Intensivmedizin up2date 2011; 7(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0030-1256199
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hauptsache heftige Herzmassage!

Die neuen europäischen Leitlinien zur kardiopulmonalen ReanimationBernd  W.  Böttiger
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Univ.-Prof. Dr. med. Bernd W. Böttiger

Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Köln

Kerpener Straße 62
50937 Köln

Email: bernd.boettiger@uk-koeln.de

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Publication Date:
14 February 2011 (online)

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Bernd W. Böttiger

Wir können 100 000 Menschen pro Jahr in Europa retten

In jedem Jahr sterben in Europa 350 000 Menschen nach einem plötzlichen Kollaps bzw. Kreislaufstillstand, obwohl Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Das sind 1000 Menschen pro Tag und ein Mensch alle 1,5 min. Stellen wir uns – sehr plakativ – einmal vor, was alles passieren würde, wenn in Europa – das ganze Jahr über – jeden Tag 2 Jumbo-Jets abstürzen würden und es keine Überlebenden gäbe. Das Ergebnis bezüglich der zu beklagenden Menschenleben wäre das gleiche. Würden wir nicht Himmel und Erde in Bewegung setzen und alles – finanziell, forschungsmäßig und politisch – geben, um ein solches Problem sofort anzugehen und zu lösen? Beim Kreislaufstillstand ist dies ganz offensichtlich anders. Warum ist das so? Ist dieser massenhafte Tod einfach zu still, zu individuell, zu privat, oder einfach zu wenig spektakulär?

Ein anderer Vergleich macht mich nicht weniger betrübt – und gleichzeitig sehr hoffnungsvoll: In den vergangenen 30 Jahren wurde für den in einer Klinik eintreffenden Patienten mit Myokardinfarkt eine Abnahme der Letalität um den Faktor 10 erreicht. Dazu beigetragen hat sicherlich, dass für den Herzinfarkt sehr viele klinische Studien gefördert, durchgeführt, abgeschlossen und im Ergebnis umgesetzt wurden. Unsere amerikanischen Kollegen haben ihre diesbezüglichen Aktivitäten aktuell hochgerechnet und sich genau angesehen, wie viele Studien pro 10 000 Todesfälle für unterschiedliche Krankheitsbilder gefördert wurden [1]: Beim Myokardinfarkt wurden 439 Studien pro 10 000 Todesfälle gefördert, für den Kreislaufstillstand und die Reanimation waren es dagegen nur 8 (s. Tab. [1]). Um zukünftig eine signifikante Verbesserung des Überlebens beim Kreislaufstillstand erzielen zu können, müssen auch in diesem Bereich wesentlich mehr klinische Untersuchungen gefördert und publiziert werden. Dann werden wir auch hier zum Myokardinfarkt vergleichbare Verbesserungen des Überlebens erreichen.

Tabelle 1  Anzahl geförderter Studien, Anzahl der Todesfälle pro Jahr und Anzahl der geförderten Studien pro 10000 Todesfälle und Jahr in den USA für verschiedene Erkrankungen [1].
Suchbegriff Geförderte Studien Todesfälle pro Jahr Geförderte Studien pro 10 000 Todesfälle und Jahr
myocardial infarction 6886 157 000 439
stroke 4403 150 000 294
heart failure 9919 284 000 349
heart arrest and resuscitation 257 310 000 8

Das, was an experimentellen und klinischen Studienergebnissen verfügbar ist im Bereich Kreislaufstillstand und kardiopulmonale Reanimation, wird regelmäßig im Rahmen des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR, www.ilcor.org) umfassend evaluiert und bewertet. Nach einem mehrjährigen, sehr intensiven Prozess – an dem mehr als 100 europäische Wissenschaftler aus zahlreichen Fachgebieten aktiv beteiligt waren – und im Rahmen dessen fast 300 eigenständige wissenschaftliche Fragestellungen in einem standardisierten und evidenzbasierten Leitlinienprozess bearbeitet wurden [2], hat das European Resuscitation Council (ERC, www.erc.edu) am 18. Oktober 2010 die neuen Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation veröffentlicht [3]. Bereits kurze Zeit später lagen diese Leitlinien auch in der offiziellen gemeinsamen deutschen Übersetzung durch das German Resuscitation Council (www.grc-org.de), das Austrian Resuscitation Council (www.arc.or.at) und das Swiss Resuscitation Council (www.resuscitation.ch) vor. Die zentralen Aussagen der neuen Reanimationsleitlinien 2010 sind ganz klar:

  • fester und schneller drücken als bisher, möglichst ohne Pausen, also „Hauptsache heftige Herzmassage”,

  • beatmen, auch durch Laien, immer wenn sie dies können und wollen,

  • „Telefon-Reanimation”, also telefonische Anleitung von Laien zu Thoraxkompressionen durch die Leitstelle,

  • frühe und ggf. automatische Defibrillation,

  • Lyse während der Reanimation bei Lungenembolie,

  • „Lipid Resuscitation” bei Kreislaufstillstand nach Lokalanästhetikaintoxikation,

  • nicht zu viel Sauerstoff nach Wiederherstellung des Kreislaufs,

  • therapeutische Hypothermie für Erwachsene, Kinder und asphyktische Neugeborene

  • und bei Erwachsenen immer auch an die hier sehr häufige koronare Ursache des Kreislaufstillstands denken und diese ggf. im Herzkatheterlabor therapieren.

Wenn man nicht alleine ist, dann soll man sich alle 2 Minuten bei der Herzmassage ablösen lassen, denn nach 2 Minuten kann auch ein kräftiger Mensch nicht mehr effektiv den Brustkorb eindrücken. Auch für Laien ist die Botschaft ganz klar: Das Wichtigste ist die heftige Herzmassage. Jeder kann das, selbst Schulkinder – es ist kinderleicht. Schaden kann man nicht. Jeder kann zum Überleben beitragen, selbst wenn er oder sie noch nie eine Wiederbelebung gesehen haben. Dies muss in der breiten Bevölkerung nachhaltig ankommen – wir alle sind hier auch persönlich gefordert.

Die neuen ERC-Leitlinien 2010 setzen sehr konsequent die Richtung fort, die vom ERC 2005 – und wie wir mittlerweile wissen sehr erfolgreich im Hinblick auf das Überleben [4] – eingeschlagen wurde (www.erc.edu). Ich bin ganz sicher: Bei konsequenter Anwendung der neuen ERC-Leitlinien werden wir 100 000 Menschenleben pro Jahr in Europa mehr retten. Wir – die Profis – und die Laien müssen das jetzt Neue nur konsequent und umfassend umsetzen. Wir müssen die Botschaft nur weit verbreiten und verankern – auch die Botschaft, dass wir hier in Zukunft viel mehr in Forschung investieren müssen.

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Literatur

  • 1 Ornato J P, Becker L B, Weisfeldt M L, Wright B A. Cardiac arrest and resuscitation: an opportunity to align research prioritization and public health need.  Circulation. 2010;  122 1876-1879
  • 2 Hazinski M F, Nolan J P, Billi J E et al. Part 1: executive summary: 2010 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science With Treatment Recommendations.  Circulation. 2010;  122 S250-S275
  • 3 Nolan J P, Soar J, Zideman D A et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2010 Section 1. Executive summary.  Resuscitation. 2010;  81 1219-1276
  • 4 Steinmetz J, Barnung S, Nielsen S L et al. Improved survival after an out-of-hospital cardiac arrest using new guidelines.  Acta Anaesthesiol Scand. 2008;  52 908-913

Univ.-Prof. Dr. med. Bernd W. Böttiger

Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Köln

Kerpener Straße 62
50937 Köln

Email: bernd.boettiger@uk-koeln.de

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Literatur

  • 1 Ornato J P, Becker L B, Weisfeldt M L, Wright B A. Cardiac arrest and resuscitation: an opportunity to align research prioritization and public health need.  Circulation. 2010;  122 1876-1879
  • 2 Hazinski M F, Nolan J P, Billi J E et al. Part 1: executive summary: 2010 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science With Treatment Recommendations.  Circulation. 2010;  122 S250-S275
  • 3 Nolan J P, Soar J, Zideman D A et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2010 Section 1. Executive summary.  Resuscitation. 2010;  81 1219-1276
  • 4 Steinmetz J, Barnung S, Nielsen S L et al. Improved survival after an out-of-hospital cardiac arrest using new guidelines.  Acta Anaesthesiol Scand. 2008;  52 908-913

Univ.-Prof. Dr. med. Bernd W. Böttiger

Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Köln

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