Pneumologie 2010; 64(9): 533-534
DOI: 10.1055/s-0030-1255735
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„The Year of the Lung” – Das Jubiläumsjahr der DGP

”The Year of the Lung” – The Centennial Year of the German Society for Pneumology (DGP)K.  F.  Rabe1
  • 1Dept. of Pulmonology, Leiden University Medical Center, Department of Pulmonology C3-P, Leiden, The Netherlands
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Prof. Dr. med. Klaus F. Rabe, MD, PhD

Dept. of Pulmonology
Leiden University Medical Center
Department of Pulmonology C3-P

PO Box 9600
2300 Leiden
The Netherlands

Email: K.F.Rabe@lumc.nl

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Publication Date:
08 September 2010 (online)

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    Prof. Dr. med. Klaus Rabe.

    Es war natürlich alles längst geplant – nach jahrelanger Vorbereitung das internationale Jahr der Lunge, und selbstverständlich im Gedenken an den 100. Geburtstag der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, der DGP … Stimmt nicht – klar, aber ein schöner Zufall ist es schon.

    Die Diskussion um die Probleme und Herausforderungen der Pneumologie in Deutschland begleiten viele von uns seit dem Berufsanfang, wobei es nie so richtig klar war, inwiefern es sich um ein nationales Problem handelt oder um die Reflektion einer allgemeinen Misere. Von daher ist es bemerkenswert und aufschlussreich, dass die 40. Jahrestagung der World Conference of Lung Health, die in Cancún in Mexiko stattfand, im Dezember 2009 die „Year of the Lung Declaration 2010” verabschiedete. An sich vielleicht nichts so Besonderes, mag man denken im Hinblick auf die Probleme der Welt, wäre da nicht unsere oben zitierte Diskussion und vor allem der Inhalt der Erklärung, die deutlich macht, dass auch die Deutsche Pneumologie internationale Probleme teilt. Die Deklaration erklärt unmissverständlich, dass weltweit hunderte von Millionen Menschen an im Prinzip behandelbaren und vermeidbaren Lungenerkrankungen leiden und versterben. Die Deklaration prangert die Vernachlässigung von Lungenerkrankungen weltweit an und ruft alle großen wissenschaftlichen Fachgesellschaften (und damit auch alle [!] nationalen Gesellschaften Europäischer Länder) auf, sich öffentlich zu äußern und die Kräfte politisch und innerhalb ihrer Gemeinschaften zu bündeln. Ist das sinnvoll? Nach den vielen Deklarationen zu allen erdenklichen Erkrankungen weltweit? Ich denke ja, und unser Jubiläum gibt uns hierzu weiter Gelegenheit, Missstände bewusst zu machen, die nicht unbekannt sein sollten!

    Die wichtige globale Botschaft der jetzt vorliegenden „Year of the Lung”-Erklärung ist einerseits die Größe des Problems Lungenerkrankungen mit mehreren hundert Millionen Erkrankten weltweit als auch die Breite des Erkrankungsspektrums (z. B. Tuberkulose, Asthma, Pneumonie, Grippe, COPD, Lungenkrebs). Ein weiteres Argument im Ruf nach mehr öffentlicher Aufmerksamkeit ist natürlich die erhebliche Mortalität einer ganzen Reihe dieser Erkrankungen, die mit jährlich über 10 Millionen beziffert wird, das sind fast 20 % der globalen Todesfälle. Lungenerkrankungen betreffen Menschen weltweit und in allen Einkommensschichten und die bisherige Annahme, dass Schwellenländer vornehmlich von Infektionserkrankungen betroffen sind, ist zunehmend falsch. Während Asthma, COPD und das Lungenkarzinom zwar bisher häufiger in industrialisierten Ländern angetroffen wurden, sind diese Erkrankungen inzwischen eine große Herausforderung in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen. Dieser Trend ist bei vielen chronischen Erkrankungen, z. B. auch beim Diabetes mellitus und kardiovaskulären Erkrankungen, zu beobachten und hat bereits zu einem merklichen Umdenken in der Weltgesundheitorganisation WHO im Umgang mit non-communicable diseases (NCD) geführt. Neben den erheblichen individuellen Folgen und unermesslichem Leid bedingen Lungenerkrankungen einen erheblichen Teil steigender Gesundheitskosten und ökonomischer Konsequenzen. Überraschenderweise artikulieren sich bisher jedoch weder die globale Öffentlichkeit noch die Politik in bemerkenswerter Weise.

    Die jetzige Initiative des „Year of the Lung”, an der sich alle großen internationalen pneumologischen Gesellschaften beteiligen, hat eine Reihe spezifischer Themen aufgegriffen, welche sicherlich in großen Teilen auch für uns relevant sind. Der globale Umgang mit Tabak und die Verlagerung des Konsums in Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen ist eine weltweite Herausforderung. Während Tabakkonsum einerseits legal ist, fordert er andererseits geschätzte 5 Millionen Tote pro Jahr, einschließlich der 1,3 Millionen Lungenkrebsopfer, wenn man lediglich die direkten Folgen des aktiven Rauchens zugrunde legt. Zur Behandlung der Tuberkulose sind seit Jahrzehnten keine wirklich neuen Medikamente entwickelt worden und der einzige Ansatz einer Vakzination ist nahezu 100 Jahre alt und fällt damit in die Anfangszeit der DGP! Dennoch gab es über 9 Millionen Tuberkulose-Neuerkrankungen im Jahre 2008 und diese im Prinzip behandelbare Erkrankung fordert 1,7 Millionen Todesopfer im Jahr. Pneumonien sind Todesursache von jährlich mehr als 2 Millionen Kindern im Alter unter 5 Jahren, oder auch alle 15 Sekunden, obwohl Pneumonien effektiv und preiswert behandelt werden könnten. Von den 250 000 Asthma-Todesfällen weltweit pro Jahr können viele auf inadäquate Behandlung zurückgeführt werden; und obwohl die COPD nach Schätzungen bis zum Jahre 2020 weltweit die dritthäufigste Todesursache ist, wird die Erkrankung immer noch häufig zu spät oder nicht erkannt. Schließlich führt die Deklaration an, dass beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung in Gebieten mit schlechter Luftqualität lebt, die eine direkte Ursache einer Vielzahl von chronischen Lungererkrankungen darstellt. Bemerkenswerterweise sind weltweit circa 1 Milliarde Menschen Zigarettenrauch-exponiert, dem stehen jedoch 4 Milliarden Menschen mit chronischer Exposition an sogenannter Biomasse gegenüber, in der Regel durch den häuslichen Gebrauch fossiler Brennstoffe.

    Selbst wenn diese internationalen Brennpunkte natürlich nicht immer auf die Situation in Deutschland zutreffen, so kommen sie in Aspekten unserer Realität in Deutschland doch recht nahe, so wie dies das Weißbuch Lunge der DGP und auch die kürzlich erschienene wunderbare Chronik zu 100 Jahren DGP ausweist.

    Unter den unbestreitbaren klinischen und wissenschaftlichen Herausforderungen in der Pneumologie ist jedoch vielleicht die zukünftige Ausbildung und Förderung von jungen Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern die größte. Hierzu gehört einerseits die Vermittlung unserer eigenen Begeisterung für das Fach Lungenheilkunde, aber auch die strukturierte Weiterbildung in der Pneumologie mit allen Facetten inklusive der Beatmungs- und Intensivmedizin, aber auch der pneumologischen Onkologie und der Infektiologie, neben der dringend notwendigen wissenschaftlichen Schulung. Die nach wie vor lückenhafte Vertretung der Pneumologie in den deutschen Universitäten verstärkt diesen Missstand und ist entgegen früherer Prognosen bislang kaum verbessert. Darüber hinaus ist eine Harmonisierung der Weiterbildung im Europäischen Kontext sicher wünschenswert und die HERMES-Examen der European Respiratory Society (ERS) werden uns auf diesem Weg helfen. Neben der fachlichen, klinischen und wissenschaftlichen Bildung haben wir allerdings das gemeinsame Problem der Generierung von Führungskräften für die Pneumologie. Hier steht Deutschland sicher nicht alleine dar, sondern dies ist ein erkanntes Europäisches und sehr wahrscheinlich globales Problem. Junge talentierte Pneumologinnen und Pneumologen haben häufig nicht (mehr) das Streben nach Führungspositionen mit allen Unsicherheiten und Belastungen, wobei man über die Gründe einer solchen Entwicklung nur spekulieren kann. Die Berufungsverfahren, z. B. auf Lehrstühle im Europäischen Ausland, machen es allerdings deutlich, dass sowohl die Mobilität als auch das personelle Angebot mangelhaft sind.

    Die internationale Initiative des Year of the Lung setzt natürlich auf internationale Partnerschaften und unterstützt unter anderem die erste echte Internationale Public Health Initiative: die WHO-Deklaration zur Kontrolle des Tabakkonsums, inklusive der 160 Länder, die diese Deklaration bisher unterzeichnet haben. Ebenfalls fordert sie adäquate Forschungsförderung und die Entwicklung neuer Instrumente und Methoden zur Diagnostik und Behandlung, von Vakzinen und innovativen Medikamenten sowie die Unterstützung der Gesundheitssysteme zur Ermöglichung einer ausgewogenen und gerechten Krankheitsversorgung für alle. Darüber hinaus wird die politische Forderung zur gesetzlichen Regelung des Rechts auf saubere Luft zum Atmen angemahnt. Schließlich will die Initiative nachhaltig dazu beitragen, dass jeder – Laien, Politiker, Gesetzesmacher, Ausbilder und Lehrer, auch religiöse Führer – sich der Risiken und Zeichen von Lungenerkrankungen bewusst ist und dass damit der automatische Aufruf verbunden sein sollte, die Lunge gesund zu halten, das essenzielle Organ für die Atmung und das Leben.

    Es gibt neben dieser Initiative natürlich auch andere gute Nachrichten für unser Fach. Die Initiative der WHO, chronische Lungenerkrankungen mit GARD ins globale Bewusstsein zu rücken, und die zunehmenden Initiativen der Europäischen Gemeinschaft und ganz aktuell auch der Vereinten Nationen sind Zeichen des Aufbruchs und haben unser Fach in der letzten Zeit unerwartet deutlich unterstützt. In diesem Zusammenhang ist auch die nationale und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Initiative, die Schaffung eines Deutschen Lungenzentrums nachdrücklich als gute Nachricht zu nennen und mit Dank zu begrüßen!

    Initiativen wie das Jahr der Lunge sind vorwiegend politische Instrumente, mit denen die großen Fachgesellschaften und insbesondere die ERS versuchen, Europäische Politik zu beeinflussen im Sinne unseres Faches. Diesem Ziel kommt man natürlich in einem Jahr nur bedingt näher, aber auch die DGP hat (100) Jahre gebraucht, um zu dem heranzuwachsen, was sie heute ist. Die ERS und alle anderen aktiven Partner des „Year of the Lung” brauchen allerdings die Unterstützung und Hilfe aller nationalen Gesellschaften in der Umsetzung ihrer unmittelbaren Ziele und bei der Bewältigung langfristiger Aufgaben – wer ist hierbei ein besserer Partner als eine Gesellschaft mit so langer Tradition?
    Herzlichen Glückwunsch DGP von den Partnern der ERS.

    Klaus F. Rabe
    Vize-Präsident der European Respiratory Society (ERS).

    Prof. Dr. med. Klaus F. Rabe, MD, PhD

    Dept. of Pulmonology
    Leiden University Medical Center
    Department of Pulmonology C3-P

    PO Box 9600
    2300 Leiden
    The Netherlands

    Email: K.F.Rabe@lumc.nl

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