Aktuelle Dermatologie 2010; 36(11): 403-407
DOI: 10.1055/s-0029-1244115
Übersicht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Kältepannikulitis bei Reiterinnen

Equestrian Cold Panniculitis in WomenG.  Wagner1 , M.  M.  Sachse1
  • 1Hautklinik, Klinikum Bremerhaven Reinkenheide (Chefarzt: Dr. G. Wagner)
Weitere Informationen

Dr. Gunnar Wagner

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide

Postbrookstr. 103
27574 Bremerhaven

eMail: Gunnar.Wagner@Klinikum-Bremerhaven.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. April 2010 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Anhand eigener Beobachtungen und Angaben in der Literatur wird das seltene Krankheitsbild der Kältepannikulitis bei Reiterinnen beschrieben. Der klinische Befund ist gekennzeichnet durch erythematöse Papeln und Plaques, die während der kalten Jahreszeit an den Oberschenkeln auftreten. Histopathologisch findet sich das Bild einer lobulären Pannikulitis mit Betonung der Entzündungsreaktion im Bereich der dermo-subkutanen Übergangszone. Kryoproteine können nicht nachgewiesen werden. Während die Kältepannikulitis bei Neugeborenen auf die chemische Zusammensetzung des fetalen Fettgewebes zurückzuführen ist, bleibt die Pathogenese der Dermatose bei Erwachsenen ungeklärt. Da Kälteexpositionen und unzureichend schützende Kleidung das Auftreten der Kältepannikulitis auch im Reitsport allein nicht ausreichend erklären können, müssen auf Seiten der betroffenen Patienten zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen. In Analogie zur Pathogenese der Kältepannikulitis bei Neugeborenen wäre eine individuelle Störung der Zusammensetzung der Fettsäuren auch bei Erwachsenen vorstellbar.

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Abstract

On the basis of own findings and with regard to the current literature the rare diagnosis of equestrian cold panniculitis will be reviewed. On physical examination, erythematous papules and plaques develop at both thighs during the cold season. Histology demonstrates a lobular panniculitis with a mixed inflammatory cell infiltrate, most prominent at the dermal-subcutaneous junction. Cryoproteins are not detected.

While the cold panniculitis of the newborn can be explained by the special composition of the fat tissue, the pathogenesis of this panniculitis in adults remains unclear. However, cold exposure and the lack of thermal underwear cannot sufficiently explain the appearance of this panniculitis in people with equestrian activities. We hypothesize that a special disturbance in the composition of fatty acids may play a pivotal pathogenetic role, similar to a possible mechanism in the development of cold panniculitis of the newborn.

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Einleitung

Als Pannikulitiden bezeichnet man eine heterogene Gruppe entzündlicher Dermatosen, deren charakteristische histopathologische Befunde hauptsächlich im lobulären Fett- und im septalen Bindegewebe der Subkutis nachweisbar sind. In frühen Stadien der Erkrankungen lassen sich je nach Schwerpunkt der entzündlichen Prozesse lobuläre von septalen Pannikulitiden unterscheiden. Da die Mehrzahl der Pannikulitiden jedoch ein lobuläres Entzündungsmuster aufweist und in fortgeschrittenen Stadien der verschiedenen Pannikulitisformen meist ein septal-lobuläres Entzündungsinfiltrat beobachtet wird, ist die topografische Zuordnung der histopathologischen Befunde für die Klassifikation der jeweils vorliegenden Pannikulitis häufig nicht richtungweisend. Während die klinischen Läsionen der verschiedenen Pannikulitiden weitgehend identisch sind und sich typischerweise an den unteren Extremitäten durch schmerzhafte, erythematöse Knoten oder plattenartige Indurationen mit oder ohne Nekrosen auszeichnen, ist die Ätiologie der Pannikulitisformen durch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Faktoren gekennzeichnet. Neben infektallergischen, medikamentösen, enzymatischen oder immunologischen Ursachen, denen so unterschiedliche Dermatosen wie das Erythema nodosum, die Steroidpannikulitis, die Pankreaspannikulitis oder verschiedene Kollagenosen und Autoimmunerkrankungen zugeordnet werden, können auch physikalische Faktoren eine Pannikulitis auslösen. Zu den physikalischen Pannikulitisformen werden die posttraumatische und die Kältepannikulitis gezählt [1]. Eine Pannikulitis ist somit keine Diagnose sui generis. Vielmehr ist es immer notwendig, die Ätiologie einer Pannikulitis aufzuklären, um zu einer definierten Diagnose zu gelangen. In Einzelfällen, z. B. bei einer vermuteten Kollagenose oder Autoimmunerkrankung, kann es daher notwendig werden, eine umfangreiche Diagnostik durchzuführen. In anderen Fällen werden sich bereits aus der Anamnese entscheidende Hinweise auf die Ätiologie einer Pannikulitis ergeben. Ein Beispiel hierfür ist die Kältepannikulitis bei Reiterinnen. Für die Diagnose richtungweisend sind reiterliche Aktivitäten im Winter und die Manifestation der dermatologischen Befunde ausschließlich während der kalten Jahreszeit. Darüber hinaus ist die Kältepannikulitis im Zusammenhang mit dem Reitsport bisher ausschließlich bei Frauen beobachtet worden [2] [3] [4].

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Kasuistiken

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1. Patientin P. B., 23 Jahre, Bereiterin

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Anamnese

Die Patientin berichtete über anfänglich stark juckende, später schmerzhafte Hautveränderungen an den Oberschenkeln, die erstmals vor 3 Jahren in den Wintermonaten aufgetreten waren. In den folgenden Jahren zeigten sich regelmäßig im Winter gleichartige Hautveränderungen mit einer Bestandsdauer der einzelnen Läsionen von etwa 2 – 3 Wochen. Während der gesamten kalten Jahreszeit hatten sich in unregelmäßigen Abständen schubweise immer wieder neue Morphen entwickelt. Vom Frühjahr bis zum Spätherbst eines jeden Jahres blieb die Patientin erscheinungsfrei. Eine begleitende klinische Symptomatik, z. B. in Form von Arthralgien, Myalgien oder der Einschränkung des Allgemeinbefindens, konnte nicht erfragt werden. Auch eine gelegentliche oder regelmäßige Medikamenteneinnahme wurde verneint. Die weitere Anamnese ergab, dass die Patientin als Bereiterin auf dem elterlichen Gestüt arbeitete und dort auch im Winter täglich 5 – 6 Stunden in überwiegend nicht beheizten Reithallen Pferde trainierte. Vor der Kälte hatte sich die Patientin an den Händen mit Handschuhen und am Oberkörper mit einer Thermojacke geschützt, während sie wärmeisolierende Reithosen nicht getragen hatte.

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Dermatologischer Befund

Lateral an den Oberschenkeln beidseits münz- bis kinderhandtellergroße, unscharf begrenzte, in der Tiefe knotig infiltrierte Erytheme, vereinzelt zentral bedeckt von hämorrhagischen oder pityriasiformen Schuppenkrusten ([Abb. 1] und [2]).

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Abb. 1 Patientin P. B.: Gruppiert stehende, unscharf begrenzte Erytheme mit einzelnen Krusten. Oberschenkel lateral links.

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Abb. 2 Patientin P. B.: Detailaufnahme.

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Histopathologischer Befund

Bei unauffälliger Epidermis perivaskulär betontes lymphohistiozytäres Infiltrat im Korium mit Ausdehnung in den Bereich der Fettgewebslobuli.

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Laborbefunde

BB u. Diff-BB, BSG, Eiweißelektrophorese, Transaminasen, Kreatinin und Harnstoff ohne pathologische Befunde. Kein Nachweis von Kälteagglutininen, Kryoglobulinen, Kryofibrinogen und antinukleären Antikörpern.

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Therapie und Verlauf

Die vorhandenen Läsionen bildeten sich ohne weitere Therapie innerhalb von 2 Wochen bis auf eine diskrete Pigmentierung zurück. Der Patientin wurde empfohlen, Thermounterwäsche zu tragen, wie sie auch von Skifahrern verwendet wird.

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2. Patientin G. F., 29 Jahre, Verwaltungsangestellte

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Anamnese

Im Winter des letzten Jahres hatten sich bei der Patientin erstmals juckende und brennende Hautveränderungen an den Oberschenkeln gezeigt, die ohne weitere Behandlung nach 2 – 3 Wochen wieder abgeheilt waren. Anschließend blieb die Patientin bis zum November des nächsten Jahres erscheinungsfrei. Zu diesem Zeitpunkt entwickelten sich erneut Hautveränderungen, die nun in den nächsten 3 Monaten bis zur Vorstellung der Patientin in unserer Klinik ständig rezidivierten. Die über Wochen durchgeführte Behandlung mit einer prednicarbathaltigen Creme hatte nach Einschätzung der Patientin keinen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Dermatose. Internistische Erkrankungen waren bei ihr nicht erfragbar, die Arzneimittelanamnese war bis auf die gelegentliche Einnahme von Paracetamol unauffällig. Als Hobby gab die Patientin die Reiterei an. Täglich ritt sie 1 – 2 Stunden in einer nicht beheizten Halle oder bei entsprechenden Bodenverhältnissen auch im freien Gelände. Insbesondere bei Ausritten trug die Patientin eine Mütze, Handschuhe und eine Winterjacke, während die Beine nur durch ihre ganzjährig getragenen Reithosen ohne besondere Isolierung geschützt wurden.

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Dermatologischer Befund

An beiden Oberschenkeln streckseitig, lateral und dorsal bis zur Glutealregion zahlreiche, fingernagel- bis münzgroße, auch konfluierende, überwiegend dunkelrot bis livide, daneben aber auch umschrieben hellrot-urtikarielle Erytheme von unscharfer Begrenzung. In der Tiefe derbe, runde oder plattenartig ausgerichtete Indurationen tastbar ([Abb. 3] und [4]).

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Abb. 3 Patientin G. F.: Disseminiert stehende, bis münzgroße Erytheme. Oberschenkel medial bds.

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Abb. 4 Patientin G. F.: Infiltrierte, hellrote bis livide Erytheme am Oberschenkel lateral rechts.

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Histopathologischer Befund

Diskret akanthotisch verbreiterte Epidermis. Im gesamten Korium ausgeprägtes, teils perivaskuläres, teils interstitielles lymphohistiozytäres Infiltrat. In der Subkutis ebenfalls Nachweis einer perivaskulär betonten Infiltration gleicher Zusammensetzung.

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Laborbefunde

BB u. Diff-BB, CRP, Eiweißelektrophorese, Transaminasen, Kreatinin und Harnstoff ohne pathologische Befunde. Kein Nachweis von Rheumafaktoren, Kälteagglutininen, Kryoglobulinen, Kryofibrinogen und antinukleären Antikörpern.

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Therapie und Verlauf

Zu der vereinbarten Befundbesprechung erschien die Patientin nicht mehr, sodass zum weiteren Verlauf keine Aussage gemacht werden kann.

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Diskussion

Die mechanische Druckpannikulitis, die auch als traumatische Pannikulitis bezeichnet wird, und die thermische Kältepannikulitis werden innerhalb der Klassifikation der Pannikulitiden als physikalische Pannikulitisformen zusammengefasst [1]. Die Druckpannikulitis entwickelt sich in der Regel nach einem akuten stumpfen Trauma, wobei Lokalisationen bevorzugt betroffen sind, in deren Bereich das Fettgewebe in der Tiefe von Knochen oder Faszien begrenzt wird, z. B. an den Extremitäten, abdominal oder mammär. Die das Fettgewebe begrenzenden anatomischen Strukturen fungieren als Widerlager, sodass das subkutane Fettgewebe bei einem Trauma nicht auszuweichen vermag [1] [5]. Im Anschluss an die akute klinische Symptomatik kann in der Tiefe des Fettgewebes ein derber, bisweilen durch eine Kapsel scharf begrenzter Tumor verbleiben, der häufig keine Rückbildungstendenz aufweist [6] [7]. Erinnert sich der Patient an kein ursächliches Trauma, kann die Diagnose einer Pannikulitis hier nur histopathologisch gestellt werden, zumal man aufgrund der derben Konsistenz des Befundes klinisch immer auch an eine maligne Neoplasie oder an eine subkutane Metastase denken wird [8]. Bei der zweiten physikalisch bedingten Pannikulitisform, der Kältepannikulitis, finden sich grundsätzlich andere Befundkonstellationen und auch andere Verläufe. Aufgrund klinischer Merkmale lassen sich bei der Kältepannikulitis zwei typische Manifestationen voneinander unterscheiden, die bevorzugt bei Kindern oder im Erwachsenenalter beobachtet werden. Die Erstbeschreibung einer Kältepannikulitis im frühsten Kindesalter erfolgte 1941 durch Haxthausen unter der Bezeichnung Adiponecrosis e frigore [9]. Bei Neugeborenen und Säuglingen in den ersten Lebensmonaten, nur sehr selten bei älteren Kindern oder jungen Erwachsenen entwickeln sich Stunden oder wenige Tage nach einer lokalen Kälteexposition meist singuläre, anfänglich hellrote, später livide, subkutane Knoten oder Plaques, die innerhalb von 2 – 3 Wochen spontan abheilen, gelegentlich unter Hinterlassung einer postinflammatorischen Pigmentierung. Das Auftreten des dermatologischen Befundes ist stets auf das unmittelbare Areal der Kälteeinwirkung begrenzt. Fieber, eine tastbare Lymphadenitis oder Störungen des Allgemeinbefindens werden bei den betroffenen Kindern nicht beobachtet. Bei der Kältepannikulitis im Kindesalter ist Speiseeis so regelmäßig als auslösender Provokationsfaktor beschrieben worden, dass im angloamerikanischen Sprachgebrauch der Begriff „Popsicle Panniculitis” geprägt wurde, die Eis-am-Stiel-Pannikulitis. Typischerweise bei Säuglingen in den ersten Lebensmonaten führt der häufig nur wenige Minuten andauernde Verzehr von Speiseeis zur Entwicklung einer Pannikulitis an den Wangen oder im Bereich des submandibulären Fettgewebes [10] [11] [12] [13] [14]. Weitere Provokationsfaktoren sind niedrige Außentemperaturen, die bei Kindern meist ebenfalls an den Wangen Pannikulitiden verursachen, sowie die Applikation von kaltem Wasser, Eisbeuteln oder gelhaltigen Kältekompressen [15] [16] [17] [18] [19]. Bei Erwachsenen wird die Kältepannikulitis in der Regel durch niedrige Außentemperaturen verursacht. Als besonders gefährdet müssen Freizeitsportler angesehen werden, die auch im Winter ihrem Hobby im Freien nachgehen. Zu typischen Sportarten zählen hierbei Fußball, Skilanglauf und Fahrradfahren [20] [21] [22].

Über das Auftreten der Kältepannikulitis auch im Reitsport berichteten erstmals 1980 Beacham et al. [2]. Bei 4 jungen Reiterinnen im Alter von 22 – 27 Jahren konnten die Autoren eine Kältepannikulitis diagnostizieren. Neben übereinstimmenden anamnestischen Angaben zur Kälteexposition und zum Verlauf der Dermatose fanden sich bei allen Patientinnen weitgehend identische klinische Befunde, sodass die Autoren das Krankheitsbild aufgrund der einheitlichen und unverwechselbaren Symptomatik auch als Reiterkältepannikulitis tituliert haben. Auffälligerweise waren in der beobachteten Gruppe 3 Berufsreiterinnen und nur eine Patientin, die die Reiterei als Freizeitsport betrieb. Alle Patientinnen saßen unabhängig von der Jahreszeit täglich 2 oder mehr Stunden im Sattel. Erst nachdem sie jahrelang ihren Beruf ausgeübt oder ihrem Hobby nachgegangen waren, entwickelte sich die dermatologische Symptomatik, die nach Erstmanifestation regelmäßig in den Wintermonaten rezidivierte, um im jeweils folgenden Frühjahr abzuheilen. Dabei zeigte sich während der gesamten Winterzeit ein chronisch-rezidivierender Verlauf mit abheilenden und immer wieder neu auftretenden Läsionen. Bei jahreszeitlich zunehmender Kälteexposition entwickelten sich bei allen Patientinnen ausschließlich an den Oberschenkeln anfänglich juckende Rötungen, die sich innerhalb von wenigen Tagen in schmerzhafte Schwellungen umwandelten. Anschließend kam es zu einer Rückbildung der Läsionen innerhalb von etwa 2 – 3 Wochen. Nach Abheilung verblieben unterschiedlich ausgeprägte Pigmentierungen in den ursprünglich betroffenen Arealen. Die klinisch-morphologischen Befunde der Patientinnen zeigten weitgehende Übereinstimmungen. An den Oberschenkeln lateral fanden sich jeweils mehrere, indurierte, 2 bis maximal 5 cm durchmessende, auch konfluierende, hellrote bis rötlich-livide Knoten und Plaques. Bei 3 Patientinnen wiesen einzelne Läsionen oberflächliche Erosionen oder Ulzera auf, teilweise von Krusten belegt. Zusätzlich vorhandene postinflammatorische Hyperpigmentierungen konnten bei 2 Patientinnen beobachtet werden, einmal in den Randbereichen noch vorhandener erythematöser Knoten, einmal in den ursprünglichen Arealen bereits abgeheilter Läsionen. Narben oder Atrophien als Folge vorjähriger Manifestationen der Dermatose fanden sich bei keiner Patientin. Subjektiv beschrieben alle Patientinnen anfänglich einen deutlichen Pruritus, der im weiteren Verlauf von schmerzhaften oder brennenden Parästhesien abgelöst wurde. Als ergänzende laborchemische Untersuchungen erfolgten bei allen Patientinnen Bestimmungen von Kryoglobulinen und Kryofibrinogen. Die genannten Kryoproteine konnten jedoch in keinem Fall nachgewiesen werden. Auch die histopathologischen Befunde der 4 Patientinnen von Beacham et al. zeigten ein einheitliches Bild, das einer lobulären Pannikulitis entsprach. Bei unauffälliger Epidermis fand sich im Übergang vom Korium zur Subkutis ein perivaskulär betontes lymphohistiozytäres Infiltrat mit Endothelschwellungen und einer intramuralen Ausbreitung. In der Subkutis konnte das Infiltrat besonders im Bereich der Schweißdrüsen und neurovaskulärer Strukturen nachgewiesen werden.

Ferner fanden sich rupturierte Fettzellen und kleinere Zysten. Für die Kältepannikulitis charakteristisch ist dabei der Entzündungsschwerpunkt im Bereich der dermo-subkutanen Übergangszone [23].

Die Pathogenese der Kältepannikulitis bei neugeborenen Kindern ist auf die chemische Zusammensetzung der Fettsäuren zurückzuführen. Deren Fettgewebe enthält im Gegensatz zu Erwachsenen in den ersten Lebensmonaten einen höheren Anteil gesättigter Fettsäuren, insbesondere Palmitin- und Stearinsäure. Diese altersabhängige physiologische Besonderheit bedingt einen erhöhten Solidifikationspunkt, den sogenannten Erstarrungspunkt einer Phasenumwandlung. Die Abkühlung der Körpertemperatur kann deshalb zu einer Kristallisation im neonatalen Fettgewebe führen mit nachfolgender Nekrose der Fettzellen. Die Auslösung einer Kältepannikulitis ist bei Neugeborenen somit obligat möglich und nimmt anschließend im Laufe des ersten Lebensjahres parallel mit dem Rückgang des fetalen Fettgewebes kontinuierlich ab [16] [24] [25] [26]. Bei der Kältepannikulitis der Erwachsenen, insbesondere bei Reiterinnen, wurde neben der Intensität der Kälteexposition auch auf den mangelnden Schutz durch die Kleidung an den Oberschenkeln hingewiesen [1] [2] [4] [22]. Beim Ausreiten im freien Gelände, der sogenannten Buschreiterei, sind die Witterungsverhältnisse von besonderer Bedeutung. Die [Abb. 5] zeigt eine junge Reiterin bei einem Ausritt im Winter.

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Abb. 5 „Buschreiterin” im Schneegestöber: Deutlich zu erkennen die exponierte Lage der Oberschenkel.

Deutlich zu erkennen ist, dass die Oberschenkel in exponierter Lage der kalten Umgebungstemperatur und dem Wind ausgesetzt sind. Die Reithosen werden im Bereich der Sitzfläche und der Innenseite der Beine durch Leder verstärkt, während die übrigen Anteile der Hose nur aus Stoff bestehen. Dadurch erklärt sich die besondere Kälteexposition der Oberschenkel und damit verbunden auch die Lokalisation der Kältepannikulitis. Andererseits sind sowohl die Kälteexposition als auch die unzureichend schützende Kleidung keine Faktoren, die für sich allein betrachtet eine Kältepannikulitis verursachen könnten, eine Einschätzung, die sich aus der Häufigkeit der Dermatose ergibt. Im niedersächsischen Umland Bremerhavens haben die verschiedenen Vereine des Kreisreiterverbandes Wesermünde ca. 4800 Mitglieder, von denen schätzungsweise nur 100 – 200 Männer sind. Dazu kommt eine unbekannte Zahl nicht organisierter Reiter und Reiterinnen. Würden die Kälteexpositionen und die Kleidung allein für das Auftreten der Kältepannikulitis verantwortlich sein, müsste man die Dermatose bei der Gesamtzahl der Reiterinnen im Versorgungsgebiet der Hautklinik Bremerhaven regelmäßig oder auch häufig sehen, was aber nicht der Fall ist. In den letzten 20 Jahren sind nur die zwei hier vorgestellten Fälle beobachtet worden. In Anlehnung an die Pathogenese der Kältepannikulitis bei Neugeborenen wäre auch bei Erwachsenen eine vorstellbare Erklärung, dass die Dermatose nur bei Reiterinnen auftreten kann, deren Fettgewebe möglicherweise noch eine fetale oder eine andere, vom adulten Fettgewebe abweichende Zusammensetzung aufweist. Die Kältepannikulitis bei Reiterinnen wie sie von Beacham et al. beschrieben wurde und wie wir sie bei 2 Patientinnen beobachten konnten, ist somit geprägt durch anamnestische Angaben mit jahreszeitlichem Auftreten im Winter, durch einen charakteristischen dermatologischen Befund an den Oberschenkeln, durch das histopathologische Bild einer lobulären Pannikulitis mit Betonung der Entzündungsreaktion in der dermo-subkutanen Übergangszone und durch den fehlenden Nachweis von Kryoproteinen. Darüber hinaus finden sich in der Literatur vereinzelt Berichte über Reiterinnen mit einem identischen klinischen Bild, jedoch mit abweichenden laborchemischen oder histopathologischen Befunden. De Silva et al. berichteten über 2 junge Reiterinnen mit Kälte abhängig auftretenden erythematösen Knoten und Plaques an den Oberschenkeln, bei denen Kälteagglutinine nachgewiesen werden konnten [4]. Die Kältepannikulitis kann somit auch als Symptom einer Kryoproteinämie auftreten [27]. Braulke et al. beobachteten eine junge Reiterin mit dem typischen klinischen Bild einer Kältepannikulitis, ohne dass jedoch das histopathologische Bild einer Pannikulitis nachweisbar war. Die Autoren stellten bei ihrer Patientin die Diagnose einer symptomatischen Lipohypertrophie (Lipödem) vom Reithosentyp mit kälteprovozierbarer neurovasogener Dysregulation auf der Basis einer vegetativen Dystonie [28]. Die beiden genannten Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass pathogenetisch unterschiedliche Erkrankungen unter dem klinischen Bild einer Kältepannikulitis auftreten können, was bei der Diagnostik berücksichtigt werden muss. Zu weiteren Differenzialdiagnosen zählen Pernionen, die Kälteurtikaria und Pannikulitiden anderer Ätiopathogenese [1] [22].

Eine Behandlung der Kältepannikulitis wird überwiegend als nicht notwendig angesehen. Im Hinblick auf den Schwerpunkt der Entzündung im Bereich der dermo-subkutanen Übergangszone erscheint uns bei ausgeprägten klinischen Befunden ein Behandlungsversuch mit topischen Glukokortikoiden gerechtfertigt. Als Prophylaxe bei Reiterinnen eignet sich im Übrigen wärmeisolierende Unterwäsche.

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Literatur

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Dr. Gunnar Wagner

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide

Postbrookstr. 103
27574 Bremerhaven

eMail: Gunnar.Wagner@Klinikum-Bremerhaven.de

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Dr. Gunnar Wagner

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide

Postbrookstr. 103
27574 Bremerhaven

eMail: Gunnar.Wagner@Klinikum-Bremerhaven.de

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Abb. 1 Patientin P. B.: Gruppiert stehende, unscharf begrenzte Erytheme mit einzelnen Krusten. Oberschenkel lateral links.

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Abb. 2 Patientin P. B.: Detailaufnahme.

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Abb. 3 Patientin G. F.: Disseminiert stehende, bis münzgroße Erytheme. Oberschenkel medial bds.

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Abb. 4 Patientin G. F.: Infiltrierte, hellrote bis livide Erytheme am Oberschenkel lateral rechts.

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Abb. 5 „Buschreiterin” im Schneegestöber: Deutlich zu erkennen die exponierte Lage der Oberschenkel.