Z Orthop Unfall 2010; 148(4): 369-372
DOI: 10.1055/s-0030-1265233
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Autologe Chondrozytentransplantation – Mehr Evidenz beim Knorpelersatz

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17 August 2010 (online)

 
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Gut 15 Jahre alt sind die Techniken, zerstörten Knorpel mit Zelltherapien zu regenerieren. Und genauso alt ist der Streit um die Evaluation und die Kostenübernahme der Methode. Mit dem jetzt nötigen Zulassungsverfahren kommt mehr Übersicht in den Markt.

Kein Ersatzknorpel mehr fürs Sprunggelenk. Am 18. Februar 2010 beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA): Die Transplantation von eigens angezüchteten Knorpelzellen eines Patienten, im Fachjargon ACT (Autologe Chondrozytentransplantation), wird am Sprunggelenk nicht mehr von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Seit Ende Mai ist der Beschluss in Kraft.

Vorausgegangen war erklecklicher Streit im zuständigen Unterausschuss Methodenbewertung des G-BA, der dem abstimmenden Plenum auch nur "dissente Beschlussentwürfe" zustellte. Die Positionen bleiben bis heute unüberbrückbar. "Eine Fehlentscheidung, die Patienten trifft, bei denen andere Behandlungen nicht anschlagen und denen wir die ACT gerne als Reservetherapie erhalten hätten", erklärt Dr. Nicole Schlottmann von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in Berlin.

"Es war genug Zeit, die nötigen klinischen Daten vorzulegen", meint hingegen Dr. Mechtild Schmedders vom GKV-Spitzenverband in Berlin. Und im Rahmen von Studien werde die Methode ja auch weiterhin übernommen. Schmedders: "Wer will, hat immer noch die Option, die nötigen Daten zu liefern und so auch Patienten damit zu versorgen."

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Der hyaline Knorpel ist ein hypozelluläres, avaskuläres, aneurales und alymphatisches Gewebe, der aus Zellen, den Chondrozyten, sowie aus einer extrazellulären Matrix (ECM) besteht. Hauptbestandteile des hyalinen Knorpels sind Wasser, Proteoglylane und Kollagene. Seine ECM besitzt eine superfizielle, transitionelle, radiäre und kalzifizierte Zone (Bild: B. Ro-lauffs et al. Regenerative Medizin zur Behandlung von Knorpelschäden. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2009; 4:239–254).

Die ACT-Story ist komplex, spielt auf mehreren Bühnen und hat, wenn überhaupt, dann nur ein Zwischenfazit: Die Knorpelzüchter stehen vor deutlich steigenden Anforderungen, wollen sie ihre Produkte weiterhin verkaufen.

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Bühne eins – der G-BA

Das oberste Gremium der Selbstverwaltung setzt medizinische Verfahren und Therapien gleich 3-fach auf den Prüfstand, bevor es Kassen überhaupt oder weiterhin bezahlen lässt: Ein Verfahren muss dafür schon seinen Nutzen, seine Wirtschaftlichkeit und seine medizinische Notwendigkeit unter Beweis stellen. Mit einem feinen Unterschied je nach Ort der "Leistungserbringung": Geht es um ambulante Leistungen, müssen sie auf jeden Fall erst durch den Ausschuss, bevor überhaupt Kassengeld fließt. Was stationär im Krankenhaus passiert, unterliegt hingegen, im Juristendeutsch, der "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt": "Stationäre" Verfahren bewertet der G-BA erst dann, wenn Vertreter von Kassen, Krankenhäusern oder der Patienten im G-BA einen Prüfantrag stellen. Bis dahin wird bezahlt.

Ein Prüfantrag für die ACT im Krankenhaus, von den Kassen eingebracht, liegt tatsächlich schon eine Weile zurück. Er datiert von 2001. Der Hauptgrund für das jetzt beim Sprunggelenk beschlossene Nein: Der Mehrheit im G-BA fehlt der Beleg dafür, dass die vergleichsweise teure Methode Patienten mehr nützt als Alternativverfahren. In der Tat ist die Evidenz kümmerlich: Sieben Fallserien mit 93 Patienten hatte die Literaturrecherche im Vorfeld zutage gefördert: Bringt eine magere Evidenzstufe 4.

Nach allerdings nur groben Schätzungen verletzen sich 50 von 10 000 Einwohnern hierzulande jährlich im Gelenk, etliche davon auch am Knorpel. Für so eine häufige Indikation, meint Kassenexpertin Schmedders, könne man Studien der Evidenzstufe 1b erwarten: Randomisierte, kontrollierte Studien. Die Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, so Schmedders, sei konkrete Forschungsförderung und schaffe ein zeitliches Fenster, in dem Hersteller und Krankenhäuser neue Verfahren erproben können. Schmedders: "Doch genau das ist bei der ACT am Sprunggelenk eben nicht passiert."

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Vorhang auf für Bühne zwei – die Hersteller

Sie winken ab. "Viel zu teuer, große klinische Studien lohnen sich am Sprunggelenk nicht", erklärt Dr. Christoph Gaissmaier, Geschäftsführer bei der Reutlinger TETEC AG, eine Tochter der B. Braun Melsungen AG, und mit der Produktlinie Novocart nach eigenen Angaben hierzulande Marktführer. Tatsächlich wurden 2008 gerade mal 61 Patienten mit ACT am Sprunggelenk in Deutschland auf Kosten der GKV behandelt.

Ein Grund, so Gaissmaier, sei der schwierige Zugang zum Sprunggelenk: "Da können Sie unglaublich großen Flurschaden anrichten." Eine teure Studie werde eine Firma aber nur dann aufsetzen, wenn sie Aussicht auf einen Return of Investment habe – und der, so Gaissmaier, "ist bei den kleinen Fallzahlen für das Sprunggelenk schlicht nicht gegeben". Der komplette Ausschluss der Methode sei dennoch ein "Riesenfehler".

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Die Notwendigkeit der Behandlung ist wichtig

"Bei der Wirksamkeitsprüfung gehen zu viele im G-BA allein danach, ob wir Studien mit der höchsten Evidenzstufe 1 haben", kritisiert auch Nicole Schlottmann. Gibt es die nicht, mache der Ausschuss dann oft vorschnell kurzen Prozess. Denn zugleich müsse das Gremium die Frage nach der Notwendigkeit der Behandlung berücksichtigen. Schlottmann: "Das wurde hier ignoriert. Es gibt Einzelfälle, in denen nur die ACT eine vorzeitige Gelenkversteifung oder Prothese verhindern kann. Gerade bei den häufig betroffenen sportlich aktiven Patienten kann dies einen großen Unterschied ausmachen und die Lebensqualität und die körperliche Belastbarkeit erhalten." Unter Umständen ließe sich sogar ein Berufswechsel oder eine Umschulung verhindern. Schlottmann: "Das zeigt, dass man eben nicht nur die kurzfristigen Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen im Blick haben darf."

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Gerade bei sportlich aktiven Patienten kann eine ACT in Einzelfällen eine vorzeitige Gelenksteifigkeit verhindern und somit die Lebensqualität erhalten (Bild: MEV).

Dabei ist der Streit um die Kostenübernahme beim Sprunggelenk für die Szene nur ein Nebenschauplatz. Der Einsatz am Kniegelenk ist der viel wichtigere Markt. Hier hat der G-BA eine Beschlussfassung im Jahr 2006 ausgesetzt – bis 2014, dann wird er auch hier die Studienlage bewerten.

Die Technik feiert dann just ihren 20. Geburtstag. 1994 präsentierte eine Gruppe um den Schweden Mats Brittberg erstmals ein Verfahren, Patienten eine Knorpelbiopsie zu entnehmen, die Zellen zu vermehren und mit ihnen einen Knorpeldefekt aufzufüllen.

An Ort und Stelle im Körper sind Chondrozyten terminal differenziert, wachsen nicht mehr. Die Einzigartigkeit des Gewebes, mit seiner enormen Elastizität, zugleich Festigkeit und Reibungsarmut erkauft sich der Organismus damit, es nicht reparieren zu können. In Zellkultur hingegen, lassen sich die Chondrozyten zumindest einige Teilungsrunden lang vermehren.

Beim ursprünglichen Verfahren mussten die Chirurgen dem Patienten noch ein Stückchen Knochenhaut entnehmen, um die flüssige Zellmasse abzudichten...später ersetzt durch Fliese aus Kollagen oder andere Biomaterialien. Heute setzen Orthopäden überwiegend auf die Matrix-assoziierte ACT (MACT), bei der die Zellen auf Schwämmchen aus Biomaterialien gegeben werden, die sich auf Defektgröße zuschneiden und implantieren lassen.

Eine Arbeitsgemeinschaft "Geweberegeneration und Gewebeersatz" zur ACT von DGU und der DGOOC, legte 2004 Empfehlungen zum Einsatz auf. Danach kommt die ACT für Patienten zwischen 18 und 50 Jahren v. a. an Knie- und Sprunggelenk in Betracht. Als Domäne gelten Knorpeldefekte im Knie, die 4 cm Fläche oder mehr aufweisen, das trifft nach Schätzungen vielleicht 120 000 (Sport-)verletzte pro Jahr in Europa und den USA. Kleinere Defekte seien hingegen weiterhin zunächst mal mit Mikrofrakturierung oder Knorpel-Knochen-Eigentransplantaten, alias Mosaikplastiken, besser versorgt, so das Expertengremium.

Ein halbes Dutzend Firmen offeriert die Zellzucht heute hierzulande. Die Kosten eines MACT-Implantats pendeln nach Auskunft von Branchenvertretern zwischen 4 000 und 5 000 Euro, was, bei geschätzten derzeit rund 2 000 Behandlungen im Jahr, einem hiesigen Marktvolumen von 10 Millionen Euro entspräche. Die Kostenübernahme ist geregelt: Krankenhäuser rechnen die MACT am Kniegelenk über eine Zusatzentgeltziffer im DRG-Katalog ab. "Die Kosten deckt das nur knapp", kommentiert Professor Felix Zeifang vom Universitätsklinikum Heidelberg.

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Umstrittene medizinische Evidenz

Jeder Knorpelschaden ist der Ausgangspunkt für eine Arthrose. Die Hoffnung der Protagonisten der ACT ist es, mit ihr Patienten eher zu einem Aufschub einer Arthrose zu verhelfen als mit anderen Verfahren: "Wenn es gelingt, einem Patienten mittels ACT noch weitere Jahre zu verschaffen, bevor er ein künstliches Kniegelenk braucht, ist dies von unbezahlbarem Vorteil", meint Gaissmaier.

Doch begleitet die Frage nach dem klinischen Stellenwert die Methode von Anfang an. Auch die AG Geweberegeneration und Gewebeersatz fordert, dass die Methoden und Produkte des Tissue Engineerings vor einer breiten klinischen Anwendung "einer eingehenden und kontrollierten Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfung unterzogen werden müssen".

Doch erst wenige Studien vergleichen überhaupt die Ergebnisse einer ACT gegen andere, länger etablierte Therapien. Allem voran gegen die Mikrofrakturierung, bei der Chirurgen den Knochen unter einen Knorpelschaden anritzen oder anbohren, damit Blut austritt, den Defekt schließt und Stammzellen ein Knorpelersatzgewebe wachsen lassen. Mehrere Studien zeigen aber, dass nach Mikrofrakturierung oft minderwertiger Faserknorpel entsteht, nach ACT eine höhere Chance auf Bildung hyalinen Gelenkknorpels besteht, was als Surrogatparameter dafür sprechen könnte, dass die Methode auch langfristig klinisch bessere Ergebnisse bietet.

Doch just das bleibt umstritten. Manche Gruppen verweisen dafür lediglich auf hauseigene Follow-up-Daten. Die Gruppe um Mats Brittberg hat 10- bis 20-JahresDaten. 224 von 341 Patienten hatten in einer Anfang 2010 vorgestellten Studie einen Fragebogen beantwortet, gut 2 Drittel erklärt, es ginge ihnen heute besser mit dem Knie als die Jahre zuvor. Solche Fallserien schaffen aber eben gerade mal die Evidenzstufe 4.

Insgesamt 7 Vergleichsstudien der Evidenzstufe 1 oder 2 ermittelte Anfang 2010 ein Review der US-Amerikaner Patrick Vavken und Dino Samartzis von der Harvard Medical School. Ernüchterndes Resümee der Autoren: Wenn, dann seien die Unterschiede zwischen den Verfahren wie ACT, Mosaikplastiken oder Mikrofrakturierung gering.

Etliche Praktiker sehen dennoch eine leichte Neigung der Waage in Richtung ACT: "In der Summe überwiegen bei größeren Knorpeldefekten im Knie Vorteile für die ACT", meint Felix Zeifang. Zumal die Alternativen eben alles andere als berauschend seien. Die Evidenz für medizinische Erfolge mit der Mikrofrakturierung, so Zeifang, sei mindestens so schwach wie für die ACT: "Alle anderen Verfahren zur Behandlung von Knorpeldefekten kann der G-BA gleich mit ausschließen, wenn er überall so hohe Evidenzforderungen anlegt, wie er es für die ACT jetzt offenbar vorhat." Wobei, der springende Punkt, der operative und damit auch finanzielle Aufwand für eine Mikrofrakturierung marginal ist, verglichen mit einer ACT.

Allerdings wird es in absehbarer Zeit mehr Studiendaten geben. Bislang genügte den Firmen auch lediglich eine Herstellungserlaubnis nach dem Arzneimittelgesetz. Das ist vorbei. Die Szene kommt um valide Daten nicht mehr herum. Den Kassen könnte das allerdings am Ende sogar Mehrkosten bescheren.

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Klarer Vorteil für den Patienten: mit der Zulassung soll es genaue Protokolle geben für Entnahme, Anzucht und Messparameter, die zeigen müssen, ob im Labor tatsächlich Chondrozyten entstanden sind (Bild: Fotolia).

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Bühne drei – der Gesetzgeber

Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 über Arzneimittel für Neuartige Therapien fordert seit 2007 auch für autologe Gewebeprodukte ein Zulassungsverfahren. Nötig ist dafür der Beleg klinischer Wirksamkeit. Bis Ende 2012 müssen Hersteller eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur, EMA, in der Tasche haben, sonst erlischt ihr Marktzugang.

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Mehr Qualitätssicherheit nach der Zulassung

Einer hat diese Hürde bereits genommen. Die Firma TiGenix aus dem belgischen Leuven (Börsenwert Anfang Mai 2010 gute 70 Millionen Euro) hat für ihr ACT-Verfahren ChondroCelect – es ist ein ursprüngliches Verfahren, ohne Matrix – seit Ende 2009 eine Zulassung der EMA.

Grundlage ist eine Studie einer Gruppe um Daniel Saris von der Universität Utrecht in den Niederlanden. Die Arbeit, Evidenzstufe 1, findet nach 3 Jahren signifikante klinische Vorteile für die TiGenix-ACT, hatte diese gegen die Mikrofrakturierung bei insgesamt 118 Patienten verglichen. Eine Studie, die auch von Konkurrenten als methodisch hochwertig akzeptiert wird.

Auch ein Team um Erhan Basad von der Universität Gießen präsentierte unlängst nach 2 Jahren Follow-up klinische Vorteile für Patienten, die mit einer MACT, hier mit dem Verfahren der US-Firma Genzyme, behandelt wurden – verglichen mit einer Mikrofrakturierung. Genzyme ist die einzige Firma, die derzeit in den USA eine Zulassung hat.

Für den Patienten bringt die Zulassungspflicht Vorteile. Sorgt sie doch erstmals für EU-weit gültige Qualitätsstandards. Bislang wurden zwar manche Produktparameter von Behörden auf Kreis- und Landesebene kontrolliert. Insider sehen aber klare Hinweise auf Qualitätsunterschiede der Produkte. So finde man bei hauseigenen Untersuchungen Unterschiede in der Qualität verschiedener Matrizes am Markt, berichtet etwa Christoph Gaissmaier.

Jetzt beinhaltet jede Zulassung zumindest genaue Protokolle für die richtige Entnahme der Zellen, die erreichbaren Zellzahlen nach Anzucht und auch an Messparameter, die zeigen müssen, dass im Labor auch wirklich Chondrozyten entstanden sind und nicht etwa mindertaugliche Bindegewebszellen. "Ein Vorteil", kommentiert Gaissmaier, der dennoch moniert: "Das pauschale Überstülpen von Regelungen aus dem Arzneimittelmarkt auf die Gewebezucht war ein Fehler." Einen immerhin 2-stelligen Millionenbetrag bringe B.Braun (Umsatz 2009, 4 Mrd. Euro, Konzernjahresüberschuss 239,6 Mio.) jetzt für die nötigen Studien in der Indikation Knie und Wirbelsäule zwecks EMA-Zulassung auf. Gaissmaier: "Kosten, die sich womöglich manch anderer ebenfalls solider Hersteller nicht leisten kann."

Sowohl das hierzulande zuständige Paul-Ehrlich-Institut als auch die US-amerikanische FDA hätten dabei den von der Firma in den Studien zunächst geplanten Vergleich gegen die Mikrofrakturierung bei Defekten oberhalb von 6 cm Größe aus "ethischen Bedenken" gar nicht erst erlaubt. Gaissmaier: "Ausgerechnet dort, bei größeren Defekten, wo ein besonders großer Qualitätsvorsprung der ACT zu erwarten ist, sollen wir jetzt nicht prüfen – das lässt den Verdacht zu, dass auch die Behörden längst die Einschätzungen der Fachgesellschaften zur Wertigkeit der Verfahren teilen."

Zugleich illustriere der Fall ein generelles Problem vieler Innovationen. Gaissmaier: "Sie kriegen keinen medizinisch-technischen Fortschritt, wenn Sie auf Anhieb maximale Evidenz fordern und den meist kleinen Firmen durch rigiden Ausschluss von der Kostenerstattung den Marktzugang verwehren." Dabei hätten öffentliche Geldgeber, allem voran das Bundesforschungsministerium, die Entwicklung der ACT mit vielen Millionen unterstützt. "Mir ist ein Rätsel, warum man dann fertigen Produkten den Marktzugang so massiv erschwert", kritisiert Gaissmaier.

Eine Situation, die man selbst beim GKV-Spitzenverband registriert: Man nehme zur Kenntnis, dass hier eine Entwicklung durch das BMBF gefördert wurde, wobei es bei der Mittelvergabe keine Rolle gespielt habe, ob die Unternehmen später auch die nötige Weiterentwicklung, v. a. Zulassungs- und Vergütungsfragen, überhaupt gewährleisten können. "Unser Verfahren", meint hingegen Dr. Gerd Steffens von TiGenix, "hat bereits belegt, dass es alle vorgeschriebenen Qualitätsanforderungen erfüllt."

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Teures Produkt

Ein Prüfsiegel, das aber offenbar seinen Preis hat. Insider beziffern die Kosten für das TiGenix-Produkt auf das 4-fache jener 4 000 bis 5 000 Euro, die Mitbewerber derzeit noch verlangen und die durch die bestehende Entzeltziffer ungefähr abgedeckt sind. Um den Preis am Markt überhaupt zu erzielen, setzt TiGenix auf einen eigenen NUB-Status (für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden), den das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) im Mai 2010 tatsächlich an die 30 Krankenhäusern in Deutschland für diese ACT gewährt hat. Ob die in erst noch anstehenden Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen die hohen Tarife überhaupt durchsetzen können, bleibt abzuwarten. Den Krankenkassen stellt sich damit allerdings eine neue Zwickmühle, wenn amtlich geprüfte Evidenz am Ende soviel teurer käme.

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Spekulationen um Ausnahmeregelungen

Manche Hersteller spekulieren zumindest für eine Übergangszeit auf eine Ausnahmeregelung im Gesetz. §4b des AMG sieht eine Befreiung von einer generellen Zulassung unter bestimmten Umständen vor, etwa wenn Zellprodukte "nicht routinemäßig" hergestellt werden. Das könnte zumindest bis Vorliegen einer Zulassung den Marktzugang in Deutschland offen halten. Ob die Behörden da mitmachen, ist offen.

Geprüft werden die Daten für eine Zulassung v. a. vom Committee for Advanced Therapies (CAT) der EMA. CAT-Chef Dr. Christian Schneider offeriert einen "fairen" Dialog: Firmen könnten sich bei den Behörden durchaus beraten lassen, es ginge darum, zusammen ein gutes Konzept für die nötigen Studien zu erarbeiten. (siehe auch das Interview). Klagen von Branchenvertretern über zu hohe Anforderungen leuchten Schneider nicht ein: Immerhin biete das zentrale Verfahren auf einen Streich einen Marktzugang in allen Mitgliedsstaaten der EU.

Und last but not least: Angesichts der 2014 anstehenden G-BA-Bewertung des Verfahrens am Knie kann eine bessere Studienlage nicht schaden.

Dr. Bernhard Epping

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Weitere Informationen

Gründe zum Beschluss des G-BA zur ACT beim Sprunggelenk:

http://www.g-ba.de/downloads/40-268-1163/2010-02-18-RL-Kh-ACI-Sprunggelenk_TrG.pdf

Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Verfahren:

http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.5598.7904

Die AG "Gewebegeneration und Gewebeersatz von DGI und DGOOC:

http://www.dgu-online.de/de/dgu/gruppierungen/ags/gewebeersatz.jsp

Statement der AG von 2004 zur Indikation und Durchführung:

https://www.thieme-connect.com/ejournals/abstrACI/zfo/doi/10.1055/s-2004-832353

 
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Der hyaline Knorpel ist ein hypozelluläres, avaskuläres, aneurales und alymphatisches Gewebe, der aus Zellen, den Chondrozyten, sowie aus einer extrazellulären Matrix (ECM) besteht. Hauptbestandteile des hyalinen Knorpels sind Wasser, Proteoglylane und Kollagene. Seine ECM besitzt eine superfizielle, transitionelle, radiäre und kalzifizierte Zone (Bild: B. Ro-lauffs et al. Regenerative Medizin zur Behandlung von Knorpelschäden. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2009; 4:239–254).

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Gerade bei sportlich aktiven Patienten kann eine ACT in Einzelfällen eine vorzeitige Gelenksteifigkeit verhindern und somit die Lebensqualität erhalten (Bild: MEV).

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Klarer Vorteil für den Patienten: mit der Zulassung soll es genaue Protokolle geben für Entnahme, Anzucht und Messparameter, die zeigen müssen, ob im Labor tatsächlich Chondrozyten entstanden sind (Bild: Fotolia).