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DOI: 10.1055/s-0030-1265239
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Auslandserfahrungen – Zwei Forschungsjahre und ein Leben in New York
Publication History
Publication Date:
17 August 2010 (online)
- Start mit Hindernissen
- Erneute Heirat für den Führerschein
- Die nächste Hürde
- Viel Freiheit für die Forschung
- Weiter geht‘s nach Australien
Bereits 1979 singt Frank Sinatra in seinem Song "New York" über das Leben in dieser Stadt, die einem nichts schenkt, aber die Türen zur Welt öffnet, wenn man es schafft sich in New York durchzubeißen – "if you can make it there you can make it anywhere". Bis heute steckt ein wahrer Kern in diesen Worten, den auch ich wie viele andere, während und besonders am Anfang meiner Zeit hier in New York erfahren habe.
Ich habe in Heidelberg/Mannheim Medizin studiert und währenddessen meine Doktorarbeit an der BG-Unfallklinik in Ludwigshafen begonnen. Die Erfahrungen, die ich in dieser Zeit sammeln durfte, haben mich für das Fachgebiet Unfallchirurgie begeistert, sodass ich nach Ende meines Studiums ab 2005 als Assistenzärztin zur Weiterbildung Orthopädie/Unfallchirurgie an der BG-Unfallklinik zu arbeiten begann. Anfang 2007 bekam mein Mann Matthias relativ unerwartet eine Forschungsstelle in New York angeboten. Wir waren beide begeistert und die Aussicht in dieser spannenden Stadt leben zu dürfen, machte es noch interessanter. Wir mussten nicht lange überlegen, um der Stelle zuzusagen. Nachdem ich aber das amerikanische medizinische Examen (USMLE) nicht gemacht hatte, waren mir die Türen zur klinischen Weiterbildung erst einmal verschlossen. Außerdem hätte ich in USA wieder von Anfang an in die Residency (Facharztausbildung) einsteigen müssen. Nachdem ich während meiner Doktorarbeit schon etwas Laborerfahrung gesammelt hatte, war mein Ziel, die folgenden 2 Jahre in den USA in der Forschung zu verbringen. Drei Monate vor meinem endgültigen Umzug nach NY hatte ich die Zusage für einen Post Doctoral (Post Doc) Fellowship am Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC) in New York City.
#Start mit Hindernissen
Voller Freude und Spannung kam ich Ende Oktober 2007 in den letzten Strahlen des Indian Summer in New York an. Allerdings war klar, dass ich nicht sofort zu arbeiten beginnen konnte, da ich eine Arbeitsgenehmigung organisieren musste, die man nur beantragen kann, wenn man im Land lebt; Bearbeitungszeitraum: 2 –3 Monate. Hierzu muss eine Social Security Number beantragt werden, was wiederum weitere Wochen des Wartens erfordert. Mein eigentlicher Plan, Anfang 2008 im neuen Job einzusteigen, musste ich also um einige Wochen nach hinten verschieben. Auch die Beantragung eines amerikanischen Führerscheins beim Department for Motor Vehicles (DMV) war alles andere als unkompliziert. Hierfür sind sog. New York State ID-Punkte nötig, die man für den Nachweis von Pass, Visum, Kreditkarte, Stromrechnung etc. erhält. Matthias war schon Wochen vorher erfolgreich und reibungslos durch diesen Prozess gelaufen. Unsere deutschen Kreditkarten waren bei ihm problemlos anerkannt worden. Als ich nun aber bei der gleichen Behörde meine Unterlagen vorlegte, lehnte die zuständige Verwaltungsangestellte dieselben Unterlagen rigoros ab. Unsere Ehe, bewiesen durch unsere notariell übersetzte und beglaubigte Heiratsurkunde, wurde auch nicht anerkannt. Die Dame vom DMV war nicht zu überzeugen und das Gespräch gipfelte darin, dass sie mir eine Liste an erlaubten Dokumenten vorlegte und sagte: "You are a medical doctor, right? So then you can read, can’t you?" Und damit wurde ich etwas unerwartet unhöflich und unfreundlich vor die Türe gesetzt.
#Erneute Heirat für den Führerschein
Nach Anfrage an unserem Bürgermeisteramt, bei dem wir um Rat baten, wurde uns erklärt, dass erst kürzlich ein ausländisches Ehepaar ein ähnliches Problem ganz einfach gelöst hätte: Die beiden hatten einfach noch einmal standesamtlich in NY geheiratet. Die hiesige Heiratsurkunde hätte die erforderten ID-Punkte eingebracht, und eine Trauung könnte nach "Bestellung des Aufgebots" und weiteren 24 Stunden Bedenkzeit problemlos durchgeführt werden und würde nur $ 40 kosten (die Beglaubigung und Übersetzung unserer deutschen Urkunde hatte uns $ 80 gekostet). Etwas überrascht über dieses seltsame Angebot sagten wir spontan zu. Wir bestellten also noch vor Ort "das Aufgebot", alarmierten unsere amerikanischen Freunde als Trauzeugen und wurden 2 Tage später offiziell in NY State zum 2. Mal in unserem Leben und unter dem Motto: "With this ring I thee wed, with my body I thee worship..." erfolgreich verheiratet.
#Die nächste Hürde
Dieser Exkurs in den amerikanischen Verwaltungsdschungel und ihre Willkür sollte mich aber nicht von meiner Arbeitsgenehmigung abhalten, die ich schließlich Mitte Januar in Händen hielt. Als ich dann aber meinem zukünftigen Chef am MSKCC, für den ich mich zwischenzeitlich schon in die anstehende Arbeit im Labor nebenher eingearbeitet hatte, die Arbeitsgenehmigung vorlegte, teilte der mir mit trauriger Miene und unter vielen amerikanischen Entschuldigungen mit, dass er wider Erwarten doch kein Geld hätte, um mich zu finanzieren und er mich deshalb leider nicht einstellen könnte. Ich konnte es nicht glauben, dass dieses Land der "unbegrenzten Möglichkeiten" mir innerhalb kurzer Zeit so viele Hürden in den Weg legte – aber nach dem Motto "Aller Anfang ist schwer!" wollte ich nicht aufgeben. Über eine Rundmail im Verteiler des Jungen Forums der DGU, die Christoph Wölfl, ein ehemaliger Kollege aus Ludwigshafen und damaliger Vorsitzender des Jungen Forums, für mich spontan an alle Mitglieder versendete, kam ich in Kontakt mit Daniel Kendorff, einem unfallchirurgischen jungen Kollegen aus Hannover, der gerade für ein Jahr als Research Fellow am Hospital for Special Surgery (HSS) arbeitete. Er wiederum brachte mich in Kontakt mit der Forschungsgruppe um Prof. Joseph Lane und von Prof. Adele Boskey. Ein junger, erfolgreicher Principle Investigator (PI) in deren Labor, Philipp Mayer-Kuckuk, war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem Post Doc Fellow im Bereich Frakturheilung. Nachdem ich bereits in meiner Doktorarbeit die Wachstumsfaktorenexpression im Rahmen der Knochenbruchheilung untersucht hatte, passte mein Profil sehr gut auf die Stelle. Innerhalb kürzester Zeit bekam ich eine Zusage in seiner grade frisch aufgebauten Arbeitsgruppe "Bone Cell Biology and Imaging Laboratory".
Das Hospital for Special Surgery ist der Cornell University angegliedert und eine rein orthopädische Fachklinik mit eigenem klinischen sowie experimentellen Forschungsbereich mit Schwerpunkt Endokrinologie, Rheumatologie, Knochenmineralisierung und Knochenheilung. Philipps und mein Forschungsschwerpunkt konzentriert sich auf den Bereich der Genexpression und Downstream-Regulierung von Wachstumsfaktoren im Bereich der Frakturheilung. Ich arbeite an Tiermodellen sowohl auf Basis üblicher molekularbiologischer Techniken als auch mittels In-vivo-Imaging, einer Methode, die wir aus dem Bereich der Tumorforschung in den Knochen übertragen haben. Mithilfe von beispielsweise Fluoreszenzbildgebung, wie der Koppelung des Gens für Firefly Luciferase an die Sequenz eines bestimmten Wachstumsfaktors, kann in diesen transgenetisch veränderten Mäusen in vivo die zeitliche und räumliche Genexpression des entsprechenden Wachstumsfaktors während der Knochenbruchheilung quantitativ erfasst werden. Die Übertragung solcher Modelle in Knock-out-Mäuse bietet im Folgenden die Möglichkeit, Veränderungen in der Genexpression zu analysieren und damit Rückschlüsse auf Pathway-Regulierungen zu ziehen.
#Viel Freiheit für die Forschung
Die Forschungsarbeit der letzten 2 Jahre hat mir sehr viel Spaß gemacht und intensiven Einblick in ein Leben "außerhalb der Klinik" gegeben. Es war eine unglaublich spannende und erfolgreiche Zeit, nicht nur im Hinblick auf meine professio- nellen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch bez. der Arbeit an einer amerikanischen Universität mit Ausbildung von Studenten und der Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit. Allein durch die räumliche Nähe zu anderen Forschungszentren ist die Weill Cornell Medical School und das HSS mit der Rockefeller University und dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center eng verbunden. Es besteht nahezu uneingeschränkter Zugriff auf Geräte, Instrumente, Service oder auch Kollaboration in den jeweils anderen Instituten. Dies bietet der Forschungsarbeit sehr viel Freiheit. Insgesamt leben die amerikanischen Strukturen von flachen Hierarchien und intensiver Teamarbeit. Die Arbeitskultur hier bietet die Möglichkeit, erfahrene Professoren und Forscher leicht zu kontaktieren und ihr jahrelanges Wissen als Input in die eigene Forschungsarbeit einzubauen. Unter anderem basiert die Arbeit einer Forschungsgruppe auf Studenten, die sowohl während des laufenden Studienjahrs als auch im Sommer als Summer Students ins Labor kommen und an Projekten mitarbeiten oder teilweise ihre eigenen kleinen Versuche laufen lassen. Dies erfordert nicht nur die Studenten anzulernen, Wissen zu vermitteln und ihnen Einblick in die wissenschaftlichen sowie technischen Details der Arbeit zu geben, sondern auch organisatorisch den Arbeitsalltag mit verschiedenen Projekten und Mitarbeitern auf effiziente Art am Laufen zu halten. Durch die flachen Hirarchien und intensive Teamarbeit werden Ergebnisse meist direkt und unkompliziert mit dem PI oder Professor diskutiert und somit das Projekt ständig evaluiert, was zu sehr effizienter Arbeit führt. All dies hat meine Forschungsarbeit deutlich erleichtert, sicher zu großen Teilen zu ihrem Erfolg beigetragen und ich habe die einfache unkomplizierte amerikanische Teamarbeit sehr für mich zu schätzen gelernt.
#Weiter geht‘s nach Australien
So schwierig mein Start hier New York gewesen sein mag, so sehr gibt einem dieses Land auch die Möglichkeit für den eigenen Einsatz und das Engagement belohnt zu werden. Mein nicht ganz typisch-deutscher und etwas unkonventioneller Ausbildungsweg zur Orthopädin/Unfallchi-rurgin wird sich wohl in den nächsten Jahren weiter fortsetzen. Unser eigentlicher Plan, nach dieser Forschungszeit wieder in die deutsche Heimat zurückzukehren, hat sich in den letzten Wochen zerschlagen. Mein Mann hat ein Jobangebot bekommen, an der University of Melbourne, Australien, für IBM in der Forschung zu arbeiten. So werde ich also, entgegen unserer eigentlichen Planungen, meinen Facharzt nicht in Deutschland, sondern nach dem Motto: "If you an make it there you can make it anywhere" in Australien zu Ende bringen und auch dort weiter in der Forschung arbeiten. Unser Ziel ist es aber weiterhin, nach dieser Zeit in "down under" in die deutsche Heimat zurückzukehren und wir sind uns sicher, dass uns der Weg irgendwann zurückführen wird.
Nicht immer ist der konventionelle Weg der für einen bestimmte: Wider Erwarten verschlägt uns das Leben quer durch die Welt und trotzdem bleibt es mit allen Hürden und Schwierigkeiten, die einem ein Neustart in einem fremden Land bereitet, möglich, schlüssig die professionelle Weiterbildung erfolgreich voranzutreiben. Nach den Erfahrungen hier in New York werden wir die nächsten bürokratischen Hürden leichter nehmen, denn wir wissen "we made it here we can make it any where" – und werden, wenn es sein muss, auch in Australien noch einmal heiraten.
Marie Reumann