3 Die Umgebungsuntersuchung
3.1 Ziele der Umgebungsuntersuchung
Aus epidemiologischer Sicht sind bei einer übertragbaren
Krankheit folgende Aufgaben zu lösen:
An die Infektionsketten kann man aus zwei Richtungen herangehen:
1. zentripetal: Suche nach der Infektionsquelle (Quellensuche) und 2.
zentrifugal: Suche nach Ansteckungsverdächtigen,
Krankheitsverdächtigen und Kranken (siehe [Abb. 1 ]).
Abb. 1 Die beiden Richtungen
der Umgebungsuntersuchung: zentripetal bzw. zentrifugal.
Abb. 2 Flussdiagramm zur
Umgebungsuntersuchung für enge Kontaktpersonen eines TB-Indexfalles:
Kinder unter 5 Jahren.
Abb. 3 Flussdiagramm zur
Umgebungsuntersuchung für enge Kontaktpersonen eines TB-Indexfalles:
Kinder 5 bis < 15 Jahre.
Abb. 4 Flussdiagramm zur
Umgebungsuntersuchung für enge Kontaktpersonen eines TB-Indexfalles:
Jugendliche und Erwachsene ab 15 Jahren.
Bei der Tuberkulose wird beides unter dem Begriff
„Umgebungsuntersuchung” zusammengefasst, ungeachtet der
Unterschiede nach Ansatz, Ziel und Methodik [26 ].
Obwohl Reaktivierungen einer früheren tuberkulösen
Erstinfektion in den westlichen Industrieländern als Ursache von
Tuberkulose noch immer dominieren, haben jüngere populationsbasierte,
molekularepidemiologische Studien in Europa und den USA aufgezeigt, dass auch
in Ländern mit niedriger Tuberkuloseinzidenz
35 – 40 % aller Fälle „frisch
übertragener” Tuberkulosen [5 ]
[27 ]
[28 ]
[29 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]
und 13 – 16 % der Wiedererkrankungen an
Tuberkulose die Folge einer exogenen Reinfektion waren [34 ].
Hieraus folgt, dass Maßnahmen der Tuberkulosekontrolle,
u. a. eine konsequente chemopräventive Therapie der LTBI, durch
welche die Zirkulation von Tuberkulosebakterien wirksam eingeschränkt
wird, in Deutschland, insbesondere bei Risikogruppen mit deutlich erhöhter
Tuberkuloseinzidenz, zeitnah zu einer weiteren Senkung der Inzidenz führen
könnten [35 ].
Andererseits beträgt die Quote der im Rahmen einer
konventionellen Umgebungsuntersuchung entdeckten Tuberkulosefälle in
großen Kohortenstudien in Niedrigprävalenzländern unter
Einbeziehung von in unterschiedlichem Maße exponierten Kontaktpersonen in
der Regel lediglich 1 – 2 %
[12 ]
[24 ]
[35 ]
[37 ], sodass eine Fokussierung
auf diejenigen Personen sinnvoll erscheint, bei deren Kontakt mit dem Indexfall
nach den vorliegenden Erkenntnissen ein realistisches Infektionsrisiko mit
Tuberkulosebakterien besteht (s. 3.8.1). Für Kinder, die, sofern sie
infiziert wurden, besonders vulnerabel hinsichtlich einer nachfolgenden aktiven
Tuberkulose sind (s. 2.5), ist die Umgebungsuntersuchung von herausragender
Bedeutung: So wurden 2009 fast 50 % der Tuberkulosen bei Kindern
(60 von 124 Erkrankten) als Folgefälle im Rahmen von
Umgebungsuntersuchungen entdeckt [35 ].
Mit der Entwicklung neuer In-vitro-Testverfahren
(Interferon[IFN]-γ-Tests), welche sich die IFN-γ-Produktion
sensibilisierter T-Lymphozyten zunutze machen (s. 3.5.3), haben sich nunmehr
Möglichkeiten ergeben, die Treffsicherheit in der Diagnostik der LTBI zu
erhöhen und die Indikation zur chemopräventiven Therapie enger
stellen zu können.
3.2 Bewertung der Ansteckungsgefahr durch den Indexfall
Anhand der im Gesundheitsamt eingegangenen Meldung wird die
Ansteckungsgefahr, die vom Indexfall ausgeht, vornehmlich basierend auf den
bakteriologischen Untersuchungsergebnissen und der Organmanifestation
abgeschätzt. Weitere Informationen zum klinischen Bild und Verlauf bzw.
über bereits vorliegende Befunde werden eingeholt. Es wird empfohlen, bei
Tuberkulose des Lungenparenchyms, Tracheobronchialbaums und Pharynx inklusive
Kehlkopf
mit mikroskopischem Nachweis säurefester Stäbchen in
respiratorischen Sekreten, insbesondere im Sputum oder
mit kulturellem oder molekularbiologischem Nachweis von
M. tuberculosis -Komplex in respiratorischen Sekreten
(Sputum, BAL oder Magensaft) oder
mit Nachweis einer Kaverne im Röntgenbild, wenn das
Ergebnis der mikrobiologischen Diagnostik von Sputum, BAL oder Magensaft
unbekannt ist oder noch aussteht
eine Suche nach Personen einzuleiten, die sich im Kontakt mit dem
Indexfall mit Tuberkulosebakterien angesteckt haben oder infolgedessen erkrankt
sind (s. 3.7 bzw. 3.8).
Weiterhin wird eine Suche nach infizierten Kontaktpersonen
empfohlen,
wenn der Indexfall als Infektionsquelle einer weiteren
Erkrankung an Tuberkulose gelten kann
wenn das Ergebnis einer Obduktion eines an Tuberkulose
erkrankten Patienten Hinweise auf Ansteckungsfähigkeit zu Lebzeiten oder
für eine Gefährdung des Sektionspersonals ergibt.
Von Kranken mit anderen Formen der Tuberkulose geht, selbst wenn
Erreger ausgeschieden werden, in der Regel keine realistische Ansteckungsgefahr
aus [38 ]. Zentrifugale Umgebungsuntersuchungen
können dann unterbleiben und sind nur erforderlich, wenn vermutlich
erregerhaltiges Material inokuliert wurde (s. 2.2). Die Frage der Quellensuche
(s. 3.7) wird davon nicht berührt.
Um den Infektionszeitraum abzuschätzen, wird man den Beginn
des Hustens berücksichtigen oder, wenn dies nicht möglich ist bzw.
bei vorbestehendem Husten anderer Ätiologie, den Beginn der
Bakterienausscheidung und damit der Infektiosität in Abhängigkeit von
der Ausdehnung des Befundes 6 Monate vor Diagnosestellung, ggf. auch
kürzer oder länger, annehmen.
Wenn zentrifugale Umgebungsuntersuchungen trotz Erregernachweis
bei einem Fall von Lungentuberkulose unterlassen oder nur eingeschränkt
durchgeführt werden, so ist dies in den Unterlagen des Indexfalles
schriftlich zu begründen.
3.3 Erfassung der Kontaktpersonen
An Tuberkulose erkrankte Personen sind nach den §§ 26
Abs. 1 und 16 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gesetzlich verpflichtet, die
„erforderlichen Auskünfte” zu erteilen und exponierte
Personen oder Personengruppen mit Namen und Adresse zu benennen.
Die notwendigen Ermittlungen, um Hinweise auf eine
Ansteckungsquelle oder die Ausbreitung der Tuberkulose zu erhalten und eine
Liste der Kontaktpersonen aufzustellen, sind jedoch nur dann Erfolg
versprechend, wenn beim ersten Kontakt mit dem Tuberkulosekranken eine
Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens geschaffen und die erkrankte Person
für eine Kooperation gewonnen werden kann. Erfahrungsgemäß
genügt eine gesetzliche Grundlage, die den Erkrankten zur Mithilfe
verpflichtet, keineswegs, um eine vertrauensvolle Mitarbeit zu initiieren.
Bereits im Erstgespräch muss daher versucht werden, durch
sensible und kompetente Gesprächsführung aus dem sozialen
Aktionsradius des Indexfalls schließlich diejenigen Personen und Gruppen
auszuwählen, die in die Umgebungsuntersuchung einbezogen werden.
In seltenen Fällen erweisen sich Kranke als unkooperativ.
Insbesondere muss in bestimmten „Szenen” und
„Milieus” (z. B. bei i. v.-Drogenabhängigen,
Alkoholkranken, Obdachlosen und Prostituierten) mit Ermittlungsschwierigkeiten
gerechnet werden [39 ]. Bei Kranken, die nicht in
Deutschland geboren wurden, kann die Zusammenarbeit durch Sprach- und
Verständigungsschwierigkeiten, gelegentlich auch durch ein kulturell
anders geprägtes Krankheitsverständnis erschwert werden. Die
eingehende Aufklärung und Information des Betroffenen und seiner
Angehörigen sollte daher möglichst in der jeweiligen Muttersprache
(Hinzuziehung eines Dolmetschers), beispielsweise unterstützt durch die
Verwendung der Informationsblätter des DZK, erfolgen.
Je nach Problemlage agieren die Mitarbeiter der
Gesundheitsämter nicht nur als Bindeglied zwischen dem Erkrankten und den
ihn betreuenden niedergelassenen Ärzten, sondern auch zwischen dem
Erkrankten und Behörden. Anträge müssen gestellt und Wege
geebnet werden ([Tab. 1 ]).
Tab. 1 Soziale und
organisatorische Probleme der Indexfälle und Kontakte zu den
zuständigen Behörden.
Indexfall
Probleme
Kontakt zu Behörde
Asylbewerber
Verlängerung der
Aufenthaltsgenehmigung zur Durchführung einer korrekten
antituberkulotischen Behandlung Verständigungsschwierigkeiten
Ausländerbehörde, ärztlicher Dienst der zentralen
Gemeinschaftsunterkunft Dolmetscher
Migranten mit
ungeklärtem Aufenthaltsstatus
illegaler Aufenthalt,
keine Krankenversicherung Verständigungsschwierigkeiten
Aufenthaltsfeststellung
durch die Ausländerbehörde Dolmetscher
Spätaussiedler
bei nicht
deutschstämmigen Ehepartnern Unklarheiten über
Krankenversicherung Verständigungsschwierigkeiten
Sozialamt, ggf. andere
Behörden Dolmetscher
Obdachloser Häftling unmittelbar nach Entlassung
aus JVA
Keine Unterkunft, keine
Krankenversicherung
Wohnungsamt, karitative
Organisationen, Sozialamt
Psychisch bzw. geistig
Kranker
Gesundheitsfürsorge Aufenthalt
Gericht Betreuungsstelle
Erkrankter in
finanzieller Notlage
Wohnungsbeschaffung,
ggf. Wohnraumsanierung
Sozialamt, karitative
Organisationen
Oftmals ist es erst nach Bewältigung der in
[Tab. 1 ] beispielhaft aufgeführten Probleme
möglich, das eigentliche Ziel, nämlich die Erfassung der
Kontaktpersonen, zu erreichen.
Um eine zielgerichtete, eingegrenzte Umgebungsuntersuchung planen
zu können, sollten Verhalten und Lebensstil des Patienten in seiner
vertrauten Umgebung exploriert werden. Dies ermöglicht am besten,
familiäre und partnerschaftliche Bindungen sowie freundschaftliche
Kontakte in Hinblick auf die Übertragung der Tuberkulosebakterien zu
beurteilen.
Um die bei der Tuberkulose sehr wichtigen sozialen Aspekte zu
erfassen, sollte das Gespräch mit dem Erkrankten bzw. die Erfassung der
Kontaktpersonen möglichst durch Sozialarbeiter erfolgen. Es wird
empfohlen, den Indexfall darauf hinzuweisen, dass enge Kontaktpersonen, deren
Name und Adresse – sofern bekannt – dem Gesundheitsamt aus
verschiedenen Gründen nicht genannt werden können, über ihr
Infektionsrisiko informiert werden müssen, damit sie sich in
Eigeninitiative zu den erforderlichen Untersuchungen begeben und auf
Frühsymptome der Tuberkulose achten.
3.4 Rechtliche Rahmenbedingungen
3.4.1 Infektionsschutzgesetz
In der Bundesrepublik regelt das IfSG [40 ]
[41 ], welche Maßnahmen bei
übertragbaren Krankheiten, damit auch bei der Tuberkulose, zur
Prävention und Kontrolle der Erkrankung in der Bevölkerung notwendig
und zulässig sind. Als Bundesgesetz genießt es Vorrang vor
Landesgesetzen, z. B. vor Gesetzen des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes.
Beim Tätigwerden nach dem IfSG handelt es sich um
hoheitliche Aufgaben, für die in der Regel der Öffentliche
Gesundheitsdienst in Gestalt seiner Gesundheitsämter zuständig ist
[42 ]. Die einschlägigen Regelungen finden sich in
den §§ 25 und 26 in Verbindung mit §§ 2 und 16 IfSG
[40 ]
[41 ]. Daneben sind folgende
rechtsstaatliche Prinzipien zu beachten:
Verhältnismäßigkeit der Mittel,
ärztliche Schweigepflicht,
grundgesetzlich garantierter Persönlichkeitsschutz,
konkretisiert im Datenschutz.
Die §§ 25 und 26 IfSG erteilen den
Gesundheitsämtern einen Rahmenauftrag, verlangen jedoch nicht, dass die
genannten Aufgaben von ihnen auch selbst durchgeführt werden. Das
Gesundheitsamt muss aber sicherstellen, dass die notwendigen Untersuchungen
zeitgerecht, durch einen fachlich kompetenten, in den Aufgaben des
Gesundheitsschutzes erfahrenen Arzt und im methodisch gebotenen Ausmaß
erfolgt sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist
ausschließlich der untersuchende Arzt für das Ergebnis
verantwortlich.
3.4.2 Schweigepflicht und Datenschutz
Das IfSG schränkt die ärztliche Schweigepflicht und
den grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG),
konkretisiert im Datenschutz, ein, damit die Ziele des Infektionsschutzes
erreicht werden können. Beides darf nur in dem Ausmaß verletzt
werden, das unter Anlegung eines strengen Maßstabes für die
Erfüllung des gesetzlichen Auftrages unvermeidbar ist.
Bei den Ermittlungen wird man sich in erster Linie an den
Erkrankten (Indexfall) wenden. Sofern erforderlich, können nahe
Angehörige und der Arbeitgeber bzw. der Personalchef zu den
Kontaktpersonen befragt werden. Angaben über die Tuberkulose des
Indexfalles sind auf das unerlässliche Minimum zu beschränken.
Entsprechendes gilt für die Kommunikation unter
Gesundheitsämtern.
Nach § 25 Abs. 1 des IfSG hat das Gesundheitsamt die
Aufgabe, die erforderlichen Ermittlungen über Ursache, Ansteckungsquelle
und Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit anzustellen, wenn sich
ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig oder
ansteckungsverdächtig ist. Für den Umgang mit den bei den
Untersuchungen erhobenen personenbezogenen Daten enthält § 26 Abs. 2
Satz 4 IfSG eine besondere Datenschutzregelung. Danach dürfen die bei den
Untersuchungen erhobenen personenbezogenen Daten nur für Zwecke dieses
Gesetzes verarbeitet und genutzt werden. Die Nennung des Indexfalls
gegenüber Kontaktpersonen ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten.
Sie ist rechtmäßig, wenn insbesondere die Voraussetzungen des §
25 Abs. 1 IfSG erfüllt sind und wenn entweder Zweifel am
tatsächlichen Vorliegen des angegebenen Kontaktes bestehen oder durch die
Befragung des Indexfalles alleine Art bzw. Intensität des Kontaktes nicht
hinreichend konkretisiert werden können (s. 3.2, 3.8.1).
Die Nennung des Indexfalls gegenüber Kontaktpersonen kann
nach der Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Gesundheit im
Einzelfall nicht nur erforderlich sein, um Ursache, Ansteckungsquelle und
Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit aufzuklären. Sie kann
vielmehr auch geboten sein, damit die vom Gesundheitsamt nach § 25 Abs. 2
IfSG zu treffenden Anordnungen hinreichend bestimmt sind und die von den
Anordnungen Betroffenen ihre Rechte wahren können, so auch das den
Auskunftspflichtigen nach § 25 Absatz 1 i. V.m. § 16 Abs. 2
Satz 4 IfSG zukommende Auskunftsverweigerungsrecht.[4 ]
Es wird empfohlen, das Vorgehen des Gesundheitsamtes in
derartigen Fällen eingehend zu dokumentieren.
3.4.3 Röntgenverordnung
Bei jeder im Rahmen einer sachgerechten Ermittlung veranlassten
zentripetalen wie zentrifugalen Untersuchung ist von einem individuell
begründeten Tuberkuloseverdacht auszugehen. Dass er sich nur in einem Teil
der Fälle bestätigt, ist dabei unerheblich. Insoweit besteht ein
grundlegender Unterschied gegenüber den Untersuchungen nach § 36 Abs.
4 IfSG [40 ]
[41 ]: Dort gibt es nur
eine Kollektivindikation, nämlich zu überprüfen, ob gegen die
Aufnahme von Personen in eine bestimmte Gemeinschaftseinrichtung
gesundheitliche Bedenken wegen einer etwaigen Erkrankung an
ansteckungsfähiger Lungentuberkulose bestehen. Die Untersuchungen erfolgen
also unter Gesichtspunkten des Infektionsschutzes und finden ihre
Rechtsgrundlage im § 25 Abs. 1, 1. Satz der Verordnung zum Schutz vor
Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung, RöV), der die Anwendung von
Röntgenstrahlen in sonstigen durch das Gesetz vorgesehenen oder
zugelassenen Fällen erlaubt.
Die ungleiche Ausgangsposition hat rechtliche Bedeutung. Die
RöV verlangt in § 24, dass die Röntgenuntersuchung in
Ausübung der Heilkunde[5 ] erfolgt und zwar nach
§ 25 aus ärztlicher Indikation [43 ]
[44 ]. Beide Bedingungen sind sowohl für die
zentripetale wie die zentrifugale Untersuchung erfüllt. Immer wird aus
ärztlicher Indikation nach einer Erkrankung an Tuberkulose gesucht und das
ist unstrittig Ausübung der Heilkunde.
Die Röntgenaufnahmen werden von Ärzten des
Gesundheitsamtes fast ausschließlich gemäß § 26 IfSG
veranlasst und unter Standardbedingungen (in der Regel p.-a.) zum Ausschluss
einer Tuberkulose der Atmungsorgane durchgeführt.
Sofern das Gesundheitsamt noch selbst Röntgenuntersuchungen
vornimmt, muss es alle Bestimmungen der RöV berücksichtigen,
insbesondere §§ 13 – 15a (allgemeine
Schutzmaßnahmen), §§ 16 – 18a
(Qualitätssicherung einschließlich der Aktualisierung des
Fachkundenachweises alle 5 Jahre), §§ 19 – 22
(Strahlenschutzbereich, Schutzvorkehrungen), § 23 (rechtfertigende
Indikation), §§ 24 – 25
(Anwendungsgrundsätze und zur Anwendung berechtigte Personen) und §
28 (Aufzeichnungspflicht, Röntgenpass). Hinsichtlich des Strahlenrisikos
wird auf die Veröffentlichung des DZK [45 ]
verwiesen.
3.5 Methodik der Umgebungsuntersuchung
3.5.1 Testtheoretische Voraussetzungen und
Risikokommunikation gegenüber Kontaktpersonen
Jede gemäß § 6 des IfSG gemeldete Erkrankung an
Tuberkulose stellt einen Auftrag an das zuständige Gesundheitsamt dar zu
prüfen, ob und in welchem Umfang eine Umgebungsuntersuchung zur Aufdeckung
der Infektionsquelle und/oder zur Verhütung von Folgefällen durch
Chemoprävention/-prophylaxe oder Früherkennung von Folgefällen
durch radiologische Verlaufsbeobachtung infizierter Kontaktpersonen
erforderlich ist. Der kontinuierliche Rückgang der Neuerkrankungen an
behandlungsbedürftigen Tuberkulosen muss auch in Deutschland zu einer
Anpassung der Kontrollstrategien zugunsten einer konsequenten
chemopräventiven Therapie bei besonders erkrankungsgefährdeten
infizierten Personen (z. B. Kinder, HIV-Infizierte, immunsuppressiv
Behandelte, insbesondere bei Therapie mit TNF-α-Inhibitoren, s. 2.5)
führen.
Ein gezielter Einsatz präventiver Maßnahmen ist
abhängig von dem Vorhersagewert der in der Umgebungsuntersuchung
eingesetzten Methode zur Erkennung einer Infektion. Dieser sog. positive
prädiktive Wert (PPW) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der bei
testpositiven Kontaktpersonen auch wirklich eine LTBI vorliegt, und wird nach
der folgenden Formel berechnet:
PPW = Sensitivität x
Prävalenz/[Sensitivität x Prävalenz +
(1-Spezifität) × (1-Prävalenz)]. Neben seinen für den
jeweiligen Test charakteristischen Eigenschaften (Sensitivität und vor
allem Spezifität) hängt die Höhe des PPW zum anderen von der
Prävalenz der Infektion mit M. tuberculosis im
untersuchten Kollektiv („pre-test probability”) als
epidemiologischem Parameter ab.
Eine hohe Sensitivität bezeichnet hierbei die
Fähigkeit, möglichst viele Personen mit LTBI zu erfassen und somit
möglichst wenig falsch-negative Ergebnisse beim Vorliegen einer LTBI zu
erhalten. Die Spezifität gibt hingegen den Prozentsatz richtig negativer
Ergebnisse bei Nichtinfizierten an.
Während sich die Sensitivität eines Screeningtests
aufgrund des fehlenden Goldstandards für eine LTBI am Surrogat der
Sensitivität bei bakteriologisch nachgewiesener Tuberkuloseerkrankung
orientieren muss, kann die Spezifität nur an Studienpopulationen gesunder
Erwachsener ohne bekannte Exposition gegenüber M.
tuberculosis gemessen werden, bei denen – und daher kann die Auswahl
nur in Niedrigprävalenzländern erfolgen – zugleich das Risiko
einer zufälligen Exposition gegenüber unerkannten
Tuberkulosepatienten sehr gering ist.
Die Infektionsprävalenz im untersuchten Kollektiv von
Kontaktpersonen eines an ansteckungsfähiger Tuberkulose Erkrankten
korreliert eng mit Dauer und Intensität des Kontaktes (3.8.1). Die
Risikokommunikation zur Abschätzung von Kontaktart und -intensität
nimmt im Gespräch zwischen dem Personal des Gesundheitsamtes und den durch
die Information, sie seien gegenüber Tuberkulosebakterien exponiert und
eventuell infiziert worden, meist verunsicherten Kontaktpersonen deshalb einen
wichtigen Platz ein.
3.5.2 Tuberkulin-Hauttest
Diagnostisch lässt sich die durch intrakutane Applikation
von Tuberkulin auslösbare verzögerte allergische Reaktion vom
zellvermittelten Typ mittels des Tuberkulin-Hauttests (THT) als derzeit am
besten dokumentierte Methode zum Nachweis einer LTBI nutzen.
Tuberkulin ist eine teilweise gereinigte Proteinfraktion aus
Überständen von Kulturen von M. tuberculosis
[46 ]. Nach der von Mendel und Mantoux beschriebenen
Technik werden 2 Einheiten (Tuberculin Units, TU) RT 23-Tuberkulin des
dänischen Statens Serum Instituts (= 0,04 µg
Tuberkulin PPD RT 23 SSI), entsprechend 5 TU Purified Protein Derivative
– Standard (PPD-S), in einem Volumen von 0,1 ml mittels einer
27G-Nadel und einer geeigneten kleinvolumigen („Tuberkulin”-)
Spritze streng intrakutan an der Beugeseite des Unterarms injiziert.
Bei einer vorausgegangenen Infektion entsteht eine lokalisierte
Reaktion mit Erythem und Induration, die innerhalb von 24 Stunden beginnt,
ihren Höhepunkt zwischen 48 und 72 Stunden erreicht und allmählich
wieder über die nächsten 1 – 2 Wochen abklingt.
Der Ablesezeitpunkt sollte daher vorzugsweise nach 72 Stunden und
spätestens nach einer Woche erfolgen [47 ]. Das
Ablesen erfolgt durch Messung ausschließlich der Induration
(Dokumentation in Millimetern, die Rötung bleibt unberücksichtigt) in
der Querachse des Unterarms. Ungefähr
1 – 2 % der Probanden mit einem positiven THT
reagieren mit Bläschenbildung [48 ].
Der Zeitraum von der Infektion bis zum Auftreten der Reaktion
auf Tuberkulin wird als „präallergische Phase” bezeichnet.
Frühestens zwei, spätestens acht Wochen nach Infektion schlägt
die Reaktion auf Tuberkulin von negativ nach positiv um [49 ]
[50 ].
In Deutschland wird ein Indurationsdurchmesser von
> 5 mm bei engen Kontaktpersonen eines Indexfalls mit
ansteckungsfähiger Lungentuberkulose als positiv betrachtet, um
möglichst viele Infizierte mit der höchsten Sensitivität zu
erfassen [51 ], wobei im Allgemeinen das
Erkrankungsrisiko mit dem Indurationsdurchmesser zunimmt [52 ].
Aufgrund der in Tuberkulin enthaltenen kreuzreaktiven Antigene
kann die Reaktion jedoch auch nach vorangegangener Infektion mit NTM oder
M. bovis BCG positiv ausfallen [53 ]. Die Kreuzreaktivität bei BCG-Geimpften lässt
individuell unterschiedlich über die Zeit nach. Die Stärke der
Kreuzreaktion hängt u. a. vom Impfstamm ab [54 ] und ist bei BCG-Geimpften sehr wahrscheinlich erst bei
einer Induration > 18 mm nicht mehr alleine auf die
BCG-Impfung zurückzuführen [55 ].
Je geringer die Wahrscheinlichkeit einer Exposition ist und je
länger diese zurückliegt, desto stärker treten die genannten
Fehlermöglichkeiten der Tuberkulindiagnostik in den Vordergrund, desto
häufiger ist mit einem niedrigen PPW und entsprechend seltener mit
Folgefällen zu rechnen. Die „gepoolte” (aus entsprechenden
Studien gemittelte) Spezifität des THT wurde im Vergleich mit
IFN-γ-Tests aufgrund der möglichen Kreuzreaktivität mit NTM oder
nach BCG-Impfung daher lediglich mit 66 % [56 ] bzw. weniger als 14 % in nahezu
vollständig BCG-geimpften Populationen, wie z. B. in Japan
[57 ], angegeben. Bei strikter Begrenzung der
einbezogenen Studien auf gesunde nicht-exponierte Probanden aus
Niedriginzidenzländern war die Spezifität mit 88,7 %
[95 % KI
84,6 – 92,0 %] allerdings deutlich
höher [58 ].
Falsch-negative THT-Ergebnisse können neben
Applikationsfehlern infolge zahlreicher Ursachen für eine
abgeschwächte individuelle Immunkompetenz auftreten (s. [Tab. 2 ]) und sind bei Erwachsenen prinzipiell bereits
ab der sechsten Lebensdekade zu erwarten [59 ].
Tab. 2 Mögliche
Ursachen für einen falsch-negativen Tuberkulin-Hauttest (modifiziert nach
[53 ]).
– Höheres
Lebensalter (≥ 50 Jahre)
– Zelluläre
Immundefekte (z. B. HIV-Infektion, AIDS, lymphatische
Systemerkrankungen)
– Akute oder
kurz zurückliegende schwere Virusinfektionen (z. B. Masern, Mumps,
Röteln, Influenza)
–
Lebendimpfungen innerhalb der letzten 6 Wochen
– Schwere
konsumierende Erkrankungen (z. B. Malignome)
– Systemische
Kortikoidtherapie oder Behandlung mit Immunsuppressiva bzw.
TNF-α-Inhibitoren
– Fulminante
tuberkulöse Erkrankung (z. B. Miliartuberkulose)
– Sarkoidose
–
Applikationsfehler (unvollständige oder subkutane Tuberkulininjektion)
– Ablesefehler
(zu früh oder zu spät)
3.5.3 Interferon-Gamma (IFN-γ)-Test
In den vergangenen Jahren gelang auf der Basis der erfolgreichen
Genomsequenzierung des M. tuberculosis
[60 ] die Entwicklung von Testverfahren, die auf dem
Nachweis von Interferon-Gamma (IFN-γ) beruhen, welches von T-Lymphozyten
sezerniert wird, die im Rahmen einer aktuellen oder früheren Infektion mit
M. tuberculosis -Bakterien (MTB) sensibilisiert wurden.
Diese Zellen werden in vitro mit spezifischen
M. tuberculosis -Peptiden (ESAT-6, CFP-10 und TB 7.7)
stimuliert, welche bei M. bovis BCG und den meisten
nicht-tuberkulösen Mykobakterien (NTM) (außer M.
kansasii, M. szulgai und M. marinum ) fehlen
[60 ]
. Die beiden in Deutschland
kommerziell erhältlichen IFN-γ-Tests (Synonym: Interferon Gamma
Release Assays, kurz IGRA) basieren auf der direkten Messung der
IFN-γ-Konzentration im Vollblut (QuantiFERON-TB® Gold
In-Tube, Fa. Cellestis, Australien, abgekürzt QFT) bzw. der Bestimmung der
Zahl IFN-γ-sezernierender T-Lymphozyten aus isolierten peripheren
mononukleären Zellen (PBMC) (T-SPOT.TB
®
, Fa.
Oxford-Immunotec, Großbritannien, abgekürzt T-Spot). Ein Vergleich
der Verfahren mit den von den Herstellern als positiv benannten Grenzwerten ist
in [Tab. 3 ] zusammengefasst.
Wie beim THT kann mit IFN-γ-Tests weder zwischen einer
frischen und einer schon länger bestehenden Infektion noch zwischen einer
LTBI und einer aktiven Tuberkulose unterschieden werden. Das Zeitfenster
(Latenzzeit) der frühestmöglichen Nachweisbarkeit von IFN-γ nach
Exposition entspricht nach gegenwärtigem Kenntnisstand dem zeitlichen
Ablauf der mit Tuberkulin messbaren Konversion (zwei bis acht Wochen)
[62 ]
[63 ].
Tab. 3 Vergleich der
kommerziellen IFN-γ-Testverfahren[6 ].
Name
QuantiFERON-Tb®
Gold In-Tube
T-SPOT.TB® Test
Hersteller
Cellestis
Oxford Immunotec
Testmedium
Vollblut
PBMC
Antigene
In-vitro-Stimulation
mit ESAT-6, CFP-10 und TB 7.7 im beschichteten Röhrchen
In-vitro-Stimulation
von isolierten Lymphozyten mit ESAT-6, CFP-10
Messmethode
ELISA
ELISPOT
gemessene
Zielgröße
Konzentration von
sezerniertem IFN-γ (IU/ml)
IFN-γ
produzierende T-Zellen („Spots”) pro 250 000 Zellen
benötigtes
Blutvolumen
3 ml
Erwachsene und Kinder
≥ 10 Jahren: 8 ml Kinder 2 – 9
Jahre: 4 ml Kinder bis zu 2 Jahren:
2ml Immunsupprimierte: 16 ml
Inkubation
16 – 24 Std. bei 37 ° C
16 – 20 Std. bei 37 ° C (mit
5 % CO2 )
Zeitfenster nach
Blutentnahme bis zur Weiterverarbeitung im Labor
Lagerung der
Blutentnahmeröhrchen für bis zu 16 Std. nach Blutentnahme bei
Raumtemperatur vor der Inkubation
max. 8 Std. bei
Raumtemperatur*
Test gilt als positiv,
wenn
(TB Ag –
Negativkontrolle) ≥ 0,35 IU/ml (Konzentration IFN-γ)
und (TB Ag – Negativkontrolle)
≥ 25 % der Negativkontrolle
Negativkontrolle
< 5 Spots und Panel A (CFP-10) oder Panel B (ESAT-6) – Nil
≥ 6 Spots pro 250 000 Zellen Panel A oder Panel B
– Nil = 5,6,7 Spots gilt als Graubereich:
Testwiederholung mit neuer Probe empfohlen
Test gilt als nicht
interpretierbar („indeterminant”), wenn
Resultat pos.
Kontrolle minus neg. Kontrolle < 0,5 IU/ml und Resultat
TB-Antigen minus neg. Kontrolle < 0,35 IU/ml
oder
Resultat pos. Kontrolle minus neg.
Kontrolle < 0,5 IU/ml und Differenz zwischen TB-Antigen und
neg. Kontrolle < 25 %
oder
neg. Kontrolle > 8,0 IU/ml
pos. Kontrolle
< 20 Spots
oder
neg.
Kontrolle > 10 Spots
* nach Herstellerangaben bei
zusätzlicher Anwendung von Xtend
®
bis zu 32 Std.
Zur Sensitivität der beiden kommerziell erhältlichen
IFN-γ-Tests bei der Detektion behandlungsbedürftiger
Tuberkulosefälle im Vergleich mit dem THT wurden bislang (Stand:
1. 2. 2011) zwei Meta-Analysen [64 ]
[65 ] mit 40 bzw. 27 Studien sowie ein systematisches Review
von 16 Studien zur Sensitivität ausschließlich bei HIV-Positiven
[66 ] vorgelegt, die im Gegensatz zu früheren
Meta-Analysen [56 ]
[67 ]
ausschließlich kulturell, histopathologisch bzw. molekularbiologisch
bestätigte Tuberkulosefälle einbezogen:
Die gemittelte Sensitivität des THT bei aktiver Tuberkulose
belief sich unter den 1.238 in [64 ] einbezogenen
Patienten auf 69,9 % (95 % KI
67,2 % – 72,4 %), für den
QFT auf 81 % (95 % KI
78,1 % – 83,1 %) und stieg in
Industrieländern für den THT auf 71,5 % bzw. für
den QFT auf 84,5 %.
Die gemittelte Sensitivität des T-Spot betrug
87,5 % (95 % KI
85,1 % – 89,6 %), in der
Untergruppe der Industrieländer 88,5 %. In Studien mit
direktem Vergleich der Sensitivität des T-Spot bzw. des QFT und des THT
war die Sensitivität bei beiden IFN-γ-Tests signifikant höher als
diejenige des THT: T-Spot vs. THT: 90,1 % vs.
68,3 % (p < 0,0001) und QFT vs. THT
83,1 % vs. 62,3 % (p < 0,001).
Sester et al. [63 ], die nur Studien bewerteten, die
gleichzeitig auch die Spezifität bei aktiver TB bestimmten, fanden eine
Sensitivität des THT von 65 %, des QFT von
80 % bzw. des T-Spot von 81 %.
Die Diskrepanz zwischen der Sensitivität des THT und
IFN-γ-Tests zeigt sich insbesondere bei HIV-positiven Individuen mit
bestätigter Tuberkulose [66 ] und einer gemittelten
Sensitivität von nur 43 % (95 % KI
36,8 % – 49,8 %) im Vergleich
zu einer Sensitivität des QFT von 66 %
[95 % KI
60,1 % – 71,3 %] bzw. des
T-Spot von 72 % (95 % KI
60 % – 81,5 %).
Bei Kindern unter 15 Jahren mit kulturell bestätigter
Tuberkulose ist die Datenlage zur Sensitivität von kommerziell
verfügbaren IFN-γ-Tests im Vergleich mit dem THT, nicht zuletzt
aufgrund der oft geringen Erregerdichte bei Tuberkulosen im Kleinkindalter,
noch unzureichend. In sieben Studien wurden durch den THT mit einer gemittelten
Sensitivität von 84,9 % insgesamt 146 kulturell
bestätigte Tuberkulosen bei Kindern bestätigt, 124 durch den QFT mit
einer gemittelten Sensitivität von 84,6 % bzw. 112
Tuberkulosen durch den T-Spot mit einer Sensitivität von
75 % [68 ]
[69 ]
[70 ]
[71 ]
[72 ]
[73 ]
[74 ]
(s. [Tab. 4 ]).
Tab. 4 Sensitivität
von THT und IFN-γ-Tests bei Kindertuberkulose (Stand
1. 2. 2011).
Studie und Land
IFN-γ-Test
Mittleres Alter
(Spannweite)
THT-Sensitivität in % (n/N)
IFN-γ-Sensitivität in % (n/N)
Bamford et al. 2009
[68 ]; Großbritannien
QFT/T-Spot
10,1
(0,6 – 16) Jahre
82,2
(37 / 45)
QFT: 78,3
(36 / 46) T-Spot: 66,7 (18 / 27)
Bianchi et al. 2009
[69 ]; Italien
QFT
54,0
(31,2 – 81,7) Monate
87,5
(14 / 16)
93,8
(15 / 16)
Connell et al. 2008
[70 ]; Australien
QFT/T-Spot
8,2
(1,8 – 13,6) Jahre
77,8
(7 / 9)
QFT: 88,9
(8 / 9) T-Spot: 100,0 (9 / 9)
Cruz et al. 2011
[71 ]; USA
T-Spot
8,6
(0,1 – 18) Jahre
76,9
(10 / 13)
92,3
(12 / 13)
Detjen et al. 2007
[72 ]; Deutschland
QFT/T-Spot
28
(4 – 85) Monate
100,0
(28 / 28)
QFT und T-Spot: 92,9
(26 / 28)
Kampmann et al. 2009
[73 ]; Großbritannien
QFT/T-Spot
9,2
(0,5 – 15) Jahre
80,0
(20 / 25)
QFT: 80,0
(20 / 25) T-Spot: 56,0 (14 / 25)
Nichol et al. 2009
[74 ]; Südafrika
T-Spot
Median 18 Monate,
(Interquartilbereich 14 – 24 Monate)
80,0
(8 / 10)
50,0
(5 / 10)
Gemittelte
Sensitivität: TST: 124 / 146; 84,9 %
[95 % KI
78,1 % – 90,3 %] QFT:
105 / 124; 84,6 % [95 % KI
77,1 % – 90,5 %] T-Spot:
84 / 112; 75,0 % [95 % KI
65,9 % – 82,7 %]
Überträgt man bei fehlendem Goldstandard die
Sensitivitätswerte für aktive Tuberkulose auf die Sensitivität
für die Detektion der LTBI, so ergibt sich hiernach bei Kindern angesichts
einer gemittelten Sensitivität von jeweils 85 % für THT
und QFT bzw. 75 % für den T-Spot kein signifikanter
Unterschied.
Da IFN-γ-Tests nur die Sensibilisierung gegenüber
M. tuberculosis und potenziell gegenüber den drei
genannten NTM anzeigen, fand sich insbesondere bei BCG-geimpften Personen, die
noch keine bekannte Exposition gegenüber Tuberkulose hatten, eine
höhere Spezifität der IFN-γ-Tests. Dies bedeutet, dass
gegenüber dem THT keine falsch positiven Ergebnisse aufgrund einer
vorherigen Impfung mit BCG und nur selten aufgrund des Kontaktes mit den
häufigsten NTM auftreten. Neben einer gemittelten Spezifität für
den QFT von 99, 4 % (95 % KI
97,9 % – 99,9 %)
[58 ] wurde für den T-Spot – bezogen auf einen
Cut-off von mindestens 6 Spots – eine Spezifität von
96,9 % (95 % KI
94,2 % – 98,6 %)
[75 ], 98,0 % (95 % KI
86,8 % – 99,9 %)
[70 ] bzw. 97,2 % (95 % KI
93,5 % – 99,5 %)
[76 ] genannt.
Die IFN-γ-Tests weisen darüber hinaus unabhängig
von der Tuberkuloseinzidenz eines Landes eine bessere Korrelation mit dem
Ausmaß des Kontaktes zu Kranken mit ansteckungsfähiger Tuberkulose
(Nähe und Dauer) als der THT auf [58 ].
Applikationsfehler und Hautalterationen wie beim THT werden vermieden und der
Proband muss für die Durchführung des Tests nur einmal erscheinen.
Darüber hinaus tritt kein Booster-Effekt auf und die Interpretation ist
objektiv und unabhängig vom Ableser.
Allerdings bedürfen IFN-γ-Tests eines
qualitätsgesicherten Labors und die Vorgaben über Blutentnahme und
Transport erfordern eine erprobte Logistik (Entnahme von Venenblut in
speziellen Röhrchen, rascher und kältegeschützter Transport ins
Labor). Bei Kindern im Vorschulalter kann die Entnahme von drei Röhrchen
Venenblut zu jeweils 1 ml Probleme aufwerfen.
Geht man von den genannten Sensitivitäts- und
Spezifitätswerten für einen IFN-γ-Test, z. B. von
84,5 % bzw. 99 % für den QFT, aus, so ergibt
sich bei einer angenommenen Infektionsprävalenz von 20 %
(entsprechend der Infektionswahrscheinlichkeit bei engen Kontaktpersonen
ansteckungsfähiger Indexpersonen) ein hoher PPW von 95,5 %.
Das bedeutet für die betroffene Kontaktperson, dass mit hoher
Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine Infektion vorliegt, d. h. nur
bei etwa 5 % der positiv getesteten Kontaktpersonen besteht keine
LTBI. Verringert sich die Prävalenz z. B. auf 5 %
(wie sie bei nicht-engen Kontaktpersonen eines Indexpatienten zu erwarten
wäre, bei denen die Erreger lediglich in der Sputumkultur nachgewiesen
wurden [62 ]), so würden bei unveränderten
Testcharakteristika der PPW auf 82,4 % reduziert und ca.
18 % der Kontaktpersonen trotz des positiven Testergebnisses
fälschlicherweise als infiziert klassifiziert werden.
Bei Anwendung des THT bei Erwachsenen würde der PPW, selbst
unter Annahme einer Infektionsprävalenz von 20 %, bei einer
unterstellten Sensitivität von 71,5 % und einer
Spezifität von 88,7 % [58 ] auf
61 % sinken.
IFN-γ-Tests können in seltenen Fällen nicht
interpretiert werden (unschlüssige Ergebnisse, „indeterminate
results”) und falsch-negative Ergebnisse aufweisen, wenn die Probe keine
lebenden oder stimulierbaren T-Lymphozyten enthält. Dies kann Folge eines
technischen Laborfehlers (z. B. Einlagerung im Kühlschrank oder
Einfrieren vor Inkubation mit resultierender Zellanergie) oder
unsachgemäßen Transports sein, aber auch bei schwerer Lymphopenie
und Immunsuppression vorkommen. In einer Meta-Analyse von 116 Studien betrug
die gemittelte Häufigkeit unschlüssiger Ergebnisse
2,1 % (95 % KI
2,0 %-2,3 %) für den QFT bzw.
3,8 % (95 % KI
3,5 % – 4,2 %) für den
T-Spot und bei der Untergruppe immunsupprimierter Patienten 4,4 %
(95 % KI
3,9 % – 5,0 %) für den QFT
bzw. 6,1 % (95 % KI
5,2 % – 7,1 %) für den
T-Spot [62 ].
Bei einem nicht interpretierbaren IFN-γ-Test, bei dem
Personen nicht auf die positive Mitogenkontrolle (Stimulierbarkeit
nicht-anergischer Lymphozyten durch Phytohämagglutinin) reagieren, sollte
daher zunächst eine Testwiederholung an einer neuen Probe erfolgen, um
eine ordnungsgemäße Ausführung sicherzustellen. Bleibt das
Testergebnis erneut „unschlüssig”, ist ein Immundefekt in
Betracht zu ziehen, sodass das Vorliegen einer MTB-Infektion auf diese Weise
nicht beurteilt werden kann.
Längsschnittstudien zur prognostischen Bedeutung von
IFN-γ-Testresultaten hinsichtlich des Risikos von unbehandelten
Kontaktpersonen, eine aktive Tuberkulose zu entwickeln, sind erforderlich, um
angesichts des fehlenden Goldstandards den Stellenwert der IFN-γ-Tests in
der Detektion einer LTBI zu bestätigen. Vor dem Hintergrund nicht selten
diskordanter THT-/IFN-γ-Ergebnisse ist insbesondere die Bedeutung positiver
IFN-γ-Testresultate bei der Vorhersage einer Progression von der LTBI zur
aktiven Tuberkulose zu prüfen.
Bisher liegen fünf Progressionsstudien unter Verwendung
kommerzieller IFN-γ-Tests vor [77 ]
[78 ]
[79 ]
[80 ]
[81 ], von denen zwei Studien
[77 ]
[78 ] HIV-Positive
nachverfolgten und nur eine Kinder unter 15 Jahren einbezog [79 ]. Die Progressionsrate variierte je nach untersuchtem
Kollektiv, Expositionsdauer und Latenz zum mutmaßlichen
Infektionszeitpunkt zwischen 8,3 % [77 ]
und 17,3 % [80 ], sofern die Testung
alleine oder beim Vergleich zwischen THT und IFN-γ-Tests simultan,
d. h. unabhängig vom Ergebnis des jeweils anderen Tests,
durchgeführt wurde. Die Progressionsrate für den THT betrug hingegen
nur 2,3 % [81 ] bis 3,3 %
[79 ] bei einem Cut-off von > 5 mm bzw.
3,1 % [81 ] bis 4,8 %
[79 ] bei einem Cut-off von > 10 mm.
Zur Abschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bzw.
der Kosteneffektivität in europäischen Niedriginzidenzländern
liegen nur wenige Studien vor, die den höheren PPW durch die Nutzung der
IFN-γ-Tests einbeziehen: Die Ergebnisse einer Kosten-Nutzen-Studie für
den QFT aus Deutschland [82 ] bzw. einer
Kosten-Effektivitäts-Studie für den T-Spot aus der Schweiz
[83 ] zeigten bei alleiniger Anwendung von
IFN-γ-Tests im Vergleich mit der dualen Vorgehensweise (IFN-γ-Test erst
nach positivem THT) für unterschiedliche Szenarien einer präventiven
Chemotherapie jeweils geringere Kosten bzw. eine bessere
Kosteneffektivität pro verhinderter Tuberkulose.
Überträgt man die Sensitivitätswerte für die
aktive Tuberkulose auf die Sensitivität bei der Detektion der LTBI, so
führt der THT als vorgeschaltetes Screening bei Erwachsenen gegenüber
einem IFN-γ-Test in einem zweistufigen Verfahren zu einer Mindererfassung
von 13 %-17 % der MTB-Infizierten, welche dann der
Nachtestung mit einem IFN-γ-Test nicht mehr unterzogen würden. Aus
diesem Grund wird bei Erwachsenen ab dem 15. Lebensjahr nicht mehr eine
Kombination beider Testverfahren, sondern prinzipiell der
routinemäßige Ersatz des THT durch IFN-γ-Tests in der
Umgebungsuntersuchung angeraten. Bei vorhersehbarer fehlender Akzeptanz eines
THT, nach BCG-Impfung bzw. bei Immunsupprimierten, bei denen eher mit einem
falsch-negativen THT gerechnet werden muss (z. B. HIV-Infizierte
[84 ]
[85 ], hämodialysierte
Patienten [86 ] oder Patienten vor Therapie mit
anti-TNF-α-Inhibitoren [87 ]) ist der primäre
Einsatz von IFN-γ-Tests bereits früher empfohlen worden.
Da bislang noch zu wenige IFN-γ-Test-Studiendaten,
insbesondere für das Alter von Kindern unter 5 Jahren, vorliegen, ist in
dieser Altersgruppe der THT nach wie vor die Methode der ersten Wahl (s.
3.8.2.2). Angesichts bislang fehlender Evidenz kann der Einsatz eines
IFN-γ-Tests bei der Umgebungsuntersuchung von solchen jungen
Kontakt-Kindern lediglich zusätzlich zum THT in Betracht gezogen werden,
wenn durch die Kombination beider Methoden eine maximale Sensitivität
erreicht werden soll. Allerdings schließt, im Verdachtsfalle, auch dann
ein negativer THT oder IGRA eine latente oder auch aktive Tuberkulose nicht
gänzlich aus.
3.5.4 Röntgenuntersuchung
Mit der Thorax-Röntgenuntersuchung (TRU) kann,
unabhängig von einer klinischen Symptomatik, bei Kleinkindern und
immunsupprimierten Patienten unter Umständen noch bevor der THT oder
IFN-γ-Test positiv ausfällt, eine aktive Tuberkulose erfasst werden.
In der Regel ist zur Tuberkulosediagnostik eine p.-a.-Aufnahme ausreichend
[88 ]. Auf Tuberkulose verdächtige
Röntgenbefunde sind stets durch die bakteriologische Untersuchung dreier
Sputumproben und erforderlichenfalls durch eine weitergehende Diagnostik
abzuklären. Dabei hat es sich als nützlich erwiesen, gleich nach
Feststellung des radiologischen Befundes ein Sofortsputum im Amt oder beim
Hausbesuch zu gewinnen. Ansonsten ist der Untersuchung von Morgensputum an drei
unterschiedlichen Tagen einer Woche bzw. bei Kindern eine Untersuchung des
Magensaftes der Vorzug zu geben [89 ].
3.6 Beratung von Kontaktpersonen
Anlässlich der ersten anstehenden Untersuchung sollte ein
Beratungsgespräch im Gesundheitsamt oder dort, wo die Kontaktperson am
besten erreichbar ist, stattfinden, um
Art, Dauer und Intensität des Kontaktes zum Indexfall zu
erfahren und um so das Erfordernis weiterer Untersuchungen zu
überprüfen,
Angaben zur Empfänglichkeit bzw. zu Risikofaktoren zu
erheben, die beim Vorliegen einer LTBI deren Fortschreiten in eine
behandlungsbedürftige Tuberkulose begünstigen,
anamnestische Angaben zu BCG-Impfung, früherer
Tuberkuloseerkrankung, den Ergebnissen früherer Tuberkulin-Haut- und/oder
Interferon-γ-Tests und im Hinblick auf eine eventuell später
anstehende TRU über das Vorliegen einer Schwangerschaft zu erhalten,
zu klären, ob Faktoren zu berücksichtigen sind, die
zu falsch-negativen THT-Ergebnissen führen können (s.
[Tab. 2 ]),
sie zu den üblichen Symptomen der Tuberkulose (Husten
oder Hüsteln, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, leichtes
Fieber, Nachtschweiß, Stechen in der Brust, Blutbeimengung im Auswurf,
Benommenheit und Kopfschmerzen, Lymphknotenschwellung) zu befragen und
aufzuklären,
das diagnostische Prinzip des IFN-γ-Tests bzw. des THT
(einschließlich möglicher unerwünschter Wirkungen) und der TRU
p.- a., falls indiziert, zu erläutern und auf die gesetzliche Pflicht zur
Duldung der genannten Untersuchungen gemäß §§ 25
Abs. 1 und 26 Abs. 2 IfSG hinzuweisen,
das mit einer LTBI verbundene Erkrankungsrisiko und
mögliche Tuberkulosesymptome selbst nach Jahren mit dem Ziel einer
sensiblen Wahrnehmung erster eigener Symptome zu erklären,
bei gegebener Indikation die Schutzwirkung einer korrekt
durchgeführten Chemoprävention bzw. die Notwendigkeit einer
chemoprophylaktischen Behandlung darzustellen und das Einverständnis
für die Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt zu erwirken.
3.7 Zentripetale Umgebungsuntersuchung (Quellensuche)
3.7.1 Indikation
Ungeachtet der Ansteckungsgefahr, nach welcher der Indexpatient
kategorisiert wird, stellt sich die Frage nach seiner Ansteckungsquelle. Die
Ermittlung von Infektionsquellen und deren Ausschaltung haben bei der
Bekämpfung der Tuberkulose durch das Gesundheitsamt daher hohe
Priorität.
Es wird empfohlen, bei folgenden Formen der Tuberkulose nach
einer Infektionsquelle zu suchen, da sich diese in aller Regel relativ zeitnah
im Anschluss an eine frische tuberkulöse
Infektion entwickeln [20 ]:
Primärtuberkulose (unmittelbare Weiterentwicklung des
Primärkomplexes oder intrathorakale Lymphknoten-Tuberkulose)
Ersterkrankung bei Kindern unter 15 Jahren
Meningitis tuberculosa (tuberkulöse
Hirnhautentzündung)
Pleuritis tuberculosa (tuberkulöse
Rippenfellentzündung)
Auch Miliartuberkulosen (hämatogene Streuungstuberkulosen)
und Ersterkrankungen bei immungeschwächten Personen können Folgen
einer frischen tuberkulösen Infektion sein.
Die Inkubationszeit dieser Tuberkuloseformen, bei denen man in
der Regel von einer Erstinfektion ausgehen kann, variiert stark und kann
mindestens 2 Wochen bis 24 Monate (oder mehr) betragen. Gesucht wird
dementsprechend eine an Lungentuberkulose erkrankte Person, die bereits seit
Wochen Tuberkulosebakterien ausscheidet und die als Infektionsquelle einer an
Primärtuberkulose oder anderen Frühformen der Tuberkulose erkrankten
Person (Indexfall der Quellensuche) in Betracht kommt. Je jünger der
Indexfall und je kürzer die Inkubationszeit ist, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, die Infektionsquelle zu finden. Die Suche nach
einer Ansteckungsquelle soll bei Indexpatienten unter 5 Jahren begonnen werden,
auch wenn eine abschließende Bestätigung der Diagnose noch aussteht
[90 ].
Unterbleiben kann eine Quellensuche, wenn
beim Indexpatienten eine Infektion mit MTB seit
längerem bekannt ist,
eine abgeheilte Tuberkulose dokumentiert ist
oder
eine exogene Neuinfektion mit MTB anamnestisch, z. B.
bei früherem Tuberkulosekontakt oder Herkunft aus einem
Hochprävalenzland, unwahrscheinlich ist.
3.7.2 Vorgehensweise
Da Kinder unter 10 Jahren als Ansteckungsquelle nur
ausnahmsweise in Frage kommen, wird empfohlen, alle Personen ab einem Alter von
10 Jahren, die in den letzten zwei bis sechs Monaten (ggf. auch länger
zurückliegend) engen Kontakt zum Indexfall der Quellensuche hatten,
umgehend zu einer Untersuchung aufzufordern, um eine offene Lungentuberkulose
auszuschließen oder nachzuweisen.
Um die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten
Mittel zu wahren, sollte berücksichtigt werden, dass asymptomatische
Verläufe von ansteckungsfähigen Tuberkulosen sehr selten sind und
dass Husten der entscheidende Mechanismus zum Transport der
Tuberkulosebakterien aus dem Lungenherd in die Raumluft ist.
Es wird daher empfohlen, bei symptomatischen Personen vorrangig eine einmalige TRU
durchzuführen. Bei symptomatischen Schwangeren (Husten mit Auswurf)
sollten obligat drei Untersuchungen des Morgensputums innerhalb einer Woche
durchgeführt werden. Die Indikation zu einer TRU muss sorgfältig
unter Berücksichtigung des Schwangerschaftsstadiums abgewogen werden. Der
betreuende Gynäkologe ist in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
Grundsätzlich können Schwangere auch mittels des IFN-γ-Tests
untersucht werden; im Fall respiratorischer Symptome aber schließt ein
negatives Testergebnis eine manifeste Tuberkulose – ungeachtet der
Schwangerschaft – keinesfalls aus. Bei einem positiven Testresultat
stellt sich die Frage der Chemoprävention, sofern keine
behandlungsbedürftige Tuberkulose nachgewiesen wurde (s. 3.8.2.4 und
3.8.2.5).
Für asymptomatische
Kontaktpersonen, d. h. auch für Schwangere, kommt im
Erwachsenenalter primär ein IFN-γ-Test, bei Kindern ein THT oder
IFN-γ-Test in Betracht (s. 3.8.2.2 ff.).
Im Fall eines positiven Testergebnisses ist eine TRU p.-a.
erforderlich, um eine Tuberkulose der Atmungsorgane auszuschließen.
Die Untersuchung sollte im Fall der Quellensuche bis zur
Aufdeckung einer Infektionsquelle fortgesetzt werden oder bis alle angegebenen
Kontaktpersonen untersucht wurden.
Werden bei der Suche nach der Ansteckungsquelle THT- bzw.
IFN-γ-Test-Reagenten und -Konvertoren oder Ersterkrankungen, wie sie unter
Punkt 3.8.2.1 aufgeführt sind, entdeckt, wird empfohlen, die
Untersuchungen auf weitere Personen auszudehnen, bei denen eine
ansteckungsfähige Tuberkulose vermutet wird. Im Rahmen der
Anamneseerhebung sind Aufenthalte in Hochprävalenzländern ebenso zu
berücksichtigen wie der Besuch ausländischer Verwandter und
Bekannter.
Eine aufgespürte Ansteckungsquelle wird zu einem neuen
Indexfall und damit zum Anlass für eine zentrifugale Umgebungsuntersuchung.
3.8 Zentrifugale Umgebungsuntersuchung
3.8.1 Auswahl von Kontaktpersonen
Personen, die aufgrund ihres Kontakts zu einem an
ansteckungsfähiger Tuberkulose Erkrankten (s. 2.1) ein erhöhtes
Infektions- bzw. Erkrankungsrisiko haben, werden im Rahmen einer zentrifugalen
Umgebungsuntersuchung ermittelt und untersucht. Da Infektions- und
Erkrankungsrisiko unter anderem von Häufigkeit, Dauer und Intensität
des Kontaktes abhängen, ist zwischen engen und geringen Kontakten zu
unterscheiden.
Um die Risiken der Übertragung der Tuberkulosebakterien
beurteilen und eine Einteilung der Kontaktpersonen in Risikogruppen vornehmen
zu können, stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen
gemäß § 25 Abs. 1 IfSG an. Es wird empfohlen, in eine
zentrifugale Umgebungsuntersuchung diejenigen Personen einzubeziehen, die
während des infektiösen Stadiums, hilfsweise in den letzten zwei bis
sechs Monaten vor Diagnosestellung, einen engen
Kontakt zum Indexfall hatten, indem sie
mit dem Indexfall intime Kontakte hatten oder mit ihm in
derselben Wohnung, im selben Zimmer (z. B. eines Heimes, eines
Krankenhauses oder in derselben Zelle einer Justizvollzugsanstalt) oder
sonstigen geschlossenen Räumen gelebt haben oder
besonders intensive, auch einmalige Kontakte mit dem Indexfall in geschlossenen
Räumen hatten, bei denen mangels geeigneter Schutzmaßnahmen
bakterienhaltiges Aerosol eingeatmet werden konnte, wie sie
vorkommen – bei engen körperlichen Kontakten (Tanzen,
Kampfsportarten etc.) – bei pflegerischen Verrichtungen (auch
bei der häuslichen Versorgung) oder Atemgymnastik – bei
oraler Inspektion, zahnärztlicher oder HNO-ärztlicher
Untersuchung – bei Sputumprovokation, Absaugen des
Nasen-Rachen-Raums mit offenem System, Maßnahmen der Wiederbelebung,
Bronchoskopie – bei der Obduktion oder
mit einem an Lungentuberkulose mit mikroskopischem Nachweis säurefester
Stäbchen in Sputum-Direktpräparat, in der BAL oder im Magensaft
erkrankten Indexfall kumulativ insgesamt mindestens 8 Stunden in geschlossenen
Räumen oder Verkehrsmitteln verbracht haben [90 ]
[91 ] oder
mit einem kulturell oder molekularbiologisch gesicherten, an
Lungentuberkulose ohne mikroskopischem Nachweis
säurefester Stäbchen in Sputum-Direktpräparat, provoziertem
Sputum, in der BAL oder im Magensaft erkrankten Indexfall insgesamt mindestens
40 Stunden in geschlossenen Räumen oder Verkehrsmitteln verbracht haben
[12 ].
Diese Klassifizierung wurde durch eine Studie bestätigt, in
der die Kontaktdauer als Einzelfaktor mit einer deutlich höheren Chance
einer QFT- bzw. T-Spot-Positivität verbunden war, wenn der kumulierte
Kontakt mit einem sputumnegativen Indexfall mindestens 40 Stunden betragen
hatte und in welcher sich die Chance einer IFN-γ-Test-Positivität bei
Kontakt mit sputumpositiven Indexpersonen ab einer Kontaktzeit von 8 Stunden
mehr als verdoppelte [62 ].
Personen, die keines dieser vier Kriterien eines engen Kontakts
erfüllen, sind nur nach sorgfältiger Prüfung eines erhöhten
individuellen Erkrankungsrisikos in eine zentrifugale Umgebungsuntersuchung
einzubeziehen (s. 2.5).
3.8.2 Vorgehensweise (Flussdiagramme in den
[Abb. 2 4 ])
3.8.2.1 Primäre Thorax-Röntgenuntersuchung
Bei folgenden Kontaktpersonen wird empfohlen,
unverzüglich nach Stellung der Diagnose beim Indexfall primär eine
TRU p.-a. zu veranlassen, um eine behandlungsbedürftige (u. U. auch
ältere, nicht auf einer frischen Infektion beruhende) Tuberkulose der
Thoraxorgane auszuschließen:
bei
tuberkuloseverdächtigen Symptomen
einer Erkrankung an Tuberkulose in der Vorgeschichte
bekannt positivem Tuberkulin-Haut- bzw. IFN-γ-Test
Faktoren, die zu falsch-negativen
Tuberkulin-Testergebnissen führen können (s. [Tab. 2 ]), sofern kein IFN-γ-Test verfügbar
ist.
Personen, bei denen aufgrund ihrer Lebensumstände mit
dem Nichteinhalten des Ablesetermins des THT gerechnet werden muss, sofern kein
IFN-γ-Test verfügbar ist.
geplanter Einleitung einer Chemoprophylaxe (Kinder unter 5
Jahren) [92 ]
Für Kontaktpersonen, die mit dem an einer im
Sputumausstrich oder in der BAL mikroskopisch positiven Lungentuberkulose
erkrankten Indexpatienten zusammenwohnen, ist zusätzlich zum THT bzw.
IFN-γ-Test (s. 3.8.2.3 und 3.8.2.4) die Indikation zur umgehenden TRU
großzügig zu stellen, weil bereits eine unter Umständen
ansteckungsfähige Tuberkulose vorliegen kann und das Abwarten der
Testergebnisse eine unnötige Verzögerung der Diagnose bedeuten
würde. Bei radiologischen Zeichen, die mit einer Erkrankung an Tuberkulose
vereinbar sind, sind weiterführende Untersuchungen zur Sicherung oder zum
Ausschluss der Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose
erforderlich [53 ].
3.8.2.2 Kontaktpersonen unter 5 Jahren
Nicht nur die Diagnose und Behandlung der aktiven Tuberkulose
stellen im Kindesalter eine besondere Herausforderung dar, sondern auch die
frühzeitige Identifikation von Kindern mit einer LTBI, bei denen der
Manifestation einer Tuberkulose durch eine Chemoprävention vorgebeugt
werden muss. Darüber hinaus ist bei exponierten Kindern bereits das
Angehen einer tuberkulösen Infektion durch eine Chemoprophylaxe zu
verhindern. Besonders im Säuglingsalter und bei Kleinkindern bis zum 5.
Lebensjahr drohen durch eine frühe Generalisation der Tuberkulose schwere
Erkrankungsformen wie die tuberkulöse Meningitis oder die
Miliartuberkulose, die mit einer hohen Letalität einhergehen.
Es wird daher empfohlen, bei Kontaktpersonen unter 5 Jahren
(von der Geburt bis zum 5. Geburtstag) unverzüglich und unabhängig
vom späteren initialen THT- und/oder IFN-γ-Testresultat mit der
täglichen Gabe von Isoniazid (INH) zu beginnen (Chemoprophylaxe)
[92 ]
[93 ], sofern die Diagnose
beim Indexpatienten gestellt und eine Tuberkulose der Thoraxorgane beim Kind
radiologisch ausgeschlossen ist. Die Kinder sind unverzüglich,
entsprechend den Ausführungen in 3.5.3, mittels eines THT zu untersuchen
([Abb. 2 ]). Hierbei ist eine enge Zusammenarbeit
mit dem betreuenden Pädiater, auch zwecks Verordnung des INH und
Durchführung der Behandlung sowie klinischer, radiologischer und
laborchemischer Verlaufskontrollen, angezeigt.
Bei initial positivem THT ist ein IFN-γ-Test als
Bestätigung durchzuführen, um die Möglichkeit falsch-positiver
Resultate durch eine frühere Infektion mit NTM oder nicht mehr eruierbare
BCG-Impfung zu minimieren. Ist letzterer Test diskordant negativ, sollte er
acht[7 ] Wochen nach der letzten Exposition
(= Latenzzeit) wiederholt werden; bleibt er negativ, wird die
Prophylaxe beendet.
Wenn der IFN-γ-Test im Anschluss an einen initial
positiven THT z. B. wegen schlechter Venenverhältnisse nicht
durchgeführt werden kann, ist das Kind chemopräventiv über neun
Monate zu behandeln; sicherheitshalber sollte nach drei Monaten eine weitere
TRU erfolgen.
Negative THT (Indurationsdurchmesser ≤ 5 mm)
oder negative IFN-γ-Tests sollten sicherheitshalber acht[7 ] Wochen nach dem letzten Kontakt zum Indexfall wiederholt
werden. Wenn das Ergebnis des anfänglich negativen THT oder des
IFN-γ-Tests nunmehr positiv ausfällt, ist dies bei nachgewiesener
Exposition als Konversion aufgrund einer frischen Infektion mit
M. tuberculosis zu bewerten. Ein falsch-positives
Testresultat ist im Fall dieser THT-Konversion unwahrscheinlich und eine
Bestätigung durch einen IFN-γ-Test somit entbehrlich. Nach Ausschluss
einer Tuberkulose der Atmungsorgane mittels erneuter klinischer Untersuchung
und nochmaliger Durchführung einer TRU sollte die Chemoprophylaxe als
Chemoprävention (in aller Regel mit INH über insgesamt neun Monate,
s. 3.8.2.5) weitergeführt werden.
Ist das Ergebnis des THT oder des IFN-γ-Tests jedoch
erneut negativ, wird dies als Ausschluss einer LTBI gewertet. Es wird
empfohlen, dann von weiteren Untersuchungen abzusehen und die eingeleitete
chemoprophylaktische Behandlung nach acht[7 ] Wochen
abzusetzen.
Bei radiologischem Verdacht auf das Vorliegen einer
Tuberkulose der Atmungsorgane bzw. Hinweisen auf das Vorliegen einer
extrapulmonalen Tuberkulose erfolgt unmittelbar die weiterführende
Diagnostik. Nur wenn sich der anfängliche Tuberkuloseverdacht nicht
bestätigt, ist je nach THT- bzw. IFN-γ-Test-Ergebnis der oben
genannten Vorgehensweise zu folgen ([Abb. 2 ]).
3.8.2.3 Kontaktpersonen von 5 bis unter 15 Jahren
Kontaktpersonen im Alter von 5 – 14
Jahren, auf die keine der in Absatz 3.8.2.1 genannten Indikationen für
eine TRU zutrifft, sind klinisch zu untersuchen. Auch sollte unverzüglich
bei Kindern ohne BCG-Impfung ein THT oder ein IFN-γ-Test durchgeführt
werden ([Abb. 3 ]). Gegenüber dem Vorgehen bei
Kindern unter 5 Jahren entfallen die sofortige TRU sowie die Einleitung einer
Chemoprophylaxe (s. 3.8.2.2).
Bei initial positivem THT ist ein IFN-γ-Test als
Bestätigung durchzuführen, um falsch-positive Ergebnisse weitgehend
auszuschließen. Falls letzterer Test diskordant negativ ausfällt,
sollte er acht[7 ] Wochen nach der letzten Exposition
wiederholt werden. Bleibt er negativ, erfolgen keine weiteren
Maßnahmen.
Kinder sind nach radiologischem Ausschluss einer Tuberkulose
der Thoraxorgane chemopräventiv über neun Monate zu behandeln,
wenn
der IFN-γ-Test initial positiv reagiert oder
der IFN-γ-Test im Anschluss an einen initial positiven
THT nicht durchführbar ist oder
ein initial negativer Test nach acht[7 ] Wochen in eine positive Reaktion umschlägt (THT-
oder IFN-γ-Test-Konversion).
Bietet aber bereits die klinische Untersuchung und/oder die
TRU Anhaltspunkte für eine manifeste Erkrankung, sind weitere
diagnostische Schritte zu veranlassen. Falls im Rahmen dieser Untersuchungen
eine Tuberkulose ausgeschlossen wird, kann nach den oben genannten
Ausführungen vorgegangen werden.
Bleibt ein initial negativer THT bzw. IFN-γ-Test acht[7 ] Wochen nach der letzten Exposition negativ, erfolgen
keine weiteren Maßnahmen ([Abb. 3 ]).
Für Kinder dieser Altersgruppe kommt, insbesondere wenn
Faktoren für ein erhöhtes Infektions- bzw. Erkrankungsrisiko
vorliegen, grundsätzlich auch eine Chemoprophylaxe und ein Vorgehen nach
3.8.2.2 in Betracht ([Abb. 2 ]).
3.8.2.4 Kontaktpersonen ab 15 Jahren
Bei Personen ab einem Alter von 15 Jahren, auf die keine der
in Absatz 3.8.2.1 genannten Eigenschaften zutrifft, sollte nach Bekanntwerden
der Tuberkulose des Indexpatienten ein IFN-γ-Test vorzugsweise acht Wochen
nach der letzten Infektionsmöglichkeit, d. h. nach Ablauf der
präallergischen Phase, angelegt werden, da ansonsten bei negativem
Ergebnis ein Wiederholungstest erforderlich wird. Bei negativem Ausfall kann
von weiteren Maßnahmen abgesehen werden. Sofern die unter Punkt 3.8.2.1
genannten Voraussetzungen vorliegen, ist die Indikation zur umgehenden TRU
großzügig zu stellen. Ergeben sich bei der klinischen Untersuchung
und/oder der TRU Hinweise auf eine Tuberkulose, ist eine weitere Diagnostik
erforderlich, selbst wenn der IFN-γ-Test negativ ausgefallen ist.
Bei positivem IFN-γ-Test wird, sofern keine
Kontraindikationen vorliegen, eine Chemoprävention und eine TRU nach
Behandlungsabschluss empfohlen, um eine sich eventuell trotz
Chemoprävention entwickelnde Tuberkulose (z. B. bei unbekannter
INH-Resistenz) auszuschließen.
Bei Kontaktpersonen, die 50 Jahre oder älter sind,
müssen aufgrund des mit dem Lebensalter ansteigenden Risikos einer
INH-Hepatitis oder anderer unerwünschter Arzneimittelwirkungen die Risiken
einer Behandlung gegenüber dem Nutzen sorgfältig abgewogen werden. Im
Falle einer präventiven Therapie der LTBI sollten daher engmaschige
Kontrollen erfolgen [94 ]. Ist unter
Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils bzw. bei fehlender
Compliance keine präventive Chemotherapie vorgesehen, kann bei diesen
Kontaktpersonen statt eines IFN-γ-Tests alternativ umgehend eine TRU
durchgeführt werden. Eine weitere TRU kommt dann im Laufe des ersten
Jahres, z. B. neun Monate nach der initialen TRU, in Betracht (s.
3.8.2.6) ([Abb. 4 ]).
3.8.2.5 Chemoprophylaxe und Chemoprävention
Im Unterschied zur Chemoprävention, bei der nachweislich
infizierte Personen behandelt werden, soll bei exponierten Kontaktpersonen die
Entwicklung einer LTBI durch die Chemoprophylaxe verhindert werden, noch bevor
THT- bzw. IFN-γ-Test positiv ausfallen. In erster Linie ist die
Chemoprophylaxe bei Kindern unter 5 Jahren indiziert (s. 3.8.2.2). Bei
älteren Kindern (≥ 5 Jahren) und Erwachsenen besteht selten eine
Indikation zur Chemoprophylaxe. Sie kann aber altersunabhängig bei
exponierten Kontaktpersonen, die eine angeborene, erworbene (HIV) oder
medikamentös induzierte Immunschwäche haben, indiziert sein, um eine
Infektion bzw. das Fortschreiten einer ganz frischen und daher noch nicht
nachweisbaren tuberkulösen Infektion zu einer aktiven Tuberkulose zu
verhindern.
Die Chemoprophylaxe erfolgt nach radiologischem Ausschluss
einer Tuberkulose der Thoraxorgane und fehlendem Hinweis auf eine INH-Resistenz
des Indexfalls unverzüglich mit der täglichen Gabe von INH
(200 mg/m2 Körperoberfläche bis 15 Jahre,
Höchstdosis 300 mg/die), alternativ können die Dosen per
Kilogramm Körpergewicht kalkuliert werden [93 ];
beim Erwachsenen 300 mg/die). Bezüglich der korrekten
Durchführung und möglicher alternativer Therapieregime, z. B.
mit RMP über 4 Monate bei vermuteter INH-Resistenz, wird auf die geltenden
Empfehlungen des DZK verwiesen [95 ]. In
Abhängigkeit vom Ergebnis des THT bzw. IFN-γ-Tests (s. 3.8.2.2) wird,
sofern eine Infektion nicht stattgefunden hat bzw. verhindert werden konnte,
die Chemoprophylaxe nach acht[7 ] Wochen beendet.
Eine Chemoprophylaxe wird, falls durch positiven THT bzw.
IFN-γ-Testbefund eine LTBI nachgewiesen wird, als Chemoprävention
fortgesetzt (in aller Regel INH über eine Gesamtdauer von neun Monaten).
Bei fehlender Akzeptanz einer chemoprophylaktischen bzw. chemopräventiven
Behandlung sollten die betroffenen Personen bzw. Sorgeberechtigten
ausdrücklich über die potenziellen Symptome einer Tuberkulose
informiert und dieses sorgfältig dokumentiert werden (s. auch 3.6).
Bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme ist lediglich
eine weitere TRU nach Therapieabschluss erforderlich,
um eine sich eventuell trotz Chemoprävention entwickelnde Tuberkulose
(z. B. bei unbekannter INH-Resistenz) auszuschließen. Bei Kindern
unter 5 Jahren, die eine Chemoprävention einnehmen, wird eine TRU bereits
nach 3 Monaten empfohlen, eine weitere TRU nach Therapieabschluss kann
fakultativ durchgeführt werden (siehe [Abb. 2 ]).
3.8.2.6 Radiologische Verlaufsbeobachtung
Nachuntersuchungen mit der TRU dienen dem Ziel, Tuberkulosen
der Thoraxorgane in einem frühen Stadium festzustellen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Tuberkulose innerhalb
des ersten Jahres nach einer Infektion mit MTB höher als im zweiten Jahr
und deutlich höher als in den folgenden Jahren ist. So entwickelten im
ungeimpften Studienarm einer BCG-Impfstudie 121 von 2 550 britischen
Kindern (4,7 %) innerhalb von 15 Jahren nach Exposition eine
Tuberkulose; hiervon entfielen 54 % auf das erste Jahr, insgesamt
82 % entwickelten sich binnen zweier Jahre [25 ].
Unter Kosten- und Strahlenschutzgesichtspunkten kann die
radiologische Verlaufsbeobachtung jedoch weder ausreichend engmaschig noch
über einen ausreichenden Zeitraum durchgeführt werden. Daher ist es
vertretbar, bei Kontaktpersonen, bei denen eine LTBI anzunehmen ist und die
keine Chemoprävention mit INH durchgeführt haben, nach der initialen
TRU im Laufe des ersten Jahres lediglich eine
weitere Thorax-Röntgenaufnahme, z. B. nach neun Monaten analog der
Kontrollaufnahme nach Abschluss einer Chemoprävention [94 ], durchzuführen. Dies setzt aber voraus,
Kontaktpersonen obligat über das mit einer LTBI verbundene
Erkrankungsrisiko und mögliche Tuberkulosesymptome selbst nach Jahren mit
dem Ziel einer sensiblen Wahrnehmung erster eigener Symptome aufzuklären
(s. 3.6) und dass eine Untersuchung für sog. Selbstmelder mit Tuberkuloseverdacht durchgeführt
wird. In speziellen Risikogruppen, z. B. bei Bewohnern von
Obdachlosenheimen oder Suchtkranken, wird man wegen ungenügender
Compliance häufig nicht davon ausgehen können, dass beim Auftreten
von Symptomen tatsächlich ein Arzt aufgesucht wird. Deshalb sollten bei
Ausbruchssituationen in solchen Einrichtungen infizierte Kontaktpersonen, die
keine präventive Therapie erhielten, über einen längeren
Zeitraum und/oder in kürzeren Intervallen wiederholt geröntgt werden,
um Folgeerkrankungen möglichst frühzeitig zu erkennen.
3.8.2.7 Nachtesten von engen Kontaktpersonen mit dem
Interferon-γ-Test
Bereits vor der Einführung des IFN-γ-Tests war das
Phänomen der Konversion gut dokumentiert am Beispiel eines zuvor negativen
THT (in den positiven Bereich oberhalb des jeweils gewählten Grenzwertes)
bzw. umgekehrt die Reversion eines zuvor positiven THT (in den als test-negativ
bewerteten Bereich) bei wiederholtem Testen desselben Probanden in
unterschiedlichen Kollektiven, wie z. B. beim seriellen Testen von
Beschäftigten im Gesundheitswesen [96 ]. Neben einer
im Einzelfall möglichen Elimination der mykobakteriellen Last oder einer
auch nur vorübergehenden individuellen Verminderung der
T-Zell-Reaktivität gegenüber mykobakteriellen Antigenen
[97 ] kommt hier als Erklärung vor allem eine
allgemeine testtheoretische Problematik bei Screeningtests mit suboptimaler
Sensitivität und Spezifität, ungeachtet der Art der untersuchten
Infektion bzw. Erkrankung, in Betracht [98 ].
In Abhängigkeit vom PPW und NPW des gewählten Tests
und konstanter Sensitivität (Se) und Spezifität (Sp) ist bei
seriellem Testen allgemein eine Konversionsrate von (1-NPW) (Se) +
NPW(1-Sp) sowie eine Reversionsrate von PPW (1-Se)+(1-PPW)(Sp) zu erwarten
[99 ]. Ist die Spezifität eines Tests hoch, steigt
die zufallsbedingte Reversionsrate nach positivem Testergebnis mit abnehmender
Infektionsprävalenz im untersuchten Kollektiv (s. [Tab. 5 ]). Erwartungsgemäß werden daher wie
beim THT auch beim Nachtesten von Kontaktpersonen mit positiven
IFN-γ-Ergebnissen (sofort bis Monate nach dem ersten Test) immer wieder
Reversionen beobachtet [100 ]
[101 ]
[102 ].
Aufgrund des fehlenden Goldstandards für die Detektion
einer LTBI ist bei einem zweiten, jetzt negativen Testergebnis eine
Unterscheidung zwischen einem zuvor falsch positiven IFN-γ-Ergebnis des
initialen Tests, einer zwischenzeitlichen Elimination von M. tuberculosis und einer zufallsbedingten Reversion nicht
möglich. In den wenigen bislang vorliegenden Progressionsstudien
entwickelten – wenngleich in geringerem Maße – auch
Kontaktpersonen mit initial niedrigen Testwerten innerhalb der ersten Jahre
eine aktive Tuberkulose [81 ]
[82 ]
[100 ], sofern ein enger Kontakt
dokumentiert war. Bei einem definierten aktuellen Kontakt zu einem
infektiösen Indexfall und entsprechend hoher Prävalenz einer
Infektion, die im Gegensatz hierzu beim routinemäßigen Screening von
Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht bekannt ist, sollte bei jeder
IFN-γ-testpositiven Kontaktperson daher – wie früher beim THT
auch – nach Ausschluss einer Organtuberkulose von einer LTBI ausgegangen
und demnach eine Chemoprävention empfohlen werden.
Insbesondere eine Einteilung der IFN-γ-Testergebnisse in
„Schwach”- oder „Stark”-Positive und eine
eventuelle Nachtestung nur der „Schwach”-Positiven zu einem
willkürlich gewählten Zeitpunkt sind weder aussagekräftig noch
sinnvoll, da ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer bestimmten Höhe
des IFN-γ-Testergebnisses und der nachfolgenden Reversion bei
Kontaktpersonen bislang nicht nachgewiesen wurde.
Tab. 5 Erwarteter Anteil
an Konversionen bzw. Reversionen beim Nachtesten negativer bzw. positiver
IFN-γ-Ergebnisse am Beispiel des QFT (Sensitivität
84,5 %, Spezifität 99 %), modifiziert nach
[99 ].
Infektions-Prävalenz (%)
PPV (%)
NPV (%)
Erwarteter Anteil an
Konversionen (%)
Erwarteter Anteil an
Reversionen (%)
1
46,0
99,8
1,1
60,5
5
81,6
99,2
1,7
30,8
10
90,4
98,3
2,4
23,5
20
95,5
96,2
4,1
19,3
50
98,8
86,5
12,3
15,5
4 Sonderfälle
4.1 Umgebungsuntersuchungen in Schulen, Kindergärten und
anderen Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche
Bei Tuberkulose in Schulen, Kindergärten etc. (§ 33
IfSG) hat es sich bewährt, unverzüglich nach Eingang der Meldung mit
der Leitung der Einrichtung Kontakt aufzunehmen, um die erforderlichen
Maßnahmen zu besprechen und die Vorgehensweise zu vereinbaren. Die Eltern
der betroffenen Kinder sollten hierüber vorab informiert sein.
Die Sorgeberechtigten sind in geeigneter Form (Merkblatt,
Gespräch, Elternabend, Telefon-Hotline) zu informieren und über
typische Symptome der Krankheit aufzuklären[8 ]. Es
wird empfohlen, mit Hilfe eines Fragebogens Informationen zum Kontakt und zur
Anamnese zu erheben und gleichzeitig das Einverständnis der
Sorgeberechtigten für die ggf. notwendigen Untersuchungen trotz
Duldungspflicht (§ 26 Abs. 2 IfSG) einzuholen [103 ].
Die Ermittlungen sollten sich bei einem Schüler mit
ansteckungsfähiger Lungentuberkulose nicht nur auf die Klassenkameraden,
sondern auch auf die Schüler erstrecken, mit denen in
Arbeitsgemeinschaften, auf Klassenfahrten, im Schulorchester, Chor etc.,
Kontakt bestand.
Geht von einer Lehrkraft, einem zur Vorbereitung auf den Beruf des
Lehrers in der Schule Tätigen, einem Schulbediensteten oder einem Bewohner
eines Schulgebäudes die Ansteckungsgefahr aus, sollten alle, die von
dieser Person unterrichtet wurden und mit ihr engen Kontakt hatten, sowie alle
Kollegen untersucht werden.
Sollte der Schulbusfahrer als Indexfall gelten, wird empfohlen,
alle Schüler, die regelmäßig diesen Bus benutzen, in die
Umgebungsuntersuchung mit einzubeziehen.
Die Untersuchungen sollten unverzüglich gemäß
3.8.1 erfolgen, um Infizierte (LTBI) zu entdecken und durch die Empfehlung
einer Chemoprävention und deren Durchführung durch niedergelassene
Ärzte Folgeerkrankungen zu verhindern [104 ].
Handelt es sich um den Kranken oder Krankheitsverdächtigen,
wird der Schulbesuch solange untersagt, bis die Untersuchungsergebnisse eine
Weiterverbreitung der Erreger nicht mehr befürchten lassen (§ 34 Abs.
1 Nr. 8 IfSG). Dies ist nach den Hinweisen des RKI bei einer lege artis
durchgeführten antituberkulösen Kombinationstherapie in der Regel
nach drei Wochen der Fall, wenn aufeinanderfolgend drei mikroskopisch negative
Proben von Sputum (ggf. Bronchialsekret oder Magensaft) vorliegen
[105 ]
[106 ].
4.2 Umgebungsuntersuchungen in Betrieben
In vielen Fällen reichen die Angaben der Indexperson
über Kontaktpersonen am Arbeitsplatz aus. Wenn diese Angaben verweigert
werden, unzutreffend oder ergänzungsbedürftig erscheinen, wird
empfohlen, die Betriebsleitung und den Betriebsarzt über die notwendigen
Maßnahmen zu informieren, da genaue Kenntnisse der Betriebsorganisation
erforderlich sind, um Möglichkeiten und Intensität des Kontaktes, wie
in 3.8.1 beschrieben, abzuschätzen und um den Umfang der
Umgebungsuntersuchungen festzulegen.
Es empfiehlt sich, wenn mehr als zehn Personen betroffen sind,
IFN-γ-Tests möglichst im Betrieb durchzuführen, und für
Testpositive eine Freistellung für eine umgehende TRU zu erwirken, um
weitere unerkannte Tuberkulosefälle rasch und kostengünstig
auszuschließen.
4.3 Umgebungsuntersuchungen bei im Gesundheitswesen
Beschäftigten
Ziel und Inhalt der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen
bei Beschäftigten im Gesundheitswesen haben sich in den beiden letzten
Dekaden deutlich verändert. Bis 1982 waren ein positiver THT Voraussetzung
für die Beschäftigung im Gesundheitsdienst und bis 1998
regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen verpflichtend
für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen. Mit der sich
verändernden, günstigen Inzidenzlage in Deutschland wurde der Kreis
der zu untersuchenden Beschäftigten in der Biostoffverordnung vom
27. 1. 1999 [107 ] neu definiert und ein
Paradigmenwechsel hin zu anlassbezogenen Angebotsuntersuchungen nach dem
Verdacht auf eine berufliche Exposition gegenüber bestimmten
Infektionserregern – hier M. tuberculosis
– vorgenommen.
Seit dem 1. 1. 2010 wird die Biostoffverordnung
durch die Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung (ArbMedVV)
vom 18. Dezember 2008, BGBl. I S. 2768 ergänzt; inhaltlich hat sich jedoch
keine Veränderung ergeben: „Wenn als Folge einer Exposition
gegenüber biologischen Arbeitsstoffen mit einer schweren Infektion oder
Erkrankung gerechnet werden muss und Maßnahmen der postexpositionellen
Prophylaxe möglich sind” (§ 5 Abs. 2 i. V. m.
Teil 2,2 Angebotsuntersuchungen 2 ArbMedVV), sind den Beschäftigten zu
Lasten des Arbeitgebers unverzüglich Untersuchungen nach § 15 Abs. 2
Nr. 4 (Untersuchungen aus besonderem Anlass) anzubieten. Regelmäßige
Pflichtuntersuchungen sind gemäß Teil 2,1 der ArbMedVV nur noch bei
Beschäftigten in Tuberkuloseabteilungen und anderen pulmologischen
Einrichtungen oder Forschungseinrichtungen/Laboratorien, die
regelmäßig Kontakt zu infektiösen Patienten oder Materialien
haben, vorgesehen.
Die freiwillige Teilnahme an einer Angebotsuntersuchung bei
Kontakt eines Beschäftigten mit einem Tuberkulose-Indexfall ersetzt dabei,
wie die arbeitsmedizinische Pflichtuntersuchung unter Beachtung des Grundsatzes
G 42 Nr. 37 (Tuberkulose) auch, die Umgebungsuntersuchung nach dem IfSG. Um
Doppeluntersuchungen zu vermeiden, ist es sinnvoll, dass Betriebsärzte
ihre Untersuchungen nach der Biostoffverordnung in Absprache mit dem
Gesundheitsamt vornehmen und sowohl die Kriterien für enge Kontaktpersonen
(3.8.1) als auch das entsprechende Untersuchungsschema dieser DZK-Empfehlungen
anwenden. Bei Beschäftigten, die die Angebotsuntersuchungen nicht
wahrnehmen, bleiben die Verpflichtung und die Berechtigung des Gesundheitsamtes
zur Umgebungsuntersuchung nach dem IfSG unberührt.
Frische LTBI sind zudem entsprechend der
Berufskrankheitenverordnung bei Verdacht auf berufliche Verursachung wie eine
manifeste Tuberkulose dem Unfallversicherungsträger oder der für den
medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Berufsgenossenschaft anzuzeigen
[108 ]. Die Anzeige erfolgt durch den feststellenden
Arzt. Zwar begründet auch die Konversion im THT eine Verdachtsanzeige auf
das Vorliegen einer Berufskrankheit. Aufgrund der dem THT überlegenen
Spezifität des IFN-γ-Tests (keine Kreuzreaktion bei BCG-Impfung und
durch NTM-Infektionen, s. 3.5.2) ist der THT für die Diagnose einer LTBI
jedoch nur begrenzt geeignet und bedarf im nachfolgenden
Berufskrankheiten-Verfahren der Bestätigung durch einen IFN-γ-Test. In
einer multizentrischen Querschnittsstudie bei exponierten Beschäftigten im
Gesundheitswesen wurde lediglich die Hälfte der positiven THT-Resultate
durch den IFN-γ-Test bestätigt [109 ].
Anders als bei Umgebungsuntersuchungen in der
Allgemeinbevölkerung ist es für Beschäftigte im Gesundheitswesen
nicht unwahrscheinlich, dass sie mehrmals im Laufe ihrer Tätigkeit auf
eine LTBI hin untersucht werden. Der Booster-Effekt des THT ist für sie
daher von besonderer Bedeutung. Da dieser Booster-Effekt nicht nur kurzfristig
über wenige Wochen, sondern länger anhält [110 ], kann der THT bei Beschäftigten im
Gesundheitswesen nicht mehr empfohlen werden. Sowohl bei Untersuchungen vor
Aufnahme der Beschäftigung im Gesundheitswesen, sofern indiziert, als auch
bei der Umgebungsuntersuchung mit dem Ziel einer LTBI-Detektion und
postexponentiellen Chemoprävention ist der IFN-γ-Test dem THT auch
deshalb überlegen. Eine primäre betriebsärztliche Anwendung des
IFN-γ-Tests ist daher – auch um den organisatorischen Aufwand und die
Belastung des Beschäftigten möglichst gering zu halten und einen
eventuellen Booster-Effekt durch den THT zu vermeiden – geboten.
Ein IFN-γ-Test ist bei Beschäftigten im Gesundheitswesen
auch durchzuführen, wenn keine Chemoprävention geplant ist. Nur so
kann eine LTBI, die als Berufskrankheit zu melden ist, diagnostiziert werden.
Der alleinige Ausschluss einer aktiven Tuberkulose mittels TRU ist bei
Beschäftigten im Gesundheitswesen also nicht ausreichend.
Im Übrigen gelten die Empfehlungen wie unter 3.8.1
ausgeführt.
Im Falle einer Umgebungsuntersuchung nach dem IfSG informiert das
Gesundheitsamt den jeweiligen Leiter der Einrichtung – in
Krankenhäusern die ärztliche Leitung – von der Notwendigkeit
der Umgebungsuntersuchung. Abgesehen vom Personal müssen enge
Kontaktpersonen unter den Mitpatienten ermittelt werden; auch an
Beschäftigte privater Reinigungsfirmen oder an technisches Personal sollte
gedacht werden. Eine Liste ist anzufertigen, aus der Namen, Geburtsdatum und
Anschrift hervorgehen. In ihr können die Ergebnisse der Untersuchungen
vermerkt werden, soweit diese im Krankenhaus stattgefunden haben. Die Liste
erhält zuständigkeitshalber das Gesundheitsamt als Grundlage zur
Planung der Umgebungsuntersuchung.
4.4 Umgebungsuntersuchungen in Alten- und Pflegeheimen sowie
Betreuungseinrichtungen
Während Tuberkulin-Hauttests bei älteren Menschen wegen
bekannter Störfaktoren unzuverlässig sind, steht bei
Umgebungsuntersuchungen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen mit dem
IFN-γ-Test eine Alternative zur sofortigen Röntgenaufnahme zur
Verfügung. Testpositive Bewohner, die vor einem Röntgenstativ stehen
können, erhalten anschließend eine TRU. Gehaltene Aufnahmen, bei denen sich Helfer während
der Aufnahme im Kontrollbereich aufhalten, sind nicht zu empfehlen.
Es wird empfohlen, bei Bettlägerigen statt der TRU drei
Sputumproben, ggf. auch die Untersuchung von Magensaft, zu veranlassen
[111 ], auch wenn man damit in Kauf nimmt, die
Tuberkulose erst im fortgeschrittenen Stadium entdecken zu können. Sofern
dies nicht möglich ist, sollte eine klinische Überwachung durch den
behandelnden Arzt erfolgen. Bei symptomatischen Bewohnern ist im Einzelfall
eine TRU im Liegen zu veranlassen.
Insbesondere in Heimen für behinderte Menschen kann es unter
Umständen nahezu unmöglich sein, die verschiedenen Kontakte der
zurückliegenden Monate in Wohngemeinschaften, Wohnheimen, Schule und
Werkstätten zu ermitteln, sodass sich der zu untersuchende Personenkreis
kaum sicher eingrenzen lässt [112 ]. Entsprechend
großzügig ist die Indikation zur Untersuchung zu stellen. Die
Umgebungsuntersuchungen richten sich für Bewohner und Personal nach den
o. g. Ausführungen. Es hat sich bewährt, die behandelnden
Ärzte der Heimbewohner über den Tuberkulose-Kontakt ihrer Patienten
zu unterrichten, um zu einer optimierten Fallfindung beizutragen.
4.5 Umgebungsuntersuchungen in Justizvollzugsanstalten
Umgebungsuntersuchungen in Gefängnissen und ähnlichen
Einrichtungen sind im Einvernehmen mit dem ärztlichen Dienst der
jeweiligen JVA nach dem dargestellten Schema durchzuführen und auf die
Beschäftigten der JVA auszudehnen. Bei der Durchführung von
Röntgen-Thoraxaufnahmen sollte vermieden werden, die gleichen
Kontaktpersonen in recht kurzen Abständen wiederholt zu röntgen.
Konsequente ärztliche Untersuchungen einschließlich der
duldungspflichtigen TRU (§ 36 Abs. 4 IfSG) bei Aufnahme eines
Häftlings in die JVA tragen dazu bei, Tuberkulosefälle
frühzeitig zu erkennen sowie mögliche Übertragungen vom
M. tuberculosis und damit Umgebungsuntersuchungen
innerhalb der JVA zu vermeiden [113 ].
4.6 Umgebungsuntersuchungen bei Flugreisenden oder Nutzern
anderer Verkehrsmittel
Grundsätzlich wird nach dem o. g. Schema verfahren,
wobei nach den internationalen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) ein Infektionsrisiko in der Regel lediglich für Mitpassagiere
desselben Kabinenabschnitts (wenige Reihen vor und hinter dem Indexfall) nach
einer Flugdauer von mehr als acht Stunden angenommen wird [114 ]
[115 ].
Bei Langstreckenreisen mit anderen Verkehrsmitteln, wie Bus oder
Bahn, ist, sofern Kontaktpersonen im Bus bzw. gleichen Zugabteil ausgemacht
werden können (z. B. Klassenfahrt), gemäß den vorherigen
Ausführungen zu verfahren.
4.7 Ausbrüche
Umgebungsuntersuchungen mit mehreren Folgefällen können
unter Umständen Screeninguntersuchungen (IFN-γ-Tests, THT,
Röntgenbus) von größeren Gruppen der Bevölkerung notwendig
machen, deren Bewältigung die personellen Kapazitäten des
örtlich zuständigen Gesundheitsamtes übersteigt. In drohenden
Ausnahmesituationen sind frühzeitig die übergeordneten Stellen des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu informieren, damit unter
Umständen zusätzliches Fachpersonal zur Unterstützung abgeordnet
werden kann.
R. Diel hat Reisekosten und Vortragshonorare von den Firmen Oxford
Immunotec und Cellestis GmbH erhalten. B. Königstein hat
Reisekosten und Vortragshonorare von Cellestis GmbH erhalten.S. Castell, A.
Detjen, H. Geerdes-Fenge, W. Haas, B. Hauer, R. Loddenkemper, G. Loytved, D.
Maffei, K. Margdorf, A. Nienhaus, M. Priwitzer und J. P. Zellweger geben an,
dass kein Interessenkonflikt besteht.