich auch psychisch Kranke und Minderjährige, wobei bis zum vollendeten 14. Lebensjahr eines Kindes die Eltern in der Regel in vollem Umfang zu unterrichten sind. Ferner kann sich der Geheimbereich auch auf Dritte erstrecken.

Zum geschützten Geheimbereich gehören in sachlicher Hinsicht nicht nur Tatsachen und Umstände, die sich auf den Gesundheitszustand des Patienten beziehen, wie z. B. die Krankheit, die Diagnose, die Therapie, sonstige psychische oder körperlichen Auffälligkeiten, Röntgenaufnahmen, Untersuchungsmaterialien und Medikamentierungen, sondern auch alle Gedanken, Meinungen, Empfindungen, Handlungen, familiären, wirtschaftlichen, finanziellen und beruflichen Verhältnisse, an deren Geheimhaltung der Patient erkennbar ein Interesse hat.

Auch die Form, in der das Geheimnis dem Arzt anvertraut wurde – schriftlich, mündlich oder stillschweigend – ist unerheblich. Die Kenntniserlangung des Geheimnisses muss lediglich in einem inneren Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Arztes stehen. Dabei ist die Abgrenzung mitunter schwierig, denn der Patient kann dem Arzt ein Geheimnis nicht nur während der Behandlung in der Arztpraxis anvertrauen, sondern ebenso auch bei einem zufälligen Treffen.

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Zeitliche Geltung der Verschwiegenheitspflicht

Die Schweigepflicht beginnt bereits mit der Anbahnung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, d. h. grundsätzlich mit dem ersten im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit stehenden Kontakt. Sie gilt auch nach dem Tod des Patienten weiter. Die postmortale Geltung ergibt sich ausdrücklich aus § 9 MBO-Ä sowie § 203 Abs. 4 StGB, wonach die Absätze 1 bis 3 auch anzuwenden sind, "wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart". Die Verfügungsbefugnis eines Verstorbenen über das Geheimnis ist dessen höchstpersönliches Recht und geht daher nicht auf die Erben über. Eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ist daher nach dem Tod eines Patienten durch dessen Erben nicht mehr möglich. Die ärztliche Schweigepflicht kann nur zu Lebzeiten durch den Patienten durch ausdrückliche Äußerung seines dahingehenden Willens aufgehoben werden.

Postmortal ist die Aufhebung der Schweigepflicht allenfalls aufgrund des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen möglich. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

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Mutmaßlicher Wille des Verstorbenen

Der mutmaßliche Wille bestimmt sich an dem wohlverstandenen Interesse des Verstorbenen. Die Prüfung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen obliegt dem behandelnden Arzt als Geheimnisträger. Er hat gewissenhaft zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verstorbene die völlige oder teilweise Offenlegung der Krankenunterlagen oder der Krankengeschichte gegenüber den Erben oder nahen Angehörigen mutmaßlich gebilligt hätte. Dem Arzt ist hierbei ein Ermessensspielraum eingeräumt. Bei der Prüfung spielt das mit der Offenbarung des Geheimnisses verfolgte Begehren, in der Regel die Geltendmachung von Ansprüchen des Verstorbenen oder die Wahrung nachwirkender Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen, eine entscheidende Rolle. Sachfremde Verweigerungsgründe des Arztes, also etwa das Verschleiern eigenen oder fremden ärztlichen Fehlverhaltens sind unzulässig.

Die Situation stellt den betroffenen Arzt vor große Schwierigkeiten. Einerseits obliegt es ihm, die Frage zu entscheiden, ob eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten zur Offenbarung seiner Geheimnisse vorliegt, andererseits muss die Entscheidung des Arztes gerichtlich überprüfbar sein. Zwar ist die Entscheidung des Arztes ihrer Natur nach einer gerichtlichen Nachprüfung nicht zugänglich, allerdings muss dem Arzt, um zu vermeiden, dass eine Einsicht durch die Erben eines Verstorbenen aus sachfremden Gründen verweigert wird, die Darlegung der Gründe zugemutet werden, unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenbarung des Geheimnisses gehindert sieht. Die gerichtliche Überprüfung darf also nicht so intensiv erfolgen, dass der Arzt gezwungen wird, die Geheimnisse zu offenbaren, um deren Schutz es gerade geht. Zu dieser Frage hat das OLG München mit Urteil vom 09.10.2008 (Az.: 1 U 2500/08) Stellung genommen.

Im vom Gericht entschiedenen Fall machte die Ehefrau gegenüber dem Arzt einen Anspruch auf Herausgabe von Krankenunterlagen ihres verstorbenen Gatten geltend. Die klagende Ehefrau machte gegenüber dem Arzt deutlich, dass sie die Krankenunterlagen zur Klärung möglicher vermögensrechtlicher Ansprüche benötigen würde.

Das Einsichtsrecht für Erben oder nahe Angehörige ist grundsätzlich geeignet, die ärztliche Schweigepflicht zu berühren. Der Arzt kann und muss daher auch Erben oder nahen Angehörigen die Kenntnisnahme von Krankenunterlagen verweigern, soweit er sich bei gewissenhafter Prüfung seiner gegenüber dem Verstorbenen fortwirkenden Verschwiegenheitspflicht an der Preisgabe gehindert sieht. Denn soweit von der ärztlichen Schweigepflicht her ernstliche Bedenken gegen eine Einsicht der Erben oder nahen Angehörigen bestehen, kommt der Wahrung des Arztgeheimnisses der Vorrang zu. In den Fällen der Geltendmachung von Ansprüchen bzw. der Verfolgung von Behandlungsfehlern wird es – nach Auffassung des OLG München – allerdings nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein, dass von einem Geheimhaltungswunsch des verstorbenen Patienten ausgegangen werden muss.

Auch wenn die Entscheidung des Arztes an sich nicht justiziabel ist, weil dies die Preisgabe des geschützten Geheimnisses bedingen würde, muss sich der Arzt bewusst sein, dass er die Einsicht nur verweigern darf, wenn gegen diese von seiner Schweigepflicht her mindestens vertretbare Bedenken bestehen können. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Arzt aus sachfremden Gründen eine Einsicht verweigert, muss der Arzt zumindest darlegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht. Er muss seine Weigerung also auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen stützen. Eine Begründung der Verweigerung kann nur in diesem allgemeinen Rahmen verlangt werden, da anderenfalls die damit zu rechtfertigende Geheimhaltung im Ergebnis unterlaufen würde.

Das OLG München erachtete aus diesen Erwägungen heraus die Begründung des Arztes für die Verweigerung der Herausgabe der Behandlungsunterlagen – der Patient habe sich vor dem Tod bereits von seiner Ehefrau distanziert und ihm, dem Arzt, gegenüber erklärt, dass seiner Familie aus seinem Vermögen nichts zustehe – für nicht ausreichend. Die vom Arzt behauptete Distanzierung sei nicht nach außen getreten. So habe der Patient seine Familie testamentarisch nicht von der Vermögensnachfolge ausgeschlossen oder ihre Ansprüche auf den Pflichtteil begrenzt. Ferner sei gegenüber der Bewertung des Arztes über die Aussagen des todkranken Patienten Zurückhaltung geboten. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass der Arzt ein Interesse daran haben kann, die Behandlungsunterlagen nicht herauszugeben, um eine Auseinandersetzung über seine nicht unumstrittenen Behandlungsmethoden zu vermeiden, denn dies sei kein zulässiges Kriterium für die Entscheidung des Arztes über die Herausgabe der Krankenunterlagen. Auch aus den Äußerungen des Patienten, dass er möchte, dass alle Unterlagen bei dem Arzt bleiben und Daten vertraulich behandelt werden, kann nach Auffassung des Gerichts nicht gefolgert werden, dass der Patient auch nach seinem Tod die Einsicht seiner Ehefrau in die Krankenunterlagen unter keinen Umständen gewollt hat. Diese von dem Arzt vorgebrachten Umstände für seine Ablehnung der Herausgabe der Krankenunterlagen sind unter Berücksichtigung der dargestellten inhaltlichen Anforderungen an eine Begründung und dem dem Arzt einzuräumenden Ermessensspielraum nicht hinreichend, da sie keinerlei konkrete Umstände und Tatsachen enthalten, die die Entscheidung des Arztes nachvollziehbar erscheinen lassen.

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Fazit

Aus den vom OLG München aufgestellten Grundsätzen folgt, dass eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten zur Einsichtnahme, die der Verfolgung von möglichen Behandlungsfehlern dient, in der Regel anzunehmen ist und der Arzt eine Verweigerung der Einsicht nachvollziehbar begründen muss, ohne dabei aber die Geheimhaltung unterlaufen zu müssen. Allein die Berufung des Arztes auf den postmortalen Persönlichkeitsschutz reicht nicht aus. Sofern die von einem Arzt in seiner Begründung angeführten Tatsachen nicht nachvollzogen werden können und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist daher von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen.

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