Pneumologie 2010; 64(9): 526
DOI: 10.1055/s-0030-1265698
Pneumo-Fokus

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Genetik – Hat die Analyse des Gesamtgenoms klinischen Nutzen?

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Publication Date:
08 September 2010 (online)

 
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Die Kosten von Genanalysen haben sich durch technische Fortschritte reduziert. Wie sich jedoch Risikoabschätzungen für geläufige Genvarianten klinisch übersetzen lassen, ist bisher unklar. E. A. Ashley et al. haben nun eine integrierte Analyse eines kompletten Humangenoms in einem klinischen Kontext durchgeführt. Lancet 2010; 375: 1525-1535

Die Untersuchung erfolgte bei einem 40-jährigem, herzgesundem Mann mit kardiovaskulären Erkrankungen und Fällen eines plötzlichen Herztods in der Familienanamnese. Die Autoren führten bei ihm eine Sequenzierung des kompletten Genoms durch und nahmen anhand der Ergebnisse eine Risikoabschätzung für kardiovaskuläre Erkrankungen vor. Sie konzentrierten sich dabei auf 4 Bereiche: Genvarianten, die mit Mendelschen Erkrankungen assoziiert sind, Neumutationen, Genvarianten, die bekanntermaßen das Ansprechen auf Medikamente beeinflussen und Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP) mit bekannter Korrelation mit komplexen Erkrankungen. Um nach bekannten Assoziationen mit Erkrankungen und dem Ansprechen auf Medikamente zu suchen, nutzten die Autoren Gendatenbanken. Die Analyse von 2,6 Mio. Einzelnukleotidpolymorphismen und 752 Genkopiezahlvarianten zeigten ein erhöhtes genetisches Risiko für Myokardinfarkte, Typ-2-Diabetes, Adipositas und einige Krebsarten. Die Autoren fanden 3 seltene Genvarianten, die mit Fällen eines plötzlichen Herztodes assoziiert sind, nämlich TMEM43, DSP und MYBPC3. Außerdem zeigten sich 63 klinisch relevante vorbeschriebene pharmokogenomische Varianten und 6 neue SNPs in Genen, die für das Ansprechen auf Medikamente wichtig sind.

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Nach Ansicht der Autoren kann eine Analyse des Gesamtgenoms für einzelne Patienten lohnend sein (Bild: creativ collection).

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Relevante Ergebnisse für Patienten

Speziell hatte der Patient eine heterogene Nullmutation im Gen für CYP2C19, die eine potenzielle Resistenz für Clopidogrel nahelegt sowie zahlreiche Genvarianten, die mit einem positiven Ansprechen auf eine lipidsenkende Therapie einhergehen. Varianten in den Genen für CYP4F2 und VKORC1 sprachen dafür, dass der Patient bei einer Warfaringabe nur niedrige Anfangsdosen benötigt. Darüber hinaus hatte er eine Genvariante von LPA, die bei ihm mit einem sehr hohen Spiegel von Lipoprotein A einherging und im Einklang mit der familiären Vorgeschichte von koronaren Herzerkrankungen stand. Ferner fanden sich zahlreiche Genvarianten mit unsicherer klinischer Bedeutung.

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Fazit

Analysen des Gesamtgenoms können für den Einzelpatienten nützliche und klinisch relevante Informationen erbringen, so die Autoren.

 

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Kommentar zur Studie

Auch wenn die Kosten für Analysen des Gesamtgenoms weiter sinken, gibt es nach den Worten von N. J. Samani et al. immer noch viele praktische Herausforderungen, die bewältigt sein wollen, bevor das individuelle Genom die klinische Praxis erobert. Wohl noch wichtiger seien aber ethische Aspekte: Wessen Genom sollte sequenziert werden, welche Beratung ist vor und nach der Sequenzierung notwendig, durch wen soll diese erfolgen und wer sollte Zugang zu den individuellen Gendaten haben? Trotzdem zeige diese Arbeit aber das große klinische Potenzial der Genanalyse und bringe die Idee einer personalisierten Medizin ein großes Stück voran.

Lancet 2010; 375: 1497-1498c

Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen

 
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Nach Ansicht der Autoren kann eine Analyse des Gesamtgenoms für einzelne Patienten lohnend sein (Bild: creativ collection).