Vita
Mona Herz
Journalistin und Medizinstudentin – Freie Autorin des Georg
Thieme Verlags seit 2008
1 Ein Teil des
„OP-Führerscheins”: Ein Mitarbeiter eines
Medizinprodukteherstellers muss minimal-invasiv Perlen aus einer Schale
aufnehmen und auf einen Zahnstocher fädeln. Fachfremde erfahren so, wie
man sich als Chirurg fühlt. Foto: wwH-c GmbH
2 Auszubildende der OTA-Schule lernen unter
Anleitung, wie sie in ihrem zukünftigen Beruf Patienten vor einer OP
lagern. Foto: wwH-c GmbH
3 Probanden testen die Bedienoberfläche
eines neuen Geräts. Dazu bekommen die Tester vom Versuchsleiter Aufgaben
gestellt, die sie unter strenger Beobachtung erfüllen müssen. Foto:
wwH-c GmbH
4 Der Experimental-OP als Fotostudio:
Für Bilder einer Werbebroschüre eines OP-Leuchtenherstellers wird
eine Thorax-Operation nachgestellt. Foto: wwH-c GmbH
Hatten Sie schon einmal Probleme damit, ein Gerät im OP korrekt
zu bedienen? Oder haben Sie sich über eine unpraktische, umständliche
Handhabung geärgert? Dann sind Sie nicht allein. Vor einigen Jahren hat
die Studie „Arbeitsbedingungen und Sicherheit am Arbeitsplatz OP”
([[1]]) gezeigt, dass 50 Prozent der Pflegekräfte
und 70 Prozent der Chirurgen nach eigener Aussage Schwierigkeiten haben, die
Geräte an ihrem Arbeitsplatz richtig zu bedienen. Wenn aber Mensch und
Maschine nicht richtig zusammenfinden, kann es gefährlich werden. Sei es,
weil die Geräte einfach zu kompliziert sind oder das Personal nicht
richtig eingewiesen ist. Die dabei entstehenden Komplikationen gefährden
den Patienten und verursachen hohe zusätzliche Kosten. Wahrscheinlich
werden jedes Jahr Hunderte Millionen Euro für die Folgebehandlungen
solcher Komplikationen ausgegeben. Im schlimmsten Fall aber führen solche
Fehler zum Tod des Patienten.
Autor der genannten Studie ist PD Dr. med. Ulrich Matern. Er hatte
als Chirurg selbst oft Probleme mit Instrumenten und Geräten im OP. Zum
Beispiel störten ihn die Retraktoren: Das Halten der Instrumente und das
Arbeiten mit ihnen bescherte ihm und vielen anderen Operateuren Druckstellen
und Parästhesien an den Händen, was nicht nur die eigene Gesundheit
gefährdet, sondern auch die des Patienten auf dem OP-Tisch.
Die Idee: Die Arbeit im OP verbessern
Die Idee: Die Arbeit im OP verbessern
In einer Freiburger Klinik lernte Matern den Krankenhaushygieniker
und Ingenieur Martin Scherrer kennen, der, genau wie er selbst, mit einigen
Zuständen in der Klinik unzufrieden war. „Wir haben festgestellt,
dass es nicht nur mit den Instrumenten Schwierigkeiten gibt, sondern auch
Probleme beim Bedienen von Geräten”, erinnert sich Matern. Scherrer
störte vor allem die übliche Verdrängungslüftung im OP, die
seiner Meinung nach nicht ideal ist: „Bei Standard-Lüftungen wird
keimarme Luft über dem OP-Tisch von oben in den Raum geleitet. Das soll
gewährleisten, dass die Keimbelastung aus der Luft für den Patienten
möglichst gering ist. Faktoren wie Bewegungen des Personals oder die
Thermik der Lampe erzeugen aber Turbulenzen, so dass ich nicht an die
Funktionalität dieses Systems glaubte.” Beide waren sich einig,
dass Gebäudetechnik und Medizintechnik in ihrem Haus nicht
zusammenpassten, und dass man dagegen etwas tun muss.
Matern und Scherrer hatten eine Idee: Sie wollten ein Labor
einrichten, in dem Instrumente, Maschinen, Textilien und alles, was in einen OP
gehört, im Vorfeld auf Herz und Nieren von den Anwendern selbst
geprüft wird. „Es reicht nicht, wenn die Sekretärin eines
Instrumenteentwicklers sagt: ‚Ja Chef, das liegt gut in der Hand‘.
Es sind OP-Pfleger und Chirurgen, die ihr Arbeitsmaterial beurteilen
müssen”, betont Matern. Aus der Vision sollte bald Realität
werden. Matern und Scherrer schafften es, die Unterstützung der
Universität Tübingen und des Lands Baden-Württemberg zu
gewinnen. Zahlreiche Hersteller für Medizinprodukte schenkten dem
vielversprechenden Labor Equipment im siebenstelligen Eurobereich oder stellten
Dauerleihgaben zur Verfügung. Im Jahr 2008 war es soweit: In eine
Fabrikhalle am Stadtrand von Tübingen zog der erste Experimental-OP der
Welt ein.
Das Herzstück der 1000 Quadratmeter messenden Anlage sind ein
großer und ein kleiner OP-Saal, ein Einleitungs- sowie Aufwachraum und
ein Krankenzimmer, das zum Beispiel als Intensivzimmer umgebaut werden kann.
Außerdem gibt es viel Raum für theoretisches Training, Vorträge
und Seminare. Die OP-Säle sind komplett und modern eingerichtet, am Boden
liegt kein Kabel, fast alle Geräte sind an der Decke montiert. Hier finden
niemals Operationen an Mensch oder Tier statt, sondern ausschließlich an
Attrappen. So können Maschinen und Instrumente unter realen Bedingungen
getestet oder Schulungen durchgeführt werden, ohne dass jemandem geschadet
wird. An den Wänden sind Videokameras und Mikrofone angebracht, die jeden
Test zur späteren Auswertung mitschneiden. Zudem gibt es einen kleinen
Raum, von dem aus man das Geschehen im großen OP durch eine Glasscheibe
hindurch beobachten kann. Neben den Türen zu den Operationssälen ist
außen ein Desinfektionsmittelspender installiert, mit dem man sich die
Hände desinfizieren muss, sonst wird der Zugang zum OP verwehrt. Die
Türen selbst sind über zwei Meter breit. Der Vorteil: Patienten
können im Einleitungsraum vollständig gelagert und erst dann in den
OP geschoben werden, selbst wenn sie zwei Meter groß sind und mit
gespreizten Armen oder Beinen operiert werden sollen. Dadurch kann die Zeit im
OP effizienter genutzt werden, was auch in der Klinik Kosten sparen
würde.
Der große OP-Saal ist vorbereitet: der
„Patient” (eine Attrappe) liegt gelagert für die
nächste Operation bereit. Der OP ist vollfunktionsfähig und modern
eingerichtet. Foto: wwH-c GmbH
Seit letztem Jahr ist aus dem Experimental-OP die eigenständige
Firma wwH-c (worldwide Hospital competence) geworden, für die ein Chirurg,
eine OP-Fachpflegerin, zwei Ingenieure und eine Betriebswirtin arbeiten.
„Wir sind eine gute Mischung, weil wir unterschiedliches Fachwissen
mitbringen und alle etwas gemeinsam haben: Wir haben gelernt, über den
Tellerrand hinauszuschauen”, beschreibt Matern das Team. Er leitet
zusammen mit Scherrer die neue GmbH, bei der auch Diana Hagen angestellt ist.
Sie bringt 18 Jahre Erfahrung als OP-Fachpflegerin mit. Oft steht sie selbst am
OP-Tisch und testet die Bedienung von Geräten oder führt Schulungen
durch.
Das Problem: Entwickler sind keine Anwender
Das Problem: Entwickler sind keine Anwender
Als Hagen noch in der Klinik arbeitete, kamen oft Vertreter von
Medizinprodukten mit einem Gerät in die Klinik und baten das OP-Personal,
die Gebrauchstauglichkeit zu testen. „Damit das Gerät nicht
verloren ging, wurde es eingeschlossen. Wenn der Vertreter einige Wochen
später wiederkam, musste er sein Gerät ungetestet wieder mitnehmen,
denn im Klinikstress wurde meist vergessen, das Produkt auszuprobieren”,
erinnert sie sich.
In die Entwicklung eines medizinischen Gerätes sind
üblicherweise mehr Ingenieure eingebunden als OTAs oder Chirurgen, denn
der primäre Fokus liegt auf der technischen Funktionalität.
Experimental-OP-Leiter Matern wünscht sich aber, dass die Hersteller sich
von Anfang an beraten lassen und mit den tatsächlichen Anwendern über
Ergonomie sprechen, damit das neue Gerät in all seinen Funktionen auch
bequem nutzbar ist. Folgendes Schlüsselerlebnis zeigte Matern, wie wichtig
es ist, dass Ingenieure wissen, wie es im OP zugeht: Eine österreichische
Firma, die eigentlich Produkte für die Zahnmedizin herstellt, wollte eine
Säge für die Knochenchirurgie produzieren. Für zwei Tage reiste
der Chefentwickler mit seinem sechsköpfigen Team nach Tübingen, um
dort operieren zu lernen. Matern ernannte ihn zum Operateur einer simulierten
Gallen-OP. „Es fing so an, dass der Operateur seine Mitarbeiter
höflich und in vollständigen Sätzen bat, dort und hier doch
bitte ein bisschen zu ziehen oder ihm ein Instrument zu reichen. Nach zehn
Minuten hatte er verstanden, dass es so nicht funktioniert, und warum man im OP
nicht diskutiert. Er war so konzentriert auf die Galle, dass er sich wie im
realen OP verhielt.” Matern hatte sein Ziel erreicht: Die Entwickler
fühlten und dachten wie Fachpersonal. Solche Schulungen können das
Augenmerk der Entwickler schon während der Entstehung eines neuen Produkts
auf dessen Gebrauchstauglichkeit lenken.
Nach jeder theoretischen Anleitung folgen für die
OTA-Auszubildenden praktische Übungen, z. B. die korrekte chirurgische
Händedesinfektion. Foto: wwH-c GmbH
Wer den „OP-Führerschein” bestehen möchte,
muss lernen, wie man sich im OP verhält. Dazu gehört auch die
knifflige Aufgabe, sterile Handschuhe richtig anzuziehen. Foto: wwH-c GmbH
Die Lösung: Bedienungsprobleme im Experiment
aufdecken
Die Lösung: Bedienungsprobleme im Experiment
aufdecken
Die öfter gewählte Möglichkeit besteht darin, die
Geräte im Nachhinein von Anwendern testen zu lassen. Leider gibt es dazu
kaum gesetzliche Vorschriften. Ein Hersteller von medizinischen Geräten
ist nicht verpflichtet, seine Produkte vor der Markteinführung auf
Bedienungsfreundlichkeit testen zu lassen. Allerdings gibt es seit 2008 zwei
Normen, die dem Hersteller Vorschriften machen: So soll für jedes
Gerät vor der Zulassung eine „Ergonomie-Akte” angelegt
werden. Darin sollen auch sogenannte Gebrauchstauglichkeitsstudien enthalten
sein – wie diese allerdings auszusehen haben, bleibt offen.
Das Team des Tübinger Experimental-OPs hat dafür einen
Standard mit einem genauen Bewertungssystem entwickelt. Personen aus
verschiedenen medizinischen Berufen benutzen als Produkttester in simulierten
OPs ein Gerät. Dazu bekommen sie von OP-Fachpflegerin Hagen
standardisierte Aufgaben gestellt. Beispielsweise müssen sie mit einem zu
erprobenden OP-Mikroskop ein Bild schießen oder eine bestimmte Funktion
am Gerät aktivieren. Nachdem alle Produkttester die Aufgaben
ausgeführt haben, werden in einer Expertenrunde die Probleme ausgewertet,
die sich bei der Bedienung ergeben haben. Zu den Experten zählen
Ingenieure aus den Reihen des Herstellers, externes OP-Personal, das
normalerweise in Kliniken arbeitet, und meist Firmenleiter Matern sowie Diana
Hagen. Zudem können auch die Testpersonen selbst nach ihren
Eindrücken befragt werden.
Der Ablauf einer typischen Auswertungsrunde: Ein Moderator
präsentiert die Funktionen des Produktes und die Anwendungsprobleme, die
in der Testphase aufgetreten sind. Zum Beispiel könnten 30 Prozent der
Testpersonen den Einschaltknopf nicht gefunden haben. Die Runde diskutiert
dann, wie wichtig das Problem ist und welche Konsequenzen es in der
Realität auslösen würde. Für viele Produkte ist es wenig
relevant, ob 30 Prozent der Nutzer das Gerät nicht sofort anschalten
können, aber bei einem Defibrillator hätte das schlimme Folgen. Nach
der Diskussion vergibt jeder Noten von eins bis zehn für die besprochene
Funktion. Noten von eins bis drei bedeuten, dass diese Funktion unsicher und
ineffizient ist, weil dabei eine Person gefährdet wird oder der Patient
sogar gestorben wäre, die Noten acht bis zehn dagegen stehen für
„sehr gute” Handhabung und Gebrauchstauglichkeit ([Abb. 1]).
Abb. 1 Beim Gebrauchstauglichkeitstest wird
jeder Handgriff von einer Videokamera aufgezeichnet und beobachtet (a). Die
Ergebnisse werden in einem „Notenblatt” (b) festgehalten und dem
Hersteller vorgelegt. Die waagerechte Achse bildet die zu testende Funktion des
Geräts ab (in diesem Beispiel 15), während die senkrechte Achse die
Bewertung von 1 bis 10 angibt. Quelle: wwH-c GmbH
Sämtliche Ergebnisse werden zusammengefasst und in einer Art
Zeugnis dem Hersteller vorgelegt. Doch nicht immer lässt sich der
Hersteller davon beeindrucken: „Es gibt genügend Geräte, die
Funktionen besitzen, die als ineffizient benotet wurden. Sie wurden aber
trotzdem unverändert auf den Markt gebracht”, bedauert Matern.
Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft: „Eines unserer Ziele ist,
dass es das irgendwann nicht mehr geben wird.”
Einfache Anwendung spart Kosten
Einfache Anwendung spart Kosten
Eine der seit 2008 bestehenden Normen verpflichtet Hersteller von
medizinischen Geräten, anzugeben, wie groß der Schulungs- und
Trainingsaufwand für ihr Produkt ist. Diesen Punkt hält Matern
für äußerst wichtig. In einer Studie fand sein Team heraus,
dass Einweisungen an medizinischen Geräten nur dann etwas bringen, wenn
sie als praktisches Training gestaltet werden. Praktische Schulungen kosten
aber viel Zeit und Geld, wobei regelmäßige Nachschulungen die Kosten
noch in die Höhe treiben. Gut durchdachte Produkte sind hier klar im
Vorteil: Sie verschlingen weniger Zeit und Geld für Trainings und sind im
Notfall intuitiv einfacher zu bedienen. Matern sieht hierin das
größte Potenzial für sein Projekt: „Wenn die
Krankenhäuser von dieser Norm wüssten und sie in ihre Entscheidung,
ein Gerät anzuschaffen oder nicht, einfließen lassen würden,
dann hätten ergonomische Aspekte plötzlich einen viel höheren
Stellenwert. Dann würden sich endlich die Produkte durchsetzen, die
einfach und sicher zu bedienen sind. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg,
weil viele Entscheider in Krankenhäusern die Normen einfach nicht
lesen.”
Ein interessantes Gerät, das sich gerade im Test befindet, ist
eine neuartige Lüftungsanlage, die fest im großen OP installiert
ist. Ihre Besonderheit liegt in der Strömungsrichtung der Luft.
Herkömmliche Umluft-Klimaanlagen speisen die Luft von oben in den OP ein
und verteilen sie dann. Eine Simulation hat aber gezeigt, dass sich damit der
chirurgische Rauch, der bei der diathermischen Erhitzung von Gewebe entsteht,
in kürzester Zeit im gesamten OP verteilt. Personal und Patienten werden
dabei verschiedensten schädlichen Partikeln und Chemikalien ausgesetzt,
darunter auch das Karzinogen Benzol. Das neue System belüftet den Raum von
unten und transportiert die Luft nach oben über den OP-Tisch ab. Eine
weitere Simulation zeigte, dass der Diathermie-Rauch damit wesentlich besser
abzieht. Staub und Keime vom Boden werden bei dieser Methode dabei trotzdem
nicht vermehrt hochgeblasen: „Bis jetzt haben alle Messungen ergeben,
dass auf dem OP-Tisch keine höhere Bodenstaubbelastung als bei anderen
Lüftungssystemen entsteht”, so Matern. Bisher wurde die Anlage nur
zur Probe eingesetzt. Bald möchte man das Lüftungssystem aber in
einer Studie am Patienten testen. Matern sähe in der Einführung einen
großen Fortschritt für den Arbeitsschutz.
Fehler ohne Folgen in der Ausbildung
Fehler ohne Folgen in der Ausbildung
Dank des voll funktionsfähigen OP-Trakts können OTAs hier
einige praktische Teile ihrer Ausbildung absolvieren. Vom Einschleusen
über das Instrumentieren bis zur Lagerung lernen sie ihren
zukünftigen Arbeitsplatz kennen und können Dinge selbst ausprobieren,
wie beispielsweise verschiedenste Osteosyntheseverfahren an Kunstknochen.
OP-Fachpflegerin Hagen schätzt vor allem den Vorteil, dass die
Auszubildenden dabei nicht mit Patienten in Kontakt kommen und keine
Infektionsgefahr besteht: „Junge Kollegen sind oft stark damit
beschäftigt, alles richtig zu machen und denken weniger darüber nach,
ob sie sich mit einer Krankheit infizieren könnten. Bei uns hat es keine
Folgen, wenn man nach einem bestimmten Handgriff vergisst, die Hände zu
desinfizieren.” Auch brauchen die Auszubildenden nicht wie in der Klinik
darauf zu warten, dass der OP einmal frei ist, was meist abends oder am
Wochenende der Fall ist, und selbst dann kommen oft Notfälle
dazwischen.
Das Ausbildungsangebot im Experimental-OP ist gefragt, wobei der
„OP-Führerschein” besonders beliebt ist. Alle
Medizinstudenten der Uni Tübingen kommen im vierten Semester hierher und
lernen in praktischen Übungen, wie man sich rund um den OP verhält
und was man auf keinen Fall tun sollte. Als Belohnung für den bestandenen
Schein dürfen die Studenten schon im vierten Semester im realen OP
assistieren. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
unterstützt dieses Angebot und verspricht sich davon, dass die
Patientensicherheit im realen OP verbessert wird. Matern könnte sich sogar
vorstellen, dass man in ferner Zukunft ohne einen OP-Führerschein keinen
OP mehr betreten darf.
Dieses Jahr im Winter wird außerdem erstmals ein
vierwöchiger Lehrgang zum „OP-Team-Assistenten” (OpTeamA)
angeboten. Neue Mitarbeiter, die Hilfstätigkeiten im OP leisten, wissen
oft nicht, wie sie sich richtig verhalten sollen. Im stressigen Alltag bleibt
wenig Zeit, es ihnen zu erklären – damit stellen sie für das
erfahrene OP-Personal manchmal eine Belastung dar. Auch die Neulinge selbst
fühlen sich unsicher. Im Experimental-OP kann man in kurzer Zeit
grundlegende Dinge wie beispielsweise Hygiene, Strahlenschutz, Grundlagen der
Lagerung oder Kommunikation im OP erlernen oder auf den neusten Stand bringen,
beispielsweise nach einem längeren Erziehungsurlaub. Die Team-Assistenten
dürfen zwar nicht am Tisch stehen und assistieren, aber sie können
OP-Fachpflegern einfachere Tätigkeiten abnehmen, um sie zu entlasten.
Matern hofft, dass man mit den Team-Assistenten die Personalknappheit in den
OPs reduzieren kann. Sie könnten je nach beruflicher Vorbildung
(Nicht-Intensiv-) Patienten empfangen und in den OP begleiten oder den OTAs bei
Vorbereitungs- und Aufräumarbeiten helfen.
Der Experimental-OP ist in der kurzen Zeit seines Bestehens zu einer
vielseitigen Einrichtung geworden, die für Schulungen genutzt wird und
gleichzeitig als Testlabor, Konferenzzentrum und Dauerausstellung dient. Und
seine Geschichte hat gerade erst begonnen – schließlich gibt es in
den Kliniken noch viel zu verbessern. Die Leiter stecken voller Tatendrang:
Matern sieht noch eine lange Liste mit Mängeln in Krankenhäusern vor
sich, die behoben werden müssen. Scherrer hat noch viele Ideen, die
Gebäude- und Medizintechnik zu optimieren und einander anzupassen. Beide
denken daran, die Studie „Arbeitsbedingungen und Sicherheit am
Arbeitsplatz OP” aus dem Jahr 2006 irgendwann zu wiederholen. Eine
Verbesserung der Ergebnisse wäre die schönste Bestätigung
dafür, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Der Experimental-OP auf einen Blick
-
Eröffnung: 2008
-
Bauherr: Universitätsklinikum
Tübingen
-
Finanzierung: Universitätsklinikum
und Medizinische Fakultät Tübingen, Land Baden-Württemberg
-
Medizinische Ausstattung: Gespendet von
rund 80 Medizinprodukteherstellern (Schenkungen und Dauerleihgaben im Wert von
circa drei Millionen Euro)
-
Räumlichkeiten: Insgesamt 1000 qm
(400 qm OP-Trakt, 600 qm Technik-, Konferenz- und Büroräume) in
einer ehemaligen Fabrikhalle am Stadtrand von Tübingen
-
Ausstattung des OP-Trakts: Zwei voll
funktionsfähige OP-Säle, Einleitungs- und Aufwachraum,
Patientenzimmer, Sterilgutlager mit -versorgung
-
Anzahl der Mitarbeiter: Fünf (ein
Chirurg, zwei Ingenieure, eine OP-Fachpflegerin, eine Betriebswirtin) in einer
seit 2009 eigenständigen Firma (wwH-c GmbH)
Was passiert im Experimental-OP?
Alles rund um den Operationsbereich, von der Kleidung über
Arbeitsabläufe bis hin zur Beleuchtung kann hier erforscht, analysiert,
getestet und geschult werden. Alle Tests werden ausschließlich an
Attrappen durchgeführt. Ohne dass ein Patient oder Tier zu Schaden kommt,
wird das Labor vielseitig genutzt in folgenden Bereichen:
-
Medizinprodukte: Forschung, Entwicklung,
Gebrauchstauglichkeitstests nach internationalen Normen, Verbesserung der
Mensch-Maschine-Schnittstelle
-
Schulungen: OTA- und ATA-Ausbildung,
vierwöchige OP-Team-Assistent-Ausbildung, OP-Führerschein für
Medizinstudenten oder Mitarbeiter von Medizinprodukteherstellern, Kurs in der
Sterilgutaufbereitung, Schulung über Gebrauchstauglichkeit
-
Hygiene: Forschung, Entwicklung und
Tauglichkeitstest
-
Arbeitsabläufe:
Überprüfung auf Effizienz und Sicherheit, Weiterentwicklung
Nachgefragt ...
Nachgefragt ...
...
bei Michael Walz, Textilingenieur bei der
Eschler Textil GmbH, Partnerfirma des Experimental-OPs
Michael Walz – Kliniken müssen die Hygiene immer
wichtiger nehmen. Die Baumwolle wird deshalb verschwinden.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Zusammenarbeit mit dem
Experimental-OP?
Wir stehen immer im direkten Kontakt mit Menschen aus dem OP.
Das ist wichtig für uns, denn unsere Firma entwickelt sämtliche
Textilien, die man im OP findet: Stoffe für Bekleidung, Patientendecken
oder Auflagen, Abdeck- und Containertücher. Normalerweise ist es für
Hersteller schwierig, direkt mit Angestellten aus dem OP über ihre
Bedürfnisse zu den Textilien – zum Beispiel zum Tragekomfort der
Bekleidung – zu sprechen. Im Experimental-OP arbeiten Menschen, die
selbst aus der Klinik kommen und viel Zeit im OP verbracht haben. Sie haben
viel Erfahrung und wissen, worauf es ankommt. Die Rückmeldungen und
Anregungen, die wir von dort aus erster Hand bekommen, sind für uns sehr
wertvoll.
Wie kam es zu der Partnerschaft?
Bevor der OP gebaut wurde, gab es eine
Informationsveranstaltung, die auch dazu diente, Partnerfirmen zu gewinnen. Wir
waren sofort begeistert von dem Projekt. Für uns hieß es dann aber
erst einmal „Abwarten”, weil zuerst alles aufgebaut werden
musste. Schließlich haben wir gemeinsam mit unserer Partnerfirma
Dieckhoff die komplette OP-Bekleidung zu Verfügung gestellt. Die
Materialbereitstellung hatte ungefähr einen Wert von 4000 Euro, was im
Vergleich zu einem OP-Tisch oder anderen Geräten ein eher kleiner Betrag
ist.
Was ist das Besondere an der Bekleidung?
Sie besteht aus Mikrofasern, die bereits seit einiger Zeit im
Sportbereich eingesetzt werden. Gegenüber herkömmlicher Bekleidung
aus Baumwolle bieten diese Mikrofasern sehr guten Tragekomfort, verbessern die
Hygiene im OP und erleichtern die Wiederaufbereitung. Die normalen
Körperfunktionen werden laut Bekleidungsphysiologie unterstützt.
Was heißt das genau?
Speziell konstruierte Funktionskleidung aus Mikrofaser
transportiert den Schweiß nach außen und trocknet schneller. Das
verbessert den Tragekomfort und trägt dazu bei, dass Arbeitende ihre
Leistungsfähigkeit über mehrere Stunden halten können. Unter dem
OP-Mantel ist es sehr warm, weil bei Einwegmaterialien oft wenig
Atmungsaktivität herrscht, da merkt man den Unterschied deutlich.
Mikrofaser ist auch hygienisch der Baumwolle überlegen, denn
Stapelfasergarne aus Baumwolle und Baumwollmischungen begünstigen den
Faserflug, der dazu führt, dass Erreger in der Raumluft transportiert
werden können. Bei der Wiederaufbereitung benötigt das
Mikrofasermaterial weniger Energie, weil es kürzere Trocknungszeiten
aufweist. Im Moment wird die Kleidung im Experimental-OP verwendet und in
einigen Kliniken getestet.
Wird sich die Mikrofaser irgendwann in den Krankenhäusern
durchsetzten?
Es wird auf jeden Fall eine Veränderung geben, weil die
Kliniken die Hygiene immer wichtiger nehmen müssen. Die Baumwolle wird
verschwinden, welches Material genau sich durchsetzen wird, ist aber noch nicht
abzusehen. In Skandinavien beispielsweise gibt es schon Krankenhäuser, die
auf Baumwolle in den Textilien verzichten. Ich hoffe, dass die Umstellung bei
uns im nächsten Jahr beginnen wird.
Welchen Vorteil haben Sie aus dieser Partnerschaft
gezogen?
Wir haben einen wertvollen Partner zum Erfahrungsaustausch
gewonnen. Wir bekamen nicht einfach einen Bericht, der uns bestätigte, wie
gut unsere Produkte sind. Die Textilien sind vielmehr eine Investition in die
Beziehung zum Experimental-OP. Wir sind im ständigen Austausch über
Vor- und Nachteile, die den Probanden auffallen und halten Rücksprache
über neue Ideen. Für mich persönlich war meine Teilnahme am
OP-Führerschein sehr eindrucksvoll. Ich stand einen halben Tag in voller
Montur im OP, was ich vorher nur aus der Theorie kannte. Das hat mich der
Praxis einen großen Schritt näher gebracht hat.