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DOI: 10.1055/s-0029-1223442
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Es gibt keine „schwierigen” Patienten
There are no „Difficult” Patients
Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Hambrecht
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Evang. Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH
Landgraf-Georg-Straße 100
64287 Darmstadt
Email: hambrecht.martin@eke-da.de
Prof. Dr. med. Wolfgang Weig
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Magdalenen-Klinik
Alte Rothenfelder Straße 23
49124 Georgsmarienhütte
Email: wolfgang.weig@magdalenen-klinik.de
Publication History
Publication Date:
24 February 2010 (online)
Pro
Kürzlich erschien ein Fortbildungsaufsatz über den „schwierigen” Patienten in der psychiatrischen Versorgung [1], in dessen Überschrift die Gänsefüßchen zu finden waren, die letztlich zu der zugegebenermaßen provozierenden These führten, die hier diskutiert werden soll.
Wörter in Anführungszeichen zu setzen, bedeutet häufig, dass man sich ironisch oder durch die Unterlegung eines anderen Sinns von ihnen distanzieren möchte. Im Falle des „schwierigen” Patienten geschieht dies regelhaft – und dies schon seit einigen Jahrzehnten und nicht nur in deutschen Veröffentlichungen [2] [3] [4] [5].
„Schwierige” Patienten gibt es in allen Fachgebieten, nicht nur in der Psychiatrie. In einer Studie bezeichneten Internisten und Chirurgen dreier Kliniken 22 % ihrer Patienten als „severely or extremely difficult to help” [2]. Patienten, die besonders krank oder unzufrieden mit der Behandlung waren oder häufig wiederkehrten, wurden signifikant häufiger als „difficult to help” eingeschätzt. Psychosoziale Faktoren erachteten diese Nichtpsychiater bei den „schwierigen Patienten” als besonders relevant. Insbesondere „schwierig” galten ihnen unerklärliche Symptome, begleitende soziale Probleme und gravierende unbehandelbare Krankheiten.
Die wiederkehrenden Anführungszeichen legen nahe, dass sich viele Autoren mit dem Begriff unwohl fühlen – kein Wunder, denn es existiert keine einheitliche Definition für den „schwierigen” Patienten [1]. Der Begriff ist interpretationsbedürftig. Wie die referierte Studie illustriert, beschreibt er eine komplexe soziale Situation – auf Kosten des so etikettierten Patienten. Und so plädiere ich dafür, den Begriff „schwieriger Patient” fallen zu lassen. Dafür sprechen sozialpsychologische, klinische und ethische Gründe.
Sozialpsychologisch greift der Begriff „schwieriger Patient” zu kurz, wenn damit eine Eigenschaft gemeint ist, die ein Patient hat. Denn, wenn in der aktuellen Fortbildung [1] als allererste Charakterisierung steht „Der Patient gilt als schwierig bzw. macht Schwierigkeiten aus der Sicht der in der Psychiatrie tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” (S. 848), dann wird deutlich, dass es hier um ein Merkmal einer z. B. konflikthaften oder für die Beteiligten enttäuschenden sozialen Beziehung geht. Umgekehrt könnte genauso der Patient die Mitarbeiter als „schwierig” titulieren, wenn er mit ihnen z. B. um etwas streiten muss. Letztlich ist „Schwierigkeit” also ein Merkmal der Beziehung und nicht der Akteure, hervorgerufen etwa durch Unterschiede in Sozialisation, Werten oder Bedürfnissen. Mit der Etikettierung eines Patienten als „schwierig” verbaut sich das psychiatrische Team den Zugang zu einem Verständnis dieser Unterschiedlichkeit. Die Eigenschaftszuschreibung an den Patienten macht sie zu seinem Problem statt zu einem gemeinsamen.
Der Begriff „schwieriger Patient” ist aus einem weiteren Grund wenig hilfreich: Ausgehend von der definitorischen Schwammigkeit bildet er ein Sammelbecken für die verschiedensten Problemstellungen, die sich aus unterschiedlichsten klinischen, soziodemografischen und diagnostischen Merkmalen ergeben. Die genannte Fortbildung fasst zwar für den typischen „schwierigen Patienten” die Merkmale jung, männlich, an Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung des Clusters B, Substanzmissbrauch und / oder hirnorganischer Beeinträchtigung leidend, impulskontrollgestört, aggressiv und noncompliant zusammen (was an sich schon eine recht bunte Mischung darstellt), verkennt aber, dass therapeutische Beziehungen im klinischen Alltag noch sehr viel vielfältiger als „schwierig” erlebt werden – und teilweise von unterschiedlichen Behandlern und verschiedenen Teams wiederum ganz unterschiedlich. Manche Therapeuten können histrionische Patienten gut aushalten, andere überhaupt nicht, kommen dafür aber mit chronischen Schmerzpatienten oder wiederholt rückfälligen Alkoholpatienten besser zurecht. Chronische Suizidalität oder therapieresistente Depression sind weitere schwierige Problemstellungen, die bei fehlender Bewusstheit für die eigene Gegenübertragung und die eigenen Wertvorstellungen als Merkmal „schwierig” dem Patienten zugeschrieben werden.
Auf den Begriff „schwieriger” Patient sollte auch verzichtet werden, weil er in der Regel als Etikett haften bleibt, die eigene Haltung rigide werden lässt und der Dynamik in der Behandlungsbeziehung nicht gerecht wird. So wurden z. B. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung mancherorts lange pauschal als „schwierig” etikettiert – bis für diese Gruppe Behandlungsstrategien zur Verfügung standen. Umgekehrt bedeutet die Etikettierung eines Patienten als „schwierig”, dass man eben (noch) keine Konzepte für seine Behandlung hat. Mit Etikettierung vermeidet man, die eigenen Grenzen und langwierige, evtl. nicht „heilbare” Krankheitsbilder zu akzeptieren. Dies aber würde beispielsweise die notwendige Diskussion um die „Chronizität” psychischer Erkrankungen [6] befördern.
Unter „schwierig” wird in einer zweiten Dimension verstanden, dass ein Patient „Schwierigkeiten im Sinne ungünstiger Prognose, schlechter Lebensqualität und hoher Komplikationsrate hat” [1]. Hier benötigt man allerdings den Begriff „schwierig” nun überhaupt nicht. Vielmehr sollte man die Risikofaktoren, psychosozialen Belastungen usw. konkret benennen. Sie erschweren zweifellos die Behandlung und sollten zu bescheidenen Therapiezielen veranlassen, charakterisieren aber wiederum nicht den Patienten selbst, sondern sein Krankheitsbild bzw. seine Situation.
In einer dritten Dimension werden Patienten als „schwierig” bezeichnet, wenn sie hohe Kosten verursachen (z. B. als „high utilizer” oder „heavy user”) oder wenn sie Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen [1]. Auch hier scheint es sinnvoller und bringt therapeutisch weiter, wenn man das konkrete Behandlungsproblem benennt (z. B. hohe Rückfallgefahr, dissoziales Verhalten), als es hinter einem inhaltsarmen aber stigmatisierenden Begriff von „schwierig” als Eigenschaft des Patienten zu verwischen.
Realistischerweise müssen wir zugeben, dass wir bei manchen Patienten Schwierigkeiten mit der Behandlung haben. Die Zementierung des Begriffs „schwieriger” Patient wirft uns in der Diskussion aber um Jahrzehnte zurück. Schon in den 50er- und 60er-Jahren wurde zur Reflexion über schwierige Behandlungsbeziehungen aufgerufen [3]. Solange es bei der Etikettierung „schwieriger Patient” bleibt, bleibt die Auseinandersetzung mit der Gegenübertragung ein Lippenbekenntnis. Balint-Arbeit aber auch empirische Forschung werden negiert, wie sie z. B. der „Difficult Doctor-Patient Relationship Questionnaire” [4] im angloamerikanischen Raum erlaubt. Mit diesem Instrument zeigte z. B. eine große empirische Untersuchung in einer allgemeinmedizinischen Ambulanz [5], dass Ärzte mit einer gering ausgeprägten psychosozialen Haltung 3-mal so viele Patientenbegegnungen als „schwierig” erlebten als Kollegen mit einer stärkeren psychosozialen Orientierung. Wir brauchen auch hierzulande mehr derartige Forschung. Damit können u. a. auch neue praktische Lösungen für typische Probleme „schwieriger” Patienten wie mangelnde Compliance untersucht werden [7].
#Kontra
Wie auch immer bezeichnet: „Schwierige” Patienten existieren!
Die Anführungszeichen im Titel lassen erkennen: Schon der Begriff ist schwierig, möglicherweise missverständlich – ein besserer wurde bisher nicht gefunden – so bleibt es vorerst dabei. Im Fortbildungsbeitrag für den „Nervenarzt” [1] ist die Mehrdeutigkeit, auf die es entscheidend ankommt, ausgeführt. Der Patient „ist” nicht etwa schwierig im Sinne einer ihm zukommenden Eigenschaft, er hat vielmehr Schwierigkeiten mit seiner Situation, macht Schwierigkeiten im sozialen Umgang und wird durch unangemessene Wahrnehmung als schwierig empfunden, im schlimmsten Fall durch unangemessene Reaktion schwierig und schwieriger gemacht. Es handelt sich bei der Beschreibung also um die Darstellung einer vielfältigen Interaktion zwischen der betroffenen Person, Krankheit, mikro- und makrosozialen Bedingungen und Reaktionen des Hilfesystems.
Eine Gruppe, die unter den beschriebenen Bedingungen als „schwierig” zu bezeichnen ist, lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit hinsichtlich Psychopathologie, Verhaltensmerkmalen und Inanspruchnahme psychiatrischer und allgemeiner sozialer Hilfen sowie deren Erfolgsprognose beschreiben [8] [9].
Die Anerkennung und Beschreibung schwieriger Verhältnisse von und mit einzelnen Patientinnen und Patienten trägt zur Ehrlichkeit der Kommunikation und zur Entlastung der psychiatrisch Tätigen bei: Misserfolge in der Behandlung und „besondere Vorkommnisse” sind nicht immer auf Unvermögen und Versagen des Hilfesystems zurückzuführen, sondern haben möglicherweise beschreibbare Gründe, die zu innovativen Lösungen herausfordern.
Zielrichtung des Beitrages und der dahinter liegenden Überlegungen ist im Wesentlichen zweierlei: Die Schärfung des Blickes der für die psychiatrische Versorgung Verantwortlichen und der dort Tätigen für die Probleme derjenigen Nutzer des Systems, die mit dem Routinebetrieb kaum oder nicht erreichbar sind und deshalb gerne und in Zeiten zunehmender Ökonomisierung zunehmend als nicht therapierbar ausgestoßen und vernachlässigt werden, mit der Folge der Verschlimmerung des Problems und ggf. der Forensifizierung. Das Konzept weist „schwierige Patienten” auf die Verantwortung des Hilfesystems für diese Gruppe und auf die Notwendigkeit der Bereithaltung geeigneter Strukturen hin. Unter diesem Motto stand die für den Beitrag namengebende Veranstaltung der Bundesdirektorenkonferenz 1997 [10].
Andererseits fordert die Anerkennung von Schwierigkeiten mit und durch Patienten, die mit den gängigen Standards der Behandlung nicht angemessen erreicht werden können, zum Querdenken, zu neuer Betrachtung des Problems und zu innovativen Lösungen heraus. Forschungsbedarf wird deutlich. Gewohnte Denkstrukturen und Umgangsmuster werden aufgebrochen. Sollen auch „schwierige” Patienten in das normale Lebensfeld integriert werden, bedarf dies besonderer Anstrengungen und aufwendiger, aber auch flexibler Lösungen. Die Beschreibung von Schwierigkeiten kann dazu eher beitragen als deren Negierung.
Nicht beabsichtigt mit der Zuschreibung von Schwierigkeiten sind das Aufkommen von Fatalismus und Hoffnungslosigkeit oder eine neue Stigmatisierung. Gerade der alltagssprachliche Begriff des „Schwierigen” ist aber deutlich weniger stigmaträchtig, als dies vorurteilsbeladene diagnostische Zuordnungen häufig in der öffentlichen Wahrnehmung sind.
Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden. Die Beschreibung schwieriger Patienten und schwieriger Verhältnisse, in denen sie leben, setzt Anreize zur Lösung. Die gegenwärtige Versorgungssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass leicht erkrankten, gut angepassten und in keiner Weise schwierigen Patienten tendenziell weit größere Ressourcen zur Verfügung stehen, als gerade den am stärksten Hilfebedürftigen. Es müssen Anreize geschaffen werden – ideologisch wie ökonomisch – damit die psychiatrisch Tätigen sich gerade den Schwierigsten gezielt zuwenden.
#Literatur
- 1 Weig W. Der „schwierige” Patient in der psychiatrischen Versorgung. Nervenarzt. 2009; 80 847-854
- 2 Sharpe M, Mayou R, Seacroatt V. et al . Why do doctors find some patients difficult to help?. Q J Med. 1994; 87 187-193
- 3 Ekdawi M Y. The Difficult Patient. Brit J Psychiatry. 1967; 113 547-552
-
4 Hahn S R.
The Difficult Doctor-Patient Relationship Questionnaire. In: Maruish ME, ed Handbook of Psychological Assessment in Primary Care Settings. Mahwah, NJ; Lawrence Erlbaum 2000: 653-683 - 5 Jackson J L, Kroenke K. Difficult Patient Encounters in the Ambulatory Clinic. Clinical Predictors and Outcomes. Arch Intern Med. 1999; 159 1069-1075
- 6 Amering M, Bottlender R. Das Konzept der Chronizität psychischer Erkrankungen ist aufzugeben. Psychiat Prax. 2009; 36 4-6
- 7 Müller S, Kissling W, Stiegler M. Finanzielle Anreize zur Complianceförderung. Psychiat Prax. 2009; 36 258-260
- 8 Freyberger H J, Ulrich I, Barnow S. et al . Am Rande sozialpsychiatrischer Versorgungsstrukturen – eine Untersuchung zur „Systemsprengerproblematik” in Mecklenburg-Vorpommern. Fortschr Neurol Psychiatr. 2008; 76 106-113
- 9 Roick C, Gärtner A, Heider D. et al . Heavy User psychiatrischer Versorgungsdienste. Ein Überblick über den Stand der Forschung. Psychiat Prax. 2002; 29 334-342
- 10 Weig W, Cording C. Der „schwierige” Patient im Psychiatrischen Krankenhaus. Regensburg; S. Roderer 1998
Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Hambrecht
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Evang. Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH
Landgraf-Georg-Straße 100
64287 Darmstadt
Email: hambrecht.martin@eke-da.de
Prof. Dr. med. Wolfgang Weig
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Magdalenen-Klinik
Alte Rothenfelder Straße 23
49124 Georgsmarienhütte
Email: wolfgang.weig@magdalenen-klinik.de
Literatur
- 1 Weig W. Der „schwierige” Patient in der psychiatrischen Versorgung. Nervenarzt. 2009; 80 847-854
- 2 Sharpe M, Mayou R, Seacroatt V. et al . Why do doctors find some patients difficult to help?. Q J Med. 1994; 87 187-193
- 3 Ekdawi M Y. The Difficult Patient. Brit J Psychiatry. 1967; 113 547-552
-
4 Hahn S R.
The Difficult Doctor-Patient Relationship Questionnaire. In: Maruish ME, ed Handbook of Psychological Assessment in Primary Care Settings. Mahwah, NJ; Lawrence Erlbaum 2000: 653-683 - 5 Jackson J L, Kroenke K. Difficult Patient Encounters in the Ambulatory Clinic. Clinical Predictors and Outcomes. Arch Intern Med. 1999; 159 1069-1075
- 6 Amering M, Bottlender R. Das Konzept der Chronizität psychischer Erkrankungen ist aufzugeben. Psychiat Prax. 2009; 36 4-6
- 7 Müller S, Kissling W, Stiegler M. Finanzielle Anreize zur Complianceförderung. Psychiat Prax. 2009; 36 258-260
- 8 Freyberger H J, Ulrich I, Barnow S. et al . Am Rande sozialpsychiatrischer Versorgungsstrukturen – eine Untersuchung zur „Systemsprengerproblematik” in Mecklenburg-Vorpommern. Fortschr Neurol Psychiatr. 2008; 76 106-113
- 9 Roick C, Gärtner A, Heider D. et al . Heavy User psychiatrischer Versorgungsdienste. Ein Überblick über den Stand der Forschung. Psychiat Prax. 2002; 29 334-342
- 10 Weig W, Cording C. Der „schwierige” Patient im Psychiatrischen Krankenhaus. Regensburg; S. Roderer 1998
Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Hambrecht
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Evang. Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH
Landgraf-Georg-Straße 100
64287 Darmstadt
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Prof. Dr. med. Wolfgang Weig
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Magdalenen-Klinik
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