Der Klinikarzt 2011; 40(3): 116-117
DOI: 10.1055/s-0031-1276682
Recht

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Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten durch einen Arzt

Welche Informationen fallen unter die ärztliche Schweigepflicht?
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Dr. iur. Isabel Häser

Rechtsanwältin
Ehlers, Ehlers und Partner

Widenmayerstr. 29

80538 München

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. April 2011 (online)

 
Inhaltsübersicht

Eine ohne Einwilligung im Auftrag des Patienten erfolgte Zusendung eines ärztlichen Attests an Dritte, auch an die Ehefrau, verletzt den Patienten in seinem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht, zu entscheiden, wer über seinen Gesundheitszustand informiert wird. Die Erstellung einer Diagnose, die ein Arzt im Auftrag Dritter aufgrund eigener Beobachtungen und Informationen Dritter erstellt, unterfällt der ärztlichen Schweigepflicht.

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Der Fall

Das Oberlandesgericht München hatte kürzlich über einen zugegebenermaßen seltenen Fall zu entscheiden (Urteil vom 04.02.2010 - Az.: 1 U 4650/08). Der Fall macht jedoch besonders deutlich, dass sich Ärzte bei jedweder Tätigkeit ihrer ärztlichen Schweigepflicht gewahr sein und das Persönlichkeitsrecht ihrer Patienten im Auge behalten müssen. Was war passiert? Der Kläger (Patient) war Inhaber eines Geschäftes. Die Ehefrau des Klägers beauftragte ohne Wissen ihres Ehemannes den Direktor einer psychiatrischen Klinik eines Universitätsklinikums, die wiederum in der Trägerschaft des Landes stand. Hintergrund der Beauftragung war, dass die Ehefrau ihren Ehemann einweisen lassen wollte. Der Psychiater erstellte für die Ehefrau des Patienten sodann ein fachpsychiatrisches Attest, worin er den Kläger als psychisch krank einstufte und die Auffassung vertrat, eine sofortige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik sei erforderlich. Dieses Attest erhielt die Ehefrau des Patienten vom Arzt. In einem zweiten, zusätzlichen Attest diagnostizierte der Arzt ein maniformes Syndrom. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang brachte der Ehemann den Warenbestand seines Geschäftes an einen anderen Ort und war anschließend unauffindbar. Die Hausbank des Patienten kündigte sämtliche Kredite, eine Strafanzeige gegen den Patienten wegen Unterschlagung führte zum Haftbefehl und zur Festnahme. Der zuständige Anstaltsarzt hielt auch unter Berücksichtigung der inzwischen zu den Ermittlungsakten gelangten Atteste des Psychiaters die Voraussetzung für eine einstweilige Unterbringung für nicht gegeben. Der Haftbefehl gegen den Patienten wurde aufgehoben. Drei Jahre nach diesen Vorfällen (jedoch noch innerhalb der Verjährungsfrist) reichte der Patient sowohl Klage gegen den Chefarzt als auch gegen den Klinikträger ein. Mit der Klage wollte er eine Schmerzensgeldzahlung und Feststellung erreichen, dass der Chefarzt und der Träger als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Patienten jeden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Fertigung und Weitergabe des fachpsychiatrischen Attests nebst Ergänzung entstanden ist und noch entstehen wird.

Das Landgericht München I sprach dem Patienten gegen beide Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000 Euro zu und wies im Übrigen die Klage ab. Hiergegen gingen der Patient und der Klinikträger in Berufung.

Das Oberlandesgericht München hob sodann das erstinstanzliche Urteil im Hinblick auf die Berufung des Klinikträgers auf. Nach Auffassung des OLG hat der Patient keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld gegenüber dem Klinikträger. Der Klinikträger haftet als Dienstherr des beamteten Chefarztes für Behandlungsfehler und Pflichtverletzungen nur dann, wenn der Chefarzt Dienstaufgaben wahrnimmt. Das heißt, die Tätigkeit muss innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs erfolgt sein. Handelt er dagegen außerhalb seiner Dienstpflichten, handelt er weder als Beamter noch als Organ des Krankenhauses. Zu klären war für das Gericht also die Frage, ob der Chefarzt bei der Erstellung der Atteste innerhalb seines Aufgabengebiets gehandelt hat. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kam es dabei nicht darauf an, dass der Chefarzt das Attest unter dem Briefkopf der Klinik abgefasst hatte. Vielmehr stufte das Gericht die Erstellung des Attests als Nebentätigkeit ein, da das Schriftstück nicht im Rahmen einer ärztlichen Behandlung erstellt wurde, sondern im Auftrag der Ehefrau des Patienten zur Vorlage bei der Polizei, mit dem Ziel einer Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus. Da der Patient nicht in der vom Chefarzt geleiteten Klinik behandelt wurde, bestand zu keinem Zeitpunkt ein Behandlungsverhältnis. Im Kern handele es sich bei dem Attest um ein im Auftrag der Ehefrau des Patienten erstelltes Kurzgutachten über den Gesundheitszustand ihres Mannes. Das Schriftstück sei der Ehefrau übergeben worden, der dann auch die Entscheidung über das weitere Vorgehen überlassen wurde.

Das Oberlandesgericht bestätigte allerdings das Urteil des Landgerichts im Hinblick auf ein Schmerzensgeld, das vom Chefarzt zu zahlen war. Entgegen der sonst üblichen Haftungsgrundlagen wie Behandlungsfehler oder Aufklärungsverpflichtung wurde hier ein Schadensersatzanspruch zugesprochen, weil der Arzt das Persönlichkeitsrecht seines Patienten durch einen rechtswidrigen Eingriff in Form der Weitergabe der Atteste an die Ehefrau des Patienten verletzt hatte. Das Oberlandesgericht erhöhte das Schmerzensgeld auf 15 000 Euro.

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Persönlichkeitsrecht hat fundamentale Bedeutung

Das Oberlandesgericht hebt sehr deutlich hervor, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem aus Art. 1 und 2 Grundgesetz herzuleitenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine fundamentale Bedeutung zukommt. Das OLG führt aus "es steht nicht im Belieben Dritter, aus welchem Motiv auch immer sie handeln, sich über das Selbstbestimmungsrecht eines behandlungsbedürftigen Menschen hinwegzusetzen. Für Fälle, in denen ein Mensch nicht mehr selbstverantwortlich entscheiden und handeln kann, sieht die Rechtsordnung geregelte Verfahren vor, wie das Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, um in Ausnahmefällen unter Wahrung der Rechte des Betroffenen Eingriffe in das Recht der Selbstbestimmung vorzunehmen. Diese Verfahren, die dem fundamentalen Grundsatz der Selbstbestimmung Rechnung tragen, sind einzuhalten und stehen nicht zur Disposition Dritter."

Nicht entscheidend sei gewesen, ob die Diagnose des Chefarztes zutreffend war. Entscheidend sei vielmehr, dass die Weitergabe des Attests durch den Arzt an die Ehefrau einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten dargestellt habe.

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Schweigepflicht setzt kein Arzt-Patienten-Verhältnis voraus

Das Oberlandesgericht hebt ausdrücklich hervor, dass die ärztliche Schweigepflicht gerade keinen Behandlungsvertrag oder ein sonstiges Arzt-Patienten-Verhältnis voraussetzt. Selbst, wenn ein Arzt im Auftrag Dritter aufgrund von eigenen Beobachtungen und Informationen Dritter eine Diagnose erstelle, unterfielen diese und die Therapievorschläge der ärztlichen Schweigepflicht, da es dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen unterliege, zu entscheiden, wer von etwaigen Erkrankungen in Kenntnis gesetzt werden dürfe.

Der Chefarzt hatte dagegen eingewandt, dass in den Attesten nichts anderes stehe, als Tatsachen, die der Ehefrau und einem weiteren Kreis schon bekannt gewesen seien. Dieses Argument ließ das Oberlandesgericht jedoch nicht gelten. Für das Gericht war von Bedeutung, dass das Attest nicht nur für die Ehefrau des Patienten bestimmt war, wie sich aus der Überschrift "Zur Vorlage..." ergibt und darüber hinaus durch die Autorität eines angesehenen Professors das Attest ein anderes Gewicht hatte.

Der Chefarzt hatte auch noch sein Grundrecht auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ins Feld geführt. Auch dieses Argument ließ das Oberlandesgericht nicht gelten. Es stellte bereits infrage, ob der Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Forschung und Lehre hier überhaupt eröffnet sei und urteilte, dass die vorgenannten Grundrechte einen Eingriff in den Kernbereich des Rechts auf Selbstbestimmung, hier dem Recht des Patienten, selbst zu bestimmen, ob Dritten schwerwiegende und sensible Diagnosen offenbart werden, nicht rechtfertigen könnten.

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Behörden einschalten

Auch war der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht unter dem Gesichtspunkt des Notstandes gerechtfertigt. Sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch das Oberlandesgericht vertreten die Auffassung, dass der Chefarzt, wenn er denn tatsächlich von einer ernsthaften Fremd- und / oder Selbstgefährdung des Klägers überzeugt gewesen wäre, die zuständigen Behörden hätte informieren müssen, und nicht die Entscheidung über das weitere Vorgehen der Ehefrau des Patienten hätte überlassen dürfen.

Das Oberlandesgericht bescheinigte dem Chefarzt eine vorsätzliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Patienten. Vorsätzlich handelt, wer einen rechtswidrigen Erfolg mit Wissen und Wollen verwirklicht, obwohl ihm ein rechtmäßiges Handeln zugemutet werden kann, sodass auch das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit oder des Unerlaubten erforderlich ist. Der Chefarzt habe gewusst, dass der Patient weder in eine Begutachtung noch in eine Versendung von Attesten an Dritte eingewilligt hatte. Außerdem habe er die Ehefrau des Patienten über das Ergebnis seiner Beobachtungen und Bewertungen in Kenntnis setzen wollen. Wie bereits das erstinstanzliche Gericht sieht auch das Oberlandesgericht, dass davon ausgegangen werden müsse, dass einem Direktor einer psychiatrischen Universitätsklinik Inhalt und Umfang der ärztlichen Schweigepflicht bekannt seien.

Nach Auffassung der Richter sei dem Chefarzt auch ein rechtmäßiges Verhalten zumutbar gewesen. Er hätte die Übersendung des Attests unterlassen und gegebenenfalls den Weg über das Unterbringungsgesetz wählen können. Oder er hätte das Ansinnen der Ehefrau des Patienten von vornherein ablehnen können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kommt bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Geldentschädigung für zugefügte immaterielle Schäden nur dann in Betracht, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob im Einzelfall eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der verletzenden Aussage, von der Nachhaltigkeit und der Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab. Die Offenbarung der fachärztlichen Diagnose einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung und der Empfehlung einer Unterbringung gegenüber Dritten treffen die Persönlichkeit des Betroffenen an ihrer Basis, so die Richter. Folglich erhöhte der Senat das Schmerzensgeld auf 15 000 Euro. Bei der Höhe berücksichtigte das Gericht einerseits, dass der Chefarzt sensible Gesundheitsdaten des Patienten vorsätzlich weitergegeben hatte, diese Informationen über die Privatsphäre des Patienten hinaus auch in die Geschäftssphäre Verbreitung gefunden hatten. Andererseits aber, dass auch der Patient gegenüber Geschäftspartnern das Ergebnis des Gutachtens offenbart hatte, die Geschäftsaufgabe und Flucht nicht dem Chefarzt zugerechnet werden könnte, eine Unterbringung nicht erfolgt sei und dem Chefarzt eine altruistische Motivation nicht abgesprochen werden könne.

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Fazit

Die ärztliche Schweigepflicht gilt auch, wenn kein Behandlungsvertrag zwischen dem Arzt und dem Patienten besteht. Probleme mit der Schweigepflicht und Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Patienten können sich häufig auch in Grenzbereichen zum Privaten ergeben. Grundsätzlich sollte die Devise gelten: Alles, was irgendwie im Zusammenhang mit ärztlicher Tätigkeit steht, unterliegt der Schweigepflicht und darf nicht kommuniziert werden.

Besondere Probleme ergeben sich selbstverständlich in den Fällen, in denen es sich um psychiatrische Erkrankungen handelt, wenn die Betroffenen eine Behandlung oder Begutachtung selbst verweigern und gegebenenfalls eine Gefährdung für sich oder andere darstellen. Hier hat das Oberlandesgericht sehr deutlich klar gemacht, dass dann auf den formellen Weg zurückgegriffen werden muss.

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