NOTARZT 2010; 26(6): 267-268
DOI: 10.1055/s-0030-1248608
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachmittagskaffee verpatzt

S.  Deke1 , F.  Martens2
  • 1Oberhavel Kliniken GmbH, Klinik Oranienburg
  • 2Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler), Berlin
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Publication Date:
02 December 2010 (online)

Der Fall

An einem Sonntagnachmittag wurde der Notarzt in ein Einfamilienhaus in einer ländlichen Gegend alarmiert. Beim Eintreffen fand er eine 74-jährige Frau, die zuckend im Garten lag. Der 75-jährige Ehemann der Patientin war nach Angaben der Nachbarn, die beide gefunden hatten, bis kurz vorher „wie irre” im Garten umhergelaufen. Jetzt saß er an einem Holzstapel und reagierte ebenfalls nicht auf Ansprache. Da die Frau wiederholt zuckte und eine tiefe Bewusstseinstrübung aufwies, wurde ihr eine Verweilkanüle gelegt und sie dann nach Gabe von Midazolam und Thiopental orotracheal intubiert. Zu diesem Zeitpunkt konnte ein Blutdruck von 160 / 80 mm Hg, eine Herzfrequenz von 100 / min und eine pulsoxymetrische Sättigung von 95 % gemessen werden. Der Blutzucker lag mit 83 mg / dl im Normalbereich. Danach wurde die Patientin in den RTW verbracht.

Der Mann, der bis vor Kurzem an einem Holzstapel gesessen hatte, lag inzwischen daneben und bot ebenfalls myoklonische Zuckungen. Auf Ansprache und auf Schmerzreiz konnte keine Reaktion festgestellt werden. Bei einem GCS von 5 wurde er daher wie seine Ehefrau intubiert und zunächst mit Beutel beatmet.

Was war geschehen?

Der Nachbar berichtete nach der Erstversorgung, dass die Patientin vormittags am nahen Waldrand Perlpilze gesammelt habe. Dies wisse er, weil sie ihm den Korb mit den frisch gepflückten Pilzen gezeigt habe. Bei dieser Gelegenheit hatten sie sich zum nachmittäglichen Kaffee verabredet.

Als sie dann bei den Nachbarn geklingelt hatten und niemand das Haus geöffnet hatte, hatten sie im Garten nachgesehen und ihre Nachbarn in dem oben beschriebenen Zustand vorgefunden und dann den Rettungsdienst alarmiert.

Da nach Angaben der Nachbarn keine ernsten Krankheiten bei den beiden Patienten bekannt waren, wurde unter dem Verdacht einer evtl. Pilzvergiftung die Giftinformationszentrale angerufen, die bei der Schilderung der Symptomatik und den vermeintlich gesammelten Perlpilzen eine Vergiftung mit Pantherpilz vermutete. Zur weiteren Versorgung wurde daher der Rettungshubschrauber alarmiert, der den Patienten in die Uniklinik flog. Die Patientin wurde in Notarztbegleitung zunächst in das lokale Kreiskrankenhaus und anschließend mit dem Intensivtransporthubschrauber ebenfalls in die Universitätsklinik transportiert.

Die mitgebrachten Pilzreste wurden einem Pilzexperten vorgelegt, der zerstückelte Täublinge jedoch keine Reste von Pantherpilz finden konnte. Anhand der gebotenen Symptomatik hielt er jedoch ein Pantherinasyndrom für hoch wahrscheinlich.

Obgleich die Symptomatik und der zeitliche Verlauf gegen eine Knollenblätterpilzvergiftung sprach, wurde von beiden Patienten eine Urinprobe jeweils auf α-Amanitin untersucht und war erwartungsgemäß negativ.

Unter Analgosedierung mit Midazolam / Fentanyl® wurden die beiden Patienten 15 bzw. 21 Stunden lang beatmet und konnten nach Beendigung der Sedation dann ohne funktionelle Residuen extubiert werden. Für das Ereignis im Garten bestand eine retrograde Amnesie, an die Pilzmahlzeit mit „Perlpilzen” konnten sich beide jedoch sehr gut erinnern.

Nach wenigen Tagen weiterer Beobachtung in denen keine Folgeschäden festgestellt wurden, konnte das Ehepaar wieder nach Hause entlassen werden.

Literatur

PD Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum
Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de