Fragestellung
Fragestellung
Jan Pool und Kollegen untersuchten, ob Patienten mit subakuten Nackenschmerzen mehr
von einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Programm mit allmählicher Aktivitätssteigerung
profitieren oder von Manueller Therapie und Übungen.
Hintergrund
Hintergrund
Unspezifische Nackenschmerzen gibt es häufig, bei 5–10 % der Patienten sind sie chronisch.
In der konservativen Therapie kommen unter anderem physiotherapeutische Übungen, Gelenkmanipulationen
und -mobilisationen, Massagen, physikalische Applikationen und multidisziplinäre,
biopsychosozial ausgerichtete Rehabilitationsprogramme zum Einsatz. In einem Cochrane-Review
fanden Gross und Kollegen heraus, dass den Betroffenen die Kombination aus passiven
Mobilisationen und aktiven Übungen hilft [1]. Andere Studien ergaben, dass Manuelle
Therapie effektiver und kostengünstiger ist als allgemeine Physiotherapie und die
Betreuung durch den Hausarzt [2]. Psychosoziale Faktoren können bei der Schmerzchronifizierung
eine wichtige Rolle spielen. Deswegen wurden Behandlungsprogramme entwickelt, die
auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen basieren und Patienten graduell zur
normalen Funktion und Aktivität zurückführen sollten (Behavioural-Graded-Activity-Programme,
BGA). Diese Programme wurden bereits bei lumbalen Problemen untersucht, aber nur wenig
bei unspezifischen Nackenschmerzen.
Einschlusskriterien
Einschlusskriterien
Patienten, die seit mindestens vier und höchstens zwölf Wochen unter unspezifischen
Nackenschmerzen mit oder ohne Kopf-, Schulter- und Armschmerzen sowie Schwindel litten.
Patienten mit Beschwerden aufgrund eines Verkehrsunfalls nahmen die Autoren nur auf,
wenn sie nicht in ein Versicherungsverfahren verwickelt waren.
Ausschlusskriterien
Ausschlusskriterien
Nicht teilnehmen konnten Patienten mit spezifischen Nackenbeschwerden, zum Beispiel
Tumoren, Diskushernien und neurologischen Krankheiten.
Studiendesign
Studiendesign
Randomisierte klinische Studie mit pragmatischem Design [3]: Pool et al. beurteilten
die Behandlungseffekte, aber nicht die einzelnen Komponenten der Therapie.
Intervention
Intervention
146 Patienten zwischen 18 und 70 Jahren wurden auf zwei Gruppen randomisiert. Gruppe 1 erhielt ein BGA-Programm mit folgenden Zielen:
-
Verminderung des Vermeidungsverhaltens und Stimulieren von gesundheitsförderndem Verhalten
-
Funktionsverbesserung; die Verbesserung der Schmerzen war primär nicht wichtig
-
Patient übernimmt eine selbstverantwortliche, aktive Rolle in der Therapie
Die Therapeuten traten als Coach auf und sollten in der Behandlung nur „Hands-off”
arbeiten, also keine passiven Behandlungstechniken einsetzen. Die Patienten erhielten
maximal 18 Behandlungen à 30 Minuten. Die Behandlungsziele bei Gruppe 2 waren:
Die Patienten erhielten Gelenkmobilisationen und/oder -manipulationen sowie Übungen
und Beratung. Sie bekamen maximal 6 Behandlungen à 30–45 Minuten. Die Details der
Therapie sind in einer Vorpublikation beschrieben [3].
Ergebnisparameter
Ergebnisparameter
Ergebnisparameter waren Schmerzintensität, Neck-Disability-Index (NDI) und SF-36-Fragebogen.
Außerdem füllten die Teilnehmer mehrere psychometrische Fragebögen aus sowie die Global-Perceived-Effect-Skala
(GPE), in der sie den subjektiven Behandlungseffekt beurteilen konnten.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die Gruppen unterschieden sich nach den Interventionen nicht signifikant. Gruppe 1
hatte leicht bessere Resultate im GPE und NDI und erreichte ihre Verbesserungen etwas
früher.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Beide Gruppen verbesserten sich, unterschieden sich jedoch nicht relevant voneinander
– vor allem hinsichtlich der Entwicklung ihrer Bewegungsangst, ihres Coping-Verhaltens
und der anderen psychischen Faktoren. Die Autoren sehen mehrere Gründe dafür, unter
anderem:
-
Alle Patienten hatten bereits bei der ersten Messung relativ unauffällige Werte in
den psychometrischen Fragebögen.
-
In der BGA-Gruppe hatten manche Therapeuten doch „Hands-on” gearbeitet.
-
Es war für die Therapeuten der BGA-Gruppe schwer, das strikte Studienprotokoll in
der täglichen Praxis konsequent einzuhalten.
Als Limitierung sehen die Autoren, dass Gruppe 2 weniger Therapieeinheiten erhalten
hatte als Gruppe 1. Außerdem nahmen insgesamt weniger Probanden teil als geplant.
Kommentar
Zunächst scheint es keinen Unterschied zu machen, welche der Interventionen man bei
Patienten mit subakuten Nackenschmerzen einsetzt. Bei genauer Betrachtung tauchen
jedoch einige Fragen auf, die für die tägliche Arbeit von Therapeuten bedeutsam sind.
Dazu gehört vor allem das pragmatische Studiendesign, bei dem sich die Forscher nur
mit den Resultaten der Interventionen und nicht mit deren Details beschäftigen.
Keine strikte Trennung der zwei Methoden möglich
Keine strikte Trennung der zwei Methoden möglich
Die Studie trennt zwei Methoden, die möglicherweise sehr viele Übereinstimmung haben:
Zu Beginn des BGA-Programms in Gruppe 1 war das Ziel, das Denkmodell der Betroffenen
positiv zu verändern. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Manualtherapeuten
in Gruppe 2 während der Behandlung das Gleiche versuchten – ohne sich dessen jedoch
explizit bewusst zu sein. In der Hauptphase des BGA-Programms lag der Schwerpunkt
auf einer Aktivitätsverbesserung, nicht auf einer Schmerzreduktion. Doch auch diese
Elemente nutzen Physio- und Manualtherapeuten regelmäßig: Sie verwenden alltagsbezogene
Übungen, damit die Patienten ihre Alltagsaktivitäten wieder aufnehmen können. Behandlungskonzepte
wie das von Robin McKenzie [4] oder das der muskulären Stabilisation während Alltagsaktivitäten
von Richardson und Kollegen [5] tragen kognitiv-verhaltenstherapeutische Prinzipien
in sich – auch wenn sie nicht explizit ausgewiesen werden. Zudem schienen die Autoren
davon auszugehen, dass die Manualtherapeuten in Gruppe 2 mehr mechanistisch auftreten
und keiner biopsychosozialen Vorgehensweise folgen. Es gibt jedoch Hinweise, dass
Physio- und Manualtherapeuten mit zunehmender Berufserfahrung eine biopsychosoziale
Perspektive in ihrer Arbeit entwickeln und mehr und mehr die Rolle eines Coachs einnehmen
[6, 7]. Denn Kommunikation, Information und Motivation spielen in einer erfolgreichen
Physiotherapie eine große Rolle [8, 9]. Zudem sind die psychosozialen Aspekte von
Berührung nicht einfach auszuschließen. Vorsichtiges Bewegen kann das Vertrauen in
„bewegt werden” steigern und ein Sprungbrett zu aktiven Bewegungen sein. Passives
Bewegen kann also als ein erster Schritt zum graduellen Aufbau von Aktivität betrachtet
werden [10].
Aus all diesen Gründen wäre es interessant gewesen, die Inhalte beider Interventionen
im Detail zu beobachten und nicht nur deren Ergebnisse.
Andere Resultate bei anderen Patientengruppen?
Andere Resultate bei anderen Patientengruppen?
Auffällig ist, dass die BGA-Gruppe dreimal so viele Sitzungen durchführen konnte wie
die Gruppe, die Manualtherapie erhielt. Die naheliegende Frage nach der Kosteneffektivität
stellten die Autoren dieser Studie nicht.
Es ist außerdem vorstellbar, dass die Studie zu anderen Ergebnissen gekommen wäre,
wenn die Beschwerden der Patienten schon länger bestanden hätten und deren Schmerzerleben
bereits durch eine erfolglose Behandlung geprägt worden wäre. Die psychosozialen Variablen,
die die Autoren primär untersuchen wollten, waren bei den Probanden jedoch nur wenig
auffällig und hatten sich während der Studie kaum verändert. Der Grund könnte sein,
dass in einer subakuten Phase nozizeptive Schmerzmechanismen
eine größere Rolle spielen, psychometrische Variablen (zentrale Schmerzmechanismen
in Kombination mit psychosozialen Komponenten) dagegen weniger ins Gewicht fallen
– vor allem, wenn die Patienten zum ersten Mal wegen ihres Problems zur Therapie kommen.
Studiendesign anpassen
Studiendesign anpassen
Ich würde vorschlagen, eine vergleichbare Studie mit derselben Patientengruppe durchzuführen,
aber das pragmatische Design auszulassen. Denn die physiologischen und psychologischen
Effekte einer Methode können wesentlich davon beeinflusst werden, welche Dinge der
Therapeut während einer Therapie wann und wie sagt. Eine solche Studie könnten die
Forscher zusätzlich mit qualitativen Methoden ergänzen. Die zentrale Fragestellung
dabei wäre, inwiefern sich die Vorgehensweise der Therapeuten in beiden Gruppen unterscheidet
und wie die Patienten diese Sitzungen erleben.