Verantwortlich für diese Rubrik: Martin Haupt, Düsseldorf; Thomas Kunczik, Wiehl
Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass gemäß §17 d Krankenhausgesetz (KHG) im Jahr 2013 ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten in allen Einrichtungen für Psychiatrie und Psychosomatik einzuführen ist. Die Organe der Selbstverwaltung DKG, GKV und PKV müssen bis Ende 2009 die Grundlagen des neuen Entgeltsystems vertraglich abgestimmt haben. Grundlage für die Kalkulation der neuen Entgelte sind ab 1.1.2010 die bekannten PsychPV-Klassifikationen (A1-G6 und für Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie KJ1-KJ7).
Die Fachgesellschaften sind darüber hinaus aufgerufen, Leistungsbeschreibungen im Sinne der schon vorhandenen OPS-Systematik zu erstellen. Vorgesehen ist, dass die Kliniken für 2 Jahre die Möglichkeit erhalten, das neue System kennen zu lernen, während dessen die Budgetermittlung noch wie bisher erfolgt. Ab dem Jahr 2013 soll dann die Leistungsabrechnung über das neue System vorgenommen werden, allerdings mit einer Konvergenzphase ähnlich der Einführung der DRG-Regelung.
Die DGGPP hat unter Federführung von Dr. Dirk Wolter für den Bereich der Gerontopsychiatrie eine differenzierte inhaltliche Ausarbeitung der Basisleistungen zusätzlich zu den im neuen Entgeltsystem genannten 25-minütigen Therapieeinheiten versucht. Die in den Basisleistungen zum Ausdruck kommenden Arbeitsanforderungen in gerontopsychiatrischen Abteilungen finden im neuen Entgeltsystem keine Erwähnung.
Die vollständige Stellungnahme findet sich auf der Webseite: http://www.dggpp.de
Das neue Entgeltsystem sieht eine akribische Erfassung von 25-min-Therapieeinheiten vor. Der Bereich der Basisleistungen, die sich hierin nicht abbilden lassen, ist bisher jedoch nicht hinreichend charakterisiert.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, diese Basisleistungen für den Bereich der Gerontopsychiatrie inhaltlich zu beschreiben. Überschneidungen mit den Behandlungsbereichen Allgemeinpsychiatrie und Suchtmedizin sind dabei möglich.
Folgende Basisleistungen sind zu nennen.
Die Arbeitsanforderungen auf gerontopsychiatrischen Stationen werden wesentlich durch folgende Faktoren geprägt:
-
Hohes Ausmaß an somatischer Komorbidität bzw. Multimorbidität mit entsprechendem Aufwand für Diagnostik, Differenzialdiagnostik und Therapie.
-
Die psychiatrisch-somatische Komorbidität erfordert ein hohes Maß an psychiatrischer und somatischer Kompetenz; häufig gilt es, unverzüglich abzuklären, ob vital bedrohliche Situationen vorliegen (im Alter symptomarme Pneumonien; Elektrolytentgleisungen, Herzrhythmusstörungen, zerebrovaskuläre Ereignisse o.Ä. als Ursache deliranter Syndrome usw.).
-
Nicht zuletzt hierdurch kommt es in hohem Maß zu Unvorhersehbarkeit und Unplanbarkeit der Abläufe.
-
Beeinträchtigungen der körperlichen Leistungsfähigkeit und der alltagspraktischen Fähigkeiten der Patienten mit entsprechend erhöhtem Zeitbedarf (alles dauert länger) und mit entsprechend erhöhtem persönlichen Unterstützungsbedarf bei alltäglichen Verrichtungen sowie diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen.
-
Reduzierte sensorische (Sehfähigkeit, Hörvermögen) und häufig auch kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten mit entsprechend erhöhtem Zeitbedarf und größerer Komplikationsrate (Missverständnisse) bei Gesprächen und mit entsprechend erhöhtem Hilfsmittelbdarf (z.B. Hörhilfen).
-
Die häufige Kombination von Desorientiertheit und Situationsverkennung bei gleichzeitigem hohem Grundpflegebedarf führt zwangsläufig immer wieder dazu, dass z.B. bei der Körperpflege schwierige Situationen entstehen, die umfangreiche Personalressourcen in quantitativer und qualitativer (erfahrenes Personal) Hinsicht erfordern.
-
Reduzierte sensorische (Sehfähigkeit, Hörvermögen) und häufig auch kognitive Leistungsfähigkeit auch auf Seiten von Angehörigen (Ehegatten, bei Hochbetagten aber auch deren Kinder) mit entsprechend erhöhtem Zeitbedarf und größerer Komplikationsrate (Missverständnisse) bei Gesprächen.
-
Große Bedeutung der Einbeziehung von Bezugspersonen; bei demenzkranken Patienten aufgrund der reduzierten eigenen Mitteilungs- und Entscheidungsfähigkeit, aber auch allgemein aufgrund der komplexen intergenerationellen Verflechtungen, vielfältigen wechselseitigen Abhängigkeiten und Unterstützungsbedarfe.
-
Ambivalenzen von Angehörigen und innerfamiliäre Konflikte, die häufig zu erhöhtem Gesprächsaufwand (wiederholte Anrufe usw.) führen.
-
Untypische, symptomarme, verschleierte und vom Patienten selbst nicht wahrgenommene und deshalb nicht berichtete psychopathologische Syndrome erfordern erhöhten Zeitaufwand und Erfahrung bei der Diagnostik.
-
Juristische Aspekte und Aufgaben (Betreuungsrecht usw.) nehmen einen größeren Raum ein als in anderen Bereichen der Psychiatrie.
Ein erhöhter Aufwand resultiert nicht nur bei demenzkranken Patienten, sondern z.B. auch bei hochbetagten depressiven Patienten mit relevanten körperlichen Begleiterkrankungen.
Die Aufnahme von Patienten ist naturgemäß mit hohem Aufwand verbunden. Die OPS 1-903 soll diesem Umstand Rechnung tragen. Sie bildet aber nur die Leistungen von Ärzten und Psychologen ab, nicht die des Sozialdienstes und der Pflege.
Wenn die OPS 1-903 nicht verschlüsselt werden kann, weil das Zeitkriterium (mind. 2 Std. pro Tag) nicht erfüllt wird, ist gleichwohl für Ärzte und Psychologen auch unterhalb dieser Zeitgrenze ein erheblicher Aufwand entstanden.
Für alle Berufsgruppen gilt, dass zahllose und zumeist ungeplante Gespräche von weniger als 25min Dauer für Diagnostik, Behandlungsverlauf und Schaffung eines therapeutischen Milieus von großer Bedeutung sind.
Bei Gruppenangeboten für desorientierte Demenzkranke ist hoher zeitlicher und personeller Aufwand erforderlich, bis man alle Patienten beisammen hat und um die Gruppe zusammen zu halten (Ergotherapie, Physio-/Bewegungstherapie, Erinnerungstherapie/"Gedächtnistraining").
Dr. Dirk Wolter, Wasserburg a. Inn