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DOI: 10.1055/s-0030-1267426
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Telemedizinische Versorgung von Schlaganfällen
Netzwerke ermöglichen zeit- und ortsnahe HilfePublication History
Publication Date:
04 October 2010 (online)
- Videokonferenz über das teleneurologische Netzwerk NEURONET
- Teleneuromedizin anhand eines Fallbeispiels
- Telemedizinische Beratung durch SOS-NET
Die anfänglichen Symptome der meisten Schlaganfälle - so etwa Schwindelgefühle, verschiedene Ausfälle - können unspezifisch sein. Gerade ältere Menschen, die sich mit allerlei Schwächen arrangieren, rufen zu spät nach der nötigen Hilfe. Obwohl bei einem akuten Schlaganfall jede Minute zählt ("Time is brain"), bekommen nur etwa 30 % der Patienten mit Schlaganfall sofort die spezifische Hilfe. Auf diese Komplikation wies PD Dr. Guntram Ickenstein, Aue, hin.
#Videokonferenz über das teleneurologische Netzwerk NEURONET
In Deutschland ist nach wie vor keine Stroke-Unit in weniger als 30 Minuten erreichbar. Damit Schlaganfall-Patienten dennoch zeit- und ortsnah behandelt werden können, hat der Klinikkonzern HELIOS das bundesweite teleneurologische Netzwerk NEURONET gestartet, das eine erste Behandlung per Videokonferenz ermöglicht. Ärzte in Kliniken ohne eigene Stroke-Unit können auf diese Weise Tag und Nacht einen überregionalen Schlaganfallexperten konsultieren, der den Patienten gemeinsam mit dem Arzt vor Ort per Videoübertragung untersucht, CT- oder MRT-Bilder auswertet und die notwendige Therapie einleitet. Die Behandlung kann damit früher eingeleitet und bei Bedarf in einer Stroke-Unit fortgesetzt werden.
Im NEURONET sind 5 zertifizierte Stroke-Units aktiv, die jährlich etwa 460 000 Patienten betreuen. Insgesamt kam es in den letzten 18 Monaten zu 265 Telekonsilen. Darüber hinaus gibt es in Sachsen eine Rundum-Bereitschaft in mehreren Stroke-Units, Nebenzentren und weiteren kooperierenden Kliniken. Damit ist Sachsen das erste Bundesland mit einer Netzstruktur, in der alles aufeinander abgestimmt ist. Das Herzstück stellen ein zentraler Server und ein Tischsystem mit mehreren Monitoren dar, wobei dieses nur in den leitenden Zentren erforderlich ist. Die Experten können ihren persönlichen Laptop passend programmieren und an anderen Standorten verwenden.
#Teleneuromedizin anhand eines Fallbeispiels
Was ein optimiertes Versorgungssystem erzielen kann, verdeutlichte Ickenstein am Fallbeispiel einer 72-jährigen Patientin mit Hemiplegie rechts und globaler Aphasie: Ihre starken Ausfälle ergaben 2,5 Stunden nach Beginn der Symptomatik einen NIHSS-Score 17. Die CT-Angiografie zeigte eine Okklusion der linken MCA (Arteria cerebri media). Die Rekanalisationsstrategie wurde via Teleneuromedizin zwischen Neurologen und interventionellen Neuroradiologen geplant. Innerhalb von 3,5 Stunden nach Beginn der ersten Symptome konnte der Thrombus lysiert und ein fast vollständiger Blutfluss wiederhergestellt werden. Das Outcome nach 90 Tagen war gut bei einem NIHSS-Score 4.
#Telemedizinische Beratung durch SOS-NET
Gute Therapieerfolge und eine hohe Genauigkeit durch telemedizinische Unterstützung bestätigt auch Dr. Ulf Becker vom Dresdner Universitäts SchlaganfallCentrum (DUSC). Das DUSC bietet kooperierenden Kliniken im Raum Dresden und in Ostsachsen über das SOS-NET (Schlaganfallversorgung im Ost-Sachsen-Netzwerk) eine telemedizinische Beratung für Schlaganfallpatienten an. 14 Kliniken sind in dieser Region miteinander vernetzt. Das Projekt wird vom Europäischen Sozialfonds gefördert.
Zur Qualitätssicherung erfolgte eine externe Zertifizierung des DUSC nach DIN ISO 9001:2008. Dazu kommt eine interne Zertifizierung der Kooperationspartner, die auch ein jährliches Audit der beteiligten Partner umfasst. Dazu werden Qualitätsbögen inklusive eines Qualitätsberichts erfasst, deren Ergebnisse allen im SOS-NET Beteiligten zugänglich gemacht werden.
So wurden im Jahr 2009 laut Qualitätsbericht 580 Telekonsile durchgeführt und dabei 79 % Schlaganfall-Diagnosen gestellt (256 Infarkte, TIA in 56 und intrakranielle Blutungen in 102 Fällen), 21 % waren Differenzialdiagnosen wie epileptischer Anfall, periphere Nervenläsion, Migräne oder Hirntumor. Für fast ein Drittel (29 %) wurde eine Verlegung in Spezialzentren erforderlich. Lysen wurden bei 89 % der Schlaganfälle durchgeführt. Die Telekonsile dauerten durchschnittlich 20 Minuten und fanden hauptsächlich zwischen 8 und 20 Uhr statt. Die Liegezeit im DUSC lag durchschnittlich bei 6 Tagen, in den anderen Kliniken bei 9 Tagen.
Am Ende der Akutbehandlung konnten 45 % der Patienten nach Hause entlassen werden, 44 % wurden in eine Reha-Klinik überwiesen, 1 % in eine externe Akutklinik und 2% in eine andere Abteilung. 2% wechselten in eine Pflegeeinrichtung und 6 % der Patienten sind verstorben.
Die Auswertung der internen Qualitätssicherung ergab im Jahr 2009 eine 100 %-ige Übereinstimmung in allen Fällen mit Hirnblutung oder Hirntumoren. Bei 23 % der Infarktpatienten bestanden Diskrepanzen (Korrektur der subjektiven Arzt-Prognose (NRA) durch klinische Information, Infarkt <1/3 MSG nicht durch NRA bestätigt, Infarkt > 1/3 MSG übersehen), die das Outcome jedoch meist nicht beeinflussten. In der Summe wurden bei 110 Untersuchungen 3 klinisch relevante Befunde übersehen. Dieses erfreuliche Ergebnis führt Becker auf das spezielle Training der Stroke Fellows zurück. Ein kontinuierliches Training sowie Qualitätssicherung der Befunde seien in der Telemedizin unbedingt erforderlich. Probleme sieht er momentan noch in der Technologie, die teilweise noch unausgereift ist, dem technischen Aufwand und in der Abrechnung der erbrachten Leistungen, die bisher noch nicht klar geregelt ist.
A. Martin Steffe, Leipzig
Quelle: Symposium "Telemedizin in Mitteldeutschland" am 24.06.2010 in Leipzig. Veranstalter: Krankenhausgesellschaft Sachsen e.V., Deutsche Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed e.V.).