Diabetes aktuell 2010; 8(5): 236-237
DOI: 10.1055/s-0030-1265785
Forum der Industrie

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"Ich will so bleiben wie ich bin" – Wie passt eine moderne Diabetestherapie in den Patientenalltag?

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Publication Date:
27 August 2010 (online)

 
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    Bei der 45. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft vom 12.-15. Mai 2010 in Stuttgart referierte Prof. Andreas Hamann zur Thematik: "Ich will so bleiben wie ich bin: Wie passt eine moderne Diabetestherapie in den Patientenalltag?". Darüber sprach mit ihm im Auftrag von Diabetes aktuell die freie Journalistin Susan Röse, Hamburg.

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    ? "Ich will so bleiben wie ich bin" - was wollen Sie damit sagen? Ist das nicht eher ein Widerspruch im Patientenalltag der modernen Diabetestherapie, in der es ein Ziel sein sollte, das Körpergewicht zu reduzieren? Und warum fällt die Gewichtsabnahme Patienten mit Typ-2-Diabetes so schwer?

    Hamann: Das ist in der Tat ein etwas provokanter Titel, der aber unter anderem verdeutlicht, dass bereits Gewichtskonstanz ein für die meisten Patienten unter antidiabetischer Therapie unerreichbares Ziel darstellt. Wir Ärzte verordnen in großem Stil Antidiabetika und auch viele andere Medikamente, die das Gewicht unserer Patienten zum Teil drastisch ansteigen lassen, bzw. eine angeratene Gewichtsabnahme nahezu unmöglich machen. Dabei ist die Gewichtsabnahme bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ohnehin schon schwieriger als bei Übergewichtigen ohne Diabetes: Sie sind im Mittel älter, haben mehr Begleiterkrankungen, die insbesondere die vermehrte körperliche Bewegung erschweren und sie müssen neben dem das Gewicht steigernden Effekt von Medikamenten auch noch Hypoglykämien durch die zusätzliche Aufnahme von nicht eingeplanten Kalorien ausgleichen.

    Die gut gemeinte Empfehlung einer Lebensstiländerung mit mehr körperlicher Bewegung und gesünderer Ernährung funktioniert bei meinen Patienten mit Typ-2-Diabetes doch nur dann, wenn dieser veränderte Lebensstil mit der verordneten Medikation kompatibel ist. Jeder Patient wird schnell frustriert sein, wenn es beim Nordic Walking immer wieder zu Hypoglykämien kommt oder wenn trotz Diät das Gewicht nicht sinkt, weil die Medikamente das verhindern. Für meine Patienten unter oralen Antidiabetika sind zunächst die Steigerung der körperlichen Bewegung bei Gewichtskonstanz sowie ein möglichst nah am Zielwert von 6,5 % liegender HbA1C ohne Hypoglykämien das therapeutische Ziel.

    ? Können Sie uns das bitte beispielhaft an einem Fall zeigen?

    Hamann: Bei einer adipösen Patientin mit 5 Jahren Diabetesdauer war zusätzlich zum Metformin die Gabe von Insulin erforderlich geworden. Sie war sehr unzufrieden mit der daraus resultierenden deutlichen Gewichtzunahme. Bei einem HbA1C von 7,6 % haben wir der Adipositas (Grad II) eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt und daher zunächst das schnellwirksame Insulin durch ein Inkretinmimetikum ersetzt. Hierunter kam es nicht nur zu einem erfreulichen Absinken des HbA1C auf 6,5 %, sondern auch zu einer exzellenten Gewichtsabnahme von fast 14 kg innerhalb von 9 Monaten. Dies wurde nicht nur dadurch begünstigt, dass die unmittelbar eine Gewichtsreduktion blockierende Wirkung von Insulin entfiel, sondern auch dadurch, dass die Patientin ohne Sorge vor Hypoglykämien sehr erfolgreich an einem Bewegungsprogramm teilnehmen konnte. Als es unter dem Inkretinmimetikum zu keiner weiteren Gewichtsabnahme kam, wechselten wir auf den DPP-4-Hemmer Sitagliptin. Hierunter kam es zu einer Stabilisierung des Gewichts bei einem im Verlauf weiter im Zielbereich liegenden HbA1C.

    ? Was können Sie uns über den Effekt von Sitagliptin vs. Sulfonylharnstoff in Kombination mit Metformin über 52 Wochen im Hinblick auf Körpergewicht und Hypoglykämierisiko sagen?

    Hamann: In einer direkten Vergleichsstudie zeigten in der Kombination mit Metformin Sitagliptin und das Sulfonylharnstoffpräparat keine relevanten Unterschiede bei der Absenkung des HbA1C. Hier ist offenbar keine Substanz der anderen überlegen. Eine Überlegenheit von Sitagliptin ließ sich allerdings bei der Gewichtsentwicklung nachweisen. Unter Metformin plus Sitagliptin wurde das Gewicht um 1,5 kg reduziert, während es unter Metformin plus Sulfonylharnstoff um 1,1 kg anstieg. Nach 52 Wochen betrug die Gewichtsdifferenz also 2,6 kg, ein statistisch hochsignifikanter Unterschied.

    Ein signifikanter Effekt zugunsten von Sitagliptin fand sich auch bei der Häufigkeit von Hypoglykämien: Während unter Metformin plus Sulfonylharnstoff 32 % der Studienteilnehmer über Hypoglykämien berichteten, waren es unter Metformin plus Sitagliptin mit nur 5 % dramatisch weniger. Diese Rate entspricht in etwa dem, was man bei placebokontrollierten Studien auch in einer Placebogruppe findet. Mein Fazit lautet daher: Das Hypoglykämie-Risiko unter DPP-4-Hemmern liegt auf Placeboniveau.

    ? Können Sie kurz etwas zur geplanten TECOS-Studie sagen?

    Hamann: Zunächst einmal: Die riesige Zahl von mindestens 14 000 für die TECOS-Studie zu rekrutierenden Patienten, die über ca. 5 Jahre beobachtet werden sollen, zeigt wie schwer unter den heutigen Bedingungen jeglicher Versuch ist, den Effekt verschiedener Behandlungsstrategien auf harte Endpunkte nachzuweisen. Es geht um die Frage, ob eine antidiabetische Therapie unter Einbeziehung von Sitagliptin gegenüber einer Therapie ohne Sitagliptin langfristig mit einem geringeren Risiko für Sterblichkeit und kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert ist. Natürlich werden auch Gewichtsentwicklung und Hypoglykämierisiko untersucht.

    ? Wie sieht Ihrer Meinung nach eine moderne Diabetes-Therapie aus, die in den Patientenalltag passt?

    Hamann: In unseren aktuellen Leitlinien zur Therapie des Typ-2-Diabetes ist Metformin zu Recht als Nr. 1 gesetzt. Bei der Frage, was als zweites Antidiabetikum zusätzlich verordnet wird, wenn die Monotherapie mit Metformin nicht mehr zum Ziel führt, gibt es eine Vielzahl verschiedener Kriterien. Natürlich soll eine Substanz effektiv sein und den HbA1C in den angestrebten Bereich senken. Idealerweise sollten Nutzen und Sicherheit einer Kombination auch durch Langzeitstudien belegt sein. Leider gibt es diesen Nachweis bisher nicht.

    Folglich können die Leitlinien für die Kombinationstherapie auch keine klare Empfehlung geben, wie dies für die Monotherapie mit Metformin möglich ist. Die Leitlinie stellt uns die Auswahl unter den für die Kombination zugelassenen Medikamenten frei, sodass wir Ärzte tatsächlich die Möglichkeit haben, die Auswahl des Kombinationspartners zu individualisieren. Wenn ich dabei Hypoglykämien strikt vermeiden will, dann muss ich mich beispielsweise für einen DPP-4-Hemmer und nicht für einen Sulfonylharnstoff oder ein Glinid entscheiden. Wenn ich eine Gewichtszunahme vermeiden will, dann sollte ich mich auch eher für einen DPP-4-Hemmer, keinesfalls aber für ein Glitazon, einen Sulfonylharnstoff oder ein Glinid entscheiden.

    Die Wirkung verschiedener Behandlungsstrategien auf Körpergewicht und Hypoglykämierisiko sollte also von Beginn an bei Planung einer zeitgemäßen und individualisierten Diabetestherapie berücksichtigt werden.

    Herr Prof. Dr. Hamann, danke für das Gespräch.

    Das Interview führte Susan Röse beim Industriesymposium: "Sitagliptin Ihr Diabetes-Programmführer" der Berlin-Chemie AG am 12. Mai 2010 in Stuttgart.

    Professor Andreas Hamann ist Internist, Endokrinologe und Diabetologe:

    Er erhielt seine medizinische Ausbildung an der Universitätsklinik in Hamburg. Nach einer Position als Oberarzt an der Universitätsklinik Heidelberg übernahm er 2004 die Chefarztstelle an der Diabetes-Klinik Bad Nauheim. Daneben ist er Geschäftsführer einer Firma, die sich auf die Durchführung klinischer Studien in der Diabetologie spezialisiert hat, sowie seit neuestem auch Inhaber einer diabetologischen Praxis an der Klinik.

     
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