Vorbetrachtungen
Treten bei der Hundezucht gebrauchsorientierte Interessen
(z. B.: Jagd-, Dienst- und Hütehunde) in den Hintergrund –
und nimmt damit die Notwendigkeit ab, gesunde und leistungsfähige Hunde zu
züchten – so kann die Überbetonung äußerlicher
Merkmale zur Einschränkung physiologischer Organfunktionen führen.
Kurzköpfige Hunde- und Katzenrassen erfreuen sich wegen ihres stupsnasigen
Aussehens (Kindchenschema [1]) und ihres in der Regel
sehr menschenfreundlichen Wesens weltweit zunehmender Beliebtheit.
Brachyzephale Rassen haben eine angeborene Wachstumshemmung des
Splanchnokraniums, dadurch behalten auch adulte Tiere ein welpenartiges
Aussehen. Kurzköpfige Rassen gelten als relativ alt, brachyzephale
Hundeschädel wurden bereits in der Asche Pompeis gefunden
[2]. In den vergangenen Jahrzehnten wurde durch
übertriebene züchterische Selektion die Schädelform derart
verkürzt, dass heute gravierende Atemprobleme ein hervorstechendes Merkmal
dieser Rassen sind. Angestrengte Atmung in Ruhe, schnarchende
Atmungsgeräusche (auch in wachem Zustand!), Schlafapnoe und
ausgeprägte Belastungs- und Wärmeintoleranz sowie eine Vielzahl
weiterer, nicht-respiratorischer Probleme gelten als klassische Symptome. Damit
sind im Tierschutzgesetz definierte Kriterien der Qualzucht klar
erfüllt.
Anatomische Betrachtungen und neuere Erkenntnisse
Bisher wurden als typische patho-anatomische Veränderungen eine
Trias aus stenotischen Nares, überlangem Palatum molle und evertierten
seitlichen Kehlkopftaschen beschrieben [3]. Wir haben
die bisher nicht beschriebenen Auswirkungen eines dramatisch reduzierten
„Mittelgesichtes” auf die nasalen Binnenstrukturen untersucht.
Hierfür wurden über dreihundert zur Diagnostik und Behandlung
schwerer respiratorischer Beschwerden überwiesene brachyzephale Hunde und
Katzen einbezogen. Die oberen Atemwege wurden computertomografisch und
endoskopisch dargestellt; Hauptaugenmerk lag auf Struktur und Ausdehnung der
Nasenmuscheln. Kraniometrische Untersuchungen sollten das Verhältnis von
Splanchnokranium zu Neurokranium beschreiben [4],
rhinometrische Untersuchungen die Relevanz von computertomografisch oder
endoskopisch festgestellten Stenosen verdeutlichen [5].
Pathohistologische Untersuchungen von physiologischen und brachyzephalen
Nasenmuscheln sollten Aufschluss über die Veränderungen in der
Feinstruktur geben [6]. Die Ergebnisse unserer
Untersuchungen offenbarten, dass die extreme Verkürzung des
Splanchnokraniums zu dramatischen Veränderungen aller nasalen
Binnenstrukturen geführt hat [4]
[7], was folgende strukturelle und funktionelle
Konsequenzen nach sich zieht:
-
Nares und Vestibulum: Anders als beim
Menschen ist der Nasenvorhof beim Hund nicht leer. Er wird ausgefüllt von
einem voluminösen, nach kaudal ziehenden Nasenflügel, der in die
Flügelfalte übergeht. Die Stenose des Naseneingangs von
brachyzephalen Hunden ist wesentlich komplexer als bisher angenommen. An eine
von außen gut sichtbare Stenose der Nares schließt sich eine nur
endoskopisch darstellbare ausgeprägte Stenose des Vestibulums an.
-
Nasenhöhle: Verkleinert man durch
Zuchtauslese den knöchernen Rahmen eines Organs auf weniger als ein
Drittel der natürlichen Größe ([Abb. 1]), muss dies für die darin enthaltenen
Strukturen erhebliche Konsequenzen haben. Im Gegensatz zu den relativ einfach
aufgebauten Nasenmuscheln des Menschen, haben Hunde und Katzen hochkomplexe,
extrem fein verzweigte Konchenstrukturen. Bei Brachyzephalen sind die
Nasenmuscheln im Verhältnis zur umgebenden knöchernen Begrenzung
wesentlich zu groß und wir sprechen von einer relativen
Konchenhypertrophie. Sie führt dazu, dass die feinen Lamellen der
Nasenmuscheln bis zum Kontakt miteinander wachsen und kaum noch Raum für
die durchströmende Luft bleibt. Zusätzlich wachsen Muschelanteile als
aberrante Conchen in Atemwege hinein und verlegen diese. Man kann zwischen
„rostralen aberranten Conchen” (RAC) und „kaudalen
aberranten Conchen” (CAC) differenzieren [8].
Auch die Feinstruktur der Conchen ist bei brachyzephalen Tieren hochgradig
verändert. Vergleicht man die Dicke einzelner Lamellen, sind diese bei
einem 10 kg schweren Mops doppelt so dick, wie die eines 40 kg
schweren Schäferhundes [6].
-
Thermoregulation: Die Hundenase hat
zusätzlich zu den klassischen respiratorischen und olfaktorischen Aufgaben
eine zentrale thermoregulatorische Funktion. Hunde können nicht schwitzen
wie der Mensch, sie hecheln. Dabei wird, anders als oft irrtümlich
angenommen, die Einatemluft über die Nase durch das feine Lamellensystem
der großen ventralen Muschel geleitet [9] und
erzeugt dort auf den über eine eigene Drüse (Gl. nasalis lateralis)
befeuchteten Schleimhäuten sehr effektiv Verdunstungskälte. Diese
Funktion ist bei brachyzephalen Tieren infolge der reduzierten nasalen
Ventilation stark eingeschränkt und führt zu Wärmeintoleranz und
verlängerten Erholungszeiten nach Belastung.
Abb. 1 Sagittales
Computertomogramm des Hundeschädels [4]: oben
normozephal (Schäferhund), unten brachyzephal (Mops).