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DOI: 10.1055/s-0030-1249423
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Neue Influenza A/H1N1 - Vorläufige klinische Erfahrungen in den USA
Publication History
Publication Date:
22 March 2010 (online)
- Grunderkrankungen, Schwangerschaft und Adipositas als Risikofaktoren
- Jüngere stärker gefährdet
- Fazit
- Kommentar zu den Studien
Mitte April 2009 bestätigte die amerikanische Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) die erste Infektion eines US-Bürgers mit dem H1N1-Virus. In einem nun veröffentlichten Bericht werden die klinischen Befunde von 272 stationären Patienten beschrieben. N Engl J Med 2009; 361: 1935-1944
S. Jain et al. haben die Daten von 272 Patienten aus 24 US-Bundesstaaten ausgewertet, die wegen grippeähnlicher Symptome für mindestens 24 Stunden stationär aufgenommen wurden und an einer PCR-bestätigten Infektion mit dem H1N1-Virus erkrankt waren. Die Daten wurden dem CDC zwischen 1. Mai und 9. Juni 2009 auf freiwilliger Basis gemeldet. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 21 Jahre, 45 % waren unter 18 Jahre alt, nur 5 % waren älter als 65 Jahre. Bei 73 % (Kinder 60 %, Erwachsene 83 %) lag eine chronische Grunderkrankung oder eine Schwangerschaft vor. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen und knapp ein Drittel der Kinder waren übergewichtig.
#Grunderkrankungen, Schwangerschaft und Adipositas als Risikofaktoren
Alle Patienten litten an Fieber und Husten und 39 % an Durchfall oder Erbrechen. Von 249 geröntgten Patienten zeigten 100 (40 %) auf der Thoraxaufnahme pneumonische Infiltrate, meist bilateral (n = 66). 75 % der Erkrankten (200/268) wurde antiviral behandelt. Im Schnitt vergingen 3 Tage bis zur Therapieeinleitung. 79 % (206/260) erhielten Antibiotika und 36 % (86/239) Kortikosteroide.
Ein Viertel der Patienten (67/272) musste auf die Intensivstation aufgenommen werden. 45 von ihnen hatten eine chronische Erkrankung, 6 Frauen waren schwanger. 42 Patienten wurden künstlich beatmet. 86 % (56/65) der Patienten erhielten eine Therapie mit Neuraminidasehemmern, die aber nur in 23 % der Fälle (n = 13) binnen 48 Stunden erfolgte. Im Schnitt dauerte es 6 Tage bis die antivirale Therapie begonnen wurde.
#Jüngere stärker gefährdet
19 Patienten (7 %) im Alter von 1-57 Jahren starben. Davon waren 13 Patienten chronisch krank oder schwanger. Alle waren intensivmedizinisch betreut und beatmet worden. Keiner der Verstorbenen hatte innerhalb von 48 Stunden nach Krankheitsbeginn eine antivirale Therapie erhalten. Im Schnitt lagen 8 Tage dazwischen. Patienten, die starben, waren in der Saison 2008-2009 seltener gegen die saisonale Grippe geimpft worden. In der multivariablen Analyse erwies sich eine rasche antivirale Therapie binnen 2 Tagen als einziger Faktor, der mit einem positiven Ergebnis assoziiert war.
#Fazit
Die neue Influenza kann schwere Komplikationen verursachen, die stationäre bzw. intensivmedizinische Aufnahmen erfordern. Obwohl die meisten dieser Patienten chronisch krank bzw. schwanger waren, zeigten auch jüngere gesunde Personen schwere Verläufe. Bei hospitalisierten Patienten, aber auch bei ambulanten Risikopersonen sollte eine empirische antivirale Therapie erwogen werden, so die Autoren. Auch wenn die Vorteile der Therapie bei frühzeitigem Beginn am größten seien, sollte sie auch jenseits des 48-Stunden-Fensters in Betracht gezogen werden.
Renate Ronge, Münster
#Kommentar zu den Studien
Der Scheitelpunkt der pandemischen Neuen Influenza scheint zunächst überschritten - seit der 49. Kalenderwoche 2009 ist die Fallzahl in Deutschland deutlich rückläufig, wobei der "neue" Stamm die Erreger der saisonalen Influenza weiterhin komplett verdrängt. Ein erneuter Erkrankungsgipfel in diesem Winter kann allerdings nicht ausgeschlossen werden - der richtige Zeitpunkt also für eine Zwischenbilanz, wozu die in dieser Ausgabe der Pneumologie referierten Arbeiten zum Verlauf der Infektion im Krankenhaus sicher hilfreich sind. Sie bestätigen, dass von dieser Infektion im Gegensatz zur saisonalen Influenza vor allem jüngere Patienten betroffen sind, davon in der US-amerikanischen Studie von Jain et al. (im Heft auf S. 69) immerhin 27 % Patienten ohne Grunderkrankungen oder andere Risikofaktoren. Auch die hohe Rate an Pneumonien ist im Vergleich zur saisonalen Influenza bemerkenswert. Für den Pneumologen interessant ist die Beobachtung, dass Asthmatiker mit 28 % zahlreich vertreten waren, während die COPD, möglicherweise auch aus Altersgründen, eine geringe Rolle spielt. Schwangere sind in allen Studien überrepräsentiert. Frühzeitige antivirale Therapie war mit einem günstigen Ausgang assoziiert. Bei den schweren Verläufen mit Beatmungsindikation überwiegen Patienten mit Risikofaktoren; in der Studie der australischen und neuseeländischen Kollegen stieg das Risiko eines letalen Ausgangs mit dem Alter an. Während fortgeschrittenes Alter also aufgrund der Restimmunität aus früheren Dekaden (s. die Studie von Hancock et al. im Heft auf S. 68) einen gewissen Schutz vor der Infektion bietet, ist bei eingetretener Erkrankung eher das Gegenteil der Fall. Das mehrheitlich junge Alter der hospitalisierten Patienten mit H1N1-Infektion ist wahrscheinlich auch der Grund für die moderate Letalität bei beatmeten Patienten. Dies sollte zum Ausschöpfen aller therapeutischen Optionen ermutigen: Immerhin hatten in einer ebenfalls Ende 2009 publizierten Arbeit (Davies et al. JAMA 2009;302:1888-1895) 79 % der Patienten mit pneumonieassoziiertem ARDS und Indikation zur extrakorporalen Membranoxygenation (ECMO) überlebt.
Prof. Klaus Dalhoff, Lübeck