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DOI: 10.1055/s-0030-1255674
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Zurück in die Zukunft
Prof. Dr. Tobias Welte
Klinik für Pneumologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30659 Hannover
Email: welte.tobias@mh-hannover.de
Publication History
Publication Date:
10 August 2010 (online)
Das zurückliegende Jahrtausend kann medizinisch gesehen als das Jahrtausend der Infektionskrankheiten betrachtet werden. Große Seuchen wie die im 12. Jahrhundert über die Seidenstrasse nach Europa eingeschleppte Pest, die Cholera, Pocken oder Polio haben unzähligen Menschen das Leben gekostet und die Bevölkerung mehr dezimiert als alle Kriege zusammen. Noch im 20. Jahrhundert starben im Zuge der „spanischen” Grippe, aber auch an Erkrankungen wie Tuberkulose und Malaria Millionen von Menschen.
Mit der Entdeckung von Mikroorganismen als auslösende Erreger von Infektionskrankheiten, der Aufdeckung der Infektionswege, der Einführung von antiseptischen Maßnahmen in die Medizin, der Möglichkeit von Impfungen und nicht zuletzt der Entwicklung von Antibiotika entstand die Überzeugung, Infektionskrankheiten überwinden zu können, ja teilweise überwunden zu haben.
Dies hat sich heute, 10 Jahre nach Beginn des neuen Jahrtausends, als Illusion erwiesen.
Neue Viruserkrankungen wie die HIV-Infektion, das SARS auslösende Coronavirus oder neue Influenzaviren beschäftigen uns mehr als zuvor. Alt bekannte Viren wie das Herpesvirus, Rhino- oder RSV-Viren haben inzwischen eine Bedeutung für das Krankenhaus und die Intensivstation erlangt. Gernot Rohde fasst in seinem Artikel den gegenwärtigen Stand des Wissens zu respiratorischen Viren zusammen. Nachdem es mit Ausnahme von HIV lange keine wesentliche Entwicklung von Virostatika gegeben hat, kommt solchen Therapieansätzen eine zunehmende Bedeutung zu. Die sehr eingeschränkte Wirksamkeit der Neuraminidasehemmer bei Influenza ist im Zuge der Schweinegrippepandemie noch einmal ins Bewusstsein gerückt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden neue Influenzaerreger eine Bedrohung werden, was Anforderungen an die Impfstoff-, aber auch die Virustatikaentwicklung stellt. Zudem auch für diese Substanzen inzwischen Resistenzen bekannt sind, die sich teilweise schneller ausbreiten als wir das für Antibiotikaresistenzen gewöhnt waren.
Der Artikel von Kampe et al. widmet sich dem Problem der zunehmenden Resistenz bakterieller Erreger gegenüber den wichtigsten Antibiotika. Während die Dynamik der Resistenzentwicklung ungebrochen ist, sich sogar bei gramnegativen Erregern weiter beschleunigt hat, ist der Stillstand in der Antibiotikaentwicklung nicht überwunden. Die meisten der sich in der Entwicklung befindlichen neuen Substanzen stellen eher Modifikationen bekannter Wirkprinzipien als wirkliche Innovationen dar. Aufgrund der immer höher werdenden Hürden der regulatorischen Behörden für die Zulassung von Antibiotika ist auch in den nächsten Jahren nicht mit einem Entwicklungsschub zu rechnen. Problematisch ist die Situation vor allem für schwer kranke Patienten und gerade in der Intensivmedizin. Nach wie vor sind Infektionen wesentlich für das Versterben von Patienten auf der Intensivstation. So ist die Sterblichkeit der schweren Sepsis und des septischen Schocks mit mehr als 50 % weiterhin hoch. Inadäquate Primärtherapie ist ein weiterer Grund für diese hohe Sterblichkeit. Inadäquat meint dabei sowohl die zu späte Therapieeinleitung als auch das falsche Antibiotikum oder die falsche Dosierung eines Antibiotikums. Schwer kranke Patienten auf Intensivstationen, die gegenüber gesunden Probanden oder „Normalstation”-Patienten eine vollkommen andere Pharmakokinetik aufweisen, sind jedoch mit ganz wenigen Ausnahmen aus klinischen Studien ausgeschlossen. Evidenz zur Behandlung dieser Patienten, vor allem dann, wenn resistente Erreger eine Rolle spielen, gibt es kaum. Der Artikel von Kampe fasst trotz dieser Limitationen die momentanen Empfehlungen zur Behandlung von resistenten Erregern zusammen, um dem Kliniker einen Anhaltspunkt in der täglichen Praxis zu geben.
Medizin allgemein und Intensivmedizin im Besonderen hat in den letzten Jahren immer mehr Patientengruppen eingeschlossen, die früher nicht therapiert worden wären oder eine Therapie nicht überlebt hätten. Vor allem der Einsatz immunsupprimierender Therapiestrategien hat zugenommen, dazu sind schwer kranke Intensivpatienten selbst wie Immunsupprimierte einzuschätzen. Opportunistische Infektionen nehmen daher zu. Neben der oben bereits erwähnten Bedeutung von Viren für die Intensivmedizin gilt das insbesondere für Pilzinfektionen. Trotz der Entwicklung neuer Antimykotika hat sich die Prognose der schwer kranken Patienten nicht gebessert. Viele Fragestellungen, angefangen von der richtigen Dosis und Dauer der Antimykotikatherapie bis hin zum Nutzen von Kombinationstherapie und der Rolle der Corticosteroide für die Früh-, aber auch die Spätphase der Infektion sind ungeklärt. Auch hier ist eine spezifische Evaluation von Substanzen unter Bedingungen der Intensivmedizin notwendig.
Infektionskrankheiten haben uns in den letzten Jahren wieder eingeholt. Wenn wir unsere Rolle als Ärzte nicht, wie einst von Voltaire postuliert, nur in der Belustigung der Patienten sehen wollen und der Natur und dem Schicksal die Entscheidung über Leben und Tod von Patienten überlassen wollen, müssen wir etwas verändern. Dazu gehört eine verbesserte Ausbildung in Infektiologie an den Universitäten, eine bessere Weiterbildung über Infektionskrankheiten in Klinik und Praxis und eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen klinisch theoretischen Fächern wie der Mikrobiologie und Virologie, der klinischen Medizin und der Hygiene als Trägerin der Surveillance. Dazu gehört aber auch, die Etablierung von Plattformen für klinische Forschung für schwer kranke Menschen, gerade im Bereich der Intensivmedizin, um Medikamente da zu erproben, wo sie später auch angewandt werden sollen. Dies erfordert ein Umdenken im ärztlichen und pflegerischen Bereich im Hinblick auf klinische Studien, eine Auseinandersetzung mit ethischen und rechtlichen Aspekten solcher Forschung, aber auch eine Neuorientierung von Regulationsbehörden gerade im Hinblick auf die Risiko-Nutzen Bewertung.
Diese Ausgabe von Intensivmedizin up2date soll eine Anregung bieten, sich mit infektiologischen Themen auseinanderzusetzen und das Interesse der Leser an diesen Themen wecken. Wenn dies gelingt, ist es nur ein kleiner Schritt, aber immerhin ein Anfang auf dem richtigen Weg.
Prof. Dr. Tobias Welte
Klinik für Pneumologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30659 Hannover
Email: welte.tobias@mh-hannover.de
Prof. Dr. Tobias Welte
Klinik für Pneumologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30659 Hannover
Email: welte.tobias@mh-hannover.de