Diabetes aktuell 2010; 8(5): 231
DOI: 10.1055/s-0030-1265781
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Diabetische Polyneuropathie – Antikonvulsivum in der Therapie bewährt

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Publication Date:
27 August 2010 (online)

 
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Vor einer Behandlung auf diabetische Polyneuropathie sollte eine gründliche Differenzialdiagnose stehen. Bei der Therapie selbst sind die häufig vorliegenden psychiatrischen Komorbiditäten und der Stoffwechsel der Patienten zu berücksichtigen. Bewährt hat sich das Antikonvulsivum Pregabalin.

Als typische Symptome schmerzhafter Neuropathien beschrieb Prof. Karlheinz Reiners, Würzburg, "brennende, prickelnde oder blitzartig einschießende, elektrisierende Schmerzen, Taubheit, Kribbelparästhesien, gestörtes Temperaturempfinden, Hyperalgesie und/oder Allodynie". Sie ließen sich ohne großen ärztlichen Aufwand erfassen, erklärte er bei einer Veranstaltung auf der DDG-Jahrestagung 2010 in Stuttgart. Geeignet sei dafür etwa der standardisierte Patientenfragebogen painDETECT: "Er beinhaltet keine Entscheidungsfragen, sondern lässt Abstufungen in der Schwere einzelner Symptome zu." Damit würden auch leichte oder seltene Symptome erfasst.

"Bei einer diabetischen Polyneuropathie treten die Beschwerden eher in Ruhe auf, sind distal und symmetrisch lokalisiert und korrelieren mit dem Verlauf der metabolischen Grunderkrankung", so Reiners. "Gelegentlich manifestiert sich eine diabetische Polyneuropathie aber schon vor dem Diabetes", ergänzte Prof. Thomas Tölle, München. Er zeigte dies am Beispiel eines Patienten, der mit seinen Schilderungen eines starken Dauerschmerzes der Stärke 7 von 10 bei mehreren Fachärzten keinen Glauben gefunden hatte: "Mithilfe des Fragebogens painDETECT konnten wir eine neuropathische Schmerzkomponente als ,zu mehr als 90 %ig wahrscheinlich' beziffern", so Tölle. "Kurz danach zeigte sich bei dem Patienten eine pathologische Glukosetoleranz; offenbar war die Neuropathie eine Folge seiner noch nicht diagnostizierten Stoffwechselstörung."

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Unklarer Fußschmerz kann viele Ursachen haben - auch bei Diabetikern

Trotzdem sind unklare Schmerzen an Beinen oder Füßen nicht immer Folge einer diabetischen Neuropathie. "Auch bei Diabetikern kommen zahlreiche andere Ursachen einer Neuropathie in Frage", so Reiners, "etwa Alkoholabusus - mit oder ohne Vitamin-B1-Mangel -, Therapie mit Amiodaron oder Zytostatika, Urämie bei Nierenschäden, akute intermittierende Porphyrie, HIV-Erkrankung, Guillain-Barré-Syndrom oder Amyloidose." Ebenso könne eine Hypo- bzw. Hyperthyreose oder ein Engpass-Syndrom der Grund sein, betonte der Neurologe. Besonders bei Hundebesitzern, Forstarbeitern oder auch Pädagogen müsse man an Zeckenstiche denken: "Eine Borreliose kann in Phase 3 der Erkrankung zu einer Polyneuropathie führen." Laboruntersuchungen sind laut Reiners nur bei wenigen Neuropathien hilfreich, etwa im Zusammenhang mit IgM-kappa MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz): "Hier zeigen sich Paraproteine in der Elektrophorese."

Bei der diabetischen Amyotrophie - einer Sonderform der diabetischen Polyneuropathie - sei der Schmerz meist unilateral in einem Oberschenkel zu finden, grenzte Reiners ab. Hier liege eine ganz andere Pathogenese zugrunde. Und: "Ein temperaturunabhängiges Brennen der Füße kann Symptom einer Polyneuropathie sein, aber auch unabhängig davon bei Vitamin- oder Eisenmangel oder Raynaud-Phänomen auftreten."

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Keine Verwechslung mit Restless Legs!

Von Polyneuropathien und dem Burning-feet-Syndrom zu unterscheiden sei das Restless-legs-Syndrom: "Dieses imponiert weniger durch Schmerzen als durch ein unangenehmes Gefühl in den Beinen, verbunden mit innerer Unruhe - die Patienten können nachts nicht ruhig liegen bleiben." Das Restless-legs-Syndrom tritt nach Reiners bei Diabetikern etwas häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. "Eine probatorische Therapie mit L-Dopa schlägt hier meist innerhalb einer Woche an", meinte er.

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Diabetische Polyneuropathie oft komorbid mit psychiatrischen Erkrankungen

"Ein Drittel der Menschen mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie leidet an Depressionen, ein Viertel an Angststörungen, bis zu zwei Drittel haben Ein- und Durchschlafprobleme", berichtete Prof. Göran Hajak, Regensburg [1], [2]. "Bei Patienten mit chronischem Schmerz und Schlafstörungen kommt es oft zu einem Circulus vitiosus", warnte er: "Schmerz stört beim Einschlafen, vermindert den Tiefschlaf und führt zu häufigen Aufwachvorgängen. Und die Schlafdeprivation setzt dann die Schmerzschwelle herab." [3], [4].

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Antidepressiva oder Antikonvulsiva?

Zur Therapie von Patienten mit Schmerz-, Angst-, Depressions- und auch Insomniesymptomatik seien Antidepressiva und Antikonvulsiva zugelassen, konstatierte Hajak. "Aber diejenigen unter den Antidepressiva, die besonders gut schmerzlindernd und schlaffördernd wirken, Amitriptylin und Mirtazapin, führen oft zu unerwünschten Wirkungen wie Gewichtszunahme, die wir bei Diabetikern überhaupt nicht brauchen können", bedauerte er [5]. Anders sei das bei modernen Antikonvulsiva wie Pregabalin (Lyrica®): "Es ist analgetisch wirksam, stoffwechselneutral und wirkt gegen generalisierte Angst", nannte Hajak die Quintessenz aus mehreren, teils noch unveröffentlichten Studien.

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Therapieentscheidung künftig nach Symptomcluster?

Zukünftig könnten ganz neue Kriterien bei der Therapie von Polyneuropathiepatienten eine Rolle spielen. So wies Tölle auf wiederkehrende Muster bestimmter Positiv- und Negativsymptome hin. Diese "Symptomcluster" könne man zusammenfassen und zur Klassifizierung verwenden. "L2G0" würde dann etwa bedeuten: "Loss 2: nur mechanische Negativsymptome; Gain 0: keine Positivsymptome (Hyperalgesien)". Dabei seien die Symptomcluster unabhängig von der Pathogenese der Neuropathie. "Sie könnten aber bei der Zuordnung individuell wirksamer Therapeutika helfen", stellte Tölle in Aussicht. Konkrete Studiendaten hierzu lägen allerdings noch nicht vor.

Simone Reisdorf, Erfurt-Linderbach

Quelle: Symposium "Interdisziplinäre Aspekte bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie" am 12. Mai 2010 in Stuttgart im Rahmen der DDG-Jahrestagung, veranstaltet von Pfizer. Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung von Pfizer. Die Autorin ist freie Journalistin.

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Literatur

  • 01 Meyer-Rosenberg, et al . Eur J Pain. 2001;  5 379-389
  • 02 Benbow S J, et al  . Q J Med. 1998;  91 733-737
  • 03 Lavigne, et al . Pain. 2004;  110 646-655
  • 04 Roehrs, et al . Sleep. 2006;  29 145-151
  • 05 Angaben modifiziert nach Bauer et al. WFSBP Leitlinien 2009. 
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Literatur

  • 01 Meyer-Rosenberg, et al . Eur J Pain. 2001;  5 379-389
  • 02 Benbow S J, et al  . Q J Med. 1998;  91 733-737
  • 03 Lavigne, et al . Pain. 2004;  110 646-655
  • 04 Roehrs, et al . Sleep. 2006;  29 145-151
  • 05 Angaben modifiziert nach Bauer et al. WFSBP Leitlinien 2009.