Einleitung
Der akute Lungenschaden wird charakterisiert durch eine aggressive, inflammatorische und durch verschiedenste Reize ausgelöste Reaktion des Organismus gegen das Lungenparenchym s. [Tab. 1]. Das akute Atemnotsyndrom (acute respiratory distress syndrome, ARDS) ist nach den Vorgaben der American-European Consenus Conference (AECC) definiert als das akute Auftreten von beidseitigen pulmonalen Infiltraten in Kombination mit einer Hypoxämie, wobei eine kardiale Ursache mittels Pulmonaliskatheter oder klinischer Beurteilung ausgeschlossen sein muss [1]. Es wird unterschieden zwischen einem akuten Lungenschaden (acute lung injury, ALI) bei einem PaO2/FiO2-Quotienten von ≤ 300 und einem ARDS bei entsprechenden Werten ≤ 200.
Meist ergibt sich die Ursache des akuten Lungenversagens aus der Krankengeschichte oder einfachen diagnostischen Maßnahmen wie Labor, Röntgenthorax oder Thorax-CT. In einigen Fällen bleibt die Ursache trotz der genannten Diagnostik unklar [2]. Üblicherweise wird eine empirische Therapie der wahrscheinlichsten Diagnose(n) begonnen. Das Risiko, entweder unnütze und potenziell mit bedrohlichen Nebenwirkungen und hohen Kosten behaftete Therapien durchzuführen und/oder eine alternative, potenziell lebensrettende Therapie zu unterlassen, ist in dieser Situation immer gegeben. Bei schwerstkranken Patienten erscheint ein empirischer Therapieansatz daher oft nicht vertretbar.
Tab. 1 Ursachen des akuten Lungenversagens.
pulmonal | extrapulmonal |
Pneumonie | Sepsis |
Aspiration | Trauma |
Inhalation toxischer Substanzen | Multiorganversagen |
Reexpansion | Pankreatitis |
Süßwasseraspiration | Transfusionsassoziiert |
Miliartuberkulose | Verbrennung |
| Arzneimittelreaktion |
| kardiopulmonaler Bypass |
| Luftembolie |
| Fettembolie |
| Fruchtwasserembolie |
Obschon der Ansatz, bei respiratorischer Insuffizienz die zugrundeliegende Ursache durch invasive Diagnostik zu klären, prinzipiell nicht neu ist [3], bleibt der Stellenwert der invasiven Diagnostik bei Patienten mit akutem Lungenversagen nicht abschließend geklärt. [Tab. 2] zeigt die diagnostischen Möglichkeiten.
Tab. 2 Diagnostische Maßnahmen beim akuten Lungenversagen.
Anamnese |
körperliche Untersuchung |
Labor (u. a. Procalcitonin, proBNP) |
Mikrobiologie (u. a. Serologien, PCR, Antigen-Bestimmung) |
Röntgen-Thorax |
hochauflösendes Thorax-CT |
Ultraschall (Pleura/Thorax/Herz) |
invasive Hämodynamik |
Trachealabsaugung |
geschützte Bürste |
Bronchoskopie inkl. bronchoalveolärer Lavage |
transbronchiale Biopsie |
chirurgische Lungenbiopsie (offen/videoassistierte Thorakoskopie) |
Der vorliegende Übersichtsartikel soll nach einer kurzen Darstellung der nicht bzw. gering invasiven Methoden den Stellenwert der invasiven Diagnostik, in erster Linie der chirurgischen Lungenbiopsie, beim ARDS/ALI darstellen. Neben praktischen Aspekten soll insbesondere das Verhältnis von Risiko und Nutzen beleuchtet werden.
Nichtinvasive Diagnostik
Labordiagnostik
Zusätzlich zu den klassischen Entzündungsmarkern haben verschiedene Biomarker Einzug in die intensivmedizinische Diagnostik gehalten. Zytokine wurden eingesetzt, um ARDS und Pneumonie differenzialdiagnostisch abzugrenzen, was aber nicht sicher gelingt [4]
[5]. Sie spiegeln eher das Ausmaß der inflammatorischen Prozesse wider und helfen zudem bei der Abgrenzung eines kardial bedingten Lungenödems [4]. Mit dem Procalcitonin gelingt es mit einer gewissen Aussagekraft, infektiöse von nicht-infektiösen Krankheitsgeschehen zu trennen, bei postoperativen Patienten und im Schock ist es nur eingeschränkt verwertbar [6]
[7].
Zahlreiche mikrobiologische Methoden zum Nachweis einer Infektion, u. a. Mikroskopie, Kultur, PCR, Antigen-Bestimmung oder Serologien, erlauben oftmals eine klinisch hinreichend sichere Diagnose. Für die Diagnose eines ARDS muss gemäß AECC-Definition eine Linksherzinsuffizienz ausgeschlossen sein [1]: Neben Anamnese, Echokardiografie oder invasiven Messmethoden (s. u.) kommen dafür Biomarker wie BNP bzw. proBNP zum Einsatz [8]
[9].
Radiologische Diagnostik
Der Nachweis bilateraler Infiltrate stellt eines der Kriterien der ARDS-Definition dar [1]. Infiltrate können infolge einer Vielzahl von Pathologien beobachtet werden, die Spezifität dieses Befundes ist also gering. Das Thorax-CT zeigt beim akuten Lungenversagen eine eher homo- als heterogen verteilte Milchglastrübung in Kombination mit Konsolidationen. Es hat einen zentralen Stellenwert in der Differenzialdiagnostik [10]. Wenn es auch meist nicht die endgültige Diagnosestellung erlaubt, so lassen sich oftmals wegweisende Befunde erheben. Die sichere Abgrenzung des ARDS von einer ventilator-assoziierten Pneumonie oder einem kardial bedingten Lungenödem gelingt mittels Thorax-CT häufig nicht [10]
[11].
Invasive Hämodynamik
Auch wenn die AECC-Definition des ARDS einen pulmonalkapillären Verschlussdruck von < 18 mm Hg als Kriterium nennt, ist ein Pulmonaliskatheter für die Diagnose nicht erforderlich, weil definitionsgemäß eine Linksherzinsuffizienz auch klinisch ausgeschlossen werden kann. Der routinemäßige Einsatz des Pulmonaliskatheters wird beim ARDS heute nicht mehr empfohlen [12], er kann aber in bestimmten Situationen wertvolle Informationen liefern, u. a. bei komplizierender pulmonalarterieller Hypertonie oder der Applikation von NO oder Levosimendan.
Die Bestimmung des extravaskulären Lungenwassers kann zur Differentialdiagnose ARDS versus kongestives Lungenödem beitragen und ermöglicht eine prognostische Vorhersage bzgl. der Mortalität in der Frühphase des ARDS [13]
[14].
Perkutane Punktion der Lunge bzw. Pleura
Mittels Punktion pleuraler oder pulmonaler Prozesse kann im Einzelfall ein Erkenntnisgewinn erzielt werden: Der Erregernachweis in einem umschriebenen Prozess, z. B. Lungenabszess, kann die antibiotische Therapie leiten. Generell sollten Pleuraergüsse abgeklärt werden.
Bronchoskopie/BAL
Die bronchoskopisch gewonnene bronchoalveoläre Lavage (BAL) ist ein standardisiertes Verfahren, das in erster Linie dem Erregernachweis dient [15]. Prinzipiell bestehen verschiedene Möglichkeiten, Sekret zur mikrobiologischen Aufarbeitung zu gewinnen: blinde, d. h. nicht-bronchoskopisch geführte, tracheale Absaugung, BAL und geschützte Bürste. Bislang konnte keines der Verfahren als überlegen nachgewiesen werden [16]. Die Beurteilung der Wertigkeit der BAL wird durch das Fehlen eines Goldstandards für die Pneumonie-Diagnose erschwert. Problematisch ist stets die Entscheidung, ob ein nachgewiesener Erreger für das bestehende Krankheitsbild verantwortlich ist oder ob es sich um eine klinisch nicht relevante Kolonisation handelt [17].
Die zelluläre Zusammensetzung der BAL kann vereinzelt entscheidende Hinweise für die Differenzialdiagnose des akuten Lungenversagens geben. Eine Eosinophilie von > 25 % kann auf eine akute eosinophile Pneumonie hinweisen, die klinisch wie ein ARDS imponieren kann [18]. Eine diffuse alveoläre Hämorrhagie (DAH), wie man sie bei Kollagenosen, Vaskulitiden, Malignomen, disseminierter invasaler Gerinnung, nach Stammzelltransplantation sowie als Ausdruck einer Medikamententoxizität bzw. eines dem ARDS zugrundeliegenden, diffusen Alveolarschadens findet, lässt sich ebenfalls mittels BAL sichern [19].
Eine BAL kann auch bei einer mäßigen Gerinnungsstörung in der Regel gefahrlos durchgeführt werden [20], ist allerdings bei Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz nicht ohne Risiko [21].
Bronchoskopische Biopsie
Die bei spontanatmenden Patienten zum Standardrepertoire gehörende transbronchiale Lungenbiopsie (TBB) kann auch bei beatmeten Patienten eingesetzt werden [20]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]. Unter Durchleuchtung werden 6 – 8 Proben aus radiologisch auffälligen Lungenarealen gewonnen. Vorteilhaft im Vergleich zur chirurgischen Biopsie ist der geringe Mehraufwand der TBB. Aufgrund der im Vergleich zur offenen Biopsie geringeren Größe der gewonnenen Biopsate ist das Ausmaß der mikrobiologischen Diagnostik jedoch limitiert und es lassen sich histologische Muster schlechter wiedererkennen. Weitere Nachteile sind die Gewinnung eher peribronchiolären Gewebes, das Auftreten von Quetschartefakten sowie die Gefahr des sampling errors bei heterogen verteilten Prozessen.
Problematisch ist die relativ hohe Pneumothoraxrate von bis zu 36 % nach TBB [20]
[24]. Als Kontraindikationen für eine TBB werden schwere Gerinnungsstörungen, pulmonale Hypertonie, Urämie sowie hämodynamische Instabilität genannt [20]
[24]. Blutungen werden nur vereinzelt berichtet, sie ließen sich in der Regel bronchoskopisch beherrschen.
In Fallserien, die den diagnostischen Nutzen der TBB bei beatmeten Patienten untersuchten, fand sich eine i. Vgl. zur offenen Biopsie geringere Sensitivität, es resultierte seltener eine Therapieänderung [20]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]. Bei nicht-diagnostischer TBB wurde oftmals anschließend mittels offener Lungenbiopsie eine wegweisende Diagnose gestellt [20]
[25]
[27]
[28]
[29]. Während bei spontan atmenden Patienten zur Abklärung von unklaren Infiltraten ein mehrstufiges, zunehmend invasiveres Vorgehen adäquat erscheint, ist die Situation bei kritisch Kranken anders gelagert. Aufgrund des nur wenig höheren Komplikationsrisikos und der verbesserten diagnostischen Ausbeute sollte die offene Lungenbiopsie der TBB vorgezogen werden. Dagegen ist bei Lungentransplantierten aufgrund der im Verlauf wiederholt erforderlichen Biopsien die TBB vorzuziehen [24]. In speziellen Situationen, z. B. malignitätsverdächtigen mediastinalen Lymphknoten, kann die transbronchiale Nadelaspiration indiziert sein [30].
Chirurgische Lungenbiopsie
Führen alle oben genannten diagnostischen Maßnahmen nicht zu einer definitiven Diagnose, ist die Indikation zur offenen Lungenbiopsie (OLB) zu erwägen. Mittlerweile liegen 15 Fallserien mit insgesamt 544 Patienten vor, die die Sicherheit und diagnostische Wertigkeit der chirurgischen Lungenbiopsie bei internistischen und chirurgischen ALI/ARDS-Patienten untersucht haben, s. [Tab. 3] [28]
[29]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42].
Tab. 3 Literaturübersicht zur Wertigkeit der offenen Lungenbiopsie bei Patienten mit unklarem, akutem Lungenversagen.
| n | präop. Beatmung [%] | präop. Beatmung [Tage/ Median] | präop. Bronchoskopie [%] | Immunsuppression [%] | prozedur-assoziierte Mortalität [%] | spez. Diagnose [%] | Änderung der Therapie [%] | Kranken-hausmortalität [%] |
Warner 1988 [31]
| 80 | 25 | | 14 | 93 | 0 | 66 | 70 | 30 |
Canver 1994 [41]
| 27 | 100 | | 70 | ? | 0 | 100 | 67 | 52 |
Lachapelle 1995 [29]
| 21 | 86 | | 97 | 0 | 0 | 68 | 59 | 52 |
Papazian 1998 [32]
| 36 | 100 | 14 | 100 | 3 | 0 | 75 | 92 | 50 |
Flabouris 1999 [33]
| 24 | 58 | 9 | 100 | 29 | 8 | 46 | 75 | 33 |
Chuang 2003 [34]
| 17 | 47 | | 68 | 12 | 0 | 47 | 65 | 41 |
Patel 2004 [35]
| 57 | 96 | 3 | 77 | 30 | 0 | 60 | 60 | 47 |
Soh 2005 [42]
| 23 | 100 | 7 | ? | 44 | 0 | 52 | 39 | 65 |
Barbas 2006 [36]
| 12 | 100 | 4 | ? | 25 | 0 | 100 | 91 | 50 |
Arabi 2007 [37]
| 14 | 100 | 8,5 | 100 | 50 | 0 | 50 | 71 | 57 |
Lim 2007 [49]
| 31 | 100 | 4 | 86 | ? | 0 | 86 | 64 | 50 |
Papazian 2007 [40]
| 100 | 100 | 11 | 100 | 4 | 0 | 100 | 78 | 45 |
Parambil 2007 [28]
| 56 | 98 | 8 | 100 | 60 | 0 | – | | 53 |
Baumann 2008 [38]
| 27 | 100 | 8 | 100 | 67 | 0 | 70 | 81 | 48 |
Charbonney 2009 [39]
| 19 | 100 | 5 | 95 | 89 | 0 | 68 | 89 | 89 |
Die Indikation zur Durchführung einer chirurgischen Lungenbiopsie ergibt sich bei adäquater Vordiagnostik (s. o.) nur selten. Die Frequenz der meist als Single-center-Studien angelegten Arbeiten betrug zwischen 1 – 4 Biopsien/Jahr.
Kritiker der OLB beim ARDS argumentieren, dass es nicht vertretbar sei, bei bestehender Beatmungspflichtigkeit das Risiko einer prozedurassoziierten Verschlechterung einzugehen. Aufgrund des Fehlens kontrollierter Studien empfehlen sie den völligen Verzicht auf die OLB [43]. Dies kann jedoch zur paradoxen Situation führen, dass den kränkesten Patienten, die am dringendsten einer korrekten Diagnosestellung bedürfen, notwendige Diagnostik vorenthalten wird. Im Folgenden soll der aktuelle Kenntnisstand zur praktischen Durchführung sowie zu Risiken und Nutzen der chirurgischen Lungenbiopsie dargestellt werden.
Offene vs. videoassistierte Biopsie
Chirurgische Lungenbiopsien können über eine Minithorakotomie oder mittels videoassistierter Thorakoskopie (video-assisted thoracic surgery, VATS) gewonnen werden. Hinsichtlich der diagnostischen Ausbeute bei interstitiellen Lungenerkrankungen erscheinen offene und VATS-Biopsie vergleichbar [44]. Vorteil der VATS ist ein kürzerer postoperativer Verlauf bzgl. Wundversorgung und Drainagedauer. Beide Aspekte spielen für Intensivpatienten eine untergeordnete Rolle.
Die VATS erfordert bei intubierten Patienten den Wechsel auf den Doppellumentubus, um mittels Einlungenventilation die chirurgische Instrumentierung zu ermöglichen. Nachteilig ist die längere Eingriffsdauer sowie die Verschlechterung des Gasaustausches während der Einzellungenventilation. Die VATS-Biopsie erscheint somit eher für Patienten mit mäßiger respiratorischer Insuffizienz geeignet. Auch eine Gerinnungsstörung ist aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der Blutstillung als Argument gegen eine VATS-Biopsie anzusehen. In den meisten Fallserien zur OLB wurde überwiegend via Minithorakotomie biopsiert.
Bettseitig vs. OP
Über die Möglichkeit, auch bei respiratorisch kritisch Erkrankten mit akzeptablem Risiko eine chirurgische Lungenbiopsie bettseitig auf der Intensivstation durchzuführen, wurde bereits 1976 berichtet [45], mittlerweile liegen diesbezüglich eine ganze Reihe von Berichten vor [32]
[38]
[39]
[40]. Diese Option bietet mehrere Vorteile: Jeder Inter-/Intrahospitaltransport stellt für Intensivpatienten ein konkretes Risiko bis hin zum Versterben dar, die bettseitige Biopsie macht diesen Transport überflüssig [46]
[47]. Zudem kann Personal- und Raumkapazität im OP eingespart werden.
Potenzielle Gefahren einer bettseitigen Lungenbiopsie sind ein erhöhtes Infektionsrisiko und limitierte Interventionsmöglichkeiten im Falle von Komplikationen. Obwohl die Bedingungen der Intensivstation bezüglich der Asepsis nicht den Standards eines Operationsaals entsprechen, weisen alle in der Literatur genannten Serien bettseitiger Prozeduren nicht auf ein erhöhtes Infektionsrisiko hin. Die Fallzahlen sind jedoch für eine abschließende Beurteilung sicherlich zu klein. Ein erhöhtes Blutungsrisiko und/oder Hinweise auf pleurale Verwachsungen wurden als Gründe angeführt, die Lungenbiopsie im OP durchzuführen [32]. Einzelne Autoren führten dagegen ab einem PaO2/FIO2-Quotienten von ≤ 120 die Biopsie ausschließlich bettseitig durch [32]
[40].
Zeitpunkt der Biopsie
Neben der Entscheidung, ob überhaupt eine Lungenbiopsie erfolgen soll, kommt der Frage nach dem optimalen Zeitpunkt eine zentrale Rolle zu. Für eine frühzeitige Biopsie spricht, dass man Krankheitsprozesse eher erkennen und demzufolge auch besser behandeln kann. Dagegen birgt dieses Vorgehen die Gefahr, dass andere, weniger invasive Maßnahmen oder empirische Therapieansätze nicht abgewartet werden können. Eine randomisierte Studie an nicht beatmeten, onkologischen Patienten mit unklaren pulmonalen Infiltraten verglich eine sofort durchgeführte, offene Lungenbiopsie mit einer empirischen Therapie [48]. Es fand sich kein Unterschied zwischen beiden Therapiearmen, was für einen ersten empirischen Therapieversuch spricht. Ein solches Vorgehen wurde auch in fast allen Serien zur OLB eingehalten, erkennbar am hohen Anteil vor der Biopsie antibiotisch behandelter Patienten.
Eine „zu spät” durchgeführte Biopsie beeinhaltet dagegen die Gefahren, dass sich lediglich unspezifische histologische Befunde erheben lassen oder ein Krankheitsprozess zu weit fortgeschritten ist, als dass der Patient noch von der eingeleiteten, spezifischen Therapie profitieren kann [40]. In den veröffentlichten Fallserien fand sich kein konsistenter Zusammenhang zwischen Biopsiezeitpunkt und Nutzen für die Patienten [33]
[37]
[38]
[40]
[49]. Eine konkrete Empfehlung für den optimalen Biopsiezeitpunkt kann somit nicht gegeben werden.
Praktische Durchführung der chirurgischen Lungenbiopsie
Veränderungen am Beatmungsmuster während der Biopsie werden nicht empfohlen, abgesehen von einer Steigerung des FIO2 auf 1,0. Eine Umintubation auf einen doppelläufigen Tubus ist nur bei der VATS-Biopsie erforderlich, ansonsten verbleibt der bereits liegende Tubus. Selbstverständlich ist das großräumige, sterile Abdecken des Arbeitsbereiches (s. [Abb. 1 a]).
Abb. 1 Bettseitig durchgeführte, offene Lungenbiopsie. a Vorbereitung des Patienten auf der Intensivstation. b Biopsieentnahme via Minithorakotomie unter Verwendung des Klammernahtgerätes. c Teilung des Biopsats.
Neben der Relaxierung wird die bereits für die Beatmung etablierte Analgosedierung für die Dauer der Prozedur vertieft. Als Zugangsweg wird eine meist anterolaterale Minithorakotomie mit einer Länge von 5 – 10 cm genutzt. Nach der Lösung von evtl. bestehenden pleuralen Adhäsionen wird mittels automatischen Klammernahtgerätes eine einzelne Biopsie entnommen (s. [Abb. 1 b]). Die Biopsielokalisation wird nach Kenntnis der radiologischen Befunde sowie der Inspektion der Lungenoberfläche festgelegt, wobei pathologisch veränderte Areale bevorzugt werden sollten. Im Moment der Biopsie sollte die Beatmung vom Tubus getrennt werden, um das Pneumothorax-Risiko zu minimieren. Die Biopsiegröße muss entsprechend groß (min. 1 × 1 × 1 cm) gewählt werden, um genügend Material für alle gewünschten Fragestellungen zu erhalten (s. [Abb. 1 c]). Nach Prüfung auf Hämostase und Luftdichtigkeit werden ein bis zwei Thoraxdrainagen eingelegt und die Wunde verschlossen. In der Regel dauert die bettseitig durchgeführte Lungenbiopsie ca. 30 min., eine VATS ca. 60 min.
Das Biopsat wird sofort geteilt und in geeignete Medien verbracht. Es erfolgt der Versand in Formalin an die Pathologie zur histologischen Aufarbeitung. Die Mikrobiologie erhält je nach Fragestellung unterschiedlich umfangreiche Proben, mindestens für die Gramfärbung, Tuberkulosediagnostik sowie mykologische Diagnostik. Viruskulturen, PCR-Diagnostik und immunologische Untersuchungen können zusätzlich durchgeführt werden.
Risiken der chirurgischen Lungenbiopsie
Oftmals wird die OLB unter Verweis auf das Risiko einer respiratorischen Verschlechterung abgelehnt. Publizierte Daten belegen, dass die OLB auch bei ARDS-Patienten möglich ist, s. [Tab. 3]. Auf 544 publizierte Fälle kam ein Todesfall. Eine absolute Grenze bzgl. der respiratorischen Insuffizienz für die Durchführung der Lungenbiopsie wurde meist nicht genannt bzw. sogar explizit verneint [32]
[37]
[38]
[40]. In der größten Studie lag das Verhältnis PaO2/FIO2 bei 129 ± 41 mmHg, signifikante Veränderungen des Gasaustausches wurden hier nicht beobachtet [40].
Das Blutungsrisiko wird in den vorliegenden Fallserien als mäßig angegeben. Nur bei < 2 % der Patienten trat eine Blutung auf, die eine therapeutische Konsequenz wie Transfusion oder Reoperation zur Folge hatte.
Eine gefürchtete Komplikation chirurgischer Eingriffe an pathologisch verändertem Lungenparenchym stellt der Pneumothorax dar. Der einzige publizierte Todesfall nach OLB war ein Patient mit Spannungspneumothorax [33]. Vereinzelt waren Reoperationen bei persistierender Pleurafistel erforderlich [38]
[39]. Fasst man alle Arbeiten zusammen, ergibt sich ein Risiko für eine verlängerte Drainageperiode von ca. 10 %. In multivariaten Analysen der diesbezüglichen Risikofaktoren fanden sich Beatmungsspitzendruck und Minutenvolumen während der Prozedur als signifikante Prädiktoren [40]
[50]. Im Rahmen der lungenprotektiven Beatmung wird ohnehin eine Reduktion der Spitzendrücke angestrebt, was die im Laufe der Jahre rückläufige Rate an prozedurassoziierten Pneumothoraces erklären mag [50]. Die niedrige Pneumothoraxrate (2 %) der Arbeitsgruppe um Papazian wird von diesen auf die Diskonnektion von Beatmung und Tubus im Moment der Biopsieentnahme zurückgeführt [28]
[32].
Trotz der niedrigen Komplikationsraten muss vor der Durchführung einer OLB beim Patienten mit schwerem ARDS sichergestellt sein, dass im Falle einer postoperativen Verschlechterung eskalierende Therapieverfahren wie z. B. NO-Inhalation, extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) oder extracorporal lung assist (ECLA) verfügbar sind. Auch die thoraxchirurgische Kompetenz zur Beherrschung möglicher Komplikationen wie Blutungen oder bronchopleuraler Fisteln sollte vorhanden sein.
Nutzen der chirurgischen Lungenbiopsie
Als nützlich kann die Lungenbiopsie bezeichnet werden, wenn a) eine bislang nicht bekannte Diagnose gestellt wird, die eine potenziell kurative Behandlung nach sich zieht, b) eine Situation diagnostiziert wird, die eine Limitierung der Maßnahmen nahelegt, wodurch dem Patienten unnütze Intensivtherapien erspart bleiben und Ressourcen geschont würden, und c) wichtige, oftmals auch seltene Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden können, die ansonsten empirische, teilweise toxische Therapien erfordern würden. Gerade der letzte Aspekt ist schwer zu quantifizieren.
In den vorgestellten Fallserien wird übereinstimmend ein klinischer Nutzen berichtet im Sinne von spezifischen Diagnosen (46 – 100 %) und daraus resultierenden Therapieänderungen (39 – 92 %), s. [Tab. 3]. Diese Quantifizierung ist aufgrund differierender Definitionen der Begriffe „spezifische Diagnose” und „Therapieänderung” schwierig. Sensitivität und Spezifität können prinzipiell wegen eines fehlenden Goldstandards nicht angegeben werden. Prädiktoren, die eine wegweisende Biopsie erwarten lassen dürfen, fanden sich nicht [28]. Wenn auch die Einstimmigkeit der Berichte die Aussage unterstreicht, muss kritisch angemerkt werden, dass aufgrund der jeweils fehlenden Kontrollgruppe der Beweis aussteht, dass der Verlauf durch die OLB positiv beeinflusst wurde. Selbstverständlich muss eine adäquate Expertise hinsichtlich der pathologischen Untersuchung vorhanden sein, um die Risiken einer Lungenbiopsie rechtfertigen zu können.
Sowohl vom gesundheitsökonomischen als auch ethischen Standpunkt aus sprechen weitere Aspekte für die Durchführung einer OLB. Zunächst handelt es sich um eine, z. B. i. Vgl. zu einer empirischen antimykotischen Therapie, wenig ressourcenintensiven Maßnahme. Im Falle einer infausten, aus der Biopsie resultierenden Diagnose kann der nutzlose Einsatz teurer intensivmedizinischer Ressourcen ohne Nachteil für den Patienten vermieden werden.
Konkret kann die OLB bei der Beantwortung folgender Fragen hilfreich sein [40]: Ist der Patient frei von infektiösen Erkrankungen? Ist die Ursache des akuten Lungenversagens korrekt identifiziert? Besteht eine Fibrose?
In der Regel ist die oben beschriebene Diagnostik aus Labor, Serologie und BAL ausreichend, um einen infektiösen Prozess zu sichern [51]. Passend dazu war in den vorgestellten Serien der Nachweis von infektiösen Prozessen selten das Ergebnis einer OLB, wenn dieser umfangreiche mikrobiologische Diagnostik vorangegangen war und die Patienten bereits vor der Biopsie antibiotisch behandelt waren. Bakterielle Pneumonien wurden nur selten gefunden, auch Pilzpneumonien waren eher die Ausnahme. Am häufigsten wurde eine CMV-Pneumonie, histologisch oder per Kultur, nachgewiesen [28]
[32]
[35]
[36]
[38]
[40]
[49]
[52]. Möglicherweise kann durch PCR- und Antigen-Testung im Serum bzw. in der BAL die Rate der erst mittels Lungenbiopsie diagnostizierten CMV-Pneumonien in Zukunft reduziert werden. Hinsichtlich der infektiösen Ursachen hat die Lungenbiopsie somit ihren Stellenwert darin, ein Infektionsgeschehen auszuschließen, bevor evtl. eine immunsuppressive Steroidtherapie begonnen wird (s. u.). Gelegentlich hilft die Biopsie zu unterscheiden, ob ein z. B. mittels BAL nachgewiesener Erreger lediglich als Kolonisation oder aber als behandlungsbedürftige Infektion zu werten ist.
Neben den oft aus der Vorgeschichte abzuleitenden oder mittels o. g., weniger invasiver Diagnostik zu erkennenden Ursachen eines akuten Lungenversagens gibt es zahlreiche Krankheitsbilder, die sich klinisch als ARDS präsentieren können und zwar für sich genommen seltener sind, in den hochgradig ausgewählten Kollektiven der vorgestellten OLB-Serien jedoch insgesamt einen signifikanten Anteil repräsentierten (s. [Abb. 2]). Eine Übersicht der Diagnosen, die mittels Lungenbiopsie gestellt werden können, findet sich in [Tab. 4].
Abb. 2 Beispiel einer Lungenbiopsie: Graft-versus-host-disease der Lungen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, 100fache Vergrößerung, Dank an Prof. M. Amthor, ehem. Krankenhaus Rotenburg/Wümme, für die Überlassung der Abbildung).
Tab. 4 Diagnostische Möglichkeiten zur Sicherung von Diagnosen, die einem akuten Lungenversagen zugrunde liegen können.
| Diagnose mittels nicht-/gering invasiver Diagnostik möglich | Diagnose mittels offener Lungenbiopsie möglich |
diffuser Alveolarschaden (exsudativ vs. fibroproliferativ) | (TBB) | x |
interstitielle Fibrose | TBB | x |
Bronchiolitis obliterans mit organisierender Pneumonie/cryptogene organisierende Pneumonie | TBB | x |
bakterielle Pneumonie | BAL, TBB | x |
Viruspneumonie | Serologie, PCR, BAL, TBB | x |
Pneumocystis jirovecii-Pneumonie | BAL | x |
Miliartuberkulose | TBB | x |
multiple periphere Lungenembolien | ggf. TCT | x |
alveoläre Hämorrhagie | BAL | x |
Fibrosierung passend zu einer Medikamententoxizität | (TBB) | x |
akute eosinophile Pneumonie | BAL, TBB | x |
bronchoalveoläres Karzinom | TBB | x |
karzinomatöse Lymphangiitis | TBB | x |
leukämische Infiltration | TBB | x |
pulmonale Metastasierung | (TBB) | x |
pulmonale Kapillaritis | TBB | x |
Wegenerscher Granulomatose | cANCA, BAL, TBB | x |
systemischer Lupus erythematodes | Immunologie, BAL, TBB | x |
Graft-versus-host-disease (bei Stammzelltransplantierten) | – | x |
akute/chronische Abstoßung (bei Lungentransplantierten) | TBB | x |
BAL: bronchoalveoläre Lavage, TBB: transbronchiale Biopsie |
Einige dieser Diagnosen erfordern eine Lungenbiopsie zur Sicherung, wie z. B. Medikamententoxizität, fibrosierende Prozesse oder bestimmte maligne Prozesse. Bei anderen Diagnosen, die sich prinzipiell auch mit weniger invasiven Methoden, in erster Linie der BAL, sichern lassen, kann die Lungenbiopsie von entscheidender Bedeutung sein, wenn die zuvor erhobenen Befunde aufgrund untypischer Konstellation zwar einen Verdacht, aber keine definitive Diagnose erlauben. Auch bei konkurrierenden Diagnosen wie z. B. einer Wegener-Granulomatose und einer bakteriellen Pneumonie kann im Einzelfall nur die Lungenbiopsie klären, welche der möglichen Diagnosen das Krankheitsgeschehen primär bestimmt und ob eine verstärkte Immunsuppression indiziert ist oder nicht.
Ausschließlich mittels Lungenbiopsie lässt sich bei ARDS-Patienten die Frage beantworten, ob und in welchem Ausmaß eine interstitielle Fibrose besteht. Dieser Aspekt hat insofern eine praktische Bedeutung, als mittlerweile eine Metaanalyse zeigen konnte, dass die Steroidtherapie beim ARDS einen günstigen Effekt auf Gasaustausch, Beatmungsdauer und Mortalität ausübt [53]. Da sich aber in den Serien zur OLB nur in einem Teil der Patienten eine Fibrose finden ließ, wäre zumindest in diesem Kollektiv der Rest mit einer empirischen Steroidtherapie potenziell gefährdet worden.
Fazit
Führt bei ausgewählten Patienten mit akutem Lungenversagen unklarer Ätiologie eine umfangreiche diagnostische Abklärung unter Einschluss der bronchoskopisch gewonnenen Lavage nicht zur definitiven Diagnose, ist unter Abwägung der nur individuell zu gewichtenden Vor- und Nachteile eine chirurgische Lungenbiopsie zu erwägen. Es liegen ausreichende Daten vor, die bei ausgewählten Patienten einen relevanten klinischen Nutzen der Lungenbiopsie nahelegen. Das prozedurassoziierte Risiko erscheint auch bei hochgradig respiratorisch insuffizienten Patienten akzeptabel. Ein Nutzen der Biopsie kann sich einerseits durch den Nachweis einer anderweitig nicht zu stellenden Diagnose und andererseits durch den Ausschluss alternativer Diagnosen ergeben. Solange jedoch randomisiert-kontrollierte Studien fehlen, bleibt der Entschluss zur Biopsie eine Einzelfallentscheidung.