Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin
Aus Anlass der 20. Wiederkehr der Gründung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Seelische Gesundheit e.V. 1990 in Münster fand vom 30.9.–2.10.2010 in Paderborn die Jubiläumstagung der Gesellschaft statt. Sie ist mit knapp 500 Mitgliedern in Polen und Deutschland europaweit die größte binationale psychiatrische Fachgesellschaft. Aufgrund des besonderen Stellenwerts von Auf- und Ausbau von Partnerschaften von Kliniken und Psychiatrischen Einrichtungen hat die Gesellschaft das Thema "Partnerschaft" als eine Grenzen überschreitende Metapher gewählt.
Partnerschaft – wofür kann dieses stehen?
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Partnerschaft über Grenzen hinweg
Die DPGSG hatte ihre Ursprünge und lebt über die lebendige Partnerschaft von Kliniken sowie Einrichtungen und Diensten in Deutschland und Polen und inzwischen teilweise darüber hinaus. Diese Grenzen überschreitende und überwindende Aktivität ist ein wesentliches Merkmal der Gesellschaft. Sie trägt sowohl zur Weiterentwicklung der Psychiatrie in beiden Ländern als auch zur Völkerverständigung in Europa bei.
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Partnerschaftliches Arbeiten in der institutionellen Psychiatrie:
Der Auf- und Ausbau außerstationärer psychiatrischer Dienste ist ein Anliegen der letzten 20 Jahre, sicherlich in Deutschland und Polen nicht in gleichem Maße und auch nicht zeitgleich weit fortgeschritten. Die frühere ausschließliche Dominanz der Kliniken galt es zu überwinden und überzuleiten in eine partnerschaftliche Bezugnahme aufeinander, bei der die Kooperation im Sinne der Patientenversorgung zu gestalten ist. Konkurrenz und Abgrenzung gegeneinander müssen einer Versorgungsstruktur weichen, die auf die Integration der unterschiedlichen Sektoren der Versorgung und ein Grenzen überschreitendes Fallverständnis abzielt. Das Selbstbewusstsein über die eigenen Aufgaben und die darin zum Ausdruck kommende Fachlichkeit steht nicht im Widerspruch zur sektorenübergreifenden Integration, sondern setzt diese eher voraus.
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Partnerschaft zwischen Mitarbeitergruppen:
Sowohl im stationären wie im außerstationären Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung arbeiten unterschiedliche Professionen zusammen, die jeweils eigene traditionelle Prägungen über ihre Aus- und Weiterbildung und einen entsprechenden Berufsalltag erhalten haben. Das multiprofessionelle Team ist für den stationären wie den außerstationären Bereich dort unerlässlich, wo Hilfesuchende eine komplexe und ausdifferenzierte Behandlung benötigen. Besonders die schwer und chronisch erkrankten Menschen sind immer wieder sowohl mit Pflegekräften und Ärzten als auch mit Sozialarbeitern, Ergotherapeuten, Diplom-Psychologen und anderen Berufsgruppen konfrontiert. Was begründet die Motivation in der Team-Arbeit? Was hilft, Berufsgruppen bezogene Grenzen zu überwinden? Wie ist in diesem Sinne in den psychiatrischen und psychotherapeutisch ausgerichteten Teams Partnerschaft zu organisieren?
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Partnerschaft im Trialog: Die Begegnung mit Patienten und Angehörigen und die 3-seitige trialogische Zusammenarbeit ist ein wesentliches Kennzeichen der Entwicklung im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie in den letzten 20 Jahren. Keine psychiatrische Klinik ist vorstellbar ohne Angehörigengruppen, ohne Kontakte und Einbezug von Psychiatrieerfahrenen in das Leben der Klinik, sei es über Psychoseseminare, Trialoggespräche und Beschwerdestellen, Beratungsangebote von Betroffenen und für Betroffene usw. Die Gestaltung der Therapeuten-Patienten-Beziehung in ihren unterschiedlichen Facetten sowie die heute zum Standard gehörende Berücksichtigung der Familieninteraktion im Sinne einer familienorientierten Psychiatrie war ebenfalls unter dieser Überschrift zu fassen.
Die Tagung aus Anlass des Jubiläums, die das 15. Forum Psychiatrie und Psychotherapie der LWL-Klinik Paderborn integrierte, fand mit über 200 Teilnehmern eine positive Resonanz und erbrachte ein Zeugnis von der Lebendigkeit der Gesellschaft.
So fand der Eröffnungsabend im feierlichen Rahmen im Rathaus der Stadt Paderborn statt, begleitet von zahlreichen schriftlichen und persönlichen Beiträgen und Grußworten, die die Verbundenheit der Gesellschaft mit unterschiedlichen Einrichtungen und Organisationen dokumentierten. Die beiden Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland, die sowohl bei der Gründung als auch in den Jahren des Aufbaus von Partnerschaften unterstützend der Gesellschaft zur Seite standen, kamen ebenso zu Wort wie die Repräsentanten der Polnischen Botschaft und der Stadt des Gastgebers.
Ein besonderer Höhepunkt war sicherlich neben den Festvorträgen die Ehrung durch den polnischen Staat für langjährige Mitglieder der Gesellschaft, die in verantwortlicher Position zum Auf- und Ausbau, besonders des partnerschaftlichen Handelns in der Gesellschaft, beigetragen haben:
Geehrt wurden Karin Pohl mit dem Ehrenabzeichen "für Verdienste um den Menschenrechtsschutz" sowie Friedrich Leidinger mit dem "Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen".
Der Verlauf der Tagung vom Eröffnungsabend bis zum Abschluss am Samstagabend in geselliger Runde spiegelte zum einen die inhaltliche Spannbreite der Thematik "Partnerschaft" wider, indem die Ansprüche einer offenen Haltung in der psychiatrischen Arbeit ebenso reflektiert wurden wie auch institutionelle Rahmenbedingungen für ein Gelingen in der trialogischen Zusammenarbeit mit Patienten und Angehörigen. Die multiprofessionelle Zusammenarbeit auch als eine Partnerschaft im Dienste des psychisch kranken und behinderten Menschen zu verstehen, war ein Anliegen der Tagung. Zahlreiche Workshops vertieften die Themen der Vorträge und brachten zusätzlichen inhaltlichen Input durch gut vorbereitete Beiträge, die zur Diskussion Anlass gaben, sei es über das Thema "Tabu" oder die in der Bedeutung immer weiter zunehmenden Arbeit in der ambulanten und psychiatrischen psychotherapeutischen Versorgung.
Maria Cechnicka aus Krakau fand in einer der beiden einleitenden Festvorträge am Eröffnungsabend die passenden Worte:
"Unsere Geschichte versteht sich als Entsprechung zum Gedenken Walter Benjamis, dass ,die Vergangenheit uns vor Anforderungen stellt, denen wir nicht gerecht werden können. Diese Anforderungen haben wir entziffert als Aufgaben aus der Vergangenheit, die uns trennt, und der Gegenwart, die uns zusammenführt. Und darin, liebe Freunde, praktiziert ihr – ich scheue mich nicht, dieses altertümliche Wort zu verwenden – Tugend. Die Tugend ,auszuhalten, die Tugend etwas ,zu tun, weil es sich gehört. Bescheidene, kleine Worte, aber um sie näher zu bestimmen, muss man in Erinnerung rufen: Ehrlichkeit, Großherzigkeit, Hingabe, Respekt für die Würde. Respekt für die Würde des Menschen, des anderen, der nicht immer genauso ist wie wir, manchmal fremd, anders. Nicht immer denkt er wie wir, und immer verschiebt sich seine Erscheinung von der Jugend zum Alter, zur Gebrechlichkeit, zur Abhängigkeit. In den Jahren, die die Gesellschaft nun existiert, haben die Menschen, die sich darin engagiert haben, viele Beziehungen angeknüpft, Freundschaften, Bindungen, einen großen Teil ihres Lebens als Erwachsene einander begleitet. Vielleicht haben sich die gegenseitigen Erwartungen erfüllt. Wir haben uns angeschaut, Gedanken miteinander geteilt, einander nicht losgelassen. Vielleicht haben wir ja damit unsere böse Vergangenheit niedergepflügt. Wie auch – wir haben Mauern eingerissen, noch bevor die Berliner Mauer fiel, und wir machen immer noch weiter."
Konkret gelebte Partnerschaft
Am Beispiel der Kliniken-Partnerschaft der LWL-Klinik Paderborn mit der Psychiatrischen Universitätsklinik der Medizinischen Akademie Bydgoszcz/Polen sei die Breite des grenzenüberschreitenden Wirkens veranschaulicht:
Im Jahre 2000 gegründet, ist die Partnerschaft der beiden Kliniken kontinuierlich gewachsen und erstreckt sich auf wechselseitige Besuche von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in jeweiligen Einrichtungen, Hospitationen zum Kennenlernen der Stationsarbeit oder der Ergotherapie, auf gemeinsame Fortbildungsseminare und auch die gemeinsame Verantwortung für Ausstellungen und Tagungen. Parallel zur Jubiläumstagung fand eine Ausstellung von Exponaten von Patientinnen und Patienten aus den beiden Kliniken statt, die dem Leiden depressiver Menschen ein Bild zu geben verstand, in Ausdruck und Gestalt. Die Vielfalt der Exponate, die im Rathaus der Stadt Paderborn einen würdigen Ort fanden, brachten das "Gesicht" der depressiven Störung zum Ausdruck, das Leid des Menschen in der akuten psychischen Krise, aber auch seine Fähigkeit zur Bewältigung dieser Krise und zur persönlichen Weiterentwicklung. Der Ausstellungskatalog ließ Antoni Kempinski, Professor für Psychiatrie in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, der Psychiatrischen Universitätsklinik Krakau zu Wort kommen: "Sie führt oft zu Einschränkungen und zur Einstellung von Kreativität, aber von historischen, psychologischen und kulturellen Perspektiven betrachtet, erweitert sie unser Wissen um die Werte – ein Fehlen wäre bedenklich."
Im Jahr 2010 fanden 2 weitere ausgedehnte Besuche von Mitarbeitergruppen statt: Im Mai des Jahres besuchte eine Paderborner Gruppe die Psychiatrie in Bydgoszcz mit dem Ziel, sich über die Schwerpunkte der Arbeit in der Suchtmedizin sowie der Eingliederungs- bzw. Sozialhilfe in Bydgoszcz auszutauschen. Es wurde von den Paderborner Mitarbeitern ein Fortbildungsseminar zur motivierenden Gesprächsführung vorbereitet und mit Mitarbeitern vor Ort durchgeführt. Intensiv wurden besonders die Aspekte der ambulanten psychiatrischen Betreuung, die eine vollständig andersartige Finanzierungsform als in Deutschland genießt, diskutiert. Zur Fortsetzung dieses Dialogs besuchte im November des Jahres eine Gruppe aus Bydgoszcz die ambulanten Einrichtungen der Institutsambulanz in Paderborn. Die langfristige Betreuung besonders der chronisch psychisch gestörten Menschen stand im Mittelpunkt des Gedankenaustausches. In beiden Besuchen war besonders der Austausch der verschiedenen Berufsgruppen in der Versorgung von Bedeutung.
Ausblick
Die im jährlichen Wechsel in Deutschland und Polen stattfindenden Jahrestagungen finden in 2011 ihre Fortsetzung mit der 22. Jahrestagung, die vom 29.9.–2.10.2011 stattfinden wird in Oswiecim/Auschwitz unter der Überschrift "Psychiatrie braucht Vertrauen". Neben der Möglichkeit des Besuchs im Auschwitz-Museum vor Beginn oder am Schluss der Tagung geht es in Vorträgen und Workshops um die Reflexion der besonders krisenhaft erlebten Behandlungssituationen, so bei der Aufnahme von Patienten in der psychiatrischen Klinik, bei Zwangsmedikation und -fixierung, bei der langfristigen Betreuung chronisch psychisch gestörter Menschen (Information über: eMail: karin.rath@zfp-zentrum.de).
PD Dr. Bernward Vieten, Paderborn