Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 8(2): 106-115
DOI: 10.1055/s-0031-1271536
St.-Gallen-Konferenz 2011

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

St.-Gallen-Konferenz 2011 zum primären Mammakarzinom

Meinungsbild deutscher Experten (Zürich 2011)Zurich Consensus: Statement of German Experts on St. Gallen Conference 2011 on Breast Cancer (Zurich 2011)Writing Committee: M. Untch (St.-Gallen-Panel-Mitglied) 1 , B. Gerber2 , V. Möbus3 , A. Schneeweiss4 , C. Thomssen5 , G. von Minckwitz (St.-Gallen-Panel-Mitglied) 6
Teilnehmer: M. W. Beckmann7 , J.-U. Blohmer8 , S.-D. Costa9 , K. Diedrich10 , I. Diel11 , W. Eiermann12 , K. Friese13 , N. Harbeck14 , J. Hilfrich15 (Moderation), C. Jackisch16 , W. Janni17 , F. Jänicke18 , W. Jonat19 , M. Kaufmann20 (St.-Gallen-Panel-Mitglied), M. Kiechle21 , U. Köhler22 , R. Kreienberg23 , N. Maass24 , N. Marschner25 , U. Nitz26 , A. Scharl27 , D. Wallwiener28
  • 1Klinik für Gynäkologie, HELIOS Klinikum Berlin Buch; Writing-Committee
  • 2Universitätsfrauenklinik Rostock; Writing-Committee
  • 3Frauenklinik am Klinikum Frankfurt-Höchst, Frankfurt / Main; Writing-Committee
  • 4Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) und Universitätsfrauenklinik Heidelberg; Writing-Committee
  • 5Universitätsklinik und Poliklinik für Gynäkologie, Halle (Saale); Writing-Committee
  • 6German Breast Group, Neu-Isenburg; Writing-Committee
  • 7Universitätsfrauenklinik Erlangen
  • 8St. Gertrauden Krankenhaus Berlin
  • 9Universitätsfrauenklinik Magdeburg
  • 10Universitätsfrauenklinik Lübeck
  • 11Gemeinschaftspraxis Gynäkologie und Geburtshilfe, Mannheim
  • 12Frauenklinik, Rotkreuzklinikum München
  • 13Universitätsfrauenklinik München
  • 14Brustzentrum Universitätsfrauenklinik Köln
  • 15Eilenriede-Klinik, Hannover
  • 16Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Klinikum Offenbach
  • 17Universitätsfrauenklinik Düsseldorf
  • 18Klinik und Poliklinik für Gynäkologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
  • 19Universitätsfrauenklinik Kiel
  • 20Universitätsfrauenklinik Frankfurt / Main
  • 21Frauenklinik Rechts der Isar der Technischen Universität München
  • 22Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Klinikum St. Georg gGmbH, Leipzig
  • 23Universitätsfrauenklinik Ulm
  • 24Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Aachen
  • 25Gemeinschaftspraxis für interdisziplinäre Onkologie und Hämatologie, Freiburg
  • 26Evangelisches Krankenhaus Bethesda, Mönchengladbach
  • 27Frauenklinik, Klinikum St. Marien, Amberg
  • 28Universitätsfrauenklinik Tübingen
Further Information

Prof. Dr. M. Untch

Helios Klinikum Berlin Buch

Schwanebecker Chaussee 50

13125 Berlin

Email: michael.untch@helios-kliniken.de

Publication History

Publication Date:
21 June 2011 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Alle 2 Jahre findet in St. Gallen die internationale Konsensuskonferenz zur Behandlung des primären Mammakarzinoms statt. Vor dem Hintergrund, dass das Konzept der St.-Gallen-Konsensuskonferenz v. a. ein internationales Meinungsbild widerspiegelt, erscheint es sinnvoll, die Abstimmungsergebnisse für den Therapiealltag in Deutschland zu konkretisieren. Eine Arbeitsgruppe von 28 Brustkrebsexperten, darunter 3 Mitglieder des internationalen St.-Gallen-Panels, hat daher die Abstimmungsergebnisse der diesjäh­rigen St.-Gallen-Konsensuskonferenz (2011) aus deutscher Sicht kommentiert. Inhaltlicher Schwerpunkt der diesjährigen St.-Gallen-Konferenz war die Tumorbiologie als Ausgangspunkt für die individuelle Therapieentscheidung. Intensiver Diskussionsbedarf bestand bei der klinischen Relevanz prädiktiver und prognostischer Faktoren und den möglichen Konsequenzen für die Therapieentscheidung. So fokussierten insbesondere die Fragen zur Indikation einer adjuvanten Chemotherapie auf die Bedeutung des molekularen Phänotyps des Tumors. Wichtige Diskussionspunkte waren darüber hinaus der Stellenwert der kompletten Axilladissektion und der Einsatz der beschleunigten Gesamtbrustbestrahlung.

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Abstract

Every 2 years, the International Consensus Con­ference on the Treatment of Primary Breast Cancer takes place in St. Gallen. Given that the concept of the St. Gallen Consensus Conference mainly reflects an international opinion, it appears useful to adapt the results of the vote for everyday therapy in Germany. A working group comprising 28 breast cancer experts, amongst whom there are 3 members of the international St. Gallen pan­el, has therefore commented on this year’s St. Gallen Consensus Conference (2011) from the German viewpoint. The focus of interest of this year’s St. Gallen Conference was tumour biology as the starting point for decisions regarding individual therapy. There was an intensive discussion in relation to the clinical relevance of predictive and prognostic factors and possible consequences for decisions regarding therapy. Therefore, questions concerning the indication for adjuvant chemo­therapy focused especially on the significance of the molecular phenotype of the tumour. In addi­tion, important points for discussion were also the value of complete axillary dissection and the use of accelerated complete breast irradiation.

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Einleitung

Die St.-Gallen-Konsensuskonferenz zur Diagnose und Behandlung des primären Mammakarzi­noms hat weltweite Bedeutung. Das Panel der diesjährigen 12. St.-Gallen-Konsensuskonferenz (16.-19. 3. 2011) bestand aus 49 Experten aus insgesamt 19 Ländern, darunter 4 Vertreter aus Deutschland. Die Empfehlungen basieren auf dem Votum der Panelisten, welche unterschied­liche Fachgebiete und Länder aller Kontinente mit teilweise sehr unterschiedlichen Gesundheitssystemen und Ressourcen repräsentieren. Es ist in diesen Rahmenbedingungen begründet, dass der Konsens im Wesentlichen ein Meinungsbild dieser Experten widerspiegelt, gleichwohl publi­zierte, evidenzbasierte Daten die Grundlage für die Einzelmeinung sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Abstimmungs­ergebnisse aus deutscher Sicht zu kommentieren. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus 28 Brustkrebsexperten, konkretisierte daher die Abstimmungsergebnisse von St. Gallen für den klinischen Alltag in Deutschland. Aufgrund der länderspezifischen Unterschiede haben nicht alle der in St. Gallen zur Abstimmung gestellten Fragen für die Therapiesituation in Deutschland die gleiche klinische Relevanz.

Im Fokus der diesjährigen St.-Gallen-Konsensuskonferenz stand die Tumorbiologie bzw. die Frage, ob bzw. inwieweit der dominierende Phänotyp der Tumorzellen Einfluss auf die individuelle Therapieentscheidung hat. Grundlage sind die in [Tab. 1] dar­gestellten Subtypen, die nach derzeitigem Kenntnisstand mit ­einer unterschiedlichen Tumorbiologie und für die Patientin mit einem unterschiedlichen Krankheitsverlauf assoziiert sind. Darüber ­hinaus wurden die operative, die strahlentherapeutische und die systemische Behandlung diskutiert und aktuelle Fragestellungen abgestimmt. Die zur Abstimmung gestellten Fragen wurden von den Panelisten mit „ja“ (Zustimmung), „nein“ (Ablehnung) oder „Enthaltung / weiß nicht“ beantwortet.

Tab. 1 Übersicht über die derzeit relevanten molekularen Mammakarzinomsubtypen. Die anhand der Genexpression definierten Subtypen sind häufig nicht ausschließlich assoziiert mit dem angegebenen Markerprofil (Quelle: [9]).
Basal-like BRCABasal-like spor.HER2+Luminal BLuminal A
ER−/PgR−ER−/PgR−ER−/PgR− (ER+/PR+)ER+/PgR−ER+/PgR+
G3G3G3 (G1, G2)G3 (G2)G1, G2
Ki-67: 50–60 %Ki-67: 50–60 % Ki-67: > 14 %Ki-67: < 14 %
HER2−/EGFR+HER2−/EGFR+HER2+HER2− (HER2+)HER2−
BRCA 1/2 pos.BRCA 1/2 neg.
P53/cMYC ↑P53/cMYC ↑

Die deutsche Arbeitsgruppe weist auf 2 Punkte hin: (1) Mit dem zunehmenden Stellenwert der Tumorbiologie bzw. Phänotypisierung des Tumors kommt der Histopathologie eine immer größere Bedeutung zu. Validierte und standardisierte Qualitätssicherungskonzepte in der Pathologie, wie z. B. die konsequente Durchführung von Ringversuchen, sind nun wichtiger denn je. (2) Die Teilnahme an kontrollierten klinischen Studien hat einen hohen Stellenwert und sollte weiter forciert werden. Dies gilt auch für zahlreiche therapeutische Fragestellungen, über die in St. Gallen ein Meinungsbild erhoben wurde. Einzelne Studien werden jedoch im Folgenden nur in Ausnahmefällen explizit erwähnt.

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Prognostische und prädiktive Faktoren

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Phänotypen charakterisieren

Auf die Frage, ob sich Brustkrebssubtypen ausschließlich – ohne den Einsatz eines Multigen-Assays – über die Immunhistologie anhand der derzeit verfügbaren und reproduzierbaren pathologischen Parameter – Hormonrezeptor- und HER2-Status, Grading, Ki-67 – definieren lassen, votierte eine deutliche Mehrheit der Panelisten in St. Gallen mit „ja“. Die deutsche Arbeitsgruppe stimmt dem zu, merkt aber an, dass der Proliferationsfaktor Ki-67 bisher kein Standardmarker war, jedoch – entsprechend der AGO-Empfehlung 2011 – von Nutzen sein kann. Neben methodischen Problemen bei der Messung von Ki-67 sind die Schwellenwerte nach wie vor nicht zweifelsfrei definiert. Als gesichert gilt, dass ein immunhistochemisch gemessener Ki-67-Wert ≤ 10 % eine niedrige Proliferationsrate signalisiert und mit einer guten Prognose assoziiert ist. Die Ki-67-Bestimmung eignet sich daher z. B., um Mammakarzinome vom Luminal-A- (Ki-67 ≤ 10 %) und Luminal-B-Typ besser zu differenzieren. Unklar bleibt der Cut-off-Wert (wahrscheinlich ab 14 %), ab wann ein Tumor als hoch proliferativ einzustufen ist. Nach wie vor fehlen entsprechende Daten aus prospektiv randomisierten Studien sowie zur standardisierten Bestimmung von Ki-67.

Entsprechend stimmen die St.-Gallen-Panelisten und die deutschen Experten überein, dass die Konstellation der Hormon­rezeptorexpression (ER+ / PgR−) und / oder eine hohe Ki-67-Expression und / oder ein G3-Grading sowie die HER2-Positivität derzeit die besten verfügbaren Surrogatmarker sind, um ein ­Luminal-B- von einem Luminal-A-Mammakarzinom zu differenzieren. Ein Mammakarzinom vom Luminal-A-Typ lässt sich über den deutlich positiven Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus (ER+ / PgR+), eine fehlende HER2-Überexpression und einen niedrigen Ki-67-Wert definieren. Die deutschen Experten weisen jedoch darauf hin, dass sich derzeit allein aufgrund der Typisierung in Luminal A oder B keine unmittelbaren therapeutischen Konsequenzen ergeben. Die St.-Gallen-Panelisten bestätigten dies in einer späteren Abstimmung zum klinischen Stellenwert molekularer Genexpressionsanalysen. Die Marker für die Definition eines Mammakarzinoms vom Basaltyp (basal-like), die Zytokeratine 5 und 6 (CK5 / 6) und / oder die EGFR-Expression, sind noch nicht in der klinischen Routine validiert.

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HER2-Überexpression

Um eine HER2-Positivität zu definieren, votierten 68 % der St.-Gallen-Panelisten dafür, die FDA-Definition einzuhalten: Danach müssen über 10 % der Tumorzellen immunhistochemisch positiv sein oder im FISH eine HER2-Gen / Zentromer17-Ratio > 2,2 vorliegen. Die FDA-Definition basiert auf den Einschlusskriterien der adjuvanten Trastuzumabstudien bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom. Die deutschen Experten weisen darauf hin, dass nach retrospektiven Untersuchungen sogar diese Werte zu hoch liegen könnten und auch Patientinnen mit niedrigerer HER2-Expression eventuell von einer Anti-HER2-Therapie profitieren. Die deutsche Arbeitsgruppe empfiehlt dennoch, sich weiterhin an der AGO-Empfehlung (2011) bzw. den ASCO/CAP-Guidelines (2007) zu orientieren. Danach liegt ein HER2-positives Mammakarzinom bei ≥ 30 % immunhistochemisch nachgewiesener HER2-positiver Tumorzellen (IHC3+) bzw. bei einer FISH-Ratio ≥ 2,2 vor. Bei einer HER2-Expression > 10 % bis < 30 % (IHC2+) wird zusätzlich die FISH- / CISH-Analyse empfohlen.

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Molekulare Genexpressionsanalyse

Die deutschen Experten stimmen der Mehrheitsentscheidung der St.-Gallen-Panelisten zu, dass die Therapieentscheidung nicht anhand einer molekularen Genexpressionsanalyse und des darüber definierten Tumorsubtyps getroffen werden sollte. Sie verweisen darauf, dass ein intrinsischer Tumortyp kein stan­dardisierter prädiktiver Faktor ist und die Zuordnung zu einem bestimmten Tumortyp aufgrund eines Genexpressionsprofils nicht für die Indikation einer bestimmten adjuvanten Systemtherapie qualifiziert. Diese ist auch kein Prädiktor für das Ansprechen auf ein bestimmtes Chemotherapieregime oder bestimmte Zytostatika. Die St.-Gallen-Panelisten und die deutschen Experten bestätigen damit, dass sich derzeit der Phänotyp im klinischen Alltag in der Regel ausreichend sicher durch nicht genetische Tests bestimmen lässt, wie z. B. das Grading, den Hormonrezeptor- und HER2-Status sowie die Ki-67-Bestimmung.

Anders als vor 2 Jahren wurden die beiden molekularen Tests Onco­type DX® und Mammaprint® dieses Jahr von den Panelisten unterschiedlich bewertet, obwohl keine neuen Studiendaten vorliegen. Während eine deutliche Mehrheit (84 %) der Panelisten dafür votierte, dass Oncotype DX® bei Patientinnen mit hormonsensitivem Mammakarzinom eingesetzt werden kann (so verfügbar), um ein Ansprechen auf eine CMF-Chemotherapie vorher­zusagen, lehnte die Mehrheit der Panelisten (64 %) den Einsatz von Mammaprint® diesbezüglich ab. Das St.-Gallen-Panel nahm keine Stellung, bei welchen Patientinnen oder wie häufig eine solche Zusatzbestimmung notwendig ist.

Das unterschiedliche Votum der St.-Gallen-Panelisten ist insofern bemerkenswert, als für beide Testsysteme vergleichbare retrospektive Daten vorliegen. Die deutschen Experten führen die unterschiedliche Bewertung beider Tests auf logistische Pro­bleme zurück, da Mammaprint® an Frischgewebe durchgeführt wird. Das positive Votum für Oncotype DX® wurde von den deutschen Experten kontrovers diskutiert, da bislang für beide Tests nur Daten aus retrospektiven Untersuchungen vorliegen. Aus deutscher Sicht wird die Studienteilnahme empfohlen, solange keine positiven prospektiven Daten vorliegen. Oncotype DX® sollte außerhalb klinischer Studien nur im Einzelfall zusätzlich zu den klinischen und histopathologischen Parametern eingesetzt werden. Der Test kann im Einzelfall hilfreich sein, z. B. bei Patientinnen mit positivem Hormon- und negativem HER2-Status und keinem oder 1–3 befallenen Lymphknoten (pN0, pN1a). Hier zeigen retrospektive Daten, dass Patientinnen mit niedrigem Recurrence-Score- (gilt für pN0 und pN1a) bzw. niedrigem und intermediärem Recurrence-Score-Risiko (gilt für pN0) keinen Vorteil von einer adjuvanten Chemotherapie haben [1] [2] . Beide Tests sind keine Kassenleistung.

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uPA/PAI-1-Bestimmung

Die Bestimmung von uPA/PAI-1 als prädiktiver Faktor für bzw. gegen den Einsatz einer Chemotherapie wurde in St. Gallen von den Panelisten mehrheitlich (50 %) abgelehnt bei 27 % Enthaltungen und 23 % Zustimmungen. Die deutschen Experten stimmen dem nicht zu. Aufgrund der Datenlage (LOE 1a) sehen sie in uPA / PAI-1 valide, standardisierte und evidenzbasierte Prognose- und Prädiktionsfaktoren für Patientinnen mit nodal negativem Mammakarzinom und intermediärem Risikoprofil (z. B. pN0 G2), was durch prospektive Daten belegt ist. Dies entspricht auch der AGO-Empfehlung 2011. uPA/PAI-1 muss aus Frischgewebe bestimmt werden.

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Lokale Therapie des Mammakarzinoms

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Axilladissektion

Im Fokus der Abstimmungen zur lokoregionären Therapie des primären frühen Mammakarzinoms standen in St. Gallen der Stellenwert der kompletten Axilladissektion und die Art der lokalen Brustbestrahlung. Keine Abstimmung gab es zur Operation der Brust.

Mit deutlicher Mehrheit (71 %) lehnten die St.-Gallen-Panelisten die immunhistochemische Beurteilung des Sentinel-Lymph­knotens (SLN) als Routinevorgehen ab. Über 90 % der Panelisten sehen bei ausschließlich immunhistochemischem Nachweis von isolierten Tumorzell-Clustern (ITC bzw. pN0[i+]) keine Indikation für eine komplette Axilladissektion – unabhängig davon, ob die Patientinnen mastektomiert oder brusterhaltend operiert werden ([Tab. 2]). Die deutschen Experten stimmen jeweils zu und verweisen darauf, dass die immunhistochemische Beurteilung des SLN keine klinische Bedeutung hat. Für die Therapieentscheidung ist die Tumorbiologie entscheidend.

Tab. 2 Operative Therapie Axilladissektion (Angaben in %). Voraussetzung: klinisch/sonografisch unauffällige axilläre Lymphknoten vor invasiven Maßnahmen. Keine Abstimmung zu Makrometastasen und BET.

SLN

ja

nein

?

dt. Kommentare

Routine IHC des SLN1 erforderlich

22

71

 7

keine IHC des SLN erforderlich, da keine Relevanz

ALNE2 erforderlich bei ITC3 und BET-/MRM-Indikation

 0

93

 7

weder bei BET noch MRM erforderlich

  • ALNE bei ITC LK-Mark/-Sinus

 0

98

 2

keine Bedeutung

  • ALNE bei pN0(i+)

 4

91

 2

N0(i+) = ITC < 0,2 mm

  • ALNE bei pN1mi

19

77

 5

Mikrometastase: 0,2–2 mm

MRM + ALNE bei pN1a

71

17

12

keine Daten für MRM und Vermeidung ALNE bei pN1a-SLN

1 Sentinel Lymph Node, 2 axilläre Lymphonodektomie, 3 isolierte Tumorzell-Cluster.

Fokussiert auf Patientinnen nach brusterhaltender Operation sehen die St.-Gallen-Panelisten – im Gegensatz zur Abstimmung von vor 2 Jahren – weder den Nachweis von ITCs noch von Mikrometastasen (pN1mi) im SLN als Indikation für eine komplette Axilladissektion. Kritisch anzumerken ist, dass die in St. Gallen in den Fragen verwendeten Definitionen von ITC und Mikro­metastasen nicht der internationalen UICC-Klassifikation entsprachen. Da die Mehrheit der Panelisten jedoch bis zu einer Herdgröße von 2 mm (= oberer Cut-off für Mikrometastasen) im SLN eine komplette Axilladissektion ablehnte, ist das Abstimmungsergebnis im Endeffekt klar: Nach brusterhaltender Operation wird bei klinisch und sonografisch unauffälliger Axilla trotz Nachweis von ITC oder Mikrometastasen im SLN keine komplette Axilladissektion empfohlen.

Die deutschen Experten stimmen dem in Analogie zur aktuellen AGO-Empfehlung ([Tab. 3]) zu und spezifizieren wie folgt: Auf eine komplette Axilladissektion kann verzichtet werden, wenn folgende Bedingungen ausnahmslos erfüllt sind: Klinisch und sonografisch unauffälliger axillärer Lymphknotenstatus (cN0), ≤ 2 tumorinfiltrierte SLN (Makrometastasen), brusterhaltende Operation, cT1/2, tangentiales Bestrahlungsfeld der Brust und adäquate adjuvante Systemtherapie. Die deutschen Experten betonen, dass diese Patientinnen umfassend über die Datenlage aufgeklärt werden müssen. Ein Extra-Strahlentherapiefeld der Axilla inkl. der Lymphabflusswege ist nicht indiziert [3]. Bei mastektomierten Patientinnen und positiver SLN-Biopsie besteht weiterhin eine Indikation zur axillären Lymphonodektomie. Die Arbeitsgruppe weist außerdem darauf hin, dass die international validierten Definitionen, wann isolierte Tumorzell-Cluster und wann Mikrometastasen vorliegen, zu beachten sind. Zum Vor­gehen bei Makrometastasen im SLN wurde in St. Gallen nur für mastektomierte Patientinnen abgestimmt. In diesem Fall, so die übereinstimmende Meinung der St.-Gallen-Panelisten (> 70 %) und der deutschen Experten, muss (noch) eine komplette Axilladissektion erfolgen.

Tab. 3 AGO-Empfehlung zur Lymphknotenentfernung in der Axilla (www.ago-online.de).

Oxford/AGO
LoE/GR

axilläre Lymphknotendissektion (Entfernung von 10+ LK)

+ +

  • Endpunkt: Überleben

1a

D

+/−

  • Endpunkt: Staging

1a

A

+ +

  • Endpunkt: lokale Tumorkontrolle

2a

A

+ +

axilläre Lymphknotendissektion (Entfernung von 10+ LK) bei:

  • DCIS

2b

B

− −

  • klinisch cT1/2 cN0 (ohne vorangegangene SNB)

1b

A

− −

  • SN+ (cT1/2 cN0, < 3 SN+, BET+ tangentiale Radiatio, keine alternative axilläre Radiatio)

1b

A

+/−

  • SN+ (mic)

2a

A

+/−

  • SN (i+)

2b

B

− −

  • SN+ (Mastektomie > cT1/2)

1b

B

+ +

  • SN+ (Mastektomie ≤ cT1/2)

3b

B

+

Das endgültige Manuskript des St. Gallen Consensus 2011 wird in Kürze erscheinen. Darin wird explizit zur oben angegebenen Konstellation (1–2 makrometastatisch befallene Lymphknoten) und brusterhaltenden Therapie Stellung genommen.

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Strahlentherapie nach brusterhaltender Operation

Mit deutlicher Mehrheit (68 %) bestätigten die Panelisten in St. Gallen die Strahlentherapie als Standard nach brusterhaltender Operation für Patientinnen mit R0-reseziertem DCIS ([Tab. 4]). Die deutschen Experten stimmen dem zu. Die postoperative Bestrahlung senkt das Lokalrezidivrisiko um mehr als die Hälfte. Bei älteren DCIS-Patientinnen (≥ 70 Jahre) votierten die Panelisten mehrheitlich dafür, dass auf die Bestrahlung verzichtet werden kann. Die deutsche Arbeitsgruppe stimmt zu, weist aber einschränkend darauf hin, dass dies nur unter individueller Nutzen- / Risiko-Abwägung geschehen sollte. Mehrheitlich votierten die St.-Gallen-Panelisten dafür, dass ein DCIS mit niedrigem Grading ein Grund sein kann, auf die postoperative Bestrahlung zu verzichten. Die deutschen Experten sprechen sich gegen dieses Votum aus und empfehlen auch hier die individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung mit dem Hinweis, dass sich Niedrigrisikopatientinnen nicht immer zweifelsfrei identifizieren lassen.

Tab. 4 Radiotherapie nach a) duktalem Carcinoma in situ (DCIS) und brust­erhaltender Therapie (BET), b) invasivem duktalen Karzinom (IDC) und BET (Angaben in %).

ja

nein

?

dt. Kommentare

a) DCIS und BET

für alle Patienten mit sicherer R0-Resektion

68

24

 8

RT halbiert lokoreg. Rez.-Risiko, aber nicht Gesamtüberleben

RT weglassen bei „älterer“ Patientin (> 70 J.)

58

33

 8

ja, unter individueller Risikoabwägung

RTweglassen bei „meisten“ Patientinnen mit Low-Risk- / Low-Grade-DCIS

62

32

 6

nein, nur unter individueller Risikoabwägung

b) IDC und BET

akzelerierte WBRT eine akzept. Option

92

 4

 4

Verkürzung der RT-Zeit von 30 auf 16 Tage [4]

bei LVI „standard“ RT bevorzugen

34

33

33

Einzelfalldiskussion, nur unter individueller Risikoabwägung

Bei der Art der Bestrahlung eines invasiven Karzinoms bewerteten die Panelisten die akzelerierte Gesamtbrustbestrahlung (WBRT) mit deutlicher Mehrheit (92 %) als eine akzeptable Op­tion. Die deutsche Arbeitsgruppe stimmt dem zu, präzisiert aber, dass die beschleunigte WBRT bestimmten klinischen Situationen vorbehalten ist [4]. Ein Vorteil der beschleunigten WBRT ist die deutlich verkürzte Therapiedauer von 6 Wochen auf 16 Tage.

Keine Einigkeit zeigte das Abstimmungsergebnis in St. Gallen bei der Frage, ob die Standardbestrahlung der Brust bei Patientinnen mit invasivem Mammakarzinom und ausgedehnter vaskulärer Invasion bevorzugt eingesetzt werden sollte. Das kontroverse Abstimmungsergebnis verdeutlicht, dass derzeit keine harten Daten zu dieser Fragestellung vorliegen. Die deutschen Experten sprachen sich daher dafür aus, dies im Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten klinischen Situation und unter individueller Nutzen-Risiko-Abwägung zu entscheiden.

Die Mehrheit der St.-Gallen-Panelisten (49 vs. 36 %) bewertete die intraoperative Teilbrustbestrahlung (PBRT) nach brusterhaltender Operation als definitive Bestrahlungstherapie für aus­reichend, sodass keine externe Bestrahlung (Boost, Ganzbrust­bestrahlung) erforderlich ist. Die deutschen Experten haben ­diesen Punkt kontrovers diskutiert. Aufgrund der niedrigen Eventrate (Lokalrezidive) und der relativ kurzen Nachbeobachtungszeit kann keine generelle Empfehlung für die PBRT gegeben werden. Weitere Studienergebnisse müssen abgewartet werden. Die Studienteilnahme wird empfohlen, z. B. in den Target-Stu­dien. Einigkeit besteht, dass die intraoperative PBRT bei brust­erhaltender Operation eine akzeptable Alternative zur externen Boost-Bestrahlung auf das Tumorbett darstellt. Darüber hinaus sehen die St.-Gallen-Panelisten in der (intraoperativen) PBRT eine Option für ältere Patientinnen (> 70 Jahre). Die deutschen Experten stimmen dem als „kann“-Option für den Einzelfall zu. Kontrovers war die St.-Gallen-Meinung, ob die (intraoperative) PBRT auch für Patientinnen eine Option ist, die aufgrund einer früheren Lymphomerkrankung eine Mantelfeld-Bestrahlung erhalten haben. Die deutschen Experten empfehlen, dies mit der Patientin und den Fachkollegen aus der Strahlentherapie zu diskutieren. Eine nochmalige Bestrahlung ist nicht grundsätzlich auszuschließen.

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Strahlentherapie nach Mastektomie

Einigkeit besteht, dass die adjuvante Bestrahlung für mastektomierte Patientinnen mit 4 und mehr befallenen Lymphknoten Standard ist. Keine generelle Empfehlung für die postoperative Bestrahlung gaben die St.-Gallen-Panelisten für mastektomierte Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten sowie für jene ohne Lymphknotenbefall und ≥ pT2-Tumor. Die deutschen Experten empfehlen, die Indikation bei 1–3 befallenen Lymphknoten in Anlehnung an die AGO-Empfehlung 2011 vom Alter der Patientin und weiteren Risikofaktoren abhängig zu machen (LOE 1a GR+). Deutlich heterogener war das Abstimmungsergebnis bei jungen Patientinnen (< 45 Jahre) bzw. jenen mit ausgedehnter vaskulärer Invasion (Lymph- bzw. Hämangiosis carcinomatosa, d. h. L1 und/oder V1 in der Tumorformel) und jeweils 1–3 befallenen Lymphknoten. Mit knapper Mehrheit wurde in beiden Situationen eine routinemäßige postoperative Bestrahlung nach Mastektomie empfohlen. Nach Ansicht der deutschen Experten sind die beschriebenen klinischen Situationen „kann“-Kriterien. Aufgrund fehlender klinischer Daten ist die Indikation zur postoperativen Bestrahlung in diesen Fällen individuell zu stellen (vgl. AGO-Empfehlung 2011).

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Adjuvante antihormonelle Behandlung

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Prämenopausale Patientin

Ein hormonsensitives Mammakarzinom liegt vor, wenn ≥ 1 % der Tumorzellen östrogenrezeptorpositiv (ER+) sind. Für die prä­menopausale Patientin mit hormonsensitivem primärem Mammakarzinom ist sowohl die alleinige Behandlung mit Tamoxifen (± Chemotherapie) als auch die Kombination aus Tamoxifen plus Ovarialfunktionssuppression (OFS) möglich. Die Kombination aus Tamoxifen plus OFS (LHRH-Antagonist) ist der alleinigen Tamo­xifengabe (± Chemotherapie) allerdings nicht überlegen. Die deutsche Arbeitsgruppe stimmt hier jeweils der Mehrheit der Panelisten in St. Gallen zu. Die deutschen Experten konkretisieren, dass aufgrund der Datenlage die alleinige Behandlung mit Tamoxifen unabhängig davon ausreicht, ob eine therapieinduzierte Amenorrhö vorliegt oder nicht. Die Kombination Tamoxifen plus OFS nach adjuvanter Chemotherapie ist, wenn überhaupt, eine Option für junge Patientinnen unter 40 Jahre. Ob bzw. welche Patientinnen tatsächlich von der zusätzlichen Gabe eines LHRH-Analogons profitieren, müssen die Daten der SOFT- und der TEXT-Studie zeigen.

Über 70 % der St.-Gallen-Panelisten sehen in der alleinigen OFS eine Therapieoption für prämenopausale Patientinnen, wenn Kontraindikationen gegen Tamoxifen vorliegen ([Tab. 5]). Aus deutscher Sicht kann die alleinige OFS im Einzelfall eine Alternative zu Tamoxifen bei Frauen mit einer klinisch relevanten Kontraindikation gegen Tamoxifen, z. B. Thrombose oder Embolie, darstellen.

Tab. 5 Endokrine Therapie bei der prämenopausalen Patientin (Angaben in %).

Prämenopause

ja

nein

?

dt. Kommentare

Tamoxifen allein ist Standard

94

 6

 0

Standard bei ER + (> 1 % Zellen) unabh. von Chemo (AGO + +)

OFS1 + Tamoxifen

83

12

 5

bei Patientinnen < 40 J. ± Chemo (AGO +)

OFS + Tamoxifen besser als Tamoxifen

28

57

15

Tamoxifen ausreichend unabh. von Chemo, bei Patientinnen < 40 J. VT mögl.

OFS allein bei Tamoxifen-Kontraindikat.

72

26

 2

ja, bei Patientinnen ohne adjuv. Chemo, unsicherer Datenlage

OFS + AH bei Tamoxifen-Kontraindikat.

76

13

11

alleinige OFS (GnRH) zu bevorzugen

CYP2D6-Testung vor Tamoxifen

 2

98

 0

keine Testung

1 Ovarialfunktionssuppression mit GnRH.

Kontrovers diskutiert wurde, ob die alleinige OFS auch eine Alternative für Patientinnen nach vorangegangener adjuvanter Chemotherapie ist. Wenn keine anderen antihormonellen Thera­piealternativen zur Verfügung stehen, wurde dem mehrheitlich zugestimmt und auf die unsichere Datenlage verwiesen. Hinzuweisen ist darauf, dass die Metaanalyse der EBCTCG [5] für Patientinnen nach adjuvanter Chemotherapie keinen Effekt einer OFS gezeigt hat. Im Gegensatz zu den St.-Gallen-Panelisten sehen die deutschen Experten in der Kombination OFS plus Aromatasehemmer keine Alternative, da bei erhöhtem Nebenwirkungsspektrum bislang kein medizinischer Zusatznutzen belegt ist. Kontrovers diskutierten die deutschen Experten, ob mit Blick auf das Nebenwirkungsspektrum die Kombination Tamoxifen mit Antikoagulation eine Option ist.

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Postmenopausale Patientin

Ein Wandel zeigte sich beim Abstimmungsergebnis gegenüber St. Gallen 2009 bez. des Stellenwerts der Aromatasehemmer bei postmenopausalen Patientinnen mit hormonsensitivem frühem Mammakarzinom. Auf die Frage, ob grundsätzlich alle postmenopausalen Patientinnen im Laufe der antihormonellen Behandlung einen Aromatasehemmer (AH) erhalten müssen, votierten lediglich 50 % mit „ja“ ([Tab. 6]). Aus deutscher Sicht sollten die meisten postmenopausalen Patientinnen zumindest 2 bis 3 Jahre einen AH erhalten (vgl. AGO-Empfehlung 2011). Eine deutliche Mehrheit der Panelisten (79 %) votierte dafür, dass postmenopausale Patientinnen mit Lymphknotenbefall im Allgemeinen einen AH erhalten sollten. Die deutschen Experten stimmen dem zu.

Tab. 6 Endokrine Therapie bei der postmenopausalen Patientin (Angaben in %).

Postmenopause

ja

nein

?

dt. Kommentare

AH1 für alle Patientinnen

50

50

 0

2–3 Jahre (AGO + +), Risiko, Alter

alle N+ Patientinnen AH

79

21

 0

AH gefolgt von Tamoxifen (AGO + +)

nur Tamoxifen

89

11

 0

im Senium, AH-Unverträglichkeit, Osteo­porose, Rezidivrisiko ↓

wenn AH indiziert, dann Upfront

41

52

 7

Daten für AH Upfront und beide Sequenzen: AH → Tamoxifen, Tamoxifen → AH

Wechsel auf Tamoxifen bei AH-Unverträglichkeit

98

0

 2

ja

bei N+ länger 5 J. AH

34

55

11

keine Daten, nein

< 55 J. unabhängig von N-Status > 5 J. AH

 5

86

 9

Alter ≠ MP-Status, AH nicht in peri-MP indiziert, Frauen, die < 5 J. Tamoxifen post-MP geworden, profitieren von 5 Jahren AH

1 Aromatasehemmer.

Gleichwohl votierten die St.-Gallen-Panelisten mit deutlicher Mehrheit dafür, dass die alleinige Gabe von Tamoxifen nach wie vor eine Option darstellt. Aus deutscher Sicht kann eine alleinige Tamoxifenindikation bestehen, z. B. bei Patientinnen im Senium, bei Unverträglichkeiten gegen AH, bei ausgeprägter Osteoporose oder bei niedrigem Rezidivrisiko (kleiner Tumor, N0, G1). In einer späteren Frage wurde dies insofern durch die St.-Gallen-Panelisten untermauert, als 98 % in Tamoxifen eine Alternative bei Unverträglichkeiten gegenüber einem AH sehen. Dem stimmen die deutschen Experten zu.

Ist ein AH indiziert, würden ihn 52 % der St.-Gallen-Panelisten nicht Upfront geben. Die deutsche Arbeitsgruppe kommentiert, dass es sowohl für den Upfront-Einsatz als auch die sequenzielle Gabe des AH vor oder nach Tamoxifen valide Studiendaten gibt, sodass alle 3 Optionen im klinischen Alltag möglich sind.

Einigkeit besteht, dass ein AH nicht länger als 5 Jahre gegeben werden sollte. Auch bei Patientinnen mit Lymphknotenbefall lehnen die Panelisten mehrheitlich (55 %) eine längere Behandlung mit AH ab. Die deutschen Experten stimmen dem zu, da keine Daten aus kontrollierten klinischen Studien vorliegen, die den Einsatz der AH über 5 Jahre hinaus rechtfertigen, und empfehlen die Studienteilnahme, z. B. in der SOLE-Studie (www.german­breastgroup.de). Bei prä- und perimenopausalen Patientinnen sind AH nicht indiziert.

#

Bedeutung der CYP2D6-Bestimmung und des HER2-Rezeptors

Einigkeit besteht, dass die CYP2D6-Bestimmung keine Rele­vanz für die Entscheidung hat, ob postmenopausale Patientinnen einen AH oder Tamoxifen erhalten sollen. Daten zur CYP2D6-Bestimmung bei prämenopausalen Patientinnen liegen nicht vor. Die deutschen Experten empfehlen für Patientinnen die Teilnahme an der Registerstudie aus Tübingen.

Die Frage, ob die Therapieentscheidung für oder gegen AH bzw. Tamoxifen von biologischen Tumorvariablen abhängig gemacht werden sollte, stimmten die Panelisten kontrovers ab. Aus deutscher Sicht entspricht dies der klinischen Wirklichkeit, da pro­spektive Daten aus kontrollierten klinischen Studien fehlen. In der Regel erhalten postmenopausale Patientinnen mit hormonsensitivem Mammakarzinom und erhöhtem Risikoprofil einen AH.

Die deutschen Experten stimmen den St.-Gallen-Panelisten zu, dass Patientinnen mit hormonsensitivem und zugleich HER2-überexprimierendem Mammakarzinom zusätzlich eine Chemotherapie benötigen. Bei postmenopausalen Patientinnen sollte die HER2-Überexpression keinen Einfluss auf die nachfolgende endokrine Therapieentscheidung haben. Derzeit liegen keine validierten Studiendaten vor, wonach die Patientinnen vom AH stärker profitieren als von Tamoxifen. Einigkeit besteht auch, dass Übergewicht keine Kontraindikation gegen AH ist. Die deutschen Experten weisen darauf hin, dass die Datenlage zu dieser Frage widersprüchlich ist ([Tab. 7]).

Tab. 7 Endokrine Therapie in besonderen Situationen (Angaben in %).

HER2+ / Adipositas

ja

nein

?

dt. Kommentare

HER2+ auch bei ER+ immer Chemo

85

11

 4

ja, Ausnahmen: Alter, pT ≤ 1a, Komorbidität

Post-MP HER2+: AH > Tamoxifen

 4

84

10

AH nicht effektiver als Tamoxifen, endokrine Therapie alleine generell weniger effektiv

Post-MP Adipositas = Kontraindikat. für AH

11

76

13

keine eindeutige Datenlage

#

Adjuvanter Einsatz von Bisphosphonaten

Der adjuvante Einsatz der Bisphosphonate ist durch die AZURE-Daten erneut in die Diskussion geraten. Gleichwohl betonen die deutschen Experten, dass die Patientinnen unabhängig vom Menopausenstatus und der übrigen adjuvanten Therapie vom Einsatz eines Bisphosphonats als Bestandteil einer adjuvanten Tumortherapie profitieren können. Für die Mehrheit der adjuvant mit einem Bisphosphonat behandelten Patientinnen zeigt die klinische Datenlage, dass die zusätzliche adjuvante Behandlung mit einem Bisphosphonat die Rezidivwahrscheinlichkeit reduziert, was sich in einzelnen Studien auch in einer niedrigeren Mortalitätsrate niederschlug. Aktuell wird postuliert, dass insbesondere östrogendefiziente Patientinnen, also jene mit einem aktivierten Knochenstoffwechsel, von der adjuvanten Bisphosphonatgabe zu profitieren scheinen. Das sind z. B. Patientinnen, die seit über 5 Jahren postmenopausal sind.

Die in St. Gallen zur Abstimmung gestellten Fragen fokussierten auf das Bisphosphonat Zoledronat. Die Frage, ob prämenopausale Patientinnen zusätzlich zur adjuvanten endokrinen Therapie mit oder ohne OFS Zoledronat erhalten sollten, verneinten die St.-Gallen-Panelisten mehrheitlich (81 %) ([Tab. 8]). Die deutschen Experten stimmen zu, weisen aber darauf hin, dass ein onkolo­gischer Vorteil von der zusätzlichen Bisphosphonatgabe bei ­Patientinnen ohne adjuvante Chemotherapie validiert ist. Die St.-Gallen-Panelisten lehnten darüber hinaus auch für die postmenopausale Patientin die zusätzliche Gabe von Zoledronat zur adjuvanten endokrinen Behandlung ab. Diesem 2. Votum widersprechen die deutschen Experten mit Verweis auf die klinische Datenlage. Die AGO-Leitlinie 2011 vergibt hier für postmenopausale Patientinnen eine klare Empfehlung (Zoledronat).

Tab. 8 Adjuvanter Einsatz von Bisphosphonat Zoledronat und RANK-Liganden Denosumab (Angaben in %).

Bisphosphonate

ja

nein

?

dt. Kommentare

für alle Prä-MP unabhängig von OFS

11

81

 8

onkolog. Vorteil wurde nur bei Patientinnen ohne adjuvante Chemo gesehen

für alle Post-MP mit endokriner Therapie

21

72

 7

ZoFast, AZURE-Subgruppe: können von Zoledronat profitieren

Denosumab anstelle von Zoledronat

 2

83

15

keine Daten

Zoledronat alle 6 Mo. während endokriner Th. verbessert DFS

23

65

12

positive Studiendaten (ZoFast, AZURE-Subgruppe), aber keine Zulassung

In 2 weiteren Abstimmungen verneinten die St.-Gallen-Panelisten, dass Zoledronat – alle 6 Monate zusätzlich zur adjuvanten endokrinen Therapie appliziert – die krankheitsfreie Überlebenszeit der Patientinnen verbessert. Für die seit mehreren Jahren postmenopausalen Patientinnen lehnten dies immerhin noch 44 % der Panelisten ab bei 23 % Enthaltungen. Beide Voten lehnen die deutschen Experten mit Verweis auf die positive klinische Daten­lage ab. – Keine Indikation besteht derzeit für den RANK-Ligan­den Denosumab in der adjuvanten Situation. Studiendaten, die eine Substitution von Zoledronat durch Denosumab rechtfertigen, liegen nicht vor.

#

Adjuvante Chemotherapie

#

Chemotherapieindikation bei positivem Hormonrezeptorstatus

Der Fokus bei der adjuvanten Chemotherapie lag in St. Gallen darauf, welchen Einfluss die konventionellen Risikofaktoren, aber auch die biologischen Variablen auf die Therapieentscheidung haben. Bei Mammakarzinompatientinnen sind laut St. Gallen unab­hängig vom Nodalstatus das Grading (G3-Tumor), ein erhöhter Ki-67-Wert (> 14 %), eine niedrige Hormonrezeptorexpression (< 50 %), ein positiver HER2-Status sowie ein invasiv duktales triple-negatives Mammakarzinom (TNBC: ER−, PgR−, HER2−) Indikatoren für den Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie. Nota bene: Histologische Sonderformen wie z. B. das adenoid-zystische Karzinom sind auch für alle 3 Rezeptoren negativ, weisen jedoch eine gute Prognose auf. Diese Sonderformen sind den TNBC nicht zuzuordnen.

Die deutschen Experten kommentieren, dass das Grading in klinischen Studien einer der härtesten Prognose- und Prädiktionsfaktoren ist. Der Proliferationsfaktor Ki-67 kann insbesondere bei hormonrezeptorpositiven G1-, G2-Tumoren ein zusätzliches Entscheidungskriterium sein (Unterscheidung zwischen Luminal-A- und -B-Tumoren). Problematisch sind – wie bereits diskutiert (s. o.) – die heterogenen, nicht standardisierten Messverfahren für Ki-67 und der bislang nicht einheitlich definierte Cut-off-Wert für eine hohe Proliferation.

Der in St. Gallen festgelegte Cut-off-Wert für eine geringe Hormonrezeptorexpression von < 50 % ist aus deutscher Sicht arbiträr. Prospektive Daten gibt es dazu nicht. Grundsätzlich gilt: Je niedriger die Hormonrezeptorexpression, desto höher ist die Wirksamkeit einer Chemotherapie. Der Nachweis einer HER2-Überexpression ist aus deutscher Sicht ab pT1b-Tumoren – unabhängig vom Nodalstatus – eine Indikation für eine Chemotherapie. Dies gilt unabhängig vom Östrogenrezeptorstatus (vgl. AGO/NCCN-Empfehlung). Auch das Vorliegen eines TNBC impliziert eine klare Indikation für eine Chemotherapie. Die deutschen Experten weisen allerdings darauf hin, dass es derzeit keine Daten zu TNBC unter 1 cm gibt. Hier sollte sich die Therapieentscheidung an weiteren Faktoren orientieren, wie z. B. dem Alter der Patientin, dem Grading oder dem Proliferationsfaktor.

#

Kontrovers diskutiert: Nodalstatus

Den Lymphknotenstatus per se – gefragt wurde nach „any positive node“ – als Indikator für den zusätzlichen Einsatz einer Chemotherapie lehnten 60 % der St.-Gallen-Panelisten ab. Abstimmung und Fragestellung wurden von den deutschen Experten kontrovers diskutiert. Der Lymphknotenstatus gilt unverändert als der härteste prognostische Parameter, ist aber kein guter prädiktiver Faktor. Ein positiver Nodalstatus impliziert ein erhöhtes Risiko, führt aber nicht zwingend zur Indikationsstellung einer adjuvanten Chemotherapie. Das Problem stellt sich im klinischen Alltag bei Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten (mittleres Risiko) nach kompletter Axilladissektion, die bei adäquater taxanhaltiger Chemotherapie eine hervorragende Prognose mit einer 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate von 95 % haben [6], bei ­denen aber auch die Gefahr der Übertherapie besteht. Die deutschen Experten weisen auf die Notwendigkeit hin, bei Patien­tinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten eine Subgruppe zu identifizieren, die keine Chemotherapie benötigt. Möglicher­weise können hier zukünftig optimierte prognostische und prädiktive Faktoren wie Genexpressionsanalysen mehr Klarheit bringen. Derzeit muss man sich am Alter der Patientin und der Tumorbiologie orientieren. Einigkeit besteht, dass der Nachweis von mehr als 3 befallenen Lymphknoten nach kompletter Axilladissektion eine eindeutige Indikation für eine Chemotherapie darstellt.

#

Lymphovaskuläre Invasion

Keine prospektiven Daten gibt es zum Stellenwert der lymphovaskulären Invasion als Kriterium für den Einsatz einer Chemotherapie. Entsprechend kontrovers ist das Meinungsbild. Aus deutscher Sicht kann die lymphovaskuläre Invasion im Einzelfall ein zusätzliches Kriterium für den Einsatz einer Chemotherapie sein, z. B. bei N0-Patientinnen, ohne dass dies durch Daten belegt ist.

#

Genexpressionsanalysen

Seit St. Gallen 2009 hat sich die retrospektive Datenlage zum Stellenwert von Genexpressionsanalysen mittels Oncotype DX® und Mammaprint® als Entscheidungshilfe für bzw. gegen eine zusätzliche Chemotherapie bei Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom erweitert. Sie schließt jetzt z. B. auch Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten ein. Vor diesem Hintergrund stimmten die deutschen Experten dem diesjährigen Votum der St.-Gallen-Panelisten zu, dass beide genetischen Tests als zusätzliche Entscheidungshilfe die klassischen Parameter ergänzen könnten. Erneut betonen die deutschen Experten, dass eine generelle Empfehlung außerhalb klinischer Studien nicht gerechtfertigt ist, da bislang keine Daten aus prospektiven Studien vorliegen.

#

Einfluss des Phänotyps auf die Therapieentscheidung

Zahlreiche Abstimmungen bezogen sich in St. Gallen darauf, welchen Einfluss der Phänotyp des Mammakarzinoms ([Tab. 1]) auf die zytostatische Therapieentscheidung hat. Das Problem ist aus deutscher Sicht, dass es hierzu nur wenige retrospektive Analysen und keine prospektiven Daten gibt und dass der Phänotyp selbst kein Prädiktor für eine bestimmte Chemotherapie ist. Lumi­nal-A-Mammakarzinome umfassen die klassisch endokrin-sensitiven Tumore. Die St.-Gallen-Panelisten und die deutschen Experten waren sich daher einig, dass dieser Phänotyp eher keine Chemotherapie benötigt. Therapie der Wahl für Patientinnen mit Luminal-A-Tumoren sind antihormonelle Substanzen. Für Luminal-A-Patientinnen gibt es kein bevorzugtes Chemotherapie­regime, sollte diese trotzdem indiziert sein ([Tab. 9 a]).

Tab. 9 Einfluss des Phänotyps auf die Therapieentscheidung: … Chemotherapie (Angaben in %).

ja

nein

?

dt. Kommentare

a)

Luminal A

Klass. endokr. sensit. Tumor

Less response to …

86

 5

 9

∅/wenig VT Chemo

… less useful + HT

85

 0

15

preferred … regime

68

32

 0

nur retrospektive Daten

Luminal B

aggressiver als Lum. A

… Anthrac vs. CMF

71

13

16

vermutlich Anthrac > CMF

… contain Taxane

40

60

 0

retrosp. Hinweise 1. Taxanstud.

Basal Like

Chemo bei BL (IDC)/TNBC ist Standard

… Anthrac + Taxan

89

 9

 2

b)

TNBC (IDC)

dose dense …

52

41

 7

ETC-Studie: Vorteil bei TNBC

… + antiangiogenet

 2

88

10

nur Daten aus neoadjuv. Studien

… contain Platin

18

64

18

Fallzahlen ↓, retrospek., BRCA1+

… contain Cyclo

93

 2

 5

Cyclo nahezu in allen Regimen

Hormonrezeptorpositive Patientinnen mit Luminal-B-Mammakarzinom haben ein erhöhtes Rezidivrisiko und gelten aufgrund der erhöhten Proliferationsrate als chemotherapiesensitiv. In der Regel erhalten sie zusätzlich zur endokrinen Behandlung eine Chemotherapie. Die St.-Gallen-Panelisten votierten dafür, die­sen Patientinnen ein anthrazyklin- und taxanhaltiges Regime zu geben. Aus deutscher Sicht kann dem zugestimmt werden. Aus ­retrospektiven Analysen liegen Hinweise vor, dass taxan- / anthrazyklinhaltige Regime einer alleinigen anthrazyklinhaltigen Therapie überlegen sind. Die seltenen Fälle eines Luminal-B-Tumors mit HER2-Überexpression benötigen eine Chemotherapie mit Trastuzumab.

Die Mammakarzinome vom Basaltyp („basal-like“) haben in der Regel eine ungünstigere Tumorbiologie. Die St.-Gallen-Panelisten votierten auch hier dafür, diese Patientinnen mit einer anthra­zyklin- / taxanhaltigen Chemotherapie zu behandeln. Die deutschen Experten kommentieren, dass das eingesetzte Regime dem allgemeinen Chemotherapiestandard für invasiv duktale Karzinome entsprechen sollte, was in der Regel anthrazyklin-/taxanhaltige Regime sind.

Patientinnen mit invasiv duktalem TNBC mit einer dosisdichten Chemotherapie zu behandeln, wurde in St. Gallen mit einer schwachen Mehrheit (52 %) befürwortet ([Tab. 9 b]). Derzeit gibt es nur wenige Daten dazu. Vorteile für Patientinnen mit TNBC wurden z. B. in einer dosisdichten Therapiestudie aus Deutschland nachgewiesen [7]. Keine Indikation besteht bei Patientinnen mit invasiv duktalem primärem TNBC für eine antiangiogenetische Therapie zusätzlich zur Chemotherapie. Zum Einsatz von Platin beim duktal invasiven TNBC liegen ebenfalls keine pro­spektiven Daten vor.

#

Neoadjuvante Chemotherapie

Das neoadjuvante Therapiekonzept wurde insbesondere in Deutschland im Rahmen großer prospektiver klinischer Studien weiterentwickelt und validiert. Heute ist es für die Behandlung von Patientinnen mit frühem Mammakarzinom gut etabliert und international akzeptiert. Deutsche Studiendaten werden auf internationalen Kongressen in zahlreichen Vorträgen zitiert. Im Fokus der neoadjuvanten Therapie standen in St. Gallen die Indikationsstellung und die Substanzwahl. Anders als bei den Fragestellungen zur adjuvanten Therapie fand die Tumorbiologie kaum Berücksichtigung.

#

Indikation zur neoadjuvanten Therapie

Das Hauptziel der neoadjuvanten Therapie sieht eine Mehrheit von 60 % der St.-Gallen-Panelisten in der Verbesserung der operativen Möglichkeiten, speziell der Erhöhung der Rate brusterhaltender Operationen (BET). Die deutschen Experten stimmen dem zu, weisen aber auf weitere Ziele hin. Das mit dem neoadjuvanten Konzept einhergehende Ansprechen ermöglicht den frühzeitigen individuellen Nachweis eines Therapienutzens und trägt damit zu einer stärkeren Individualisierung der Behandlung und der zeitnahen Einführung neuer Therapiekonzepte bei. Das neoadjuvante Therapiekonzept erleichtert darüber hinaus die Prognoseabschätzung. Das Erreichen einer pathologischen Komplettremission (pCR) bei HER2-positiven Tumoren und TNBC gilt als starker prädiktiver Marker für ein langes Überleben. Die deutschen Experten und St.-Gallen-Panelisten waren sich einig, dass neoadjuvant die Therapie eingesetzt werden sollte, welche die höchste Ansprechrate hat (vgl. AGO-Empfehlung 2011).

In Analogie zur adjuvanten Situation ist eine neoadjuvante Chemotherapie weniger wirksam bei Patientinnen mit niedrigem Risiko­profil, z. B. einem Tumor mit niedriger Proliferationsrate. 64 % der Panelisten in St. Gallen bestätigten dies. Von einer niedrigen Proliferationsrate ist z. B. bei einem niedrigen Ki-67-Wert auszugehen. Für die Entscheidung, ob neoadjuvant eine Chemo- oder endokrine Therapie indiziert ist, empfiehlt die deutsche Arbeits­gruppe, sich am Phänotyp des Tumors zu orientieren, was das Proliferationsverhalten impliziert. Entsprechend können Patientinnen mit einem Luminal-A-Mammakarzinom auch neoadjuvant eine endokrine Therapie erhalten. Eine Übertherapie sollte aber vermieden werden.

77 % der St.-Gallen-Panelisten lehnten den Einsatz einer neoad­juvanten Chemotherapie bei Patientinnen mit hoch endokrin-sensitivem Mammakarzinom, wie z. B. einem (rein) lobulären Karzinom, ab. Die deutsche Arbeitsgruppe stimmt dem zu. Die deutschen Experten merken an, dass rein lobuläre Karzinome, die hoch endokrin sensitiv sind, ein günstiges Grading aufweisen (G1/2) und HER2-negativ sind, also eher nicht von einer neoadjuvanten Therapie profitieren.

#

Substanzauswahl für neoadjuvante Chemotherapie

Die überwiegende Mehrheit der Panelisten in St. Gallen (82 %) ­votierte bei der Substanzauswahl für eine neoadjuvante Chemotherapie zugunsten des Einsatzes von anthrazyklin- und taxanhaltigen Regimen. Gegenüber der Abstimmung von vor 2 Jahren hat die Akzeptanz der Taxane um damit 20 % zugenommen. Die deutsche Arbeitsgruppe wertete dies auch als Hinweis auf die gute Akzeptanz der deutschen Studienergebnisse. Mit großer Mehrheit (86 %) stimmten die Panelisten in St. Gallen dafür, dass die adjuvanten Standard-Chemotherapieregime auch im neo­adjuvanten Setting eingesetzt werden sollten. In Deutschland wird dies bereits seit 2006 in der AGO-Empfehlung und der S3-Leitlinie empfohlen.

#

Therapieregime bei HER2-Überexpression

Bei HER2-Überexpression ist zusätzlich zur neoadjuvanten Chemotherapie immer eine Anti-HER2-Therapie indiziert. 87 % der Panelisten in St. Gallen bestätigten dies. Die deutschen Experten stimmen mit dem Hinweis zu, dass die Chemotherapie anthra­zyklin- / taxanhaltig sein sollte. Kontrovers diskutierten die deutschen Experten, ob Trastuzumab bereits simultan zum Anthra­zyklin oder erst simultan ab Beginn der taxanhaltigen Therapie eingesetzt werden sollte. Prospektive Studiendaten liegen für beide Optionen vor. Minimalkonsens der deutschen Experten: Die Entscheidung sollte sich am kardialen Risikoprofil der Patientin entscheiden. Bei Gabe von Anthrazyklin muss vor und während der Behandlung ein regelmäßiges kardiales Monitoring erfolgen.

Einig waren sich die deutschen Experten mit den St.-Gallen-Panelisten, dass die duale HER2-Blockade derzeit noch keine validierte Therapieoption im neoadjuvanten Setting zur Behandlung von Patientinnen mit HER2-positivem Tumor ist. Zurzeit liegen keine Daten zum Langzeitüberleben der Studienpatientinnen vor. Der Einsatz dieses Therapieansatzes in Studien wird empfohlen.

#

Neoadjuvante endokrine Therapie

Einigkeit besteht, dass eine alleinige neoadjuvante endokrine Therapie bei hoch hormonsensitiven Tumoren grundsätzlich möglich ist. Unklar ist bislang noch die Therapiedauer. Dies zeigte sich auch im Abstimmungsergebnis: 15 % votierten für 3–4 Monate, 39 % für 4–8 Monate und 46 % bis zum besten Therapieansprechen. Die deutsche Arbeitsgruppe kommentiert entgegen der Mehrheit der Panelisten in St. Gallen, dass die besten Therapieergebnisse mit einer 4-monatigen Aromatasehemmertherapie vorliegen. Die Therapiedauer vom Tumoransprechen abhängig zu machen, ist kein evidenzbasiertes Vorgehen.

#

HER2-positives Mammakarzinom

Die deutschen Experten weisen darauf hin, dass die qualitätsgesicherte HER2-Testung eine zwingende Voraussetzung für eine Anti-HER2-Therapie ist. Empfohlen werden die Teilnahme an validierten Ringversuchen und die Anwendung der ASCO/CAP-Guidelines.

Eine Präferenz für ein bestimmtes Chemotherapieregime zur Behandlung eines HER2-positiven frühen Mammakarzinoms lehnte die Mehrheit der St.-Gallen-Panelisten ab. Die deutschen Experten stimmen dem zu, weisen aber darauf hin, dass anthrazyklin- und taxanhaltige Chemotherapieregime unabhängig vom Nodalstatus der Patientin Standard für die Behandlung des HER2-positiven frühen Mammakarzinoms sind. Das St.-Gallen-Panel bestätigte dies im Weiteren: 98 % der Panelisten plädierten dafür, dass die Chemotherapie ein Anthrazyklin enthalten sollte, 75 % der Panelisten bewerteten dies als zwingend und 83 % propagierten den Einsatz eines Taxans als obligat. Ergänzend sieht die deutsche Arbeitsgruppe auch in dem anthrazyklinfreien TCbH-Regime (Docetaxel, Carboplatin, Trastuzumab) eine valide Therapieoption bei Patientinnen mit einer Anthrazyklinkontraindikation [8].

Alle Panelisten (100 %) votierten dafür, dass Patientinnen mit HER2-überexprimierendem frühen Mammakarzinom zusätzlich zur (neo-)adjuvanten Chemotherapie für 1 Jahr Trastuzumab erhalten sollten ([Tab. 10]). Die deutschen Experten stimmen dem uneingeschränkt zu. Eine deutliche Mehrheit der St.-Gallen-Panelisten (79 %) befürwortete dies auch für Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom zwischen 5 mm bis 1 cm und pN0. Aus deutscher Sicht gilt dies uneingeschränkt bei Patientinnen mit positivem Nodalstatus und sollte für pN0-Patientinnen in Analogie zur AGO-Leitlinie 2011 und den NCCN-Guidelines in Betracht gezogen werden.

Tab. 10 HER2-positives Mammakarzinom (Angaben in %). Qualitätsgesicherte HER2-Testung ist eine zwingende Voraussetzung für eine Anti-HER2-Therapie.

Anti-HER2-Therapie

ja

nein

?

dt. Kommentare

besonderes Chemoregime

 37

57

 6

Anthrazykline / Taxane sind Standard unabhängig von pN; anthrazyklinfrei: TCbH

Trastuzumab 1 J.

100

 0

 0

simult. / sequenziell zur Chemo

  • simultan zur Chemo

 87

10

 5

DFS + OAS besser

  • 5–10 mm

 79

15

 6

in Betracht ziehen für pN0-Pat. (NCCN, AGO Guideline 2011)

  • > 1 Jahr geben

 5

84

12

keine Daten

  • + Hormone allein

20

78

 2

Synergie Trastuzumab / Chemo sollte genutzt werden

  • ∼ ∼ bei Kontra­indikation zur Chemo

68

23

 9

keine Daten

Einigkeit besteht, dass Trastuzumab nur zusammen mit einer Chemotherapie indiziert ist. Die St.-Gallen-Panelisten sehen vorzugsweise in der simultanen und optional auch in der sequenziellen Gabe von Trastuzumab zusätzlich zur Chemotherapie eine valide Option. Die Mehrheit der deutschen Experten stimmt dieser Auffassung zu, verweist aber auf die potenziell erhöhte kardialen Nebenwirkungen bei simultaner Gabe von Trastuzumab und Anthrazyklinen, welche durch die sequenzielle Gabe oder die Verwendung von TCbH vermindert werden kann.

Keine Daten liegen derzeit dazu vor, Trastuzumab kürzer oder länger als 1 Jahr einzusetzen. Entsprechende prospektive klinische Studien (6 vs. 12 Monate bzw. 12 vs. 24 Monate) laufen noch bzw. sind in der Auswertung. Einigkeit besteht, dass die kürzere bzw. längere Dauer daher derzeit keine Option im klinischen Alltag ist. Lediglich für Länder mit begrenzten Ressourcen machte die Mehrheit der St.-Gallen-Panelisten (71 %) das Zugeständnis, dass eine kürzere Trastuzumabgabe (< 1 Jahr) möglich ist, um zu verhindern, dass einer Patientin mit HER2-positivem Tumor Trastuzumab vorenthalten wird. Die deutschen Experten stimmen dem nach kontroverser Diskussion zu, weisen aber darauf hin, dass dies nicht evidenzbasiert ist und für Deutschland keine Gültigkeit hat. Standard ist die Gabe von Trastuzumab für 1 Jahr entsprechend Datenlage und Zulassung der Substanz.

Einigkeit besteht auch, dass keine Indikation zum alleinigen Einsatz von Trastuzumab ± endokrine Therapie besteht. Allerdings votierten die St.-Gallen-Panelisten dafür, dass dies eine Option für Patientinnen mit Kontraindikationen gegen eine Chemotherapie ist. Die deutsche Arbeitsgruppe lehnt dies mit Verweis auf die fehlende Evidenz ab und empfiehlt – wenn immer möglich – die Synergie zwischen Trastuzumab und Chemotherapie zu nutzen.

#

Mammakarzinom beim Mann

In seltenen Fällen entwickeln auch Männer ein Mammakarzinom (ca. 400–500 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland). Endokriner Therapiestandard ist die Behandlung mit Tamoxifen. Eine Indikation für Aromatasehemmer (AH) besteht derzeit beim Mann nicht. Die deutsche Arbeitsgruppe verweist auf die demnächst startende MALE-Studie (www.germanbreastgroup.de), die den Einsatz von AH bei Männern mit Mammakarzinom unter­suchen wird.

#

Interessenkonflikt

Das Meeting zur Konsensusfindung wurde von Sanofi-Aventis unterstützt.

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Literatur

  • 1 Paik S, Tang G, Shak S et al. Gene expression and benefit of chemotherapy in women with node-negative, estrogen receptor-positive breast cancer.  JCO. 2006;  24 3726-3734
  • 2 Albain K, Barlow W E, Ravdin P M et al. Prognostic and predictive value of the 21-gene recurrence score assay in postmenopausal women with node-positive, oestrogen-receptor-positive breast cancer on chemotherapy: a retrospective analysis of a randomized trial.  Lancet Oncol. 2010;  11 55-65
  • 3 Lyman G L, Giuliano A E, Somerfield M R et al. American Society of Clinical Oncology guideline recommendations for sentinel lymph node biopsy in early-stage breast cancer.  J Clin Oncol. 2005;  23 7703-7720
  • 4 Whelan T, Pignol J P, Levine M N et al. Long-term results of hypofrac­tionated radiation therapy for breast cancer.  N Engl J Med. 2010;  362 513-520
  • 5 Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG) . Effects of chemotherapy and hormonal therapy for early breast cancer on recurrence and 15-year survival: an overview of the randomised trials.  Lancet. 2005;  365 1687-1717
  • 6 Nitz U et al. Superiority of sequential docetaxel over standard FE100C in patients with intermediate risk breast cancer: survival results of the randomized intergroup phase lll trial EC-Doc. SABCS2008; Abstract No. 551601
  • 7 Moebus V, Jackisch C, Lueck H J et al. Intense dose-dense sequential chemotherapy with epirubicin, paclitaxel, and cyclophosphamide compared with conventionally scheduled chemotherapy in high-risk primary breast cancer: mature results of an AGO phase III study.  J Clin ­Oncol. 2010;  28 2874-2880
  • 8 Slamon D et al. Use of trastuzumab in the adjuvant treatment of HER2-positive breast cancer: efficacy and safety results from the BCIRG-006 study.  NEJM. 2011;  in press
  • 9 Naume B, Sorlie T. Molecular profiling of early breast cancer in relation to detection of micrometastases and outcome.  Breast Cancer Research. 2005;  7 (Suppl. 2) 35

Prof. Dr. M. Untch

Helios Klinikum Berlin Buch

Schwanebecker Chaussee 50

13125 Berlin

Email: michael.untch@helios-kliniken.de

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Literatur

  • 1 Paik S, Tang G, Shak S et al. Gene expression and benefit of chemotherapy in women with node-negative, estrogen receptor-positive breast cancer.  JCO. 2006;  24 3726-3734
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Prof. Dr. M. Untch

Helios Klinikum Berlin Buch

Schwanebecker Chaussee 50

13125 Berlin

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