Endo-Praxis 2010; 26(1): 24-27
DOI: 10.1055/s-0030-1253132
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Management & Personalführung – Delegation der Vorauswertung der Kapselendoskopie

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Publication Date:
26 March 2010 (online)

 

Im Zusammenhang mit Studien zur Dünndarmkapsel haben internationale Studien [1], [2] eine hohe Befundübereinstimmung zwischen auswertenden Ärzten und Pflegepersonal nachgewiesen. In einer israelischen Studie haben die Autoren nicht nur die Interpretationsgenauigkeit der Pflegeperson, sondern auch den Kostenaspekt untersucht [3] . Danach können bei Auswertung durch geschulte Pflegepersonen mehr als 300 $ im Rahmen der Untersuchung eingespart werden. In einigen europäischen Ländern sind Pflegepersonen in die Kapselauswertung eingebunden, z.B. in den Niederlanden und in Großbritannien.

? Frau Wild und Herr Richter, soweit mir bekannt ist, sind Sie, die einzigen Pflegepersonen in Deutschland, die die Vorauswertung der Kapselendoskopie durchführen. Würden Sie sich kurz vorstellen und sagen, in welcher Klinik/Abteilung Sie arbeiten und seit wann Sie die Kapselendoskopie durchführen und die Filme auswerten?

Wild: Ich arbeite im Klinikum Augsburg, III. Med. Klinik unter Prof. Dr. Helmut Messmann. Seit 2005 bin ich in der Gastroenterologischen Funktionsdiagnostik tätig und unter anderem für die Kapselendokopieanlage und deren Vorausauswertung zuständig. Durchgeführt wird die Kapselendoskopie bei uns im Hause seit 2002.

Richter: In der Endoskopie bin ich nun schon seit 12 Jahren beschäftigt. Hauptsächlich im Krankenhaus Siloah, einem Standort des Klinikums Region Hannover. Die Kapselendoskopie wird bei uns seit 2005 durchgeführt und seit 2006 führe ich die Vorauswertung durch. Ein Grund diese Aufgabe zu übernehmen, war der Zeitmangel unserer endoskopisch erfahrenen Ärzte.

? Wie wurden Sie auf die Auswertung der Kapselendoskopie vorbereitet? Gab es spezielle Schulungen oder Ausbildungen für Sie?

Wild: Es wurden ca. 50 Untersuchungen vom Oberarzt supervidiert und detailliert besprochen. Ein Vorteil meinerseits war die jahrelange Arbeit als Fachkrankenschwester in der Endoskopie.

Richter: Eine erste Einführung bekamen alle Mitarbeiter der Abteilung durch die Firma Given Imaging, die Schulung beinhaltete auch vertiefendes Training anhand von Lehrvideos. Mehrere Videos habe ich zusammen mit unserer ehemaligen Oberärztin Frau Dr. Riphaus angeschaut und ausgewertet. Das hat mir persönlich am meisten geholfen. Später hat sie meine Ergebnisse kontrolliert. So ist auch die Idee für die Studie in unserer Klinik entstanden.

? Welche Art von Kapseln werten Sie aus? Die für den Ösophagus, Dünndarm oder Dickdarm?

Wild: Routinemäßig führen wir die Dünndarm-Kapselendoskopie durch. Ösophaguskapseluntersuchungen wurden einzelne durchgeführt. Die Kolonkapseluntersuchungen wurden bisher nur im Rahmen von Studien durchgeführt. Natürlich werden diese Videos auch angesehen.

Richter: Im Moment arbeiten wir nur mit der Dünndarmkapsel. Sie wissen selbst, wie die Kostenübernahme durch die Krankenkassen bei Kolon- und Ösophagus-Kapseln derzeit geregelt ist. Ein Nachteil besteht ja darin, dass bei der Kapselendoskopie keine Probeentnahme möglich ist und die Kapsel als Instrument nicht steuerbar ist.

? Wie organisieren Sie in Ihrer Abteilung die Kapselauswertung? Haben Sie bestimmte Zeitfenster für diese Aufgabe?

Wild: Der Termin für die Vorauswertung durch uns wird von uns selbst festgelegt. Die Auswertung durch die Oberärzte wird genauso geplant wie jede andere endoskopische Untersuchung. Das Zeitfenster bewegt sich zwischen 0,5 h, bei Vorausauswertung durch uns, bis zu 1,5 h, wenn bei sich der Oberarzt schwierigen Fällen den ganzen Film ansieht.

Richter: Wir haben leider keine Zeitfenster! Ich werte die Kapselendoskopie aus, wenn ich Zeit habe. In der Regel wird das Ergebnis von den behandelnden Ärzten schon erwartet. Natürlich wäre ein extra Zeitfenster gut. Das ist leider im Stellenschlüssel nicht vorgesehen. Zum Glück arbeiten wir arbeitsteilig im Team, d.h. wenn ich beschäftigt bin, übernimmt einer der eingewiesenen Ärzte die Auswertung.

? Sind Sie für den Patienten Ansprechpartner, wenn ärztlicherseits alles geklärt ist? Also führen Sie auch das Anleitungsgespräch zur Darmreinigung mit dem Patienten durch und kann der Patient Sie anrufen, falls technische Probleme während der Passage auftauchen?

Wild: Für die Vorbereitung auf der Station haben wir ein genaue Anleitung entwickelt. Bei ambulanten Patienten führen wir das Anleitungsgespräch bei Bedarf selber durch. Wenn bei der Untersuchung technische oder medizinische Probleme auftreten, sind wir der Ansprechpartner, und wir versuchen mit dem Hersteller der Kapsel, oder, wenn es um ein medizinisches Problem geht, mit dem zuständigen Arzt das Problem zu lösen.

Richter: Wir sind weniger Ansprechpartner für Patienten, eher für die Pflegenden von den Stationen und die Stationsärzte. Hauptsächlich ist das der Fall, wenn Abweichungen vom Vorbereitungsstandard vorliegen. Kann ich einmal nicht weiterhelfen, verweise ich auf die Oberärzte und den Chefarzt. Manchmal wollen sich Patienten bei mir vergewissern, ob die Informationen zur Vorbereitung richtig sind. Es kommt aber auch vor, dass ich für Pflegepersonen für Fragen zur Verfügung stehe, die nicht oft mit der Kapsel zu tun haben. Es wäre sicher das Optimum, auch die Anleitung zur Vorbereitung mit dem Patienten zu besprechen. Das ist aber bei unserer Auslastung nicht zu schaffen. Die Kollegen auf den Stationen sind außerdem so gut geschult, dass sie die Patienten optimal vorbereiten. Wenn es Ausnahmen von der Standardvorbereitung gibt, dann besprechen wir den Fall zusammen. Meist sind wir, die wir den Patienten mit der Kapsel versorgt haben, auch seine Vertrauenspersonen für alle Fragen rund um die Kapsel. Tauchen Probleme auf, bin ich bestimmt kein Einzelkämpfer. Ich informiere den zuständigen Arzt, und hole seinen Rat ein. Letztendlich trägt der Arzt die Verantwortung. Bei Batterieproblemen z.B. können auch Ärzte nicht helfen, dann wende ich mich schon mal an den Hersteller.

? Können Sie kurz erläutern, wie Sie die Auswertung technisch durchführen?

Wild: Als erstes werden nach der Datenübertragung die Landmarken gesetzt, und wir verschaffen uns einen kurzen Überblick, ob akut z.B. eine Blutung zu sehen ist, und melden solche Ergebnisse dann gleich weiter an den zuständigen Arzt. Anschließend wird bei gemäßigter Geschwindigkeit (zwischen 5 und 8) die komplette Kapsel angeschaut. Der Einsatz von Helligkeit und Schärfe ist hilfreich z.B. bei Ulcera. Den Blaumodus verwende ich kaum.

Richter: Bis zum ersten Magenbild lasse ich das Video langsam laufen, so mit 5-facher Geschwindigkeit. Dann erhöhe ich auf 25-fache Geschwindigkeit, immer im 2-Bildmodus und mit der Hand an der Maus, um schnell zu reagieren. Bei geringen Befunden oder schlecht einzusehenden Bereichen, setze ich auch schon mal den Blaukanal ein. Wenn ein Befund entdeckt wird, speichere ich ihn als Bild. Später besprechen wir, der Oberarzt und ich, das Ergebnis auch mit Hilfe des im Programm verfügbaren Atlas. Nicht alle zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten nutze ich. Das ist aber eine persönliche Vorliebe.

? Welche Form hat Ihre Vordetektion? Verschriftlichen Sie Ihre markierten Befunde, oder besprechen Sie mit dem Arzt die gespeicherten Bildbefunde am Computer?

Wild: Wir beschriften jedes Thumbnail. Wir versuchen die Benennung korrekt durchzuführen, häufig auch mit Hilfe des Atlas. Auch die Durchsicht der endoskopischen Befunde, bevor die Kapsel durchgeschaut wird, ist sehr hilfreich. Bei Unklarheiten können wir jederzeit mit dem Arzt, der den Befund erstellt, Rücksprache nehmen und das Ereignis besprechen.

Richter: Wir besprechen den Befund zusammen am Computer. Zu einigen Befunden fehlt mir das medizinische Hintergrundwissen, darum auch diese Form. Ich sehe zwar das, was nicht stimmt, aber das Einordnen ist für mich trotz Atlas und Erfahrung nicht immer sicher möglich. Auf diese Weise sichere ich mich gut ab, da der Arzt die Diagnose festlegen muss.

? Gibt es Situationen, in denen Sie bezüglich der Durchführung der Kapselendoskopie Bedenken, Unsicherheiten oder Fragen haben und mit dem Arzt Rücksprache nehmen?

Wild: Solche Situationen kommen immer wieder vor. Sollte z.B. ein Einschluckproblem bestehen, oder der Patient gibt Bauchschmerzen bei der Vorbereitung usw. an, wird auf jeden Fall Rücksprache mit dem Arzt genommen, der dann das Vorgehen festlegt.

Richter: Selbstverständlich. Stenosen sind so eine Sache. Da muss auf jeden Fall der verantwortliche Arzt hinzugezogen werden. Das ist für den Patienten nicht unwesentlich, es ergeben sich Konsequenzen. Die Paytency-Kapsel ist ein großer Fortschritt bei Stenosen. Sie markiert Verengungen gut, ohne stecken zu bleiben.

? Der Arzt bespricht ja mit Ihnen nach Ihrer Vordiagnostik die von Ihnen gesetzten Marker. Wie schätzen Sie die zeitliche Ersparnis für den Arzt ein und haben Sie in Ihrer Klinik einmal eine Kostenanalyse durchgeführt?

Wild: Bei uns wurde bisher keine Kostenanalyse durchgeführt. Die Zeitersparnis ist bei jeder Kapsel anders. Der Arzt entscheidet, ob er die erstellten Thumbnails übernimmt oder ob er sich den gesamten Film nochmals anschaut. Manchmal ist es nötig, den Film im Ganzen anzuschauen, um einige Ereignisse besser beurteilen zu können.

Richter: Eine Kostenanalyse haben wir nicht durchgeführt. Ich schätze, der Arzt spart pro Kapsel eine Stunde Arbeitszeit ein.

? Was bedeutet für Sie die Übernahme der Vordetektion von Dünndarm- oder Kolonbefunden hinsichtlich der Selbstverwirklichung im Beruf und Ihrem Selbstverständnis als speziell qualifizierte Pflegekraft?

Wild: Es ist ein verantwortungsvolles Arbeiten und verlangt, dass man sich mit den Krankheitsbildern und deren Beschreibung sowie mit den vielen Erneuerungen bei der technischen Seite auseinandersetzt.

Richter: Im Moment handelt es sich bei mir um rein intrinsische Motivation. Wenn Sie es so wollen, ich mache das aus Interesse und Freude am Beruf.

? Wie hat sich Ihr Alltag hinsichtlich Ihrer Akzeptanz von Seiten der Pflegekräfte und der Ärzte verändert?

Wild: Da wir der zentrale Ansprechpartner für die Kapselendoskopie-Untersuchungen sind und den Untersuchungen eine standardisierte Abwicklung zugrunde liegt, ist es für Ärzte und Pflegepersonal leichter die Arbeitsabläufe zu verfolgen. Dadurch erfahren wir eine sehr große Akzeptanz.

Richter: Von den meisten Ärzten gibt es eine gute Akzeptanz. Ich nehme ihnen ein Stück Arbeit ab. Einige neue Ärzte sind anfangs skeptisch, sie haben erst nach und nach Vertrauen in die arbeitsteilige Struktur. Von den pflegerischen Kolleginnen und Kollegen gibt es jetzt keine Vorbehalte mehr. Wenn ich Dünndarmkapseln auswerte, stehe ich nicht wie üblich zur Verfügung. Diese Situationen können für das Team kritisch sein, da die Auswertung mitten im Arbeitsgeschehen erfolgen muss. Es gibt aber bereits auch von anderen Kolleginnen und Kollegen Interesse, die Vordetektion der Kapselendoskopie zu lernen.

? Gibt es Ihrer Meinung nach noch weitere ärztliche Tätigkeiten in der Endoskopie, die von speziell ausgebildeten, in der Endoskopie erfahrenen Pflegefachkräften übernommen werden können?

Wild: Es wird sicherlich in Zukunft aus personaltechnischen Gründen nötig sein, bestimmte ärztliche Aufgaben in der Endoskopie, aber auch in der Funktionsdiagnostik, auf gut ausgebildetes spezielles Personal zu übertragen. Möglich ist das nur, wenn Untersuchungen nach einem genauen Standard abgewickelt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich nur auf die Bedeutung der Endoskopieschwester im Rahmen der neuen Sedierungsleitlinie hinweisen.

Richter: Aber ja, ich würde gern weitere ärztliche Tätigkeiten nach intensiver Schulung übernehmen. Es macht Spaß, ist interessant und erweitert mit neuen Arbeitsfeldern das Tätigkeitsspektrum des Pflegepersonals. Beispielsweise könnte die Pflegekraft die perkutane Punktion bei der PEG-Anlage oder wie in England Sigmoidoskopien oder die Analmanometrie übernehmen. Sicher sehe ich auch die Grenzen des Machbaren. Wir Pflegekräfte, haben nun einmal nicht das Wissen eines Arztes. Aber die Pflege hat viel Potenzial und die Entwicklung geht sowieso in Richtung Nurse Endoscopist. Das ist die Realität und der sollten wir uns stellen. Ich kann nur hoffen, dass die Rahmenbedingungen bald an die Realität angepasst werden. Für engagiertes und speziell geschultes Endoskopie-Fachpersonal sehe ich viele Möglichkeiten das Tätigkeitsfeld zu erweitern. Aktuell entwickeln wir in der Abteilung einen Kurs zur Kapselauswertung für Pflegepersonen.

Frau Wild und Herr Richter, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

Ein Interview mit Maria-Anna Wild und Sven Richter, 2 erfahrenen Endoskopiefachpflegekräften aus Augsburg und Hannover. Das Interview führte Ute Pfeifer.

Literatur

  • 01 Bossa, et al . Detection of abnormal lesions recorded by capsule endoscopy – a prospective study comparing endoscopist`s and nurse`s accuracy.  Digestive and Liver Desease. 2006;  38 599-602
  • 02 Levinthal, et al . The accuracy of an endoscopy nurse in interpreting capsule endoscopy.  The american journal of gastroenterology. 2003;  98 12
  • 03 Niv Y , Niv G . Capsule endoscopy examination--preliminary review by a nurse.  Dig Dis Sci.. 2005;  50 (11) 2121-2124