Der Klinikarzt 2009; 38(4): 172-173
DOI: 10.1055/s-0029-1223260
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ringen um die EU–Arbeitszeitrichtlinie – Zahlreiche Stolpersteine

Petra Spielberg
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Petra Spielberg

Fachjournalistin für Gesundheits–und Sozialpolitik Köln/Brüssel

Christian–Gau–Straße 24

50933 Köln

Fax: 0221/97763151

eMail: p.spielberg@t-online.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. April 2009 (online)

Inhaltsübersicht

Das Ringen um eine Neufassung der EU–Arbeitszeitrichtlinie nimmt kein Ende. Nachdem sich das Europäische Parlament und die EU–Regierungen innerhalb von 2 Lesungen nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, versuchen nun Vertreter beider Seiten im Vermittlungsverfahren einen Kompromiss zu finden. Die Positionen sind derweil aber so festgefahren, dass ein Scheitern nicht ausgeschlossen ist. Dann bliebe es zunächst bei den derzeit gültigen Vorschriften aus dem Jahr 1993. Deutsche Ärzte könnten zudem weiter auf die Regelungen des deutschen Arbeitszeitgesetzes vertrauen.

Wer auf dem EU–Parkett Gehör finden will, muss intensive Lobbyarbeit betreiben. Der Marburger Bund hat das erkannt. Mit unzähligen E–Mails und Briefen hatten Mitglieder des Marburger Bundes Ende letzten Jahres bei deutschen Europaabgeordneten dafür geworben, sich weiterhin vehement gegen überlange Arbeitszeiten von Klinikärzten auszusprechen. Mit Erfolg: Das Europaparlament hielt auch bei der zweiten Lesung zur Neufassung der EU–Arbeitszeitrichtlinie am 17. Dezember an seiner Position fest.

Die Abgeordneten fordern unter anderem, dass Bereitschaftsdienste grundsätzlich der Arbeitszeit zuzurechnen sind. Auch treten sie dafür ein, die bestehende EU–Vorschrift, die es gestattet, die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden individuell zu verlängern, binnen 3 Jahren nach Inkrafttreten der Revision auslaufen zu lassen. Beschlossene Sache ist dies damit dennoch nicht. Denn die Regierungen der 27 EU–Mitgliedsländer haben über die geplanten Änderungen der EU–Regelungen mit zu entscheiden. Und die Mehrheit der Sozial– und Arbeitsminister vertritt die Auffassung, dass die rigiden Vorschläge des Europaparlaments keine ausreichende Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung zum Beispiel in Krankenhäusern, Feuerwehren und beim Rettungsdienst ermöglichen.

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Einigung, aber nicht um jeden Preis

Wortführer bei den Befürwortern großzügiger Ausnahmeregelungen ist Großbritannien. Das Königreich wird dabei von einem Großteil der Mitgliedstaaten aus Osteuropa unterstützt. Festhalten wollen die Regierungsvertreter vor allem an einer EU–Regelung, die ein Abweichen von der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit gestattet. Von dieser seit 1993 bestehenden Möglichkeit machen nach Angaben der tschechischen EU–Ratspräsidentschaft 15 der 27 EU–Mitgliedstaaten regen Gebrauch. Sie sei ein wichtiges Instrument für eine flexible Arbeitszeitgestaltung in Bereichen wie dem Gesundheitswesen und der Feuerwehr, erklärte der tschechische Sozialminister Petr Necas.

Die geschlossene Haltung der Minister zum jetzigen Zeitpunkt täuscht indessen darüber hinweg, dass die Regierungen 4 Jahre gebraucht hatten, um sich untereinander auf eine für alle EU–Staaten akzeptable gemeinsame Linie zu einigen.

Seither tobt das Hickhack zwischen Parlament und Ministerrat. Von Flexibilität bei den Beratungen keine Spur. Beide Seiten schieben sich gegenseitig die Schuld dafür in die Schuhe, dass es zu keiner Einigung kommt.

Selbst im Vermittlungsausschuss, der seit Mitte März verhandelt, ist keine Lösung in Sicht. „Wir wollen eine Einigung, aber nicht um jeden Preis”, so die Verhandlungsführerin des Europaparlaments im Vermittlungsverfahren, die SPD–Europaabgeordnete Mechthild Rothe.

„Wenn das Parlament die Situation der Arbeitnehmer in der EU verbessern will, sollte es seine rigide Haltung überdenken”, konterte Necas. Das osteuropäische Land hat noch bis Anfang Juni die Ratspräsidentschaft inne und will die Verhandlungen daher gerne zu einem positiven Abschluss bringen.

Die Zeit drängt jedoch. Einigen sich Europaparlament und Ministerrat nicht bis Ende April auf einen Kompromiss, ist die Revision der EU–Arbeitszeitrichtlinie gescheitert. Damit bliebe vorerst alles beim Alten, bis die Europäische Kommission möglicherweise einen neuen Regelungsvorschlag vorlegt. Ob sie dies tut und wie dieser dann aussehen könnte, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

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Ist keine Einigung möglich, bleibt vorerst alles beim Alten

Der Marburger Bund könnte jedenfalls bei einem Scheitern des Vermittlungsverfahrens aufatmen. Denn damit wäre garantiert, dass das derzeitige deutsche Arbeitsrecht erst einmal unverändert fortbestehen könnte.

Das Gesetz, das am 1. Januar 2004 mit einer Übergangsfrist von 2 Jahren in Kraft getreten war, schreibt unter anderem vor, dass Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zu werten sind.

Auch die Bundesärztekammer (BÄK) dürfte dies freuen. Deren Vize, Frank–Ulrich Montgomery, hatte erst Ende März erneut davor gewarnt, den Arbeitsschutz von Klinikärzten und Pflegekräften durch neue europäische Vorgaben zu verwässern. „Die Einführung sogenannter inaktiver Zeiten beim Bereitschaftsdienst ist der Versuch, Ärzte und Pflegende wieder zu Wochenarbeitszeiten von bis zu 70 Stunden zu nötigen”, so Montgomery. Dies gefährde nicht nur die Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern auch die Patienten.

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Kritikpunkt: Anrechnung der Bereitschaftsdienstzeiten

Aus Sicht der Krankenhausträger und der EU hingegen käme eine gescheiterte Neufassung dem Eingeständnis gleich, dass der Wunsch nach mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung in der Gemeinschaft ein reines Lippenbekenntnis ist. Dabei waren es die EU–Minister selbst, die beim Inkrafttreten der derzeit gültigen Arbeitszeitrichtlinie im Jahr 1993 beschlossen hatten, die Regelungen 10 Jahre später den aktuellen Erfordernissen anzupassen.

Als dann noch Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinzukamen, die den Mammutdiensten von deutschen Krankenhausärzten einen Riegel vorschoben, war eine Neuregelung unausweichlich. In ihrer wegweisenden Entscheidung vom 9. September 2003 (Jäger–Urteil) hatten die Luxemburger Richter kritisiert, dass Klinikärzten in Deutschland die Bereitschaftsdienste als Ruhezeit angerechnet wurden. Sie verlangten, diese stattdessen auf die Arbeitszeit anzurechnen.

Deutschland änderte daraufhin sein Arbeitszeitgesetz. Andere Mitgliedstaaten, für die das Urteil gleichermaßen gilt, hielten sich mit Verweis auf nicht zu bewältigende Kosten und Personalengpässe allerdings nicht an den Richterspruch.

Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die sich durch das neue deutsche Recht ebenfalls mit Mehrkosten von bis zu 1,7 Milliarden Euro jährlich konfrontiert sieht, kam daher der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Neuregelung der Arbeitszeitrichtlinie gerade Recht. Die DKG hoffte, dass eine Neufassung der europäischen Vorgaben auch wieder für mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung in deutschen Krankenhäusern sorgen würde.

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Regelungen sorgen bereits seit 1993 für Kontroversen in der EU

Zunächst sah es ganz danach aus, dass sich diese Hoffnung erfüllen könnte. Denn der Ende September 2004 von der Brüsseler Behörde vorgelegte Entwurf sah vor, die Rechtsunsicherheiten, die durch die EuGH–Urteile entstanden waren, zu beseitigen.

Der Bereitschaftsdienst sollte demnach in aktive und inaktive Phasen unterteilt werden, wobei nur die Zeiten, in denen ein Arzt seiner Tätigkeit im Krankenhaus nachgeht, als Arbeitszeit gewertet werden sollten. Für einzelvertragliche Überstundenvereinbarungen sollten zudem künftig strengere Regeln gelten. Arbeitgebern sollte es beispielsweise nicht gestattet sein, die Zustimmung des Arbeitnehmers an die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages zu koppeln.

Stolz verkündete der damalige EU–Sozialkommissar Stavros Dimas: „Der Vorschlag [...] ist in sich ausgewogen, denn er verbindet den Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer mit einem Mehr an Flexibilität und fördert damit auch die Wettbewerbsfähigkeit.”

Dimas hatte seinerzeit offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sein Vorschlag die Gemüter derart erhitzen könnte, dass die Kommission am Ende gar genötigt sein könnte, die Gesetzgebung gänzlich neu aufzurollen.

Der EU–Kommissar hätte gleichwohl gewarnt sein müssen. Denn die Regelungen zur Arbeitszeit sorgen bereits seit 1993, als die erste Richtlinie angenommen wurde, für Kontroversen in der EU. Die jüngsten Auseinandersetzungen stellen da keine Ausnahme dar.

Schließlich wollen sich weder die Mitgliedstaaten noch die Tarifpartner bei einer derart wichtigen Frage, wie der der Arbeitszeitgestaltung, die Butter vom Brot nehmen lassen. Zahlreiche Europaabgeordnete wiederum schwingen sich – zumal wenn es mit großen Schritten auf die Europawahlen zugeht – gerne zum Fürsprecher der Arbeitnehmer auf. Mächtige Gewerkschaften tun das ihre, um die Stimmung kräftig anzuheizen.

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Situation ist festgefahren

Kein Wunder also, dass die Situation festgefahren ist. Aber auch die Kommission selbst hat im Gesetzgebungsverfahren bislang eine wenig glückliche Rolle gespielt. Um den Richtlinienvorschlag zu retten, hat sie sich als Schiedsrichter im Vermittlungsverfahren zwischen Parlament und Rat angeboten. Dabei sind ihr aber die Hände gebunden. Denn die Brüsseler Behörde will es sich vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni nicht mit den Abgeordneten und den Mitgliedstaaten verscherzen, da diese maßgeblich für die Ernennung der Kommissare verantwortlich sind.

Also versucht es EU–Beschäftigungskommissar Vladimir Spidla mit Diplomatie. Er sei enttäuscht, so der Tscheche, dass sich der Vermittlungsausschuss immer noch nicht auf einen Kompromiss geeinigt habe.

„Das ist kein hilfreiches Signal, dass die EU im Interesse ihrer Bürger zusammenarbeitet”, machte Spidla nach der gescheiterten zweiten Verhandlungsrunde Anfang April deutlich. Noch bestehe aber eine gewisse Chance auf eine Einigung. Spidla appellierte an das Parlament und den Rat, sich ihrer politischen Verantwortung bewusst zu sein und sich endlich auf einen Kompromiss zu verständigen.

Vor einigen Monaten noch hatte der Beschäftigungskommissar offen damit gedroht, gegen 23 der 27 EU–Mitgliedsländer Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, sollte die geltende Richtlinie unverändert bestehen bleiben. Davon ist derzeit keine Rede mehr.

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