Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(1): 8-11
DOI: 10.1055/s-0030-1249642
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Störungen des Fütterns und des Schluckens bei Kindern: Gesundheitsstatus, Populationstrends und die Anwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)[*]

Pediatric Feeding and Swallowing Disorders: State of Health, Population Trends, and Application of the International Classification of Functioning, Disability, and HealthM. A. Lefton-Greif1 , J. C. Arvedson2 , Ins Deutsche übertragen vonM. Hielscher-Fastabend3
  • 1Department of Pediatrics, Eudowood Division of Pediatric Respiratory Sciences, The Johns Hopkins Medical Institutions, Baltimore, Maryland
  • 2Children's Hospital of Wisconsin-Milwaukee and Medical College of Wisconsin-Milwaukee, Wisconsin
  • 3Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Fakultät III für Sonderpädagogik, Reutlingen
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Publication History

Publication Date:
26 March 2010 (online)

Zusammenfassung

In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Definition des Gesundheitsbegriffs stark verändert: von einer Krankheits- und Störungsorientierung hat sich die Sicht hin zu einer Integration von funktionsorientierten Aspekten und der Idee der Teilhabe entwickelt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) liefert mit der „International Classification of Functioning, Disability, and Health“ (ICF) ein potenzielles Paradigma zur Kodierung des funktionalen Status einer Person und zur Etablierung einer gemeinsamen, standardisierten Sprache, die eine exakte Beschreibung und Erforschung von Gesundheit und gesundheitsbezogenen Bereichen erlaubt. Die Anwendung der ICF kann bedeutsame Vorteile in der Arbeit mit Kindern mit Störungen der Nahrungsaufnahme und Schluckstörungen bringen. In dem vorliegenden Artikel beschreiben die Autoren die Veränderungen in der Definition von „Gesundheit“ und geben eine Begründung für die ICF, sie liefern einen Überblick zum aktuellen Stand der Populationsentwicklung, die relevant für kindliche Fütter- und Schluckstörungen sind, und sie skizzieren mögliche Anwendungen der ICF in diesem Kontext.

Abstract

Over the past two decades, the definition of the state of health has been expanded from a disease-based condition to one that includes the impact of the disease on an individual's ability to function. The World Health Organization identified the International Classification of Functioning, Disability, and Health (ICF) as a potential framework for coding functional status and establishing a common, standardized language to describe and study health and health-related domains. The ICF could have significant benefits for speech-language pathologists working with children with feeding and swallowing problems. In this article, the authors describe the changes in the definition of health and justification for the ICF, review population trends relevant to pediatric feeding and swallowing disorders, and summarize potential applications of the ICF.

Literatur
Literatur

1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Übersetzung ins Deutsche von folgendem Originalartikel: Lefton-Greif MA, Arvedson JC. Pediatric Feeding and Swallowing Disorders: State of Health, Population Trends, and Application of the International Classification of Functioning, Disability, and Health. Semin Speech Lang 2007; 28 (3): 161–165.

1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Übersetzung ins Deutsche von folgendem Originalartikel: Lefton-Greif MA, Arvedson JC. Pediatric Feeding and Swallowing Disorders: State of Health, Population Trends, and Application of the International Classification of Functioning, Disability, and Health. Semin Speech Lang 2007; 28 (3): 161–165.

Ergänzender Kommentar

Eine Anwendung der ICF-Standards auf verschiedene Störungsbilder im Bereich der Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen wird inzwischen auch im deutschen Sprachraum in guten Überblicksarbeiten diskutiert [1, 2]. Die deutsche Fassung der ICF, bzw. der ICF-Y für Kinder und Jugendliche, kann auf der Internetseite des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI unter: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm herunter geladen werden.

In der ICF sind die verschiedenen Ebenen der Beschreibung mit jeweils einem Buchstaben kodiert und weitergehend mit Ziffern für die verschiedenen Komponenten. So steht ein „s“ (structure) für die Codes der Körperstruktur, ein „b“ (body function) steht für die Körperfunktionen, ein „d“ (domaine) steht für Bereiche relevanter Aktivitäten, „p“ für Partizipation in bestimmten sozialen Kontexten und „e“ steht für Aspekte der (externen) Umweltfaktoren. Personenbezogene Faktoren sollen beschrieben werden, eine Klassifikation ist aufgrund der hohen internationalen Diversitäten und Normunterschiede nicht vorgesehen. Strukturen, die an der Stimme und den Sprachfunktionen beteiligt sind, werden in Kapitel 3 kodiert, so unter Nummer 320 die Strukturen des Mundes, z. B. die Zunge oder das Gaumensegel, unter 330 der Pharynx und unter 340 der Kehlkopf. Allerdings fehlen einige für das Schlucken relevante Teilstrukturen z. B. des Hyoids. Schluckfunktionen werden in Kapitel 5 der ICF kodiert, welches Informationen zu Strukturen und Funktionen des Verdauungs-, Stoffwechsel- und endokrinen Systems definiert, so z. B. Störungen der oralen Schluckphase (b51050) oder der pharyngealen Schluckphase (b51051). Eine spezifische Kodierung der Aspiration wird nicht vorgesehen, obwohl diese Problematik im Text konkret angesprochen wird. Natürlich können auch Wahrnehmungsprobleme eine Rolle bei der Dysphagie spielen, die z. B. unter b1563 „Geschmackswahrnehmung“ oder b1564 „taktile Wahrnehmung“ gefasst werden können. Andere relevante Aspekte bezogen auf Ess- und Trinkverhalten und auf Zahnpflege sind in den Bereichen der Aktivitäten und Partizipation kodiert, so sind z. B. unter d550 die Aktivität des Essens und unter d560 des Trinkens aufgeführt.

Besonders relevante Aspekte für die Dysphagiediagnostik und -therapie bilden die gestörten, wie auch die erhaltenen Funktionen, sowie die Bereiche der Aktivität und Partizipation. Es liegen bislang jedoch erst wenige psychometrisch abgesicherte Verfahren zur Erfassung der Beeinträchtigungen in diesen Bereichen vor (vgl. [2], im deutschen Sprachraum z. B.

  • für Funktionen das NZIMES [3], KVI [4] und die PAS [5, 6] (siehe [Abb. 1]),

  • für Aktivität und Partizipation z. B. das SWAL-QOL [7, 8].

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Abb. 1 Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek et al. 1996 [5]; deutsche Übersetzung von Stanschus 2002 in der Reliabilitätsüberprüfung durch Awounou & Stanschus 2008, S. 75, [6].

Die genannten Verfahren sind zudem an die Notwendigkeiten der kindlichen Beeinträchtigungen zu adaptieren und durch Angaben von Eltern und Pflegekräften zu ergänzen. Verfahren der Erfassung kindlicher oral-motorischer Auffälligkeiten und Nahrungsaufnahmeprobleme liegen ebenfalls zum Teil schon in deutscher Übertragung vor (vgl. Jödicke [9] und van Engel-Hoek [10]), sind jedoch noch nicht psychometrisch abgesichert. Dieser diagnostische Fokus muss Berücksichtigung in der Etablierung von Standards für eine evidenzbasierte Behandlung finden, speziell bei den Risikogruppen Frühgeborener und untergewichtiger Säuglinge [11].

Prof. Dr. Martina Hielscher-Fastabend, Ludwigsburg/Reutlingen

Korrespondenzadresse
Originalarbeit

M. A. Lefton-GreifPhD CCC-SLP BRS-S 

The David M. Rubenstein Child

Health Building, Eudowood

Division of Pediatric Respiratory

Sciences, 200 N. Wolfe Street,

MD 21287 Baltimore

Email: mlefton@jhmi.edu

Deutsche Übertragung

Prof. Dr. M. Hielscher-Fastabend

Pädagogische Hochschule

Ludwigsburg

Fakultät III, Pestalozzistr. 53

72762 Reutlingen

Email: hielscher-fastabend@phludwigsburg.de