Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(1): 42-44
DOI: 10.1055/s-0030-1248772
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Erfahrungsbericht – Viermonatige Tätigkeit in einem Krankenhaus in Äthiopien

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Publication Date:
19 February 2010 (online)

 
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Im November 2008 begann ich mit einer 4-monatigen ehrenamtlichen Tätigkeit in einem privaten Krankenhaus in Adama-Nazaret. Dies ist die Hauptstadt der Oromo-Einwohner, die mit ungefähr 33 Millionen mehr als 1 Drittel der Bevölkerung Äthiopiens ausmachen. Des Weiteren verteilt sich die Bevölkerung des Landes mit etwa 30 % auf die Amharen sowie die Tigre, deren Anteil mit 13 Millionen ungefähr 14 % der Bevölkerung beträgt. Die restliche Bevölkerung setzt sich aus Nomadenstämmen zusammen, die vorwiegend im Süden des Landes leben und sich teilweise aus nur einigen 10 000 Menschen zusammensetzen. Die Gesamteinwohnerzahl Äthiopiens beträgt 84 Millionen.

Die Oromo entstammen ursprünglich einem einzigen Stamm, welcher das Horn von Afrika bevölkerte. Sie führten mit ihrem Vieh ein Nomadenleben. Durch die zunehmende Trockenheit waren sie gezwungen, mit ihrem Vieh besseres Weideland zu suchen, das sich in ihrem jetzigen Siedlungsgebiet befindet. In den östlichen Gebieten sind sie durch den Einfluss der arabischen Kaufleute islamisiert worden, in den südlichen Gebieten christianisiert. Einige sind bei ihrem traditionellen Glauben geblieben und huldigen dem Gott "Waq."

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Die Patienten bezahlen für jede Leistung

Die Stadt Adama, auch Nazaret genannt, hat über 300 000 Einwohner und befindet sich 100 km südöstlich von der Hauptstadt Addis Abeba. Die ärztliche Versorgung der Stadt besteht aus einem staatlichen Krankenhaus mit 200 Betten und einer Ambulanz, in der etwa 500-600 Patienten täglich versorgt werden. Zudem ist eine Vielzahl von "Clinics" vorhanden. Das sind Praxen, die privat geführt werden und wo die Patienten jede Leistung bezahlen müssen. Im staatlichen Krankenhaus muss ebenfalls für alles bezahlt werden, aber in einem geringeren Ausmaß.

Das Krankenhaus, in dem ich tätig war, wird privat geführt und hat eine Kapazität von 60 Betten mit einer internistischen Abteilung von etwa 20 Betten, eine chirurgische und gynäkologische Abteilung mit 300 Geburten im Jahr, eine radiologische Abteilung mit Sonografie und eine Tuberkulose- (TB) und HIV-Beratungsstelle. Die Ambulanz betreut zirka 100 Patienten täglich.

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Patienten aus einem Umkreis von 400 Kilometern

Die Patienten kommen aus einem Umkreis von bis zu 400 km! Auf die Frage, warum sie nicht ein Krankenhaus in ihrer Umgebung aufgesucht haben, antworten sie, sie hätten gehört, dass es hier gut wäre. Sie nehmen dafür Busfahrten von bis zu 12 Stunden auf sich. Die Patienten kommen morgens oder am späten Vormittag in der Ambulanz an und erwarten dann auch, am späten Nachmittag durchgecheckt worden zu sein, weil sie dann in ihre Dörfer zurück fahren wollen. Eine Übernachtung ist auch eine Kostenfrage. Die Verweildauer im Krankenhaus beträgt höchstens 2-3 Tage. Auch schwerstkranke Patienten verlassen das Krankenhaus, sobald sie wieder auf den Beinen stehen können.

Die Ambulanz wird bei voller Besetzung von 3 Ärzten geführt, die auch gleichzeitig die Stationen betreuen. Zudem gibt es eine Notfallaufnahmestation mit 3 Betten. Hier werden Patienten auch kurzfristig für eine Infusion oder eine sonstige ärztliche Maßnahme aufgenommen. Außerdem operiert am Wochenende ein chirurgisches Team, das aus Addis Abeba anreist, 10-15 Patienten mit Hasenscharten aus dem ganzen Land kostenlos. Bislang sind davon über 500 operiert worden, was ein Segen für die betroffenen Kinder oder Jugendlichen ist, denn um solche handelt es sich. Die anfallenden Kosten werden von einer ausländischen Wohltätigkeitsorganisation übernommen.

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Gastrointestinale Erkrankungen sind am häufigsten

Bei 380 Patienten wurden in der Ambulanz folgende Krankheitsbefunde erhoben:

  • gastrointestinale Erkrankungen: 23,68 %

  • fieberhafte Erkrankungen: 21,05 %

  • Lungenerkrankungen (TB/Pneumonien): 13,15 %

  • Urogenitalerkrankungen: 10,52 %

  • HIV: 5,26 %

  • andere: 26,31 %

Am häufigsten kommen Patienten mit gastrointestinalen Beschwerden, insbesondere Oberbauchbeschwerden, und mit klinischen Symptomen einer Gastritis oder eines Ulcus ventriculi bzw. duodeni assoziiert mit einem positiven Helicobacter-pylori-Laborbefund vor. Die Anamnesen gehen über Monate oder auch schon Jahre. Die Ernährung mit Inshira, ein säuerlicher Pfannkuchen, der häufig mit einer scharf gewürzten Soße gegessen wird, spielt hierbei eine Rolle, da vermehrt Magensäure produziert wird. In Kombination mit einer immer vorhandenen Helicobacter-Infektion resultieren die Oberbaucherkrankungen. Demzufolge treten auch gehäuft Magenblutungen und Ulcusperforationen sowie Magenausgangsstenosen auf.

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Einführung der Gastroskopie

In Adama führte ich die Gastroskopie im Krankenhaus ein. Eine moderne Olympus-Gastroskopie-Einrichtung war vorhanden, aber niemand konnte sie bedienen. Laut den äthiopischen medizinischen Leitlinien wird bei den Symptomen eines Ulcus in Kombination mit einem positiven Helicobacter-Befund eine Triple-Therapie durchgeführt.

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Durchfallerkrankungen verschiedener Ätiologie

Außer den sehr häufig auftretenden Oberbauchbeschwerden im Sinne einer Ulcuserkrankung klagten die Patienten über Beschwerden paraumbilical, teilweise mit Durchfällen. Bei den durchgeführten Stuhluntersuchungen wurden Helminthen-Trichiuriasis, Taeniasis, Hymenolepisiasis, Ascariasis, Protozoen-Lambliasis und Amöbiasis gefunden. Häufig gelang der Nachweis von Proglottiden des Rinderbandwurmes, Taenia saginata. Die Äthiopier konsumieren große Mengen an rohem Rindfleisch. In den Schlachtereien hängt das frische Fleisch aus und wird direkt vor Ort roh gegessen.

Diarrhöen sind ein häufiges Krankheitsbild. Die Ätiologie ist uneinheitlich und wird von einer Vielzahl von Krankheitserregern ausgelöst. Eine Diagnose konnte man in den meisten Fällen einer bakteriellen oder viralen Infektion nicht stellen, sodass eine symptomatische Behandlung durchgeführt wurde - es sei denn, es wurde ein Parasitenbefall festgestellt, den man dann gezielt therapieren konnte.

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Malaria

Unter den fieberhaften Erkrankungen ist in 1. Linie an eine Malaria zu denken, die in Äthiopien in Höhenlagen von unter 2200 m ganzjährig vorkommt. Zu 85 % handelt es sich um eine Malaria-tropica-Infektion. Das Vorkommen in der Gegend von Nazaret ist jahreszeitenabhängig. In der Regenzeit und kurz danach ist die Infektionsrate und dadurch das Erkrankungsvorkommen hoch und ebbt mit dem Fortschreiten der Trockenzeit deutlich ab.

Es wichtig, die Patienten zu befragen: "Unde venis" (die Awash-Ebene), durch die der gleichnamige Fluss fließt, ist ein endemisches, ganzjähriges Malariagebiet. Wenn Patienten von dort mit Fieber zur Aufnahme kommen, leiden sie meist an einer schweren Tropica. Diese Patienten sind schwerstkrank bzw. intensivpflichtig. Sie werden von ihren Angehörigen in einem präkomatösen Zustand gebracht. Im Krankenhaus werden sie mit einer Chinininfusion therapiert.

Sowie sich der Zustand etwas gebessert hat, sie also Tabletten schlucken und mit Hilfe gerade so auf den Beinen stehen können, verlassen sie das Krankenhaus mit einer entsprechenden ambulanten Behandlung. Bei uns würden diese Patienten noch intensivpflichtig sein. Interessanterweise sind aus diesem Gebiet mehrere junge Patienten mit einem tropischen Splenomegaliesyndrom gekommen. Der Grund dafür, sich in Behandlung zu begeben, waren starke Schmerzen unter dem linken Rippenbogen bedingt durch eine ausgeprägte Milzvergrößerung.

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Salmonellen und Urogenitalerkrankungen

Jahreszeitlich unabhängig sind Infektionen mit Salmonella typhi, die in Äthiopien weit verbreitet sind. Die Diagnose des Typhus abdominalis, im englischen Sprachgebrauch "Typhoid fever" genannt, wird aber meiner Meinung nach zu häufig gestellt, da der Widal-Agglutinationstest noch verwendet wird. Dieser ist sehr häufig positiv, weil er auf verschiedene Salmonellenspezies anspricht und somit auch bei durchgemachten Infektionen einen positiven Befund ergibt. Sinnvoller wäre eine Titrierung, aber diese ist mit mehr Kosten verbunden.

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Bilder: Dr. Arend Schaller

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Bilder: Dr. Arend Schaller

Urogenitalerkrankungen betrugen 10,52 % des Krankenguts. Hierbei handelte es sich meist um Zystitiden und Pyelonephritiden, überwiegend bei Frauen. Bei Männern überwogen Nierenkoliken. Eine Erklärung hierfür könnte eventuell die zu geringe Tagestrinkmenge sein. Die Äthiopier trinken auffallend wenig und lehnen immer Wasser bei hohen Tagestemperaturen ab. Dieser Umstand wäre eine Untersuchung wert.

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Tuberkulose und HIV

Bei den Lungenerkrankungen rangiert an 1. Stelle die Lungen-TB. Die Patienten kommen leider erst nach einer längeren Krankheitsanamnese mit Husten, Schwitzen und deutlicher Gewichtsabnahme ins Krankenhaus. Die Röntgenaufnahmen der Lunge zeigen ausgeprägte Befunde mit einem Befall teilweise beider Lungenhälften. In solchen Fällen ist immer an eine zusätzliche HIV-Infektion zu denken, die oft auch vorhanden ist.

Nach den äthiopischen Leitlinien wird 2 Monate eine 3-fach-Therapie durchgeführt und anschließend, wenn alles komplikationsfrei verläuft, für 6 Monate eine 2-fach-Therapie. Die Medikamente für die Behandlung sind kostenlos und werden von der Organisation USAID ("United States Agency for International Development") gespendet. Zur Diagnostik zählen das Röntgenbild und der Sputumbefund. Fälle mit offener TB sind sehr häufig. Die Patienten werden von einer Krankenschwester oder einem Krankenpfleger, die speziell zur Betreuung von TB- und HIV-Patienten geschult worden sind, betreut. Sie müssen ihre Medikamente in regelmäßigen Abständen abholen. Unter den extrapulmonalen TB-Infektionen kamen am häufigsten Fälle von Peritoneal-TB vor, ein Fall von Wirbelsäulen-TB bei einem Kind mit Gibbusbildung und eine Haut-TB.

Die HIV-Infektionen sind ein Kapitel für sich und für den äthiopischen Staat ein enormes volkswirtschaftliches Problem. Laut offizieller Statistiken besteht eine Infektionsrate von 7,7 % in den Städten und von 0,9 % auf dem Land. Die Stationen auf der inneren Abteilung im staatlichen Krankenhaus sind fast zu 3 Vierteln mit AIDS-Patienten im Stadium 4 belegt. Das sind schwerstkranke Patienten mit gleichzeitigen Lungentuberkulosen, Pneumonien und anderen immundefizienten Erkrankungsbildern. Sie erfordern einen Höchstaufwand an pflegerischem Einsatz.

Am staatlichen Krankenhaus ist eine HIV-Beratungs- und Medikamenten-Ausgabestelle angegliedert, die pro Jahr an 12 000 kranke HIV-Patienten entsprechende Medikamente verteilt und Kontrolluntersuchungen durchführt. Im Jahre 2007 sind schätzungsweise 71 902 Patienten an HIV/AIDS in Äthiopien gestorben. Die am meisten betroffene Bevölkerungsgruppe sind Erwachsene zwischen 19 und 49 Jahren. 2008 lebten 1 Million Einwohner mit HIV in Äthiopien.

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Viele Tumor-, kaum Gefäßerkrankungen

Unter dem Begriff "andere", die 26,36 % der Krankheitsfälle ausmachten, finden sich Erkrankungen, die auch in unseren Breiten auftreten. Dies sind etwa banale Infekte, Herzklappenfehler, Myokarditiden, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus und einige Patienten mit arteriellem Hypertonus, aber in einer deutlich geringeren Anzahl und häufiger bei der Stadtbevölkerung bzw. bei Angestellten oder Staatsbediensteten. Dieser Personenkreis geht auch wegen geringfügiger Bagatellerkrankungen zum Arzt, was die Landbevölkerung nicht macht.

Auffallend war die relative Häufung von Tumorerkrankungen wie etwa Hepatome (6 Fälle), Ösophagustumoren (5 Fälle), Pankreas- (1 Fall), Gallenblasen- (1 Fall), Oropharyngeal- (1 Fall) und Knochentumoren (1 Fall). Die recht große Anzahl an Ösophagustumoren ist wahrscheinlich auf die mangelnde Therapiemöglichkeit der Refluxösophagitis zurückzuführen, was die Patienten häufig anamnestisch berichten.

Bei Patienten mit Aszites ist die Diagnose oft nur schwer zu stellen, bedingt unter anderem durch Leberzirrhosen, nephrotische Syndrome, Lebertumoren und am häufigsten durch Peritonealtuberkulose. Letztere sprechen sehr gut auf eine tuberkulostatische Behandlung an und nach zirka 2 Monaten ist schon bei vorher desolaten Fällen ein sehr guter Therapieerfolg sichtbar.

Krankheitsbilder bedingt durch Gefäßerkrankungen sind äußerst selten. In den 4 Monaten, in denen ich immerhin etwa 1600 Patienten gesehen habe, gab es keinen Herzinfarkt sowie keine AVK und keine Angina pectoris. Patienten, die Verkehrsunfälle hatten, kamen direkt in die Notaufnahme und sind in obiger Statistik nicht erfasst. Äthiopien ist das Land mit den meisten Verkehrsunfällen in Afrika.

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Hohe Anforderungen an die Ärzte

Zusammenfassend gesehen war das Krankengut äußerst vielfältig und täglich traten neue diagnostische Herausforderungen an mich heran. Durch die doch relativ guten diagnostischen Möglichkeiten war die Tätigkeit sehr befriedigend und viele Patienten konnten in einem guten Zustand auf den Heilungsweg gebracht werden. Die Patienten waren zwischen 15 und 75 Jahre alt, wobei die größte Anzahl auf die 15-35-Jährigen entfiel. Mit 40 zählt man schon zu den Älteren. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Äthiopien bei 45-47 Jahren.

Deprimierend war die hohe Anzahl an HIV-Infektionen in den Städten, die sich vorwiegend bei der jüngeren Bevölkerungsgruppe ausbreitet und lebenslange Betreuung erfordert sowie hohe Kosten verursacht. Außerdem gehen viele Arbeitsstunden durch die Erkrankung verloren sowie durch Fehlzeiten wegen der Teilnahme an Beerdigungen usw. Das äthiopische Gesundheitssystem leidet an einem Ärztemangel, sodass die hohe Anzahl an schwerstkranken HIV-Patienten die schon angespannte Lage in den Krankenhäusern weiter verschärft.

Eine Tätigkeit in einem Land der so genannten Dritten Welt stellt hohe Anforderungen an die Diagnostik und an das ärztliche Wissen. Ich bereute häufig, zu wenig Erfahrung in anderen Fachgebieten zu haben. Aber unterm Strich ist es eine äußerst befriedigende und spannende Zeit für mich gewesen und bestimmt nicht der letzte Einsatz in diesem Land.

Dr. Arend Schaller, D.T.M. & H., London (England)

 
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Bilder: Dr. Arend Schaller

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