Während in Deutschland über eine Revision des Transplantationsgesetzes nachgedacht wird, plant die Europäische Union einheitliche Vorschriften zur Organspende und -transplantation. Gemeinsame Qualitäts-, Sicherheits- und Dokumentationsstandards sollen als Konzept gegen den EU-weiten Organmangel dienen und die Transplantationsmedizin in den Mitgliedsländern vorantreiben. Die deutschen Selbstverwaltungsorgane und die Bundesregierung stehen dem Regulierungsansatz skeptisch gegenüber. Sie fürchten um das hohe Niveau der deutschen Transplantationsmedizin.
Zwölf Jahre nach seinem Inkrafttreten steht das deutsche Transplantationsgesetz (TG) auf dem Prüfstand. Ein Grund hierfür ist, dass die durch das Gesetz erhoffte Steigerung der Organspenden bislang ausgeblieben ist. So ist die Zahl der gespendeten Organe seit einigen Jahren nahezu konstant. 2009 betrug sie nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 3 897. Auch die Zahl der Transplantationen blieb mit 4 050 gegenüber dem Vorjahr unverändert.
Zu wenig Spenderorgane in den EU-Staaten
Zu wenig Spenderorgane in den EU-Staaten
Doch nicht nur innerdeutsch wird darüber diskutiert, wie sich die Organspendebereitschaft steigern und die Sicherheit und Qualität der Transplantationsmedizin verbessern lassen kann. Mit einheitlichen Standards will auch die Europäische Union (EU) dem europaweiten Organmangel entgegenwirken und die Behandlungsmöglichkeiten bei den Organspenden in den einzelnen Mitgliedstaaten vorantreiben.
Denn in den meisten EU-Staaten herrscht ein mindestens ebenso großer Mangel an Organspenden, wie in Deutschland. Auf 1 Million Einwohner kommen EU-weit im Durchschnitt nur 16 potenzielle Spender - hierzulande sind es 15.
Hinzu kommt, dass in vielen Ländern ein erheblicher Nachholbedarf bei medizinischen Infrastrukturen und Leistungen in der Transplantationsmedizin besteht. Zahlreiche osteuropäische Staaten bewegen sich rechtlich noch in einer Grauzone.
Die Folge der fehlenden beziehungsweise unzureichenden Gesetzgebung: 56 000 Europäer warten derzeit auf ein Spenderorgan. Zwölf von ihnen sterben täglich, während sie auf der Warteliste für eine Transplantation stehen.
Bild: CD 03 Health & Medicine
Zehn-Punkte-Plan zur EU-weiten Förderung von Organspenden
Zehn-Punkte-Plan zur EU-weiten Förderung von Organspenden
Im Dezember 2008 legte EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou daher einen Richtlinienvorschlag sowie einen Zehn-Punkte-Plan vor, um Organspenden EU-weit zu fördern und sicherer zu machen. Der Brüsseler Behörde kommt es dabei vor allem darauf an, den Austausch der EU-Länder über bewährte Praktiken in der Transplantationsmedizin zu fördern, das Bewusstsein der Ärzte und der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Organspenden zu schärfen und das Risiko der Übertragung von Erregern wie das HI-Virus oder Hepatitis-Viren durch Organtransplantationen zu senken.
Ziel der Richtlinie, die derzeit im Europäischen Parlament und zwischen den EU-Fachministern diskutiert wird, ist es, Mindeststandards für die Entnahme und den Transport von Organen sowie deren Rückverfolgbarkeit zu definieren. Ferner sollen die Mitgliedstaaten Qualitätssicherungsprogramme sowie Berichtssysteme für Komplikationen durch Transplantationen einführen. Einzelstaatliche Einrichtungen sollen die Definition und Kontrolle der Qualität und Sicherheit von Transplantationseinrichtungen übernehmen. Einheitliche Beschreibungen von Organmerkmalen sollen die Zuordnung zu einem geeigneten Empfänger sowie den Austausch von Organen über Ländergrenzen hinweg erleichtern.
Ein grenzüberschreitender Austausch von Organen findet bislang fast ausschließlich im Rahmen von bi- oder multilateralen Abkommen statt. So werden etwa ein Viertel der über Eurotransplant vermittelten Organe grenzüberschreitend zwischen den Mitgliedsländern ausgetauscht (s. Kasten). Allerdings sind dem überregionalen Organaustausch natürliche Grenzen gesetzt, da lange Transportzeiten die Ischämierate erheblich vermindern.
Organvermittlungsstellen in Europa
Organvermittlungsstellen in Europa
Eurotransplant:
Eurotransplant ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz im niederländischen Leiden. Die Stiftung koordiniert den Austausch von Organspenden innerhalb Europas. Dem Netz angeschlossen sind Transplantationseinrichtungen sowie Gewebetypisierungslabors in Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Slowenien. Im Einzugsgebiet leben rund 124 Millionen Menschen. Derzeit sind über die mehr als 70 beteiligten Transplantationskliniken etwa 15 000 Patienten auf einer gemeinsamen Warteliste registriert. Zwischen 1967 und 2007 hat Eurotransplant 122 000 Organe vermittelt.
Scandiatransplant:
Für die Vermittlung von Organen im Norden Europas ist vorrangig die Organisation Scandiatransplant zuständig. Ihr Radius umfasst die Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Scandiatransplant haben sich alle 12 nordischen Transplantationszentren sowie 8 immunologische Labors angeschlossen. Die Organisation gibt es seit 1969.
Balttransplant:
Auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen verfügen über eine eigene Stelle zur grenzüberschreitenden Vermittlung von Organen: die Organisation Balttransplant.
UK-Transplant:
Aufgabe von UK-Transplant ist es, das Transplantationswesen in Großbritannien und Irland zu unterstützen sowie Organspenden innerhalb und zwischen den Ländern zu fördern. Die Organisation ist Teil des staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service).
Transplantationskoordinatoren für mehr Spendebereitschaft?
Transplantationskoordinatoren für mehr Spendebereitschaft?
Das europäische Regelwerk will zudem den illegalen Organhandel in allen 27 EU-Staaten verbieten und die Mitgliedsländer dazu verpflichten, eine freiwillige und unentgeltliche Spende sicherzustellen. Der Zehn-Punkte-Plan wiederum sieht unter anderem vor, dass die Mitgliedstaaten in allen größeren Krankenhäusern Transplantationskoordinatoren einführen. Vorbild hierfür ist Spanien.
Diesen Vorschlag hält der Arzt und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese für sinnvoll: "Transplantationskoordinatoren spielen, wie das Beispiel Spanien zeigt, eine ganz entscheidende Rolle, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen." Seit in Spanien flächendeckend entsprechend ausgebildete Fachkräfte eingestellt wurden, stieg die Zahl der Spender auf 35 je 1 Million Einwohner. Auch das belgische System profitiert davon, dass viele Kliniken Transplantationskoordinatoren beschäftigen. Hier kommen 25 Spender auf 1 Million Einwohner.
Eine auf Einladung des spanischen Gesundheitsministeriums im Frühjahr 2009 durchgeführte Studienreise europäischer Krankenhausverbandsvertreter hingegen ergab, dass sich das spanische Modell nicht so ohne weiteres auf andere EU-Mitgliedstaaten übertragen lässt. Besonders gering stuften die Experten den Exporteffekt auf Mitgliedstaaten wie Deutschland ein, die selbst bereits über hoch entwickelte Strukturen im Bereich der Organspende und -transplantation verfügen.
"Zwar basiert das Erreichen der weltweit höchsten Organspendenrate in Spanien auf einer stringenten und effektiven Organisation", so der stellvertretende Bereichsleiter Politik und Europarechtsexperte der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Marc Schreiner. Im Wesentlichen hinge der Erfolg aber vom persönlichen Engagement der Transplantationskoordinatoren ab.
Ab wann sind Organentnahmen zulässig?
Ab wann sind Organentnahmen zulässig?
Ethisch bedenklich sind aus Sicht der DKG zudem die in einigen spanischen Krankenhäusern implementierten "DCD-Programme", bei denen Organe bereits nach Eintreten des Herzstillstandstodes (death after cardiac disease) entnommen werden. In solchen Einrichtungen betrage die DCD-Spendenrate bis zu 30 %, bestätigt Schreiner.
In Deutschland sind Organentnahmen erst nach dem irreversiblen Gehirntod zulässig. Gleichwohl streiten weder die DKG noch die Bundesärztekammer (BÄK) ab, dass viele deutsche Kliniken ihrem gesetzlichen Auftrag, der DSO potenzielle Spender zu nennen, nicht in ausreichendem Maße nachkommen. Diese Verpflichtung müsse zum täglichen Handeln werden, so Dr. Martina Wenker vom Vorstand der BÄK. Auf einer Tagung der BÄK Ende Januar in Berlin wurde seitens der Bundesländer sogar die Forderung laut, bei einer Überarbeitung des Transplantationsgesetzes über Sanktionsmöglichkeiten für Krankenhäuser nachzudenken, die gestorbene und geeignete Patienten nicht zur Transplantation melden.
Die EU-Vorschläge hingegen beurteilen sowohl die ärztlichen Selbstverwaltungsorgane als auch die Bundesregierung kritisch. Sie fürchten, dass die "Brüsseler Zentralisierungspläne" zu mehr Kosten und Bürokratie führen und das Niveau der Transplantationsmedizin in Deutschland gefährden könnten.
Kritik an staatlicher Überwachung der Transplantationsmedizin
Kritik an staatlicher Überwachung der Transplantationsmedizin
Ein Dorn im Auge ist ihnen vor allem die geplante Einführung staatlicher Administration in der Organspende, da dies die Stellung der DSO gefährden könnte. "Wir brauchen für die Organspende keine supranationalen Normvorschläge, sondern differenzierte Regelungen, die die Transplantationsmedizin voranbringen", mahnte Wenker.
Diese Sorge könnte sich in Kürze erledigt haben. Denn ein Bericht des EuropäÂischen Parlaments sieht vor, dass die Überwachung der Transplantationsmedizin in den Mitgliedstaaten nicht zwingend durch eine staatliche Behörde, sondern auch durch eine Organisation oder Institution erfolgen kann.
Kritisch diskutiert wird im Europaparlament ferner die von der EU-Kommission vorgeschlagene Erhöhung der Zahl der Lebendspenden. Diese sollten nach Ansicht zahlreicher Europaabgeordneter grundsätzlich nachrangig zu post-mortem-Spenden sein und strikt auf Verwandte und Verheiratete beschränkt werden.
Eine Abstimmung über das gesamte Regelwerk und den Aktionsplan der EU durch das Europaparlament ist für Mai vorgesehen. Sollten sich dann auch die Fachminister auf eine gemeinsame Linie einigen, könnte das Paket noch im ersten Halbjahr 2010 verabschiedet werden.