Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2010; 7(2): 47-49
DOI: 10.1055/s-0030-1264991
Aktuell diskutiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Leitlinien – Leitlinienkonformität der Versorgung von Brustkrebspatientinnen in Deutschland

Further Information
#

Korrespondierende Autorin

Dr. med. Anne Reiter

BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH

Kanzlerstr. 4

40472 Düsseldorf

Email: a.reiter@bqs-institut.de

Publication History

Publication Date:
17 August 2010 (online)

Table of Contents

Im Jahre 2003 wurden in Deutschland erstmalig evidenz- und konsensusbasierte Stufe-3 (S-3)-Leitlinien zum Thema Brustkrebs publiziert und in 2008 aktualisiert [1], [2] . Sie weisen neben den klinischen Behandlungsempfehlungen Qualitätsindikatoren aus. Diese überprüfen, ob die Empfehlungen in der praktischen Versorgung der Patientinnen tatsächlich umgesetzt werden. Entwickelt wurden sie durch die Leitlinienarbeitsgruppen in Kooperation mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS gGmbH). A. Reiter [1] , D. Wallwiener [2] , M. Dombrowski [3] , W. Schleiz [4] , U. S. Albert [5]

#

Einleitung

Qualitätsindikatoren sind Kennzahlen, die - bezogen auf eine definierte Grundgesamtheit - qualitätsrelevante Parameter ausweisen. Als solche sind sie häufig mit einem Referenz- oder Zielwert versehen. So kann die Qualität der bewerteten Versorgung mit dem zu erreichenden Zielwert verglichen werden.

Die BQS hat die Leitlinien-Indikatoren für die praktische Anwendung im stationären Sektor einschließlich ihrer methodischen Überprüfung weiter entwickelt und bis einschließlich 2009 in Form von bundesweit einheitlichen Dokumentationsvorgaben umgesetzt. Ziel war ein zunächst anonymer Qualitätsvergleich zwischen allen an der Versorgung von Brustkrebspatientinnen beteiligten Krankenhäusern. Bei diesen Aufgaben wurde die BQS von einem interdisziplinären Team an Fachexperten einschließlich Patientenvertreterinnen unterstützt. Die Beteiligung von Leitlinienautoren gewährleistete eine Kohärenz und einen kontinuierlichen Austausch zwischen Leitlinien und der vergleichenden Qualitätssicherung. Seit 2006 müssen alle Krankenhäuser die Ergebnisse ausgewählter Indikatoren publizieren.

#

BQS-Indikatoren

Die BQS hat im Bereich Brustkrebs insgesamt 6 Indikatoren zur Prozessqualität und 4 weitere zur Qualität der Indikationsstellung eingesetzt (Tab. [1]). Alle Indikatoren beziehen sich auf Statements aus den genannten Leitlinien. In 2008 mussten alle Krankenhäuser die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der 3 Indikatoren "Intraoperatives Präparatröntgen", "Hormonrezeptor- und HER-2/neu-Analyse" und "Angabe Sicherheitsabstand" informieren. Vor der Festlegung dieser Indikatoren für die öffentliche Berichterstattung wurde deren methodische Qualität umfassend durch die BQS geprüft. Zu diesem Zweck wurde eigens ein Instrument namens QUALIFY entwickelt [3]. Nur methodisch hochwertige Indikatoren sind geeignet, die Öffentlichkeit adäquat zu informieren. Indikatoren, die den QUALIFY-Test nicht bestanden haben, liefern zwar auch wichtige Informationen zur Qualität der Versorgung, bedürfen aber zusätzlicher Kenntnisse - zum Beispiel des Case-mix eines Krankenhauses -, um die Ergebnisse angemessen zu interpretieren.

Zoom Image

Tab. 1: BQS-Indikatoren 2008 in der Mammachirurgie.

Die Qualität der Versorgung von Brustpatientinnen im Behandlungszeitraum 2008 wird exemplarisch anhand der 3 berichtspflichtigen Indikatoren dargestellt. Aus Gründen der statistischen Aussagekraft werden in diesem Artikel Ergebnisse für Krankenhäuser nur dann dargestellt, wenn mindestens 20 Fälle in der Grundgesamtheit des jeweiligen Indikators erreicht werden. Selbstverständlich gelten auch für Krankenhäuser mit kleinen Fallzahlen gleiche Qualitätsanforderungen in der praktischen Umsetzung der Qualitätssicherung.

#

Intraoperatives Präparatröntgen

Dieser Indikator misst, ob bei stationären Patientinnen mit nicht tastbaren Brusttumoren und präoperativer Befundmarkierung unter mammografischer Sicht, intraoperativ die vollständige Tumorentfernung durch ein Präparatröntgen geprüft wird. In 94,2 % der Fälle in Deutschland wurde ein Präparatröntgen dokumentiert. Die Gesamtergebnisse zu diesem Indikator haben sich in den vergangenen Jahren in beeindruckender Weise verbessert, bei gleichzeitig abnehmender Varianz (Gesamtergebnisse 2005: 65,0 %, 2006: 83,9 %, 2007: 91,2 %) (Abb. [1]).

Zoom Image

Abb. 1 Verlaufsdarstellung Intraoperatives Präparatröntgen durch Box-and-Whisker-Plot (Gesamtergebnisse aller Patientinnen: Rauten; Verteilung der Krankenhausergebnisse mit mindestens 20 Fällen: Balken begrenzt durch 25 %- und 75 %-Perzentil, weiße Linien: Median, Whiskers begrenzt durch 5 %- und 95 %-Perzentil, Sterne: Minimum und Maximum).

Ein Blick auf die Prozessleistung der einzelnen Krankenhäuser zeigt, dass 61 von 283 Kliniken mit mindestens 20 radiologisch gesteuerten Draht-Markierungen den Referenzbereich von mindestens 95 % nicht erreichten (Abb. [2]).

Zoom Image

Abb. 2 Rate an intraoperativen Praparatrontgen fur 283 Krankenhauser mit ≥ 20 Drahtmarkierungen durch Mammografie.

#

Angabe Sicherheitsabstand

Dieser Indikator misst, ob der Pathologe den minimalen Abstand zwischen dem Karzinom und dem Resektionsrand exakt in mm angibt. In 96,1 % aller Fälle mit brusterhaltender Therapie (BET) und in 93,2 % der Fälle mit Mastektomie wurde 2008 ein metrischer Sicherheitsabstand dokumentiert. Die Versorgung hat sich im Vergleich zum Vorjahr (92,9 bzw. 88,1 %) signifikant verbessert. Erstmalig wurde der Referenzbereich von mindestens 95 % für den Sicherheitsabstand bei BET auf Bundesebene erreicht. Die auffälligsten Krankenhausergebnisse lagen bei 22,7 bzw. 23,1 %. 120 von 499 bzw. 133 von 388 Krankenhäusern (mit mindestens 20 Fällen in der jeweiligen Grundgesamtheit BET bzw. Mastektomie) erreichten den Referenzbereich nicht.

#

Hormonrezeptoranalyse und HER-2/neu-Analyse

Dieser Indikator hat 2008 ergeben, dass bei 98,9 % aller Patientinnen mit invasivem Mammakarzinom die Hormonrezeptoren immunhistochemisch analysiert wurden. 553 von 577 Krankenhäusern mit einer Behandlung von mindestens 20 Primärerkrankungen oder Rezidiven erreichten den Referenzbereich von 95 %. Die erzielten Ergebnisse aller Krankenhäuser lagen dabei zwischen 25,0 % bis 100,0 %.

Her-2/neu wurde bei 98,0 % aller Patientinnen mit einer Primärerkrankung bestimmt. Im bundesweiten Durchschnitt wurde der Referenzbereich von mindestens 95 % also erreicht. Auf der Ebene der Krankenhäuser haben 520 von 569 mit mindestens 20 Primärerkrankungen die Vorgaben erfüllt. Das schlechteste Krankenhaus-Ergebnis betrug 23,8 %.

Wie kommen diese positiven Verläufe zustande? In den vergangenen Jahren sind eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsqualität auf den Weg gebracht worden. Von großer Bedeutung ist die Verfügbarkeit der S-3-Leitlinien, auf die sich weitere Interventionen wie der Strukturierte Dialog mit auffälligen Krankenhäusern, Zertifizierungsverfahren und Anstrengungen im Rahmen des internen Qualitätsmanagements explizit beziehen können. Im Falle flächendeckend nicht zufriedenstellender Indikatorergebnisse sind die BQS und ihre Fachexperten mit den zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften in einen Dialog getreten. Strategien zur effizienten Umsetzung der betroffenen Leitlinienempfehlungen wurden vereinbart. Nicht zuletzt hat die BQS durch die Publikation und Diskussion der Ergebnisse im jährlichen Qualitätsreport und auch auf zahlreichen Fachkongressen eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung mit unterstützt.

#

Diskussion

Anhand der ausgewerteten Indikatoren konnte im Verlauf der vergangenen Jahre eine kontinuierliche Verbesserung der Prozessparameter für die Versorgung von Brustkrebspatientinnen, gemessen an den Vorgaben der S-3-Leitlinien, festgestellt werden. Trotz dieser positiven Nachricht gibt es weiterhin eine gewisse Anzahl an Krankenhäusern, die die Zielwerte nicht erreichen. Hier sind weitere Anstrengungen aller an der Qualitätsverbesserung Beteiligten unbedingt erforderlich.

Bei der Darstellung der erreichten Versorgungsqualität durch die BQS vermissen insbesondere Patientinnen die Darstellung der für ihre Krankenhauswahl relevanten Ergebnisparameter Mortalität, Rezidive und Lebensqualität. Diese sind in der Tat wichtige Qualitätsdaten. Auch fehlen Angaben aus dem ambulanten Bereich wie z. B. der Qualität der adjuvanten Therapie. Die Zukunft liegt in einer sektorenübergreifenden Qualitätssicherung der gesamten Versorgungskette - von der Früherkennung bis zur Nachsorge - unter Einbeziehung von Ergebnisindikatoren.

Aber auch im Falle der Verfügbarkeit von Mortalitätsdaten bleiben Prozessindikatoren wichtigste Bausteine der Qualitätsförderung. Bei diesen muss die Evidenzbasierung gewährleistet sein, d. h. die abgebildeten Prozesse müssen relevante Versorgungsergebnisse wie Mortalität, Rezidive und Lebensqualität maßgeblich beeinflussen. Der Nachweis dieses Zusammenhanges wird in den S-3-Leitlinien, die Empfehlungen für bestimmte Behandlungen (d. h. Prozesse) geben, explizit auf der Grundlage wissenschaftlicher Studienergebnisse und von klinischem Sachverstand erbracht. Ein wesentlicher Vorteil von Prozessindikatoren besteht unzweifelhaft darin, dass erforderliche Qualitätsverbesserungen einfacher und schneller identifiziert werden können. Bei Ergebnisindikatoren wie der Mortalität ist eine Ursachenklärung unbefriedigender Krankenhausergebnisse häufig nicht mehr möglich: Die Behandlung liegt meistens viele Jahre zurück, eine meist sehr aufwändige Risikoadjustierung muss Einflussfaktoren wie das ursprüngliche Krankheitsstadium, Alter und Begleiterkrankungen berücksichtigen. Nicht zuletzt sind die notwendigen Konsequenzen aus Mortalitätsunterschieden häufig nicht eindeutig, da sich das therapeutische Vorgehen durch eine Aktualisierung der Empfehlungen in der Zwischenzeit ohnehin verändert hat. Daraus folgt, dass Prozess- und Ergebnisindikatoren 2 sich ergänzende, nicht aber konkurrierende, Sichtweisen auf die Qualität der Versorgung sind.

#

Fazit

Die Qualitätsindikatoren aus den S-3-Leitlinien zur Erkennung bzw. Behandlung von Brustkrebs konnten in den gemessenen Bereichen eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgung von Brustkrebspatientinnen belegen. Nächstes Ziel muss eine Ergänzung der Qualitätsdarstellung über die Sektorengrenzen hinaus unter Einbeziehung von Ergebnisparametern sein. Die Praxis hat gezeigt, dass Leitlinien und Qualitätsindikatoren exzellente Partner auf dem Wege der Qualitätsförderung sind.

#

Literatur

  • 01 Albert U- S. Stufe-3-Leitlinie Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland, 1. Aktualisierung 2008. München: Zuckschwerdt Verlag; 2008
  • 02 Kreienberg R , Kopp I , Albert U , et al . Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. In: Deutsche Krebsgesellschaft e.V., Informationszentrum für Standards in der Onkologie (ISTO) (Hrsg). Berlin; 2008
  • 03 Reiter A , Fischer B , Kötting J , et al . QUALIFY: Ein Instrument zur Bewertung von Qualitätsindikatoren.  Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2008;  101 (10) 683-88

01 Abteilung Medizin und Pflege, BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH, Düsseldorf

02 Universitäts-Frauenklinik, Tübingen

03 Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ev. Waldkrankenhaus Spandau, Berlin

04 Abteilung Medizinische Biometrie, BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH, Düsseldorf

05 Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Frauenklinik der Philipps-Universität, Marburg

#

Korrespondierende Autorin

Dr. med. Anne Reiter

BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH

Kanzlerstr. 4

40472 Düsseldorf

Email: a.reiter@bqs-institut.de

#

Literatur

  • 01 Albert U- S. Stufe-3-Leitlinie Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland, 1. Aktualisierung 2008. München: Zuckschwerdt Verlag; 2008
  • 02 Kreienberg R , Kopp I , Albert U , et al . Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. In: Deutsche Krebsgesellschaft e.V., Informationszentrum für Standards in der Onkologie (ISTO) (Hrsg). Berlin; 2008
  • 03 Reiter A , Fischer B , Kötting J , et al . QUALIFY: Ein Instrument zur Bewertung von Qualitätsindikatoren.  Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2008;  101 (10) 683-88

01 Abteilung Medizin und Pflege, BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH, Düsseldorf

02 Universitäts-Frauenklinik, Tübingen

03 Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ev. Waldkrankenhaus Spandau, Berlin

04 Abteilung Medizinische Biometrie, BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH, Düsseldorf

05 Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Frauenklinik der Philipps-Universität, Marburg

#

Korrespondierende Autorin

Dr. med. Anne Reiter

BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH

Kanzlerstr. 4

40472 Düsseldorf

Email: a.reiter@bqs-institut.de

Zoom Image

Tab. 1: BQS-Indikatoren 2008 in der Mammachirurgie.

Zoom Image

Abb. 1 Verlaufsdarstellung Intraoperatives Präparatröntgen durch Box-and-Whisker-Plot (Gesamtergebnisse aller Patientinnen: Rauten; Verteilung der Krankenhausergebnisse mit mindestens 20 Fällen: Balken begrenzt durch 25 %- und 75 %-Perzentil, weiße Linien: Median, Whiskers begrenzt durch 5 %- und 95 %-Perzentil, Sterne: Minimum und Maximum).

Zoom Image

Abb. 2 Rate an intraoperativen Praparatrontgen fur 283 Krankenhauser mit ≥ 20 Drahtmarkierungen durch Mammografie.