Rofo 2011; 183(2): 189-193
DOI: 10.1055/s-0030-1270820
DRG-Mitteilungen
Radiologie & Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Honorarregress bei gesetzwidriger Gestaltung von Gemeinschaftspraxisverträgen

Anmerkungen zum Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.06.2010 – Az.: B 6 KA 7/09 R -
Further Information

RA Dr. Peter Wigge, Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwälte Wigge

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

Email: kanzlei@ra-wigge.de

URL: http://www.ra-wigge.de

Publication History

Publication Date:
08 February 2011 (online)

 
Table of Contents #

Einführung

Die Gestaltung von ärztlichen Praxisverträgen ist für den mit dem Vertragsarztrecht befassten Rechtsanwalt ein bekanntes Geschäft. In der Radiologie hat der Abschluss von Gemeinschaftspraxisverträgen, aufgrund der hohen Investitionen und der gesellschaftsrechtlichen Haftung sämtlicher Gesellschafter im Außenverhältnis einen besonderen Stellenwert. Seit Jahren wird unter den mit dieser Rechtsmaterie befassten Juristen jedoch darüber gestritten, ob vertragliche Konstellationen zulässig sind, in denen niedergelassene Vertragsärzte in Gemeinschaftspraxen eingebunden werden, ohne dass sie am materiellen und immateriellen Vermögen sowie Gewinn und Verlust beteiligt sind. Die Frage, welche Gesellschafterrechte ein sog. „Juniorpartner“ in einer Gemeinschaftspraxis haben muss, um noch eine Gesellschafterstellung inne zu haben und nicht als verdeckter Angestellter zu gelten, war jedoch bisher weitgehend akademischer Natur, da die Zulassungsausschüsse entweder großzügig verfuhren oder ihnen entsprechende Vereinbarungen nicht bekannt wurden, weil sie die Verträge nicht anforderten. Diese Situation dürfte sich durch die Entscheidung des BSG vom 23.06.2010 jedoch grundlegend ändern.

Die Problematik besteht in der Praxis häufig darin, dass die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis jungen Kollegen die Möglichkeit geben wollen, in die bestehende Gesellschaft einzusteigen, obwohl die finanziellen Eigenmittel der jungen Ärzte eine Kapitalbeteiligung am Gesellschaftsvermögen noch nicht unbedingt zulassen oder diese das Risiko einer hohen Verschuldung, aufgrund der Unsicherheiten einer Refinanzierung durch das vertragsärztliche Vergütungssystem, scheuen. Dies ist insbesondere bei Fachgebieten wie der Radiologie problematisch, bei denen die Praxisausstattung aufgrund der erforderlichen Geräte und sonstigen Betriebsmittel hohe Ausgaben erfordert. Das Vertragsarztrecht lässt jedoch gegenwärtig die Tätigkeit eines niedergelassenen Arztes mit vertragsärztlicher Zulassung in einer Gemeinschaftspraxis nur in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder einer Partnerschaftsgesellschaft (PartG) zu und erfordert daher zwingend eine Gesellschafterstellung.

Um den Einstieg des ärztlichen Nachwuchses dennoch zu ermöglichen, wird in der Gestaltungspraxis häufig das Modell der sog. „Nullbeteiligung“ gewählt, wobei der neu aufgenommene Arzt für eine Übergangszeit als Kennenlernphase oder aber auch auf Dauer am Gesellschaftsvermögen der Gemeinschaftspraxis nicht beteiligt wird und einen pauschalierten Gewinnanteil erhält. Der neu aufgenommene Arzt zahlt folglich keinen Kaufpreis für einen Geschäftsanteil und erspart somit erhebliche Aufwendungen. Demgegenüber steht ihm jedoch im Vergleich zu den am Vermögen beteiligten Gesellschaftern meist nur ein deutlich niedrigerer Gewinnanteil zu. Ziel, eine derartige „Nullbeteiligung“ zunächst nur für einen begrenzten Zeitraum zu vereinbaren (Kennenlernphase), ist es, die Zusammenarbeit in dieser Zeit zu „erproben“ und somit die fachlichen als auch persönlichen Kompetenzen des ärztlichen Nachwuchses kennenlernen zu können. Eine wirtschaftliche Beteiligung soll also gerade nicht vor dem sicheren Wissen der funktionierenden Kooperationsfähigkeit zwischen den neuen Partnern erfolgen. Sollte sich während der Kennenlernphase eine Zusammenarbeit als nicht effektiv herausstellen, so kann im Fall des Modells der Nullbeteiligung eine eventuelle Trennung oder Umwandlung der Zusammenarbeit in ein Anstellungsverhältnis mangels vermögensmäßiger Verbindung leichter fallen.

Wie das Urteil des Bundessozialgerichts zeigt, sind jedoch derartigen „Nullbeteiligungen“ enge Grenzen gesetzt. Vertragliche Gestaltungen, die die vom BSG aufgestellten Anforderungen nicht beachten, laufen Gefahr gegen die vertragsarztrechtlichen Vorgaben mit der Folge zu verstoßen, dass die nach § 33 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) erforderliche Genehmigung zur gemeinsamen Berufsausübung auch rückwirkend als nicht rechtmäßig erteilt angesehen wird und das an die Gemeinschaftspraxis in diesem Zeitraum ausgezahlte Honorar von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zurückgefordert werden kann.

#

Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte das BSG in letzter Instanz über Honorarrückforderungen der KV bei einer vom Zulassungsausschuss genehmigten, radiologischen „Gemeinschaftspraxis“ zu entscheiden. Bei der betreffenden Praxis hatten die bereits gemeinsam tätigen Seniorpartner im Jahr 1996 mit einem neu aufzunehmenden Juniorpartner einen sogenannten Kooperationsvertrag geschlossen, nach welchem der Juniorpartner nach einer erfolgreichen Probezeit als „freier Mitarbeiter“ partnerschaftlich eingebunden werden sollte. Dieser Vertrag sah allerdings sowohl während der Probezeit als auch für die Zeit danach weder gesellschaftliche Mitwirkungsrechte noch irgendeine Form der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen oder am Wert der Praxis zugunsten des Juniorpartners vor. Zu der im Kooperationsvertrag zunächst vorgesehenen partnerschaftlichen Einbindung kam es nicht. Vielmehr wurde die Gesellschaft wegen Unstimmigkeiten der beteiligten Ärzte untereinander zum 31.12.2001 beendet.

Die KV hob zum 30.11.2001 die gegenüber der Gemeinschaftspraxis erlassenen Honorarbescheide für die Quartale IV/1996 bis I/2001 rückwirkend auf und forderte die ihrer Ansicht nach in diesen Quartalen zu Unrecht gezahlten Honorare in Höhe von 880.578,27 € zurück. Dabei stützte sich die KV auf die nach ihrer Auffassung von den beteiligten Ärzten rechtswidrig erlangte Genehmigung zur gemeinschaftlichen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit. Die vom Zulassungsausschuss genehmigte Gemeinschaftspraxis habe tatsächlich nie existiert und der neu aufgenommene Juniorpartner sei lediglich Angestellter gewesen. Aufgrund dessen sah sich die KV als berechtigt an, den auf diesem Verhalten beruhenden Honoraranteil sachlich-rechnerisch richtig zu stellen und das bereits ausgezahlte Honorar zurückzufordern.

#

Keine gemeinsame Berufsausübung

Das BSG stellte fest, dass zu keinem Zeitpunkt durch den zwischen den beteiligten Ärzten geschlossenen Kooperationsvertrag eine partnerschaftliche Einbindung des neu aufgenommenen Juniorpartners in die Gesellschaft stattgefunden habe. Mangels partnerschaftlicher Einbindung handele es sich daher um eine reine Scheingesellschaft und damit nicht um eine Gemeinschaftspraxis, die den Anforderungen des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV gerecht werde. Zwar sei die Gesellschaft formell durch den zuständigen Zulassungsausschluss als Gemeinschaftspraxis genehmigt worden, doch müsse auch die tatsächliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit gemeinsam mit den anderen Ärzten und unabhängig in freier Praxis erfolgen. Mangels Einräumung von Mitbestimmungsrechten und durch die im Kooperationsvertrag vorgesehene Zahlung eines Festgewinnanteils ergebe sich jedoch eine Abhängigkeit des neu aufgenommenen Arztes wie in einem Anstellungsverhältnis, so dass von einer Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in „freier Praxis“ nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV nicht mehr ausgegangen werden könne.

#

Tätigkeit in freier Praxis

Nach den Ausführungen des BSG setzt eine Gemeinschaftspraxis jedoch grundsätzlich voraus, dass alle Beteiligten die vertragsärztliche Tätigkeit „in freier Praxis“ ausüben und dass jedem Gesellschafter eine ausreichende Eigenverantwortlichkeit zukommt.

Nach § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in „freier Praxis“ auszuüben. Dies setzt, so das BSG, bezogen auf die Zusammenarbeit in einer Gemeinschaftspraxis voraus, dass das wirtschaftliche Risiko von jedem Vertragsarzt mitgetragen wird und eine Beteiligung am materiellen und immateriellen Wert der Gesellschaft sowie eine ausreichende Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit besteht. Mit anderen Worten muss der Vertragsarzt das wirtschaftliche Risiko in der Form mittragen, dass es von seiner eigenen Arbeitskraft abhängt, welchen Umfang an Einkünften er pro Quartal erzielt. Für die berufliche und persönliche Autonomie ist es entscheidend, dass keine erhebliche Einflussnahme durch Dritte, insbesondere kein verdecktes Angestelltenverhältnis vorliegt. Demnach ist sowohl die wirtschaftliche Komponente als auch die ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht für das Vorliegen der Ausübung „in freier Praxis“ von tragender Bedeutung.

Diese Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV erfüllte nach Ansicht des BSG der im vorliegenden Fall zwischen den niedergelassenen Radiologen und dem neu aufgenommenen Juniorpartner geschlossene Kooperationsvertrag nicht. Eine Berufsausübung „in freier Praxis“ habe seitens des neu aufgenommenen Arztes nie stattgefunden. So habe der Juniorpartner zu keinem Zeitpunkt ein wirtschaftliches Risiko getragen und sei darüber hinaus auch nicht an der Verwertung des von ihm erarbeiteten Praxiswertes beteiligt gewesen. Vielmehr habe der neu aufgenommene Radiologe lediglich ein Festgehalt erhalten. Darüber hinaus sei er von Honorarverkürzungs- und Regressansprüchen freigestellt gewesen und die Abrechnung von Privat- und Kassenpatienten sei allein den Inhabern der Gemeinschaftspraxis zugute gekommen. Damit habe sich die Einkommenslage des Juniorpartners nicht von der eines angestellten Arztes unterschieden. Diese Vertragsgestaltung sei ein wesentliches Indiz gegen das Vorliegen einer selbstständigen Ausübung „in freier Praxis“, sodass vorliegend unerheblich sei, ob der Juniorpartner darüber hinaus Einfluss auf die Geschäftsführung hatte oder nicht.

#

Beteiligung am Goodwill

Eng verbunden mit der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit „in freier Praxis“ ist die Beteiligung am immateriellen Wert (sog. Goodwill) der Praxis. Dieser ist durch die ausgeprägte und geschützte Vertrauensbeziehung besonders nachhaltig personengebunden und verflüchtigt sich rasch mit dem Ausscheiden eines Praxispartners. Die Beteiligung am immateriellen Wert ist daher Ausdruck der persönlichen Arbeitsleistung des Arztes in der Praxis und somit unerlässlich für die notwendige Selbstständigkeit des Praxispartners. In dem vom BSG zu entscheidenden Fall blieb dem Juniorpartner bei Beendigung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit keine Chance auf Verwertung des auch von ihm erarbeiteten immateriellen Praxiswertes, da er weder berechtigt sein sollte, den Vertragsarztsitz zu verlegen, noch stand ihm ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindungszahlung zu. Bereits aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgt jedoch, dass Klauseln in Gemeinschaftspraxisverträgen unzulässig sind, die eine Verlegung des Vertragsarztsitzes für den Fall des Ausscheidens aus der Gemeinschaftspraxis dauerhaft untersagen.

#

Unzulässigkeit eines Festgewinnanteils

Aus dem Erfordernis, dass es beim Vertragsarzt „maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängen“ muss, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt, ihn also im positiven wie im negativen Sinne die Chance und das Risiko des beruflichen Erfolgs oder Misserfolgs persönlich treffen müssen, folgt nach Ansicht des BSG die Notwendigkeit, den Status des Vertragsarztes eindeutig von dem Status des angestellten Arztes abzugrenzen. Dies bedeutet insbesondere, dass der Vertragsarzt nicht wie ein Angestellter nur ein Festgehalt erhalten darf. Vielmehr muss ihm maßgeblich der Ertrag seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zugutekommen, ebenso wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss. Entscheidend ist, dass dieses Erfordernis von Anbeginn der vertragsärztlichen Tätigkeit erfüllt sein muss und nicht für die Dauer einer „Probezeit“ suspendiert werden kann.

#

Keine Umdeutung in ein Anstellungsverhältnis

Im Ergebnis führt die fehlende Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in „freier Praxis“ jedoch nicht nur zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis, sondern berührt auch die vertragsärztliche Zulassung des betreffenden Arztes. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Ärzte-ZV ist die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit zulässig unter allen zugelassenen Leistungserbringern. Das setzt die (auch materiell rechtmäßige) Zulassung eines jeden einzelnen Mitglieds der Gemeinschaftspraxis voraus. Daran fehlt es, wenn der „Juniorpartner“ nicht als Arzt in freier Praxis, sondern tatsächlich als „freier Mitarbeiter“ tätig geworden ist. Da das Vertragsarztrecht den Typus des „freien Mitarbeiters“ nicht kennt, ist der „Juniorpartner“ vertragsarztrechtlich als „angestellter Arzt“ bzw. als „Assistent“ zu qualifizieren. Derartige Tätigkeiten sind jedoch nur mit entsprechender Genehmigung zulässig, an der es im vorliegenden Fall fehlte.

#

Formale Genehmigung der Gemeinschaftspraxis

Wie das BSG in seinen Entscheidungsgründen ausführt, hindert auch die formale Genehmigung der Gemeinschafspraxis gemäß § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV die Annahme einer Scheingesellschaft dann nicht, wenn die gemeinsame Tätigkeit tatsächlich nicht ordnungsgemäß wahrgenommen wurde. So dürfe ein Arzt, der sich die Vertragsarztzulassung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft habe, allein unter Berufung auf den dadurch erworbenen formalrechtlichten Status keine vertragsärztliche Leistungen erbringen und abrechnen. Die Berufung auf den formalrechtlichen Status sei ausgeschlossen, wenn Zulassungsgremien eine Zulassung oder Genehmigung bei Kenntnis der genauen Umstände nicht erteilt hätten, beziehungsweise nicht hätten erteilen dürfen. Dies sei insbesondere bei der missbräuchlichen Nutzung von Gestaltungsformen der Fall, wenn, wie vorliegend, die Kooperationsform Gemeinschaftspraxis dadurch rechtswidrig genutzt werde, dass der Juniorpartner als angestellter Arzt und somit gerade nicht als Praxispartner tätig geworden sei. Die Vorteile, die eine Gemeinschaftspraxis gegenüber einer Einzelpraxis gewährt, sind nur dann gerechtfertigt, wenn diese Kooperationsform ordnungsgemäß wahrgenommen werde, die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit tatsächlich gemeinsam mit den anderen Ärzten und unabhängig in freier Praxis erfolge. Nach Ansicht des BSG schützt der verliehene, jedoch rechtswidrig erlangte Status, nicht in vergütungsrechtlicher Hinsicht im Innenverhältnis gegenüber der KV.

#

Befugnis der KV zum Erlass des Rückforderungsbescheids

Gem. § 45 Abs. 2 S. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw. gem. § 34 Abs. 4 S. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen hat die KV von Amts wegen die Befugnis, die von Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu überprüfen und nötigenfalls richtig zu stellen. Dabei zielt die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen auf die Feststellung ab, ob die abgerechneten Leistungen vertragsarztrechtlich rechtmäßig erbracht worden sind.

Zu beachten ist insbesondere, dass die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler besteht, sondern auch Fallgestaltungen erfasst, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend hat das BSG in seiner Rechtsprechung das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung auch bei folgenden Verstößen gegen die vertragsarztrechtlichen Bestimmungen angewandt:

  • bei der Abrechnung fachfremder Leistungen,

  • bei der Abrechnung qualitativ mangelhafter Leistungen,

  • bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten,

  • bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mithilfe eines Assistenten

  • bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden

  • bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung,

  • Verarbeitung und Nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und

  • bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen.

Denkbar sind darüber hinaus auch Fallgestaltungen, in denen ein Vertragsarzt zwar nach § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV in formal zulässiger Weise für ein Krankenhaus tätig geworden ist, jedoch z.B. die höchstzulässige Arbeitszeit von 13 h pro Woche überschreitet. Kommt die KV zu dem Ergebnis, dass der Vertragsarzt seine ärztlichen Leistungen unter Verstoß gegen die formalen oder inhaltlichen Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat, so ist sie zur Richtigstellung der Honorarforderung berechtigt. Bei der Rückforderung ist zu beachten, dass als Adressat des Regressbescheids in einer Gemeinschaftspraxis jeder Partner für sich genommen von der KV in Anspruch genommen werden kann und damit für die Forderungen gesamtschuldnerisch haftet.

#

Ausschlussfrist

Die Aufhebung der ursprünglichen Honorarbescheide ist regelmäßig nur innerhalb der von der Rechtsprechung anerkannten 4-jährigen Ausschlussfrist möglich. Im vorliegenden Fall hielt das BSG den Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids auch außerhalb der Ausschlussfrist für zulässig, da einer der anerkannten Vertrauensausschlusstatbestände greife. Dies sei immer dann der Fall, wenn die ursprünglichen Honorarbescheide zum einen auf Angaben beruhten, die vom Vertragsarzt grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht wurden (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X), zum anderen dann, wenn die Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit der Honorarbescheide auf grober Fahrlässigkeit beruhte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Das BSG hat dabei festgesellt, dass ein langjährig tätiger Vertragsarzt wissen müsse, dass ein Arzt, der weder am Erfolg noch am Wertzuwachs der Praxis beteiligt war, kein Partner einer Gemeinschaftspraxis sein könne.

#

Kriterien der Bundesärztekammer

Das BSG hat in seinem Urteil vom 23.06.2010 nicht zu allen für die Annahme einer Gemeinschaftspraxis notwendigen Gesichtspunkte Stellung genommen. Die Bundesärztekammer (BÄK) hat bereits in dem Positionspapier „Niederlassung und berufliche Kooperation“ vom 17.02.2006 eingehend zu der Frage Stellung genommen, wann im berufsrechtlichen Sinne von einer gemeinsamen Berufsausübung gesprochen werden kann. Damit sind diese Anforderungen nicht nur im Rahmen der vertragsärztlichen Tätigkeit, sondern auch bei ausschließlich privatärztlichen Zusammenschlüssen von Ärzten zu beachten.

Nach Ansicht der BÄK sind insbesondere folgende tragende Kriterien für die Annahme einer gemeinsamen Berufsausübung maßgeblich:

  • Wille zur gemeinsamen Berufsausübung in einer auf Dauer angelegten systematischen Kooperation. Der bloße Wille, nur Ressourcen gemeinsam zu nutzen, ist nicht ausreichend.

  • Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag ist erforderlich, der diesen Willen zum Ausdruck bringt und die Rechte und Pflichten der Gesellschafter festlegt. Entscheidend ist jedoch stets, „wie die Gesellschaft gelebt wird“.

  • Außenankündigung der Gesellschaft nach Maßgabe des § 18a Abs.1 MBO.

  • Der Behandlungsvertrag wird von der Gemeinschaftspraxis geschlossen, weshalb die Abrechnung durch die Gemeinschaft erfolgt.

  • Die Gemeinschaft muss über einen gemeinsamen Patientenstamm verfügen, d. h., jeder Partner muss Zugriff auf die Patientenkartei haben.

  • Von einer gemeinsamen Berufsausübung kann nur dann gesprochen werden, wenn die beteiligten Ärzte mehr oder minder gleiche Rechte und Pflichten haben. Eine Berufsausübungsgemeinschaft macht es aus, wenn jeder Gesellschafter an unternehmerischen Chancen und Risiken beteiligt ist.

Die berufsrechtlichen Vorgaben der BÄK sind daher bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Berufsausübungsgemeinschaften ergänzend heranzuziehen. So ließ das BSG die Frage offen, ob für eine Übergangsfrist eine sogenannte „Nullbeteiligung“ möglich ist. Nach Ansicht der BÄK ist gerade bei der Gründung von Gemeinschaften, aber auch bei Aufnahme eines Gesellschafters eine sog. vermögensrechtliche Nullbeteiligung dann zu akzeptieren ist, wenn sie nicht auf Dauer angelegt ist, sondern z.B. nach einer „Kennenlernphase“ ein Anwachsen der Kapitalbeteiligung vorgesehen ist. Maßgeblich ist vor allem eine Beteiligung am immateriellen Wert und weniger am materiellen Wert.

Die Problematik um die Nullbeteiligung am Gesellschaftsvermögen gewinnt unter Zugrundelegung der hier dargestellten Entscheidungsgründe erst dann an Bedeutung, wenn sich keine eindeutige Aussage zur Tragung des wirtschaftlichen Risikos machen lässt. Das BSG hat jedoch hervorgehoben, dass gewisse Gesichtspunkte dafür sprechen, dass eine Beteiligung am (materiellen) Gesellschaftsvermögen nicht ausnahmslos erforderlich ist, wenn der Arzt am Gewinn und Verlust über das „Einkommen“ beteiligt ist und somit das Einkommensrisiko trage. Zulässig könnten demnach Gestaltungen sein, in denen Ärzte nicht nur die Praxisräume, sondern die Praxisausstattung anmieten, oder in denen ein alteingesessener Vertragsarzt mit einem jungen Arzt, welcher die Praxis irgendwann übernehmen möchte, zunächst eine Gemeinschaftspraxis bildet, in der die gesamte Ausstattung dem „Alt-Arzt“ gehört.

#

Fazit und Kritik

Die Entscheidung des BSG verdeutlicht, dass beim Abschluss von Gemeinschaftspraxisverträgen der Gestaltungsfreiheit der Parteien und damit der Vertragsautonomie deutliche Grenzen gesetzt sind, die sich aus dem ärztlichen Berufs- und Vertragsarztrecht ergeben. Entscheidend ist, dass jeder Praxispartner den Beruf persönlich in „freier Praxis“ ausübt (§ 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV). Die maßgeblichen Kriterien des BSG liegen hierfür im Tragen des wirtschaftlichen Risikos, in der Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis und in der ausreichenden Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit und damit auch in der Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis. Sprechen hingegen mangels jeglicher Beteiligung und aufgrund eines Festgehalts die Indizien für ein Angestelltenverhältnis, so kann nicht mehr von einer Ausübung „in freier Praxis“ ausgegangen werden. Das BSG hat ebenso festgestellt, dass eine Berufung auf die formale Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch den zuständigen Zulassungsausschuss einem Rückforderungsbescheid der KV nicht entgegensteht, da nur ordnungsgemäß wahrgenommene Kooperationsformen von den Vorteilen gegenüber Einzelpraxen profitieren sollen.

Eine unzulässige Vertragsgestaltung zwischen den Praxispartnern einer Gemeinschaftspraxis kann daher zu schwerwiegenden, insbesondere finanziellen Konsequenzen führen, und somit die Existenz der gesamten Praxis gefährden. Insbesondere in Fachbereichen, die jungen Ärzten hohe finanzielle Belastungen aufbürden, wie beispielsweise im Bereich der Radiologie, ist daher eine präzise und ausgewogene Gestaltung des Gesellschaftsvertrages von besonderer Wichtigkeit. Um dabei juristisch auf der sicheren Seite zu sein, sollten bei Vertragsverhandlungen die hier dargestellten, vom BSG aufgestellten Anforderungen zwingend beachtet werden. Daneben ist jedoch auch im Fall bereits bestehender Gemeinschaftspraxen eine Überprüfung der gesellschaftsvertraglich getroffenen Regelungen und der tatsächlichen Ausgestaltung zu empfehlen.

Auch wenn die vom BSG aufgestellten Anforderungen an die gemeinsame Berufsausübung prinzipiell zu begrüßen sind, da in der Vergangenheit das Instrument der Nullbeteiligung häufig zur wirtschaftlichen Benachteiligung der Juniorpartner geführt hat, so ist Kritik an der Rechtsprechung insoweit zu üben, als sich die Honorarrückforderung auf die gesamten Honorare der Gemeinschaftspraxis bezieht und zudem kein Abzug der Praxiskosten vorgenommen wird. Dies gilt insbesondere in den Fällen, wie dem vorliegendem, in denen die ärztlichen Leistungen gegenüber den Patienten vollständig und ohne Abstriche der Qualität erbracht worden sind. Bedenkt man, dass der Praxiskostenanteil in der Radiologie mittlerweile bei 70–80% liegt, erscheint die vollständige Rückforderung der Honorare als ein unverhältnismäßiger, weil existenzvernichtender, Eingriff in die Berufsfreiheit der betreffenden Ärzte. Darüber hinaus muss deutliche Kritik an den KVen bzw. Zulassungsgremien geübt werden, die sich bis heute die Praxisverträge nicht vorlegen lassen und diese keiner positiven Überprüfung unterziehen. Insbesondere in derartigen Fällen erscheint eine nachträgliche Berufung auf einen Gestaltungsmissbrauch der betreffenden KV als rechtsmissbräuchlich.

Schließlich stellt sich auch die Frage, warum die Anforderungen an eine „gemeinsame Berufsausübung“ insbesondere bei niedergelassenen Vertragsärzten derart überspannt gehandhabt werden, während dieses Kriterium im Bereich von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) größtenteils völlig außer Acht gelassen wird. Dies gilt sowohl hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung, als auch für die Frage, wie eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachgebiete in tatsächlicher Hinsicht zu erfolgen hat. Betrachtet man heute die Leistungserbringer, die nach § 95 SGB V als berechtigte Gründer eines MVZ infrage kommen, so hat dies nichts mehr mit der Erbringung von ärztlichen Leistungen durch freiberuflich tätige Ärzte zu tun. Darüber hinaus ist das Merkmal der Freiberuflichkeit auch im Bereich der niedergelassenen Ärzte durch die vielfältigen Möglichkeiten, angestellte Ärzte zu beschäftigen, derart aufgeweicht worden, dass man sich die Frage stellen muss, warum dieses Merkmal gerade bei der Zusammenarbeit in einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis vom BSG derart extensiv ausgelegt wird.

Die Vielzahl der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich durch die „Liberalisierung“ der Berufsausübung durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) von 2007 ergeben haben, werden für Vertragsärzte zum „Bumerang“, wenn ihnen jedes Detail ihrer Berufsausübung auf der Gesellschafterebene vorgeschrieben wird, zumal das Zivil- und Gesellschaftsrecht derartige Anforderungen nicht stellt und die Rechtswidrigkeit der Gestaltung aufgrund ungeschriebener gesetzlicher Vorgaben erfolgt. Letztlich lässt sich in einen unbestimmten Rechtsbegriff wie der „freien Praxis“ alles hineininterpretieren. Zu einer Förderung der Kooperationsmöglichkeiten führt eine derartige Rechtsprechung für die betroffenen Vertragsärzte mangels ausreichender Rechtssicherheit jedoch nicht.

RA Dr. Peter Wigge, Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwälte Wigge

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

Email: kanzlei@ra-wigge.de

URL: http://www.ra-wigge.de

RA Dr. Peter Wigge, Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwälte Wigge

Scharnhorststr. 40

48151 Münster

Phone: (0251) 53595-0

Fax: (0251) 53595-99

Email: kanzlei@ra-wigge.de

URL: http://www.ra-wigge.de