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DOI: 10.1055/s-0029-1245012
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Schaftfrakturen von Ober- und Unterschenkel - Operieren Tag und Nacht?
Publication History
Publication Date:
16 December 2009 (online)
Welche Auswirkungen hat der Zeitpunkt der Operation bei der Behandlung von Schaftfrakturen der Tibia und des Femur? Gibt es Unterschiede in Operationszeit, Ergebnis und auftretenden Komplikationen zwischen Operationen, die während der regulären Tagesarbeitszeit und der Dienstzeit erfolgen? Folgende Studie wollte diesen Fragen nachgehen. Is After-Hours Orthopaedic Surgery Associated with Adverse Outcomes? A Prospective Comparative Study. J Bone Joint Surg Am 2009; 91:2067-2072
#Einleitung
Der optimale Zeitpunkt der operativen Behandlung von Frakturen ist von multiplen Faktoren abhängig. Viele Frakturen bedürfen keiner sofortigen Versorgung und werden im Verlauf geplant behandelt. Patienten mit Frakturen, die eine sofortige operative Therapie erfordern, erscheinen unabhängig von der Tageszeit und der Arbeitsbelastung des Operationsteams. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es auch Frakturen, die dringend, jedoch nicht sofort versorgt werden müssen. Aufgrund des regulär geplanten Tagesprogramms werden diese Patienten meistens außerhalb der normalen Dienstzeiten operiert.
In vielen Studien wurde versucht, einen generellen Zeitplan für die Dringlichkeit der Versorgung muskuloskelettaler Verletzungen zu erstellen. Eine Strategie zur Reduktion der operativen Eingriffe außerhalb des geplanten Tagesprogramms ist die strenge Indikationsstellung von Notfalleingriffen. Eine andere Methode ist die exakte Planung der elektiven Eingriffe innerhalb der regulären Arbeitszeit, um die Operationen im Dienstprogramm zu minimieren. Ob die Patienten und/oder die Operateure hiervon profitieren, ist ungeklärt. In anderen chirurgischen Disziplinen haben sich jedoch mit steigender Dienstbelastung eine höhere Zahl an Operationsfehlern sowie eine höhere Mortalitätsrate gezeigt.
Negative Auswirkungen auf das Ergebnis operativ-rekonstruktiver Eingriffe, die außerhalb der regulären Tagesarbeitszeit erfolgen, sind weitestgehend unbekannt. Ziel dieser Studie war es festzustellen, ob bei der operativen Versorgung von Femur- und Tibiaschaftfrakturen mit Marknagelosteosynthese Unterschiede bestehen bei Ausführung im Tages- oder Dienstprogramm. Es wurden Operationszeit, intraoperative Durchleuchtungszeit und Komplikationen wie z. B. Pseudarthrose, Infektion oder Folgeeingriffe gegenübergestellt.
#Material und Methoden
Von Januar 2001 bis Dezember 2003 wurden 203 Patienten mit akuten Schaftfrakturen von Femur oder Tibia, die mit intramedullärer Marknagelosteosynthese behandelt wurden, in eine prospektive Multicenterstudie aufgenommen. Die Patienten wurden in Abhängigkeit der Tageszeit der Operation in 2 Gruppen eingeteilt (Tagesgruppe: 06 bis 16 Uhr, 100 Patienten; Dienstgruppe: 16 bis 06 Uhr, 103 Patienten). Die Gruppen wurden jeweils nach der Topographie unterteilt. In der Tagesgruppe wiesen 45 Patienten eine Femurfraktur und 56 eine Tibiafraktur auf. Die Dienstgruppe umfasste 55 Femurfrakturen und 48 Tibiafrakturen. Das Verhältnis der offenen und geschlossenen Frakturen innerhalb der Gruppen und Untergruppen war normalverteilt. Es wurden die perioperativen Daten aller Patienten prospektiv erfasst und klinische und radiologische Nachuntersuchungen 4, 6 und 12 Monate postoperativ durchgeführt.
#Ergebnisse
Die Operationszeiten waren bei beiden Frakturen signifikant geringer in den Dienstgruppen. Bei Versorgung der Femurfrakturen war die Operationsdauer um 19% kürzer, bei den Tibiafrakturen 23%. Die intraoperative Durchleuchtungszeit war ebenfalls in den Dienstgruppen geringer als in den Tagesgruppen. Die Reoperationsrate war bei der Dienstgruppe mit 34% doppelt so hoch wie bei der Tagesgruppe mit 17%. Die Rate der Implantatentfernungen aufgrund von Schmerzen nach Marknagelung einer Femurfraktur erfolgte bei 27% der Patienten der Dienstgruppe, jedoch nur bei 3% der tagsüber operierten Patienten. Bei den Tibiafrakturen zeigte sieh diesbezüglich kein signifikanter Unterschied. Die Rate der Pseudarthrosen war in beiden Gruppen jeweils gleich hoch mit 7% bei den Femurfrakturen und 12% bei den Tibiafrakturen.
Dr. Martina Wendt
Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock
Abt. für Unfall~ und Wiederherstellungschirurgie
Email: Wendt-M@web.de
#Kommentar
Diese Studie befasste sich mit der operativen Versorgung von Tibiaschaft- und Femurschaftfrakturen mittels Marknagelosteosynthese während der regulären Tagesarbeitszeit von 6 bis 16 Uhr bzw. der Dienstzeit von 16 Uhr bis 6 Uhr. Es zeigte sich, dass während der Dienstzeit die Operationsdauer und die intraoperative Durchleuchtungszeit zwar signifikant geringer waren, jedoch die Reoperationsrate bei den Femurfrakturen doppelt so hoch. Hinsichtlich der Frakturheilung bestanden keine wesentlichen Unterschiede. Die hohe Reoperationsrate beruhte auf Implantatentfernungen aufgrund von Schmerzen, die durch eine nicht exakte Implantatlage ausgelöst wurden. Hier scheint ein Zusammenhang mit der kürzeren Operationszeit und vermutlicher technischer Fehler zu bestehen. Erklärbar wäre dies mit der sinkenden körperlichen und geistigen Belastbarkeit während der Dienstzeit. Um eine generalisierte Aussage treffen zu können, sind jedoch weitere und umfassendere Studien mit größerem Patientenkollektiv nötig. Zudem sollten weitere Faktoren wie Komorbidität, Zeitraum vom Unfall bis zur Versorgung und gegebenenfalls auch Erfahrenheit des Operationsteams berücksichtigt werden.
Nichtsdestotrotz sind Notfalleingriffe in den Abend- oder Nachtstunden zwar reduzierbar, jedoch in der Unfallchirurgie und Orthopädie nicht vermeidbar. Die Indikation für eine sofortige Versorgung ist streng abzuwägen, um optimale Heilungsvoraussetzungen zu schaffen. Jedoch sind vor allem bei ausgedehnten Weichteilverletzungen und/oder offenen Frakturen eventuelle kleine technische Fehler aufgrund abnehmender Kondition des Operateurs zum Teil weniger schädigend als die Komplikationen durch eine versäumte bzw. zu späte Versorgung.
Dr. Martina Wendt