Pneumologie 2010; 64(9): 555-559
DOI: 10.1055/s-0030-1255636
Übersicht – 100 Jahre DGP

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lungenkrebs – Geschichtliche Entwicklung, derzeitiger Stand und Ausblick

Lung Cancer – Historical Development, Current Status, Future ProspectsG.  Goeckenjan1
  • 1
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Prof. Dr. Gerd Goeckenjan

Am Ziegenberg 95
34128 Kassel

Email: GGoeckenjan@t-online.de

Publication History

eingereicht 30. 6. 2010

akzeptiert nach Revision 30. 6. 2010

Publication Date:
08 September 2010 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Vor 100 Jahren war der Lungenkrebs eine seltene Krankheit. Inzwischen ist er als Folge der starken Zunahme des Tabakrauchens in Deutschland und weltweit die häufigste Krebstodesursache. Da der Lungenkrebs im Frühstadium weitgehend symptomlos verläuft, wird die Diagnose zumeist erst in den fortgeschrittenen Stadien IIIB oder IV gestellt. Die Entwicklung bildgebender und minimal-invasiver diagnostischer Verfahren sowie die Verfeinerung der Staging-Klassifikation erlauben eine verbesserte Zuordnung zu den Tumorstadien. Die Operationsmortalität hat seit den 1950er-Jahren deutlich abgenommen, dennoch sind die 5-Jahres-Überlebensraten nur gering angestiegen. Bei lokal fortgeschrittenem inoperablem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom konnte durch neuere Verfahren der Radiotherapie und die Kombination der Radiotherapie mit der Chemotherapie eine mäßige Verbesserung der Prognose erzielt werden. Durch die Chemotherapie der Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom wird eine mäßige Lebensverlängerung erreicht, wobei neue Substanzen besser toleriert werden und eine verbesserte Lebensqualität ermöglichen. Die Überlebenszeit des kleinzelligen Lungenkarzinoms konnte durch die Chemotherapie seit den 1970er-Jahren deutlich verlängert werden, allerdings sind hier in den letzten 15 – 20 Jahren nur geringe Fortschritte erzielt worden. Die wichtigste und wirksamste Präventionsmaßnahme gegen das Lungenkarzinom ist die Vermeidung von Tabakrauch. Screeninguntersuchungen mittels jährlicher Röntgen-Thorax-Aufnahmen und Sputumzytologie haben in umfangreichen Studien keine Verbesserung der Gesamtmortalität gegenüber den Kontrollgruppen ergeben. Ob eine Verbesserung der Prognose durch ein Screening mittels Low-Dose-Computertomografie möglich ist, müssen die noch laufenden Studien zeigen. Für Patienten mit Lungenkarzinom werden neue wirksamere Substanzen und Therapieverfahren dringend benötigt.

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Abstract

One hundred years ago lung cancer was a rare disease. In the meantime, as a result of the sharp increase of tobacco smoking, in Germany and worldwide it is the most common cause of cancer death. Since lung cancer is largely asymptomatic in its early stages, the diagnosis is usually first made in the advanced stages IIIB or IV. The development of diagnostic imaging and minimally invasive procedures as well as the refinement of the staging classification allow a better allocation to the tumor stages. The surgical mortality has declined significantly since the 1950s, yet the 5-year survival rates are low. For locally advanced, unresectable non-small cell lung carcinoma a moderate improvement of the prognosis could be achieved by newer methods of radiotherapy and the combination of radiotherapy with chemotherapy. As a result of chemotherapy in patients with non-small cell lung cancer a moderate life extension has been reached, while the new agents are better tolerated and allow for an improved quality of life. The survival of small cell lung cancer has been significantly prolonged by chemotherapy since the 1970s, however, little progress was made in the last 15 – 20 years. The most important and effective preventive measure against lung cancer is to avoid tobacco smoke. Screening tests using annual chest X-ray images and sputum cytology have shown no improvement in overall mortality compared with the control groups in extensive studies. Whether or not an improvement of prognosis is possible by a screening using low-dose CT is being tested by the ongoing studies. For patients with lung cancer more effective agents and therapies are still needed.

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Epidemiologie

Vor 100 Jahren war der Lungenkrebs eine seltene Erkrankung [1] [2]. 1871 wurde von Langhans der erste durch Autopsie gesicherte Fall eines primären Bronchialkarzinoms publiziert [3]. Bis zur Verbreitung der Röntgendiagnostik, der Sputumzytologie und der Bronchoskopie zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die Diagnose nur autoptisch gesichert werden. Adler berichtete 1912 über alle in der gesamten Weltliteratur publizierten Lungenkrebserkrankungen und fand insgesamt 374 Fälle. Er vermutete aufgrund der Geschlechtsverteilung mit 74,3 % Männern und 25,7 % Frauen neben anderen ätiologischen Faktoren einen Zusammenhang mit Tabak- und Alkoholmissbrauch sowie beruflichen Einwirkungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lagen die Inzidenz und die Mortalität für Lungenkarzinom in den USA unter 5 pro 100 000 Einwohner [1] und erreichten gegen Ende des 20. Jahrhunderts für Männer Inzidenz- bzw. Mortalitätsraten bis etwa 80 bzw. 75 in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Während Inzidenz und Mortalität bei Männern seit etwa 1990 absinkende Werte erkennen lassen, haben sich Inzidenz und Mortalität für das Lungenkarzinom bei Frauen in Deutschland von etwa 10 bzw. 8 im Jahre 1980 auf etwa 21 bzw. 16 pro 100 000 im Jahre 2002 annähernd verdoppelt [4] (s. [Abb. 1]).

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Abb. 1 Altersstandardisierte Inzidenz und Mortalität für Lungenkrebs in Deutschland 1980 – 2004 (Robert Koch-Institut und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland. Krebs in Deutschland 2003 – 2004. Häufigkeiten und Trends. 6. Aufl. Robert Koch-Institut Berlin 2008).

Das mittlere Erkrankungsalter liegt für Männer und Frauen bei etwa 68 Jahren und entspricht in etwa dem Erkrankungsalter für Krebs insgesamt. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten betragen für Patienten mit Lungenkrebs in Deutschland etwa 15 % bei Männern und 18 % bei Frauen, in anderen europäischen und nordamerikanischen Ländern liegen sie in einem Bereich von 5,5 – 15,7 % [5]. Das Lungenkarzinom war 2008 in Deutschland mit 42 319 Todesfällen die vierthäufigste Todesursache, die häufigste Krebstodesursache insgesamt und mit 29 486 Todesfällen die häufigste Krebstodesursache bei Männern sowie mit 12 833 Todesfällen die zweithäufigste Krebstodesursache bei Frauen nach dem Mammakarzinom [6] (s. [Abb. 2]).

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Abb. 2 Häufigste Todesursachen in Deutschland 2008 (Statistisches Bundesamt. Gesundheit. Todesursachen in Deutschland 2008. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010).

2008 erkrankten weltweit 1,35 Millionen Menschen an Lungenkarzinom, 1,18 Millionen starben an der Erkrankung [7].

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Tabakrauch und Lungenkarzinom wurde bereits aufgrund von mehreren deutschen Studien und einer US-amerikanischen Studie in den 1920er- bis 1940er-Jahren vermutet, die jedoch zunächst wenig Beachtung fanden. Durch größere Studien in den 1950er-Jahren, insbesondere von Doll und Hill (1950/1952) sowie zusätzliche tierexperimentelle Untersuchungen wurde der ursächliche Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkarzinom eindeutig nachgewiesen [8].

Der weltweite jährliche Zigarettenkonsum, der 1900 noch bei wenigen Milliarden gelegen hat, ist bis Anfang des 21. Jahrhunderts um mehr als das Tausendfache auf etwa 5,5 Billionen, d. h. durchschnittlich 900 Zigaretten pro Mensch und Jahr, angestiegen [8]. Während in den Industrieländern eine Abnahme des Zigarettenkonsums zu beobachten ist, steigt der Zigarettenkonsum in den Entwicklungsländern stark an, verbunden mit einer Zunahme von Inzidenz und Mortalität für das Lungenkarzinom. Insbesondere in China wird aufgrund des hohen Zigarettenkonsums der Männer mit einem weiteren starken Anstieg von Inzidenz und Mortalität gerechnet. Der Zu- bzw. Abnahme des Zigarettenkonsums folgen mit einer Latenz von 20 – 30 Jahren eine Zu- bzw. Abnahme von Inzidenz und Mortalität für das Lungenkarzinom [1].

Insgesamt sind in europäischen Ländern etwa 85 % der Lungenkrebstodesfälle auf das Rauchen und etwa 9 – 15 % auf die berufliche Exposition gegenüber Kanzerogenen zurückzuführen [5]. Weitere seltenere Ursachen sind Umweltbelastungen durch Radon, Feinstaub und Dieselmotorabgase.

Ein beruflicher Lungenkrebs, der bereits lange vor Auftreten der tabakrauchbedingten Lungenkrebs-„Epidemie” bekannt war, ist der sog. Schneeberger Lungenkrebs, der bei Arbeitern im Erzbergbau im Gebiet um Schneeberg im sächsischen Erzgebirge beobachtet wurde [3]. Paracelsus hatte im 16. Jahrhundert die „Bergsucht oder Bergkrankheit” beschrieben, an der viele Bergleute in relativ jugendlichem Alter verstarben. Härting und Hesse haben 1879 nachgewiesen, dass es sich hierbei um Lungenkrebs handelte und damit den ersten beruflich bedingten Lungenkrebs beschrieben. Um die Jahrhundertwende wurde die karzinogene Wirkung der ionisierenden Strahlung radioaktiver Substanzen entdeckt. Um 1910 wurden in den Schneeberger Gruben hohe Konzentrationen von Radiumemanation (Radon) nachgewiesen. Der Schneeberger Lungenkrebs wurde 1925 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen. In den 1930er-Jahren wurde die Verursachung des Schneeberger Lungenkrebses durch Radon gesichert, in den 1950er-Jahren auch die Verursachung durch die radioaktiven Radonzerfallsprodukte. Sehr hohe Aktivitätskonzentrationen mit einer hohen Anzahl beruflich bedingter Lungenkrebserkrankungen bestanden im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR [3]. Unabhängig von beruflichen Einwirkungen wird die Radonkonzentration in Wohnungen heute für etwa 5 % der Lungenkrebstodesfälle verantwortlich gemacht [5].

Der Assoziation von Asbestose und Lungenkrebs ist seit den 1930er-Jahren bekannt [3]. Der asbestbedingte Lungenkrebs wurde 1943 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen. Die Häufung des Lungenkarzinoms bei Asbestarbeitern wurde 1955 von Doll nachgewiesen. Durch die lange Latenzzeit wurde eine rasche Zunahme der asbestassoziierten Lungenkarzinome erst ab 1975 beobachtet [5]. Durch Selikoff et al. (1968) wurde eine angenähert multiplikative Steigerung des Lungenkrebsrisikos bei kombinierter Einwirkung von Zigarettenrauch und Asbeststaub nachgewiesen.

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Diagnostik

Als wichtigstes bildgebendes Verfahren zur Diagnostik des Lungenkarzinoms standen seit Entdeckung der Röntgenstrahlung durch Wilhelm Conrad Röntgen 1895 zunächst nur die Röntgen-Thorax-Übersichtsaufnahme und die Röntgendurchleuchtung zur Verfügung. Allerdings sind Sensitivität und Spezifität der Röntgendiagnostik relativ niedrig. Die in den 1970er-Jahren eingeführte Computertomografie ist hinsichtlich kleiner Lungenherde und mediastinaler Lymphknotenvergrößerungen wesentlich sensitiver als die konventionelle Röntgendiagnostik, sodass hierdurch ein genaueres Staging ermöglicht wurde, aber bei relativ niedriger Spezifität auch relativ viele „falsch positive” Befunde gefunden wurden. Um 2000 wurde die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) mit F-18-Fluorodesoxyglucose (FDG) in die Diagnostik des Lungenkarzinoms eingeführt, die auf der erhöhten biologischen Aktivität neoplastischer Zellen mit erhöhter Glukoseaufnahme und einem erhöhten Glukoseumsatz basiert. Während die mittlere Sensitivität der CT im Hinblick auf das mediastinale Lymphknotenstaging in verschiedenen Studien bei 0,56 und die mittlere Spezifität bei 0,81 liegt, weist die FDG-PET eine mittlere Sensitivität von 0,83 und eine mittlere Spezifität von 0,89 auf. Die FDG-PET hat somit eine höhere Sensitivität und Spezifität hinsichtlich des Lymphknotenstagings als die CT. Durch die PET-Untersuchung konnten in einer Studie bei etwa 20 % der Patienten, die zuvor als operabel angesehen wurden, nutzlose Thorakotomien vermieden werden. Ein weiterer Fortschritt war die Einführung integrierter PET/CT-Geräte, der zu einer weiteren Verbesserung der Spezifität und einer verbesserten Detektion von Fernmetastasen in unerwarteten selteneren Lokalisationen führte [5].

Das wichtigste endoskopische Verfahren, die Bronchoskopie, wurde als starre Bronchoskopie erstmals 1897 von Gustav Killian eingesetzt, um mit einem optischen Gerät die Luftröhre einzusehen und einen Fremdkörper zu entfernen. Das erste flexible Bronchoskop wurde 1966 von dem Japaner Shigeto Ikeda vorgestellt. Die flexible Bronchoskopie hat zu einer wesentlichen Erleichterung und Verbesserung der bronchoskopischen Diagnostik geführt. Die Mediastinoskopie in der heute bekannten Form wurde 1959 von Carlens beschrieben. Der Zugang zu zentralen thorakalen Strukturen durch Bronchoskopie und Mediastinoskopie erlaubte die Entwicklung einer genauen Subklassifikation der Tumorausdehnung und der TNM-Klassifikation des Lungenkarzinoms durch Mountain et al. 1974. Seit Anfang 2010 gilt die 7. Auflage der TNM-Klassifikation und Stadieneinteilung der UICC (Union Internationale Contre le Cancer). Durch die Kombination der Bronchoskopie und der Ösophagoskopie mit endoskopischen Ultraschallverfahren (EBUS-NA: endobronchialer Ultraschall mit Nadelaspiration, EUS-NA: endoskopischer ösophagealer Ultraschall mit Nadelaspiration), die in den 1990er-Jahren eingeführt wurden, wurde die minimalinvasive Entnahme von Gewebsproben aus dem Mediastinum erleichtert und die Mediastinoskopie teilweise ersetzt [5].

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Therapie

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Resektion

Die erste erfolgreiche Pneumonektomie wegen Lungenkarzinom wurde 1933 von Graham durchgeführt. Damit war der Beweis erbracht, dass das Lungenkarzinom in einem Teil der Fälle geheilt werden konnte. Zunächst war die Pneumonektomie die Standardoperation bei Lungenkarzinomen, später dann die Lobektomie. Limitierte Resektionen (Keilresektionen, Segmentresektionen) zeigten funktionelle Vorteile, jedoch eine höhere Rezidivrate. Bei dem deutschen Dichter und Nobelpreisträger Thomas Mann, der exzessiver Raucher war, wurde 1946 in Chicago im Alter von 70 Jahren von dem Chirurgen William Adams ein Plattenepithelkarzinom des rechten Lungenunterlappens festgestellt und durch eine untere Bilobektomie entfernt. Thomas Mann hat diese Operation neun Jahre ohne Tumorrezidiv überlebt [9]. Ende der 1940er-Jahre wurde von Price-Thomas die Technik der Manschettenresektion entwickelt, um Lungenparenchym zu erhalten und Pneumonektomien in einem Teil der Fälle zu vermeiden. Die von Naruke 1976 beschriebene systematische Lymphadenektomie erlaubt ein akkurateres Staging, möglicherweise auch eine Prognoseverbesserung, sodass sie heute als Standardverfahren gilt. Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde die videoassistierte thorakoskopische Operationstechnik (VATS) eingeführt, die heute als Standardverfahren zur Rundherdabklärung eingesetzt wird. Zusätzlich können mittels VATS auch Lobektomien durchgeführt werden. Nach kurativer Resektion im Stadium II und IIIA1,2 wird heute eine postoperative (adjuvante) Chemotherapie empfohlen [5].

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Radiotherapie

Die Radiotherapie wurde in den 1920er-Jahren in die Behandlung des Lungenkarzinoms eingeführt. Bei lokal fortgeschrittenem Lungenkrebs reduziert sie die Tumorgröße und die Rezidivraten. Trotz Dosiseskalation bis 80 Gy konnten maximale 5-Jahres-Überlebensraten von nur 7 – 10 % erreicht werden. Als Standarddosis der definitiven Radiotherapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) wird 60 – 70 Gy als Kompromiss zwischen adäquater Dosis und minimierter pulmonaler und ösophagealer Toxizität angesehen. Die Bestrahlung erfolgt heute als 3D-konformale Strahlentherapie. Durch eine kontinuierliche hyperfraktionierte akzelerierte Radiotherapie (CHART) mit Einzeldosen von 1,5 Gy alle 8 Stunden bis zu einer Gesamtdosis von 54 Gy, die in den 1990er-Jahren publiziert wurde, konnte gegenüber der konventionellen Bestrahlung besonders bei Plattenepithelkarzinomen eine Verbesserung des 2-Jahres-Überlebens erzielt werden. Allerdings steht CHART wegen des erhöhten Aufwandes durch die fortlaufende Bestrahlung auch am Wochenende nur in wenigen Kliniken zur Verfügung. Eine weitere Modifikation der Strahlentherapie stellt die stereotaktische oder bildgeführte hypofraktionierte Strahlentherapie mit Einzeldosen über 10 Gy dar, mit der sehr hohe biologisch wirksame Dosen auf den Tumor und einen kleinen, den Tumor umgebenden Sicherheitssaum appliziert werden können und mit der insbesondere bei funktionell inoperablen Patienten im Stadium I/II hohe Tumorkontrollraten zu erzielen sind.

Durch die Kombination von Chemotherapie und Radiotherapie kann eine Verbesserung der medianen Überlebenszeit und des Langzeitüberlebens erzielt werden. Dabei scheint die konkurrierende Chemoradiotherapie der sequenziellen Chemotherapie, gefolgt von der Radiotherapie, überlegen zu sein. In kurativen Therapiekonzepten ist die simultane bzw. sequenzielle Strahlenchemotherapie effektiver als die alleinige definitive Strahlentherapie. Die palliative Strahlentherapie erbringt sowohl bei thorakaler Symptomatik als auch bei Beschwerden hervorgerufen durch Fernmetastasen hohe Symptomkontrollraten [5].

In den 1960er-Jahren wurde die Strahlentherapie als Therapie der Wahl bei kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) angesehen, nachdem sich die Resektionsbehandlung bei diesem Zelltyp als wenig wirksam erwiesen hatte. Durch die Einführung der Chemotherapie in den 1970er-Jahren wurde die Prognose des SCLC deutlich verbessert, wobei die Chemotherapie im Stadium Limited disease mit einer thorakalen Strahlentherapie kombiniert wird [5].

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Chemotherapie

Der Verlauf des unbehandelten fortgeschrittenen NSCLC ist mit einer medianen Überlebenszeit von 4 – 6 Monaten sehr ungünstig. Frühe Chemotherapiestudien des NSCLC aus den 1960er- bis 1980er-Jahren zeigten Ansprechraten von nur 10 – 15 %, verglichen mit mehr als 50 % beim SCLC. Gegenüber Best supportive care fanden sich eine Verlängerung des Überlebens um 6 Wochen und eine 10 %ige Verbesserung des 1-Jahres-Überlebens. Diese Ergebnisse waren nur mit Cisplatin-haltigen Chemotherapiekombinationen zu erzielen. Nach Chemotherapieprotokollen mit Langzeitalkylantien wie Cyclophosphamid waren die Ergebnisse schlechter als nach Best supportive care. In den letzten 15 Jahren sind neue Substanzen in die Therapie des NSCLC eingeführt worden, die zu einer weiteren geringen Verbesserung der medianen Überlebenszeit auf 7 – 10 Monate und des 1-Jahres-Überlebens auf 35 – 40 % geführt haben. Allerdings liegt der Vorteil der modernen Chemotherapie des NSCLC mit Cis- oder Carboplatin in Kombination mit einem Drittgenerationszytostatikum (Vinorelbin, Gemcitabin, Docetaxel, Pemetrexed) in der verbesserten Anwendbarkeit, auch unter ambulanten Bedingungen, mit geringeren Nebenwirkungen und Verbesserung der Lebensqualität [5].

Eine weitere Verbesserung ist durch rezeptor- bzw. ligandenspezifische Therapieansätze, z. B. die Inhibition des EGF(epithelial growth factor)- oder des VEGF(vascular endothelial growth factor)-Signalwegs, zu erwarten. Dabei erweisen sich auch die histologischen Zelltypen und eine molekulare Charakterisierung von Prognosemarkern des Tumors von zunehmender Bedeutung. Bei Patienten im Stadium IIIB/IV und zufriedenstellendem Allgemeinzustand (ECOG Performance Status 1 – 2) mit Nicht-Plattenepithelkarzinom führte die Behandlung mit dem Anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab zusätzlich zur platinbasierten Kombinationschemotherapie zu einer signifikanten Verbesserung der Remissionsrate und der medianen Überlebenszeit bzw. des medianen progressionsfreien Überlebens. Bei Patienten mit aktivierenden Mutationen des EGF-Rezeptors ist der EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor Gefitinib einer Chemotherapie im Hinblick auf Remissionsrate und progressionsfreies Überleben signifikant überlegen. Der EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor Erlotinib hat in der Zweitlinientherapie des NSCLC eine signifikante Verbesserung der medianen Überlebenszeit gegenüber Best supportive care gezeigt. Prädiktoren für das Ansprechen waren Nieraucherstatus, Adenokarzinom und EGFR-Expression. Weitere Studien zu diesen Therapieansätzen und zur molekularen Charakterisierung der Tumoren und der Prognosemarker sind für eine adäquate und kosteneffektive Differenzialtherapie dringend erforderlich [5].

Die Chemotherapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms ergibt unter den in den 1970er-Jahren eingeführten Kombinationen Ansprechraten von 80 – 90 %. Die mediane Überlebenszeit ist im Stadium Limited disease von 5 Monaten bei unbehandelten Patienten auf 18 – 20 Monate und im Stadium Extensive disease von wenigen Wochen auf 6 – 9 Monate angestiegen. Seit dieser Zeit hat es nur geringe weitere Fortschritte durch besser verträgliche Chemotherapieprotokolle sowie durch die zusätzliche thorakale Radiotherapie bei Patienten mit Ansprechen auf die Therapie und durch die prophylaktische Schädelbestrahlung gegeben.

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Interventionelle Verfahren

Zur lokalen Tumortherapie und Palliation haben sich in den letzten 20 – 30 Jahren verschiedene interventionelle Verfahren etabliert: Zur Behandlung der tracheobronchialen Tumorobstruktion stehen neben mechanischen Verfahren der Abtragung die Lasertherapie, Elektroverfahren (Elektrokoagulation, Argon-Plasma-Koagulation), die Kryotherapie, die fotodynamische Therapie, die endobronchiale Brachytherapie sowie bronchiale und tracheale Stents zur Verfügung [5].

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Multidisziplinäre Therapie

Die zunehmende Komplexität der Behandlung des Lungenkarzinoms macht heute Therapieentscheidungen in einem multidisziplinären Team unter Einbeziehung von Pneumologen, Thoraxchirurgen, Strahlentherapeuten, Onkologen, Radiologen, Pathologen und Palliativmedizinern sowie die Erstellung von Evidenz- und Konsens-basierten klinischen Leitlinien und die Definition von Anforderungen an Lungenkrebszentren erforderlich [5].

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Prävention

Die wichtigste primäre Präventionsmaßnahme ist die Vermeidung der Tabakrauchexposition durch Verhinderung des Beginns und der Fortsetzung des Rauchens. Kein Fortschritt in der Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms ist nur annähernd so wirksam in der Verminderung der Lungenkrebsmortalität wie die Vermeidung des Rauchens [1]. Durch die Vermeidung beruflicher Karzinogene sowie die Verminderung der Radonexposition und die Verringerung der Dieselrußexposition können weitere Fälle von Lungenkrebs verhindert werden.

Die sekundäre Prävention zielt auf die frühe Krankheitserkennung. Zur Früherkennung (Screening) des Lungenkarzinoms sind bisher zwei Verfahren in größeren Studien geprüft worden, der Einsatz von jährlichen Thoraxübersichtsaufnahmen und die Durchführung von Niedrigdosis-(Low-Dose-)Computertomografien. Die in den 1970er- und 1980er-Jahren durchgeführten Studien mit Thoraxübersichtsaufnahmen, z. T. in Kombination mit regelmäßigen zytologischen Sputumuntersuchungen, haben keine Reduktion der Krebsmortalität in der gescreenten Gruppe ergeben. Da diese Studien wegen methodischer Mängel kritisiert worden sind, wird derzeit der Stellenwert regelmäßiger Thoraxübersichtsaufnahmen in der 1993 initiierten US-amerikanischen „PLCO-Studie” (Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian Cancer Screening Trial) erneut geprüft. Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen wurden in der gescreenten Gruppe mehr Patienten mit Lungenkarzinomen in frühen Tumorstadien nachgewiesen [10]. Ob durch das Screening allerdings eine Mortalitätsreduktion zu erzielen ist, kann erst 2015 entschieden werden.

Mit der Einführung der Computertomografie (CT) und insbesondere der dosisreduzierten Spiral-CT als sehr sensitiver Methode zur Detektion auch kleiner Lungenrundherde kam in den 1990er-Jahren erneut Interesse an der radiologischen Früherkennung von Lungenkarzinomen auf. In verschiedenen prospektiven Studien wurde die Machbarkeit einer Lungenkarzinomfrüherkennung mittels Niedrigdosis-CT untersucht. Diese zeigten, dass durch die CT mehr Lungenkarzinome als durch die Thoraxübersichtsaufnahme nachgewiesen wurden und dass diese sich häufiger in einem früheren Stadium befanden. Wegen des häufigeren Nachweises von Läsionen, die sich nach der Diagnostik als benigne erwiesen, waren jedoch auch häufiger invasive Maßnahmen erforderlich. Bisher ist nicht geklärt, ob diese Ergebnisse tatsächlich zu einer Reduktion der Mortalität führen oder ob es sich lediglich um Effekte einer Überdiagnose („overdiagnosis bias”), einer unterschiedlichen Aggressivität der Tumoren („length time bias”) oder einer Diagnosevorverlegung („lead time bias”) handelt und ob die invasive Diagnostik der Patienten mit Läsionen, die sich als benigne erweisen, in der gescreenten Gruppe zu einer unakzeptabel hohen Morbiditäts- oder Mortalitätsrate führt. Zur weiteren Klärung werden prospektive randomisierte kontrollierte Studien in den USA (National Lung Cancer Screening Trial) und Europa (NELSON-Trial) durchgeführt, bei denen die Mortalität in einem Screeningarm und in einem Kontrollarm verglichen werden sollen. Derzeit wird ein Lungenkarzinomscreening asymptomatischer Patienten nicht empfohlen [5].

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Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Literatur

  • 1 Spiro G S, Silvestri G A. One hundred years of lung cancer.  Am J Respir Crit Care Med. 2005;  172 523-529
  • 2 Weingard B, Brennauer K, Sybrecht G W. Bronchialkarzinom (Lungenkrebs) – von 1761 bis heute. Poster 51. Kongr. DGP. Hannover; 2010
  • 3 Dhom G. Zur Geschichte des Bronchialkarzinoms.  Pneumologie. 2004;  58 680-685
  • 4 Robert Koch-Institut und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland .Krebs in Deutschland 2003 – 2004. Häufigkeiten und Trends. 6. Aufl. Berlin; Robert Koch-Institut 2008
  • 5 Goeckenjan G, Sitter H, Thomas M. et al . Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms. Interdisziplinäre S3-Leitlinie.   DOI: http://dx.doi.org/10.1055/s-0029-1243837. Pneumologie. 2010;  64, Suppl. 2 23-155
  • 6 Statistisches Bundesamt .Gesundheit. Todesursachen in Deutschland 2008. Wiesbaden; Statistisches Bundesamt 2010 http://www.destatis.de Stand: 11. 3. 2010
  • 7 World Health Organization .International Agency for Research on Cancer. Boyle P, Levin B (eds). World Cancer Report 2008. Genf; WHO press 2008
  • 8 Proctor R N. The global smoking epidemic: A history and status report.  Clinical Lung Cancer. 2004;  5 371-376
  • 9 Virchow sen C, Naef A P, Schaefer H E, Virchow jr C. Thomas Mann (1875 – 1955) und die Pneumologie. Zur Indikation des thoraxchirurgischen Eingriffs im April 1946.  Dtsch med Wschr. 1997;  122 1432-1437
  • 10 Hocking W G, Hu P, Oken M M. et al . Lung cancer screening in the randomized Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian (PLCO) Cancer Screening Trial.  J Natl Cancer Inst. 2010;  102 722-731

Prof. Dr. Gerd Goeckenjan

Am Ziegenberg 95
34128 Kassel

Email: GGoeckenjan@t-online.de

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Literatur

  • 1 Spiro G S, Silvestri G A. One hundred years of lung cancer.  Am J Respir Crit Care Med. 2005;  172 523-529
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Prof. Dr. Gerd Goeckenjan

Am Ziegenberg 95
34128 Kassel

Email: GGoeckenjan@t-online.de

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Abb. 1 Altersstandardisierte Inzidenz und Mortalität für Lungenkrebs in Deutschland 1980 – 2004 (Robert Koch-Institut und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland. Krebs in Deutschland 2003 – 2004. Häufigkeiten und Trends. 6. Aufl. Robert Koch-Institut Berlin 2008).

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Abb. 2 Häufigste Todesursachen in Deutschland 2008 (Statistisches Bundesamt. Gesundheit. Todesursachen in Deutschland 2008. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010).