Diabetes aktuell 2010; 8(6): 287-288
DOI: 10.1055/s-0030-1268097
Forum der Industrie

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Läuft hier etwas falsch? – Die richtige Strategie bei der Therapie des Typ-2-Diabetes

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Publication Date:
25 October 2010 (online)

 
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Deutschland spielt nicht nur im Fußball weltweit in der Spitzengruppe mit, sondern auch beim Diabetes. Die Entwicklung der letzten Jahre ist atemberaubend, 2003 lag Deutschland mit 6,3 Millionen erkannten Diabetespatienten auf Rang 6, mit mittlerweile 7,4 Millionen haben wir es 2007 bereits auf Rang 5 geschafft. Noch besser sieht es prozentual auf die Gesamtbevölkerung bezogen aus: Hier sind wir mit 12,0 % Erkrankten in der Altersgruppe der 20-79-Jährigen hinter den USA (12,3 %) nach dem IDF-Weltatlas 2009 der International Diabetes Federation bereits Vizeweltmeister, und der Trend zeigt weiter nach oben.

Wenn es also schon nicht mit der Prävention klappt, dann vielleicht wenigstens mit der Therapie?

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Die Hypoglykämie und ihre Folgen

  • Kardial: Myokardiale Ischämie, Infarkt, Arrhythmien, Herzinsuffizienz, kardialer Tod

  • Neurologisch: Koma durch Hypoglykämie, Krämpfe, Hemiplegie, TIAs, kognitive Defizite, fokale Läsionen

  • Unfallfolgen: Frakturen, Distorsionen, Kopfverletzungen, Verkehrsunfälle etc.

(nach Dr. Bierwirth)

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Therapie in Deutschland

Aber auch hier gibt es aktuell wenig Grund zur Hoffnung. Zwar hat es beim Typ-2-Diabetes nach über 50 Jahren relativem Stillstand wichtige neue Erkenntnisse gegeben und das "glukozentrische" Weltbild ist in die Diskussion gekommen. In den Empfehlungen und Leitlinien haben sich die neuen Studienergebnisse jedoch noch nicht richtig niedergeschlagen. Sicher, es braucht Zeit, bis neue Erkenntnisse und Studienergebnisse übernommen werden können, auch fehlen für die meisten neuen Präparate noch Endpunktstudien. Aber wenn auch heute noch eine Empfehlung ausgesprochen wird, dass 90 % der verordneten täglichen Dosen an oralen Antidiabetika Sulfonylharnstoffe (SH) und Metformin beinhalten sollen (KVNo) und wenn 45,1% der Diabetiker in den ersten 10 Jahren nach Diagnose einen Sulfonylharnstoff erhalten, läuft in der Therapie etwas falsch, meint Dr. Ralph Bierwirth, Essen. Denn die Nachteile der Sulfonylharnstoffe mit einer Gewichtszunahme und der Gefahr von Hypoglykämien sind hinlänglich bekannt (s. Kasten oben).

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Nachteile der Sulfonylharnstoffe

Aus der UKPD-Studie weiß man, dass 1 % HBA1c-Senkung mit einem SH mit einer durchschnittlichen Gewichtszunahme von 3,7 kg "erkauft" werden muss. Dies wirkt sich nachteilig auf den Stoffwechsel aus und der Blutdruck steigt an. Auch setzen schwergewichtigere Patienten die allgemeinen Therapieempfehlungen in Bezug auf Ernährungsverhalten und insbesondere mehr Bewegung deutlich ungerner um. Eine im Lancet 2009 veröffentlichte Studie zeigte pro 5 kg Gewichtszunahme über einen empfohlenen BMI zwischen 22,5 und 25 kg/m² hinaus u. a. eine Erhöhung der Gesamtmortalität um ca. 30 %, der kardiovaskulären Mortalität um etwa 40 % und ein um 120 % erhöhtes Mortalitätsrisiko durch Diabetes. Und das Sterblichkeitsrisiko beim Typ-2-Diabetes nach prolongierten Hypoglykämien ist nach einer Studie von Bachmann (Diabetes und Stoffwechsel 1995) mit 10 % sogar höher als unter Insulin (4,6 %). Ein Problem ist auch, dass unter längerer Therapiedauer die körpereigene Gegenregulation auf eine Hypoglykämie mit einem reaktiven Glukagonanstieg nachlässt und dass die Unterzuckerung symptomärmer, schneller und heftiger verläuft, mit tieferen Blutzuckerwerten.

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Inkretinbasierte Therapie frühzeitig erwägen

Mit den inkreteinbasierten Therapien stehen seit einigen Jahren Medikamente zur Verfügung, die den Blutzucker zumindest gleich effektiv senken wie die Sulfonylharnstoffe, und die darüber hinaus zumindest gewichtsneutral (DPP-4-Hemmer) sind oder gar das Gewicht senken (GLP-1-Analaoga). Außerdem wirken die DPP-4-Hemmer glukoseabhängig nicht nur an der Betazelle, sondern entfalten ihre Wirkung auch an der Alphazelle. Selbst bei massiv beeinträchtigter Betazellfunktion bleibt eine Wirkung auf die Glukagonsekretion damit erhalten, was erklärt, warum DPP-4-Hemmer auch nach langer Diabetesdauer noch effektiv sind. An einigen eindrucksvollen Patientenbeispielen konnte Dr. Helmut Heddaeus, Würselen, den Nutzen für den Patienten zeigen, wenn statt eines Sulfonylharnstoffs das Sitagliptin als 2. Substanz gegeben oder wenn bei einem neu diagnostizierten Patienten mit entgleister Stoffwechselsituation statt der bisher in solchen Fällen initiierten Insulintherapie der DPP-4-Hemmer gegeben wurde (Tab. [1]) - bislang kann hierbei dann nur auf Sitagliptin zurückgegriffen werden. Vor allem im letzten Fall profitieren Patient und Gesundheitssystem nach Heddaeus im Vergleich mit der Insulintherapie von einem raschen Wirkungseintritt, einem geringeren Schulungsbedarf, einem fehlenden Hypoglykämierisiko, höherer Lebensqualität, Gewichtsneutralität und geringeren Kosten - nach erfolgter Einstellung sind in der Regel nur noch 4 Teststreifen pro Woche notwendig. Der Patient dürfte insgesamt wesentlich zufriedener sein als unter einer Insulintherapie, meint Heddaeus.

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Tab. 1 58-jähriger Typ-2-Diabetiker mit Hypertonie, pAVK, OSAP-CAPD und entgleister Stoffwechsellage.

Das neue Therapieziel beim Typ-2-Diabetes muss nach Aussage der beiden Experten nicht nur das Erreichen einer Normoglykämie, sondern auch Hypoglykämiefreiheit und eine zumindest drastisch reduzierte Gewichtszunahme beinhalten. Mit DPP-4-Hemmern könne man dieses Ziel leichter erreichen.

Günther Buck, Weilheim

Quelle: Pressekonferenz "Patienten in Balance - Praktische Erfahrungen mit Sitagliptin" am 8. September 2010 in Köln. Veranstalter: Berlin-Chemie AG.

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Umstellung auf Sitagliptin als eine Option für Rosiglitazon-Patienten?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat zum 1. November 2010 die Vertriebseinstellung von Rosiglitazon angeordnet und setzt damit die Empfehlung des Ausschusses für Humanmedizin (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) um. Diese hatte am 23. September 2010 empfohlen, Rosiglitazon-haltige Arzneimittel wegen eines insgesamt ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses vom Markt zu nehmen. Nach der Bewertung aller vorliegenden Studiendaten überwiege der gesundheitliche Nutzen nicht mehr die vor allem kardiovaskulären Risiken des Wirkstoffs, urteilte die EMA. Auch die Federal Drug Administration in den USA (FDA) hatte vor wenigen Wochen die Verordnungsmöglichkeiten von Rosiglitazon drastisch begrenzt. Die laufenden klinischen Studien mit Rosiglitazon sollen beendet werden.

Für viele Patienten wird nun eine medikamentöse Umstellung erforderlich. Für die behandelnden Ärzte stellt sich die Frage nach einer geeigneten Therapiealternative. Sitagliptin kann hier eine Therapieoption darstellen, denn der Wirkstoff verfügt zurzeit über das breiteste Zulassungsspektrum in der Gruppe der DPP-4-Hemmer. Im Gegensatz zu den anderen derzeit zugelassenen Vertretern dieser Substanzklasse kann Sitagliptin zusätzlich zu Diät und Bewegung sowohl in der Monotherapie eingesetzt werden - sofern eine Unverträglichkeit oder eine Kontraindikation gegen Metformin vorliegt - als auch mit oder ohne Metformin ergänzend zu Insulin gegeben werden, wenn Diät und Bewegung sowie eine stabile Insulindosis (mit oder ohne Metformin) allein den Blutzucker nicht ausreichend senken können. Darüber hinaus ist ausschließlich Sitagliptin in der Gruppe der DPP-4-Hemmer für die Dreifachtherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoffen zugelassen. Und in Vergleichsstudien hat sich das Sitagliptin als ähnlich wirksam erwiesen wie Rosiglitazon - ohne den Nachteil der Gewichtszunahme.

 
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Tab. 1 58-jähriger Typ-2-Diabetiker mit Hypertonie, pAVK, OSAP-CAPD und entgleister Stoffwechsellage.