Pneumologie 2010; 64(7): 443-444
DOI: 10.1055/s-0029-1244254
Workshop

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Betrachtungen zur Anatomie und Physiologie von Säugetiernasen

S.  Grützenmacher1
  • 1Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen
    Dietrich-Bonhoeffer Klinikum, Neubrandenburg
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PD Dr. med. habil. Stefan Grützenmacher

Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde,
Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen
Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum

Salvador-Allendestraße 30
17036 Neubrandenburg

Email: hno@dbknb.de

Publication History

Publication Date:
14 July 2010 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Nasen der Säugetiere weisen eine anatomisch und strömungsphysiologisch relativ klare Trennung zwischen Regio respiratoria und Regio olfactoria auf. Beim Menschen rotieren die olfactorischen Muscheln (Ethmoturbinalia) durch die erfolgte Schädelbasisknickung (klinorhynchi) in die respiratorische Region und übernehmen auch respiratorische Aufgaben.

Voraussetzung für die respiratorische Funktion der Nase ist ein intensiver Kontakt zwischen Atemluft und Schleimhaut. Dieser Kontakt findet bei allen untersuchten Säugetierspezies im Funktionsbereich (Muschelregion/Regio respiratoria) statt.

Beim Menschen bilden die Nasenabschnitte vom Ostium nasale externum bis zum Kopf der unteren Muschel den Einströmbereich. Er verteilt die Strömung über den gesamten Nasenquerschnitt und erzeugt Turbulenzen. Der Einströmbereich des Menschen kann als Anpassung an die relative Höhenzunahme der Nase betrachtet werden (Längen-Höhen-Relation).

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Abstract

From the anatomical and flow dynamic point of view, the mammalian noses are strictly divided in a respiratory and olfactory area. In humans, the middle and the superior turbinate (ethmoturbinates) fulfill the respiratory and olfactory function.

An intensive contact between breathing air and respiratory mucosa is the most important pre-condition for the respiratory function of the nose. In all investigated species this contact takes place in the functional area of the nose, i. e. the area of the turbinates.

In humans, the area from the external nasal ostium up to the head of the inferior turbinate is called „inflow area”. This part of the nose distributes the airflow over the complete nasal cross sectional area and generates turbulent flow. The inflow area in the human nose is an adaptation to the relatively increased nasal height during evolution.

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Vorbetrachtungen

Die Hauptaufgabe der Nase besteht im Reinigen, Anfeuchten und Temperieren der Atemluft [1] [2]. Die phylogenetisch älteste Funktion der Nase ist das Riechen [3]. Es ist deshalb anzunehmen, dass im Laufe der Evolution eine Anpassung der Nase an die „neue” Aufgabe, die Respiration, erfolgte.

Für die Klimatisierungsfunktion muss die Nase den Stoff- und Energieaustausch mit der Atemluft realisieren, was letztlich durch ein labiles Gleichgewicht zwischen Luftströmung und Nasenschleimhaut möglich ist. Eine ausreichend turbulente und über den gesamten Nasenquerschnitt verteilte Luftströmung ist die Voraussetzung für den Kontakt zwischen den Luftteilchen und der respiratorischen Schleimhaut. Ein niedriger nasaler Atemwiderstand ermöglicht eine kontinuierliche Nasenatmung. Eine gesunde und schwellfähige respiratorische Nasenschleimhaut ist die Voraussetzung für den Stoff- und Energieaustausch mit den strömenden Luftpartikeln.

Die notwendige Schleimhautregeneration wird dabei durch die Energierückgewinnung in der Exspirationsphase, durch den Nasenzyklus und durch den mukoziliaren Transport unterstützt [4] [5].

An diese komplexen Vorgänge ist die Nase morphologisch angepasst. Es ist bekannt, dass bereits kleine Formabweichungen oder anatomische Variationen eine gestörte respiratorische Funktion verursachen können.

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Anatomische Betrachtungen

Bei der überwiegenden Anzahl der Säugetierspezies findet man jeweils zwei Conchae im direkten Atemstrom (Maxilloturbinale oder Concha nasalis ventralis und Nasoturbinale oder Concha nasalis dorsalis), und zusätzlich eine unterschiedliche Anzahl von Conchae (Ethmoturbinalia) oberhalb des Ductus nasopharyngeus. Die Ethmoturbinalia und das Nasoturbinale sind überwiegend mit olfaktorischem Epithel (Regio olfactoria) besetzt und werden vom Os ethmoidale gebildet. Sie bilden die Regio olfactoria, welche nach kaudal knöchern vom Ductus nasopharyngeus getrennt ist [6]. In Analogie zum Menschen entsprechen diese Muscheln der Concha nasalis media und superior [7]. Gelegentlich findet sich beim Menschen eine Concha nasalis suprema (Concha santorini). Eine Abgrenzung zum Ductus nasopharyngeus existiert hier nicht.

Die größte respiratorische Concha der Säugetiere, die Concha nasalis ventralis (Maxilloturbinale), beginnt direkt an der lateralen Wand des Ostium nasale externum. Sie besitzt in Analogie zur unteren Muschel des Menschen ein eigenes Os turbinale [6].

Die Schädelbasis ist der verbindende Teil zwischen Schädeldach und Gesichtsschädel und bildet einen wesentlichen Anteil der oberen und hinteren Grenzen der Nasenhöhle.

Beim Menschen kommt es aufgrund der Entwicklung des aufrechten Gangs und der erheblichen Zunahme des Hirnvolumens zu einer Beugung der Schädelbasis (klinorhynchi) [8]. Hierdurch rotiert die bei den Tierspezies eher vertikal verlaufende Lamina cribrosa in eine horizontale Position. Weiterhin kommt es durch die Änderung der Größenverhältnisse zwischen Hirn- und Gesichtsschädel beim Menschen zu einer relativen Verkürzung des Mittelgesichts, was sich in der Längen-Höhen-Relation der Nase ausdrücken lässt.

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Strömungsphysiologische Betrachtungen

Während die nasale Atemströmung des Menschen umfassend untersucht worden ist, finden sich zur nasalen Atemphysiologie weiterer Säugetierspezies nur wenige Hinweise in der Literatur.

Eigene strömungsphysikalische Untersuchungen an Nasenmodellen von Menschen und verschiedenen Paarhuferspezies zeigen folgenden Verlauf der Atemströmung in der Nase: Beim Menschen wird das gesamte Cavum nasi durchströmt. Im Bereich der Nasenmuscheln ist die Strömung turbulent, diese Region wird als „Funktionsbereich” bezeichnet. Der Bereich vom Ostium nasale externum bis zum Kopf der unteren Muschel bildet den „Einströmbereich”. Er verteilt die Strömung über den gesamten Nasenquerschnitt und generiert Turbulenzen. Der Einströmbereich ist im Wesentlichen in der äußeren Nase untergebracht [9] [10] ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Strömungsverlauf in der Nase eines Menschen bei einem Flow von 200 ml/s.

Bei Paarhufernasen verläuft die Atemströmung über die Concha nasalis dorsalis und ventralis. Die Luftströmung ist im gesamten Verlauf turbulent. Ein Einströmbereich, wie beim Menschen, existiert nicht. Die Regio olfactoria mit den Ethmoturbinalia ist nur gering durchströmt. Sie bildet einen sogenannten Totraum mit Kriechströmungen und Wirbelbildung [11] ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Strömungsverlauf in der Nase eines Paarhufers (Schaf) bei einem Flow von 200 ml/s.

Bei diesen Tierspezies setzt die ventrale Muschel unmittelbar am Ostium nasale externum an, so dass die gesamte Nasenhöhle ab dem Ostium nasale externum als Funktionsbereich (Region der Nasenmuscheln) anzusehen ist.

Da bei den untersuchten Tierspezies ein „Einströmbereich” fehlt, ist zu vermuten, dass er und somit auch die äußere Nase des Menschen eine Anpassung an das für den Menschen typische kurze und hohe Cavum nasi darstellt.

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Literatur

  • 1 Drettner B, Falck B, Simon H. Measurements of the air conditioning capacity of the nose during normal and pathological conditions and pharmacological influence.  Acta Otolaryngol. 1977;  84 266-277
  • 2 Keck T, Leiacker R, Lindemann J, Rettinger G, Kuhnemann S. Endonasales Temperatur- und Feuchteprofil nach Exposition zu verschieden klimatisierter Einatemluft.  HNO. 2001;  49 372-377
  • 3 Hooton E A. Up from the ape. New York; Mac Millan 1931
  • 4 Toremalm N G. Aerodynamics and mucociliary function of upper airways.  Eur J Respir Dis Suppl. 1985;  139 54-56
  • 5 Soane R J, Carney A S, Jones N S. et al . The effect of the nasal cycle on mucociliary clearance.  Clin Otolaryngol. 2001;  26 9-15
  • 6 Seydel O. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen.  In: Morphologisches Jahrbuch. Bd. 17.  Leipzig; Wilhelm Engelmann Verlag 1891: 44-99
  • 7 Zuckerkandl E. Normale und Pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneumatischen Anhänge. Wien; Braumüller 1882 – 92
  • 8 Schuhmacher G H. Anatomie für Zahnmediziner. Heidelberg; Hüthig 1997
  • 9 Mlynski G, Grützenmacher S, Plontke S. et al . Correlation of nasal morphology and respiratory function.  Rhinology. 2001;  39 197-201
  • 10 Grützenmacher S, Robinson D M, Lang C. et al . Investigations of the influence of external nose deformities on nasal airflow.  ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2005;  67 154-159
  • 11 Grützenmacher S, Robinson D M, Sevecke J. et al . Comparative investigations of anatomy and physiology in mammalian noses (Homo sapiens – Artiodactyla).  Rhinology. 2010;  48 accepted for publication

PD Dr. med. habil. Stefan Grützenmacher

Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde,
Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen
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17036 Neubrandenburg

Email: hno@dbknb.de

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Literatur

  • 1 Drettner B, Falck B, Simon H. Measurements of the air conditioning capacity of the nose during normal and pathological conditions and pharmacological influence.  Acta Otolaryngol. 1977;  84 266-277
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  • 3 Hooton E A. Up from the ape. New York; Mac Millan 1931
  • 4 Toremalm N G. Aerodynamics and mucociliary function of upper airways.  Eur J Respir Dis Suppl. 1985;  139 54-56
  • 5 Soane R J, Carney A S, Jones N S. et al . The effect of the nasal cycle on mucociliary clearance.  Clin Otolaryngol. 2001;  26 9-15
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  • 7 Zuckerkandl E. Normale und Pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneumatischen Anhänge. Wien; Braumüller 1882 – 92
  • 8 Schuhmacher G H. Anatomie für Zahnmediziner. Heidelberg; Hüthig 1997
  • 9 Mlynski G, Grützenmacher S, Plontke S. et al . Correlation of nasal morphology and respiratory function.  Rhinology. 2001;  39 197-201
  • 10 Grützenmacher S, Robinson D M, Lang C. et al . Investigations of the influence of external nose deformities on nasal airflow.  ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2005;  67 154-159
  • 11 Grützenmacher S, Robinson D M, Sevecke J. et al . Comparative investigations of anatomy and physiology in mammalian noses (Homo sapiens – Artiodactyla).  Rhinology. 2010;  48 accepted for publication

PD Dr. med. habil. Stefan Grützenmacher

Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde,
Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen
Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum

Salvador-Allendestraße 30
17036 Neubrandenburg

Email: hno@dbknb.de

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Abb. 1 Strömungsverlauf in der Nase eines Menschen bei einem Flow von 200 ml/s.

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Abb. 2 Strömungsverlauf in der Nase eines Paarhufers (Schaf) bei einem Flow von 200 ml/s.