Suchttherapie 2009; 10(3): 105-106
DOI: 10.1055/s-0029-1239599
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Für Sie gefragt - Hepatitisbehandlung für drogenabhängige Menschen

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Publication Date:
24 August 2009 (online)

 

Gerade bei der Behandlung der Hepatitis C zeigt sich die Stigmatisierung von drogenabhängigen Menschen. Sie profitieren immer noch nicht in ausreichendem Maße von den Fortschritten, obwohl sie nahezu die Hälfte aller mit Hepatitis C infizierten Patienten ausmachen. Die Redaktion der Suchttherapie sprach über diese Problematik mit dem Experten Dr. Jörg Gölz.

? Herr Dr. Gölz, was sind für Sie die Meilensteine in der Geschichte der Hepatitis C ?

Zunächst einmal die Entdeckung und die Darstellung des HC-Virus vor 20 Jahren. Damit trat dieses Virus aus seiner Anonymität als Erreger der Non-A-Non-B-Hepatitis hervor. Struktur und Replikations-zyklus konnten bald aufgeklärt werden. Man konnte sich jetzt an Therapiestudien heranmachen.

Der 2. Meilenstein war die Entdeckung, dass Ribavirin in Kombination mit Interferon zu erheblich besseren Behandlungsergebnissen führt als die Monotherapie. Vor 10 Jahren folgte dann ein neuer Meilenstein in der Therapie: die Einführung des pegylierten Interferons, mit dem für eine Woche konstante Interferon-Blutspiegel gesichert werden konnten.

Mit der Entwicklung der Hemmer der Protease und der Polymerase des HC-Virus treten wir im Augenblick in eine neue, noch erfolgreichere Therapiephase ein, wo über alle Genotypen mit Erfolgsraten von 80 – 100 % gerechnet werden darf. Eine zusätzliche Verbesserung ist heute die Individualisierung der Therapiedauer mit der "response-guided" Therapie.

? Profitieren Drogenabhängige gleichermaßen von der medizinischen Fortentwicklung?

Bisher in keiner Weise, obwohl sie die Hälfte aller HCV-Infizierten repräsentieren.

? Was sind die Gründe für die Ungleichbehandlung ?

Es beginnt damit, dass Drogenpatienten in der Regel von Therapiestudien ausgeschlossen sind und die neueren Entwicklungen erst nach Marktzulassung einer Substanz für sie zur Verfügung stehen. Die Behandlungsaktivität der Ärzte in Bezug auf die HCV-Infektion bei Drogenabhängigen ist gering. Nach mehreren Untersuchungen werden nur 1 – 4 % der HCV-infizierten Drogenabhängigen therapiert. Bei der HCV-infizierten Normalbevölkerung sind es 20 - 30 % der Patienten.

In vielen hepatologischen Praxen und Kliniken werden langsam die HCV-Patienten ohne Drogenrisiko knapp und trotzdem herrscht weiterhin ein großer ärztlicher Widerstand, die übrig gebliebenen HCV-Patienten mit Drogenrisiko zu behandeln. Das gilt nicht nur für Universitätsambulanzen und hepatologische Schwerpunktpraxen, sondern auch bei substituierenden Ärzten, die alltäglichen Umgang mit Drogenpatienten haben und bei denen nicht die Berührungsängste vorhanden sind. Auch die Drogenpatienten tragen zum Teil zu dieser niedrigen Behandlungsaktivität bei: Sie sind oft froh, dass der Arzt sie bei Beschwerdefreiheit nicht mit einer anstrengenden und nebenwirkungsreichen Therapie belästigt.

Bei den Ärzten ist diese Passivität durch eine Reihe bisher nicht korrigierbarer Vorurteile verursacht: Einmal der Mythos von der schlechten Compliance der Drogenpatienten bei anspruchsvollen Therapieschemata. Alle Studien belegen das Gegenteil. Ein weiterer Mythos besteht da-rin, wegen der angeblich hohen Reinfektionsrate die Therapie für sinnlos zu halten. Auch dafür gibt es bisher keine Belege. Ein weiteres Motiv für die resignative ärztliche Haltung ist der Verweis auf die starke Übersterblichkeit von Drogenpatienten aus anderen Gründen. Auch das gilt nur für aktive Drogenkonsumenten, nicht für Abstinente und Substituierte, die allein für die Therapie in Frage kommen.

Nicht zuletzt herrscht bei den Ärzten die Angst, bei der hohen psychischen Komorbidität in dieser Gruppe durch die Interferontherapie zusätzlich schwer beherrschbare psychiatrische Komplikationen auszulösen. Auch dies ist eine unbegründete Befürchtung, sofern die entsprechenden Patienten vor der Therapie antidepressiv, anxiolytisch oder antipsychotisch behandelt werden. Ein letzter Grund für die mangelnde ärztliche Aktivität mag wohl auch darin liegen, dass es für die sehr zeitaufwendige Interferonbehandlung keine gesonderte Vergütung gibt und die aufgewandte Zeit mit den Honorarpauschalen abgegolten ist.

? In der Diskussion um die Behandlung der HIV-Infektion hat die Frage der Drogenabhängigkeit nie eine sonderliche Rolle gespielt. Was kann man hieraus für die Therapie der Hepatitis C bei Drogenabhängigen lernen ?

Tatsächlich unterscheidet sich die antiretrovirale Behandlungsaktivität bei HIV-infizierten Drogenabhängigen nicht wesentlich von HIV-Patienten mit anderem Ansteckungsrisiko. Das lag daran, dass die HIV-Infektion im Gegensatz zur HCV-Infektion eine rasch zum Tode führende Erkrankung war, solange es noch keine Medikamente gab. Die 15 Jahre des raschen Sterbens bei den HIV-Infizierten zwischen 1982 und 1996 haben sich bei allen Behandlern in das Bewußtsein eingebrannt. Zudem war und ist die öffentliche Berichterstattung über die Gefahren der HIV-Infektion sehr viel intensiver als die über die Gefahren der Hepatitis C.

Die unbehandelte HIV-Infektion verläuft mit dramatischen Krankheitsepisoden, die unbehandelte HCV-Infektion verläuft symptomfrei oder eben nur mit Müdigkeit und Gelenkschmerzen. Der Krankheitsverlauf bis zum Tod im Leberversagen ist deutlich länger, außerdem trifft der Tod durch unbehandelte Hepatitis C nicht alle Betroffenen wie bei der unbehandelten HIV-Infektion, sondern nur 25 %. Insofern erschien die HIV-Infektion immer sehr viel gefährlicher als die HCV-Infektion. Diese historische Hierarchiebildung in der Einschätzung der Gefahren hat sich paradoxerweise auch dann noch gehalten, als die HIV-Infektion eine gut behandelbare Infektion mit durchschnittlicher Lebenserwartung geworden war. Erst jetzt weisen das europäisches Parlament und die einzelnen europäischen Regierungen auf die gesundheitlichen und finanziellen Folgen der HCV-Epidemie hin und verändern allmählich die legere Haltung der Ärzte gegenüber dieser Erkrankung.

Das RKI hat in einem aktuellen Ranking der wichtigsten Infektionskrankheiten erstmals die HCV-Infektion vor der HIV-Infektion platziert. Daraus lässt sich für die Behandlung der Drogenabhängigen lernen, dass eine erhöhte Behandlungsaktivität der HCV-Infektion bei Drogenkonsumenten erst dann einsetzt, wenn die Gefährlichkeit der Erkrankung über das öffentliche Bewusstsein bis in die Sphäre der Medizin vorgedrungen ist.

? Nach Ihrer langjährigen Erfahrung in der Behandlung Drogenabhängiger, glauben Sie, dass es einmal eine Gleichbehandlung und Akzeptanz von Drogenabhängigen in der Gesellschaft geben kann?

Dreh- und Angelpunkt für solch eine Veränderung wäre die Aufhebung der Prohibition. Sie stellt die Basis der Stigmatisierung und Ungleichbehandlung dar. Sie verwandelt eine Erkrankung in ein kriminelles Geschehen und etikettiert die Erkrankung als moralisches Versagen.

Das Festhalten an der Prohibition speist sich heute aus mehreren Quellen: Zuerst das evangelikale Milieu in den USA, aus dem viele Angehörige der politischen Eliten stammen. Die puritanische Lustfeindlichkeit und die puritanische Leistungsvergötterung hat sich im stigmatisierten Drogenabhängigen eine Selbstvergewisserung des eigenen höheren Wertes geschaffen. Die zweite große religiös gespeiste Quelle der Prohibition ist der Islam mit seiner Verdammung des menschlichen Rauschzustands jenseits von religiöser Ekstase. Als dritte Quelle der Prohibition fungiert die kommunistische Ideologie mit ihrer Fixierung auf den "neuen Menschen", der in gesellschaftlich wertvoller Leistung aufgeht. Trotz des realen Untergangs dieses Gesellschaftsmodells wirkt diese Erziehungsideologie weiter als stigmatisierendes Ideal in den ehemals kommunistischen Ländern, die eine gnadenlose Verachtung für Heroinabhängige entwickelt haben. Es wird also schwer, gegen diese 3 irrationalen Kräfte mit rationalen Argumenten anzugehen. Es wird deshalb ein langer und mühseliger Weg dorthin.

Für die europäischen Länder wäre ein erster Schritt in Richtung eines rationaleren und menschlicheren Umgangs die Befreiung von den amerikanischen Illusionen, wie der einer drogenfreien Welt bis 2010. Wie lange die Zeiträume für eine Entstigmatisierung Drogenabhängiger sind, kann man an dem 25-jährigen Kampf um die Substitutionsbehandlung und dem fast 10 Jahre dauernden Kampf um die Heroinabgabe in Deutschland ermessen. Allerdings sind beide Entwicklungen auch ein Beleg dafür, dass das Bemühen um Entstigmatisierung auf Dauer von Erfolg gekrönt sein wird.

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Dr. Jörg Gölz aus Berlin, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin e. V. (DGS), ist Spezialist für die Behandlung von HIV- und Hepatitis-Infektionen und in der Praxisgemeinschaft Kaiserdamm in Berlin tätig. Gölz gehört zu den Suchtmedizinern, die sich politisch lange Jahre vehement für eine frühzeitige Verabreichung der Ersatzdroge Methadon an Heroinabhängige einsetzten. Der Mediziner, Jahrgang 1943, studierte in Tübingen und absolvierte eine Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychiater und anschließend zum Allgemeinarzt. Dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin gehört er seit 1999 an.