Ernährung & Medizin 2009; 24(2): 49
DOI: 10.1055/s-0029-1233319
Editorial
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Kann sich jeder gesund ernähren?

Hans K. Biesalski
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. Juni 2009 (online)

Inhaltsübersicht

    Zweifellos kann sich jeder gesund ernähren, so das Credo der Ernährungswissenschaften. Gesunde Ernährung, also eine ausgewogene Mischkost mit viel pflanzlichen Bestandteilen, sichert die ausreichende und regelmäßige Zufuhr unentbehrlicher Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente u. a.). Das Angebot an sicheren und nahrhaften Lebensmitteln ist vorhanden, und doch gibt es – so das Ergebnis der Nationalen Verzehrsstudie II – ganz offensichtlich Bevölkerungsgruppen, die eine ausreichende Ernährung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht sicherstellen können. Unzureichend heißt dabei, dass die Zufuhr an unentbehrlichen Mikronährstoffen nicht dem Bedarf entspricht. Die teilweise sehr populistisch geführte Diskussion um die Frage, ob Vitamine überhaupt nötig sind oder eher einen Schaden verursachen können, hat zur Folge, dass besonders solche Gruppen, denen einzelne Vitamine oder andere lebenswichtige Bausteine fehlen, verunsichert werden. Eine daraus resultierende Veränderung oder Vernachlässigung eines gesunden Ernährungsverhaltens kann langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben.

    Am Beispiel des Vitamin D ist beim 1. Hohenheimer Pressegespräch (s. Infokasten) eine Problematik angesprochen worden, die nicht nur in Europa, sondern weltweit Sorgen macht. Die Nationale Verzehrsstudie II (NVS II) kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt 82 % der Männer und 91 % der Frauen die empfohlene tägliche Zufuhr von Vitamin D bei weitem nicht erreichen. Während bei Jugendlichen gerade einmal ein Drittel der Empfehlung erreicht wird, sieht es bei alten Menschen noch kritischer aus. Hier liegt die Zufuhr unter einem Viertel der Empfehlung. Die Antwort auf dieses Ergebnis kann nicht sein, „dass zwei Drittel schon genug sind” und folglich kein Anlass zur Sorge bestehen müsste. Es existieren zahlreiche Hinweise, dass eine unzureichende Versorgung mit Vitamin D bei Kindern und Jugendlichen langfristige Konsequenzen (z. B. erhöhtes Osteoporoserisiko) und bei alten Menschen kurzfristige Konsequenzen (z. B. erhöhtes Sturzrisiko, erhöhte Sterblichkeit) nach sich zieht.

    Die NVS II hat nicht nur für Vitamin D, sondern auch für andere Vitamine exemplarisch gezeigt, dass das, was bereits Jahre zuvor in verschiedenen Studien in Deutschland publiziert wurde, nun erneut belegt ist: Die Versorgung mit Mikronährstoffen bei Kindern, Jugendlichen und alten Menschen in Deutschland ist bedenklich. Dies bedeutet nicht, dass typische Mangelerscheinungen auftreten, sondern vielmehr, dass bei unzureichender Versorgung von Kindern und Jugendlichen Erkrankungen im höheren Alter begünstigt werden, die sich möglicherweise durch eine entsprechende gezielte Informationspolitik bzw. klare Maßnahmen einschränken bzw. verhindern ließen. Bei alten Menschen hat eine Unterversorgung mit Mikronährstoffen eine Reihe von Folgen, die die Lebensqualität als auch die Lebensdauer reduzieren.

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    Prof. Dr. Hans K. Biesalski

    Hohenheimer Ernährungsgespräche

    Ab diesem Jahr werden an der Universität Hohenheim ausgewiesene Fachvertreter aktuelle Themen der Ernährung diskutieren. Gastgeber der halbjährlichen Ernährungsgespräche ist der Autor dieses Gasteditorials, Prof. Hans K. Biesalski, Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim. Die erste Diskussionsrunde fand am 27.03.2009 statt und stand im Zeichen der unzureichenden Vitamin-D-Versorgung in Deutschland.

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