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DOI: 10.1055/s-0030-1268816
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Überleitung der Chefarztvergütung in den TV-Ärzte - Kehrtwende durch abschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Rechtsanwälte Wigge
Dr. Ulrike Tonner Rechtsanwältin
Scharnhorststr. 40
48151 Münster
Phone: (0251) 53595-0
Fax: (0251) 53595-99
Email: kanzlei@ra-wigge.de
URL: http://www.ra-wigge.de
Publication History
Publication Date:
01 December 2010 (online)
- Einführung
- Sachverhalt
- § 2
- § 4
- Kein Anspruch dem Wortlaut nach
- Kein Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung
- TV-Ärzte nicht speziellerer Tarifvertrag
- Kein Anspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
- Fazit und Ausblick
Einführung
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil vom 09.06.2010 (Az.: 5 AZR 384/09) gegen die Rechtsauffassung der Mehrheit der Landesarbeitsgerichte entschieden und die Überleitung der Chefärzte in die EG 15 Ü des TVöD bejaht.
Bereits in der RöFo 7/2010 haben wir über die Problematik der Überleitung der Festvergütung der Chefärzte seit dem Wegfall des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) und dem Inkrafttreten des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sowie des ersten arztspezifischen Tarifvertrags (TV-Ärzte) berichtet. Zum Zeitpunkt der damaligen Bearbeitung lag eine abschließende Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) noch nicht vor. Die bis dahin ergangenen zweitinstanzlichen Urteile hatten sich fast ausschließlich zugunsten der Chefärzte und damit für eine Überleitung in den TV-Ärzte ausgesprochen. Nunmehr hat das BAG in 5 Parallelentscheidungen (Az.: 5 AZR 122/09, 5 AZR 498/09, 5 AZR 696/09, 5 AZR 384/09, 5 AZR 637/09) überraschend dieser überwiegenden Rechtsauffassung der Landesarbeitsgerichte widersprochen und eine Überleitung der Chefarztvergütung in die EG 15 Ü des TVöD bejaht.
#Sachverhalt
Der Kläger des der Entscheidung des BAG vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 384/09 zugrunde liegenden Verfahrens war von Anfang Dezember 1989 bis Ende Dezember 2007 als Chefarzt der Radiologischen Abteilung bei der Beklagten tätig. Der Arbeitsvertrag von 1989 sah eine Festvergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT vor. Die entsprechenden Vertragsklauseln lauteten wie folgt:
#§ 2
"Das Dienstverhältnis richtet sich, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, nach den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vom 23.02.1961 und der diese Tarifverträge ergänzenden , ändernden oder ersetzenden Tarifverträge.(…) in der jeweils gültigen Fassung."
#§ 4
"Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1 a zum BAT, d. h., Grundvergütung nach § 27 BAT, Ortszuschlag nach Maßgabe des § 29 BAT sowie eine Zuwendung und ein Urlaubsgeld entsprechend den tariflichen Regelungen zum BAT in der jeweils gültigen Fassung."
Nach Ersetzung des BAT durch den TVöD zum 01.10.2005 vergütete der beklagte Krankenhausträger den Chefarzt nach Maßgabe des TVöD. Damit war der Chefarzt nicht einverstanden und klagte rückwirkend Vergütungsdifferenzansprüche für den Zeitraum August 2006 bis Dezember 2007 auf Grundlage der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA ein. Zur Begründung berief er sich darauf, dass im Krankenhaus der Beklagten sowohl der TVöD als auch der TV-Ärzte/VKA zur Anwendung kommen, letzterer jedoch fachlich und persönlich dem Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien am nächsten stünde. Wäre bei Abschluss des Arbeitsvertrags absehbar gewesen, dass zu einem späteren Zeitpunkt 2 verschiedene Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden könnten, hätten sich nach Ansicht des Klägers die Parteien auf eine Anwendung des spezifischen Arzttarifvertrags verständigt.
Dem entgegnete der beklagte Krankenhausträger mit dem Hinweis, der TV-Ärzte/VKA finde deshalb auf alle nicht leitenden Ärzte Anwendung, da der überwiegende Teil der beschäftigten Ärzte im Marburger Bund organisiert sei und eine einheitliche Tarifvertragsanwendung der Vereinfachung diene. Im Fall der Überleitung der Chefarztvergütung sei der TV-Ärzte/VKA nicht zwingend als speziellerer Tarifvertrag einzustufen, da auch der TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser arztspezifische Regelungen enthalte. Zudem knüpfe die Vergütungsgruppe 15 Ü TVöD passgenau an die Vergütungsgruppe I BAT an, während der TV-Ärzte/VKA ein völlig neues Eingruppierungskonzept geschaffen habe.
Gleichlaufend mit den am selben Tag in ähnlich gelagerten Fällen ergangenen Parallelentscheidungen hält das BAG im Ergebnis einen Anspruch des Klägers auf Überleitung seiner Chefarztvergütung in die Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA für unbegründet.
#Kein Anspruch dem Wortlaut nach
In seinen Entscheidungsgründen stellt das BAG zunächst fest, dass es sich bei der Vergütungsregelung in § 4 des Arbeitsvertrags um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handele, die nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen sei, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der Beteiligten normalerweise verstanden werde. Ansatzpunkt dabei sei in erster Linie immer der Vertragswortlaut.
Übertrage man diesen Grundsatz auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, so sei ausgehend vom Wortlaut des Arbeitsvertrags ein Vergütungsanspruch des Klägers nach dem TV-Ärzte/VKA nicht begründbar. Zwar habe der beklagte Krankenhausträger mit der Formulierung in § 4 des Arbeitsvertrags die Chefarztvergütung an das in ihrem Krankenhaus geltende Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes anlehnen und damit Vergütungsentwicklungen auch im Bereich der Chefarztvergütung umsetzen wollen ("kleine dynamische Bezugnahmeklausel"). Dagegen trage der Wortlaut dieser Vertragsklausel jedoch gerade keine Erstreckung der Bezugnahme auf den TV-Ärzte/VKA, da dieser keine "gültige Fassung des BAT" sei. § 4 des Arbeitsvertrags enthalte seiner Formulierung nach lediglich eine zeit-, nicht jedoch inhaltsdynamische Bezugnahmeklausel.
Wie das BAG in seinen Entscheidungsgründen weiterhin ausführt, ergebe sich auch aus § 2 des Arbeitsvertrags kein Vergütungsanspruch des Klägers nach der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA. Zwar weise diese Vertragsbestimmung auf die den BAT ersetzenden Verträge hin, dies solle dem Wortlaut nach aber nur Anwendung finden, "soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist". Da die Tätigkeitsvergütung des Chefarztes vorliegend jedoch im nachfolgenden § 4 des Arbeitsvertrags eigenständig geregelt wurde, unterliege sie somit nicht der Verweisung des § 2.
#Kein Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung
Ab dem Zeitpunkt der Ersetzung des BAT im kommunalen Bereich durch den TVöD zum 01.10.2005 wurden der BAT sowie die Vergütungstarifverträge zum BAT nicht mehr weiterentwickelt, mit der Konsequenz, dass, wie im vorliegenden Fall, eine zeitdynamisch angelegte Bezugnahme auf den BAT nunmehr statisch geworden war. Da jedoch ein solches "Einfrieren" der Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession nicht mit einer bezweckten zeitdynamischen Bezugnahme vereinbar sei, ergebe sich nach Ausführungen des BAG für Vergütungsabreden, wie die vorliegende, eine nachträgliche Regelungslücke, die mittels ergänzender Vertragsauslegung zu schließen sei.
Bei der im Rahmen einer solchen ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmenden Interessensabwägung kam das BAG zu dem Ergebnis, dass bei einer konkreten arbeitsvertraglichen Bezugnahme der Vergütungsgruppe I BAT die Vergütung nach dem Willen der Parteien dynamisch an der jeweiligen Höhe der Vergütung eines tatsächlich in die Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT eingruppierten Angestellten im öffentlichen Dienst auszurichten sei. Daher hätten die Parteien im Fall einer Tarifersetzung (Tarifsukzession) eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe vereinbart, die nunmehr der im Arbeitsvertrag bezeichneten Vergütungsgruppe entspreche. Nach Wegfall des BAT und Inkrafttreten des TVöD wurden Beschäftigte der Vergütungsgruppe I BAT nach den tarifvertraglichen Überleitungsregelungen mit Wirkung zum 30.09.2005 in die Entgeltgruppe 15 Ü übergeleitet, vgl. § 4 Absatz 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 II TVÜ-VKA. Dementsprechend sei nach Ansicht des BAG auch im vorliegenden Fall die entstandene Regelungslücke dahingehend zu schließen, dass die Vertragsparteien eine Vergütung gemäß der Entgeltgruppe 15 Ü TVöD vereinbart hätten, wenn sie eine Ersetzung der Vergütungsgruppe I BAT bedacht hätten.
Ferner führt das BAG aus, dass der hier streitige § 4 des Arbeitsvertrags auch nicht mit Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum 01.08.2006 erneut lückenhaft geworden sei. So sei die Schließung der Vertragslücke durch die weiterhin dynamische Anwendung der Entgeltgruppe 15 Ü TVöD erhalten geblieben. Zudem sei aber auch gar keine Zuordnung der Vergütungsgruppe I BAT zu einer der Entgeltgruppen des TV-Ärzte/VKA möglich, da der TV-Ärzte/VKA ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte geschaffen habe. Aufgrund dessen argumentiert das BAG dahingehend, dass redliche Vertragspartner nicht der Umstellung der Vergütung auf ein neues Eingruppierungssystem den Vorzug gegeben hätten, wenn ein die Kontinuität der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass über die von den Parteien gewollte Dynamisierung der Vergütung hinaus der Kläger auch an neuen Entgeltsystemen für Ärzte teilhaben sollte, lasse sich der vorliegenden Regelung des § 4 des Arbeitsvertrags nicht entnehmen.
#TV-Ärzte nicht speziellerer Tarifvertrag
Ein anderes Auslegungsergebnis lasse sich nach den Ausführungen des BAG auch nicht damit begründen, dass der TV-Ärz-te/VKA der "speziellere" Tarifvertrag sei. Diese Frage könne bezogen auf die Überleitung der Chefarztvergütung dahingestellt bleiben, da der TV-Ärzte/VKA für Chefärzte jedenfalls schon deshalb nicht "spezieller" sei, weil er nach § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA für sie ebenso wie der TVöD nicht gelte und auch ansonsten keinerlei Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthalte.
#Kein Anspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Schließlich hält das BAG auch nicht das für eine Überleitung der Chefarztvergütung vorgebrachte Argument für tragend, ein Chefarzt müsse mindestens gleichviel, wenn nicht mehr verdienen als sein in die Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter ständiger Vertreter. Ein solches allgemein gültiges "Abstandsgebot" zwischen der Vergütung des Vorgesetzten und derjenigen seiner unterstellten Mitarbeiter sei im deutschen Arbeitsrecht nicht verankert. Zudem erziele ein Chefarzt nach Ansicht des BAG aufgrund der Einräumung des Liquidationsrechts in der Regel ein höheres Einkommen als die ihm unterstellten Ärzte. Auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, sollte er überhaupt im Bereich der Vergütung trotz Vorrangs der Vertragsfreiheit Anwendung finden, rechtfertige keine Überleitung der Chefärzte in den TV-Ärzte/VKA, da eine Differenzierung zwischen der Gruppe der Chefärzte und der Gruppe der "sonstigen Ärzte" schon aufgrund des tarifvertraglichen Geltungsbereichs (§ 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA) sachlich gerechtfertigt wäre.
Abschließend weist das BAG in seinen Entscheidungsgründen darauf hin, dass selbst in dem Fall, dass allen bei der Beklagten tätigen Ärzten, die nicht Chefärzte sind, auch ohne beiderseitige Tarifgebundenheit eine Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA gewährt worden wäre, eine Überleitung der Chefarztvergütung in den TV-Ärzte/VKA im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nicht in Betracht käme. Allein aus einer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags erfolgten einheitlichen Anwendung eines tariflichen Vergütungssystems auf alle beschäftigten Ärzte, einschließlich Chefärzte, lasse sich ein hypothetischer Wille, daran auch bei einer späteren Tarifpluralität für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, festhalten zu wollen, nicht zwingend herleiten.
#Fazit und Ausblick
Mit der hier dargestellten Entscheidung vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 384/09 - hat das BAG als eine von 5 Parallelentscheidungen erstmals zur Frage der Überleitung der Chefarztvergütung auf den TV-Ärzte Stellung genommen. Um die vom BAG zu dieser Rechtsfrage vertretenen Rechtsansicht umfassend wiederzugeben, sei an dieser Stelle ergänzend auf die Ausführungen des BAG in der Parallelentscheidung vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 122/09 - hingewiesen, deren zugrunde liegende Vergütungsklausel im Vergleich zu der hier ausführlich besprochenen Fallkonstellation nicht nur eine zeitdynamische Bezugnahmeklausel, sondern auch eine sogenannte "Ersetzungsklausel" enthielt. In diesen Fällen ist im Rahmen der Vergütungsregelung nicht nur eine Bezugnahme des BAT in seiner jeweils gültigen Fassung, sondern auch eine Bezugnahme auf die den BAT ersetzenden Tarifverträge vereinbart, sodass sich bereits der Wortlaut einer solchen Bezugnahmeklausel mit Ersetzungsklausel nicht nur auf den TVöD, sondern auch auf den TV-Ärzte erstreckt, da beide Tarifverträge nach den jeweiligen Überleitungsregelungen den BAT durch Tarifsukzession ersetzt haben. Bei der Überprüfung derartiger Vergütungsklauseln ergibt sich somit bereits auf vertraglicher Ebene eine Regelungspluralität, die es wiederum gilt, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu lösen. Hinsichtlich der Argumentation des BAG zur Interessenabwägung im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung sei auf die obige Darstellung verwiesen. Lediglich bezogen auf die im Fall der vertraglichen Regelungspluralität denkbare Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB hat das BAG ergänzend ausgeführt, dass dies in der Regel daran scheitere, dass nicht immer zwingend eine Vergütung nach dem einen Tarifvertrag für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses günstiger sein müsse als eine nach dem anderen Tarifvertrag. Je nachdem, welcher Tarifvertrag gerade eine für den Arbeitnehmer höhere und damit günstigere Vergütung vorsehe, käme es zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen und einem in der Praxis nur schwer handhabbaren "Hin und Her" der Tarifanwendung.
So sehr einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtsfrage der Überleitung der Chefarztvergütung auf den TV-Ärzte durch das BAG entgegengefiebert wurde, so überraschend war doch letztendlich die in den Urteilen vertretene, der überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte widersprechende Ansicht des BAG. Zwar mag es auch weiterhin aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Vertragsklauseln immer wieder zu neuen Einzelfallprüfungen mit gegebenenfalls anderem Auslegungsergebnis kommen. Mit diesen ersten Urteilen hat das BAG jedoch grundlegende Maßstäbe für die Auslegung arbeitsvertraglicher Vergütungsklauseln in Chefarztverträgen gesetzt, die es nunmehr von den Vertragsparteien zu beachten gilt.
#Rechtsanwälte Wigge
Dr. Ulrike Tonner Rechtsanwältin
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