Der Klinikarzt 2011; 40(3): 122-123
DOI: 10.1055/s-0031-1276685
Medizin & Management

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Arzneimittelfälschungen

Ein ungemein lukratives Geschäft
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Petra Spielberg

Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik Köln/Brüssel

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Publication Date:
18 April 2011 (online)

 
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Arzneimittelfälschungen haben sich in den letzten Jahren zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickelt. Europäische Zollbehörden beschlagnahmten allein im letzten Jahr 9 Millionen gefälschte Medikamentenpackungen mit über 34 Millionen gefälschten Tabletten. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass 6-7 % der Medikamente in Industrieländern Imitate sind. Die meisten Fälschungen gelangen über unseriöse Internetanbieter an die Verbraucher. Gefälscht werden u. a. Potenzmittel, Cholesterinsenker, Medikamente gegen Osteoporose und Malaria, Antibiotika und Virustatika, aber auch Krebsmittel und andere lebensnotwendige Arzneien. Die Bandbreite reicht von Totalplagiaten, über Qualitätsmängel bei den verarbeiteten Stoffen bis hin zu falschen Angaben über die Wirkstoffzusammensetzung. Die Europäische Union will den Fälschern mit verschärften Rechtsvorschriften das Handwerk legen.

Das 2004 verabschiedete Gesundheitsmodernisierungsgesetz, mit dem der Versandhandel von Medikamenten freigegeben wurde, sollte eine bequemere Versorgung chronisch kranker Patienten möglich machen. Es hat hierzulande zugleich aber auch den Weg für den Vertrieb gefälschter Arzneimittel geebnet. Denn als Haupteinfallstor der teilweise gesundheitsbedrohlichen Fälschungen hat sich der Vertrieb über illegale Internethändler erwiesen.

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Vertrieb gefälschter Medikamente meist per Internet

Im Rahmen einer internationalen Aktion unter Beteiligung des Bundeskriminalamtes und anderer deutscher Behörden wurden rund 100 Internetseiten identifiziert, auf denen mutmaßliche deutsche Anbieter illegale Arzneimittel zum Verkauf anbieten. Einer vom Pharmaunternehmen Pfizer in Auftrag gegeben Studie zufolge geben die Deutschen jährlich etwa 2,7 Milliarden Euro für gefälschte Medikamente aus dem Internet aus. Damit liegen sie hinter den Italienern auf Platz 2. Europaweit werden 10,5 Milliarden Euro pro Jahr mit illegalen über den Online-Handel bestellten Arzneimitteln umgesetzt. Ursächlich hierfür sind die um bis zu einem Viertel günstigeren Preise verglichen mit den offiziellen Apothekenpreisen. Auch ist es zum Teil problemlos möglich, verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept über das Internet zu bestellen.

Derzeit erlauben neben Deutschland noch 5 weitere EU-Staaten den Online-Handel mit Medikamenten, und zwar Dänemark, die Niederlande, Portugal, Schweden und Großbritannien.

Während zunächst in erster Linie gefälschte Lifestyle-Medikamente, wie Schlankheits-, Aufputsch-, oder Potenzmittel über unseriöse virtuelle Apotheken und andere Vertriebswege bestellt und ausgeliefert wurden, gelangen inzwischen zunehmend auch Imitate von lebensrettenden Medikamenten z. B. zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs sowie Virustatika und Antibiotika in den Handel. Auch die Apotheken sind hiervor nicht sicher, wie sich kürzlich beim illegalen Reimport von HIV-Medikamenten, die eigentlich für Afrika bestimmt waren, gezeigt hat. Durch Umetikettierung war die gefälschte Ware auch in deutsche Offizinen gelangt.

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Fälschungen sind lukrativ

Einer der Gründe für den Trend: Arzneimittel zu fälschen ist für Kriminelle ungemein lukrativ. Die Gewinnspannen sind im Schnitt höher als beim Drogenhandel, Zigarettenschmuggel oder bei Waffenschiebereien. So kostet ein Kilogramm eines Plagiats des Lifestyle-Medikaments Viagra® auf dem Schwarzmarkt etwa 90 000-100 000 Euro. "Ein Kilogramm Heroin bringt hingegen nur rund 35 000 Euro ein", so Holger Kriegeskorte vom Bundeskriminalamt.

Daher wundert es nicht, dass die Zahl der Fälschungen in den letzten Jahren enorm zugenommen hat. Seit 2005 wurden 400 % mehr gefälschte Arzneimittel sichergestellt. Die europäischen Zollbehörden beschlagnahmten allein im vergangenen Jahr mehr als 34 Millionen gefälschte Tabletten bzw. rund 9 Millionen Verpackungen. Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die Fälscher gehen dabei immer raffinierter vor. Erst kürzlich haben deutsche und österreichische Zollfahnder einen Täterkreis aus Österreich und der hessischen Provinz ausgehoben, der illegale Arzneimittel, vorwiegend Anabolika, unter einem eigenen Label - der Marke Internationale Pharmaceuticals - hergestellt hat. Die Ermittlungen hatten 2 Jahre in Anspruch genommen.

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Grundstoffe für Plagiate kosten oft nur wenige Cent

"Wir stellen einen Trend zu einer zunehmend organisierten Struktur bei Arzneimittelfälschungen fest, bei denen die Täter nicht nur die Wirkstoffe kaufen, sondern die Fälschungen auch selbst herstellen und vertreiben", so Wolfgang Schmitz, Sprecher des Bundeszollkriminalamtes. Die Chemikalien oder Grundstoffe zur Herstellung der Plagiate stammen zumeist aus China, Indien oder Osteuropa und sind dort mitunter für nur wenige Cent zu haben.

Anders als legale Arzneimittel durchlaufen derartige Produkte keinerlei Zulassungskontrollen hinsichtlich ihrer Sicherheit oder Wirksamkeit. Sie können somit falsche Wirkstoffe oder solche von zweifelhafter Qualität beziehungsweise in einer fehlerhaften Dosierung enthalten und stellen dadurch eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit dar. Statistiken darüber, wie viele Verbraucher gesundheitliche Schäden durch die Einnahme gefälschter Medikamente erlitten haben, gibt es nicht, da sich ein Zusammenhang so gut wie nicht herstellen lässt.

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EU-Richtlinie für fälschungssichere Kennzeichnung von Medikamenten

Die EU sah sich daher genötigt, Arzneimittel und Vertriebswege sicherer zu machen, um Arzneimittelfälschern das Handwerk zu erschweren. So sieht eine Anfang Februar 2011 vom Europäischen Parlament (EP) verabschiedete Richtlinie eine fälschungssichere Kennzeichnung von verschreibungspflichtigen Medikamenten vor. Die speziellen, codierten Sicherheitsmerkmale, etwa eine Seriennummer, das Haltbarkeitsdatum und die Produktcharge, sollen beim Einscannen des jeweiligen Arzneimittels erkennbar sein. Damit will die EU eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Produkte sicherstellen. Die Kosten für das Aufbringen der Informationen auf die Verpackungen in Höhe von schätzungsweise 6-11 Milliarden Euro sind von den Pharmafirmen zu tragen. Trotz der Kosten unterstützt die forschende Arzneimittelindustrie den Ansatz. Die Hersteller liefern dem Zoll mitunter sogar wertvolle Hinweise zur Aufdeckung des illegalen Handels.

Die Richtlinie gilt zunächst nur für rezeptpflichtige Medikamente. "Es macht keinen Sinn, verhältnismäßig preiswerte Medikamente mit aufwendigen Sicherheitsmerkmalen auszustatten", so der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Dr. Peter Liese. Die EU-Kommission kann aber Ausnahmen bestimmen. Außerdem soll sie innerhalb von 5 Jahren nach Inkrafttreten entscheiden, ob die Regelungen in ferner Zukunft auch OTC-Produkte umfassen sollen. Für den Parallelhandel mit Medikamenten soll es - anders als ursprünglich von der EU-Kommission geplant - keine speziellen Auflagen geben, da er sich nicht als Einfallstor für illegale Arzneimittel erwiesen hat.

Den Internethandel mit Arzneimitteln will die EU zwar nicht verbieten. Die Richtlinie schafft aber erstmals Voraussetzungen, um Patienten vor Betrug beim Onlinehandel zu schützen. "Seriöse Online-Apotheken sollen sich künftig behördlich zertifizieren lassen können", erklärt die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt. Die Legalität des jeweiligen Internetanbieters sollen die Verbraucher anhand eines EU-weit einheitlichen Logos erkennen können. Wie das Logo aussehen wird, bestimmt die EU-Kommission.

Das Regelwerk verlangt darüber hinaus, dass Pharmahersteller und Vertreiber künftig jedweden Verdacht auf eine Fälschung melden müssen. Die zuständigen Behörden sind angehalten, entsprechenden Hinweisen verschärft nachzugehen und innerhalb von 24 Stunden eine Warnmeldung abzugeben, damit die entsprechenden Produkte schnell aus dem Verkehr gezogen werden können. Die 27 EU-Staaten sind ferner aufgefordert, bei der Umsetzung der Richtlinie in einzelstaatliches Recht Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorschriften festzulegen.

Die Annahme der Richtlinie durch den Ministerrat, die Vertretung der EU-Regierungen, soll in den kommenden Monaten erfolgen. Sie gilt aber als sicher, da der Kompromiss bereits zwischen Vertretern des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten ausgehandelt wurde. In voraussichtlich 2 Jahren sollen die Vorgaben dann in nationales Recht umgesetzt sein. Das Bundesgesundheitsministerium plant, die Umsetzung mit einer AMG-Novelle zu verknüpfen.

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