Der Klinikarzt 2011; 40(3): 123
DOI: 10.1055/s-0031-1276686
Medizin & Management

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EU-Gleichbehandlungsrichtlinie – EuGH fordert geschlechtsneutrale Versicherungstarife

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Publikationsdatum:
18. April 2011 (online)

 
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    Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat Anfang März die Versicherungsbranche aufgewirbelt. Die Luxemburger Richter entschieden, dass Versicherungen ab dem 21. Dezember kommenden Jahres Prämien und Leistungen geschlechtsneutral berechnen müssen. Unterschiedliche Tarifkalkulation aufgrund des statistischen Risikos darf es dann nicht mehr geben.

    Die Luxemburger Richter folgten damit einem Rechtsgutachten ihrer Generalanwältin Juliane Kokott. Die Niederländerin hatte bereits im September letzten Jahres gefordert, in der Versicherungsbranche EU-weit Einheitstarife (sog. Unisextarife) für Männer und Frauen einzuführen.

    Die EuGH griff die Argumentation von Kokott auf und verwies zur Begründung seines Urteils auf die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet. Dass Frauen und Männer bei der Berechnung von Versicherungsprämien bislang dennoch ungleich behandelt wurden, geht auf eine Ausnahmeregelung zurück. Die Versicherungen durften Unterschiede bei den Preisen und den Leistungen verlangen, sofern sich die geschlechtsspezifischen Risiken durch versicherungsmathematische und statistische Daten belegen ließen.

    Diese Ausnahmeregelung stand nun auf dem Prüfstand. Die Luxemburger Richter wollten mit ihrem Urteil verhindern, dass Versicherer von der Ausnahmeregelung unbefristet Gebrauch machen. Hintergrund der EuGH-Entscheidung war die Klage eines belgischen Verbraucherverbandes und von 2 Privatpersonen gegen die auf der EU-Ausnahmeklausel beruhenden Regelungen.

    Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es in zahlreichen EU-Ländern sowohl in der Rentenversicherung, der Risikolebensversicherung als auch in der privaten Kranken- und der Kfz-Versicherung. So zahlen Frauen zum Beispiel in der Kfz-Versicherung niedrigere Beiträge als ihre männlichen Geschlechtsgenossen, weil sie weniger Unfälle bauen. Die um 5 Jahre höhere statistische Lebenserwartung der Frauen wiederum führt zu günstigeren Beiträgen bei einer Risiko-Lebensversicherung, aber zu deutlich höheren Beiträgen bei den privaten Rentenversicherungen.

    Nach dem EuGH-Urteil sind differenzierte Versicherungstarife künftig nur noch zulässig, wenn sie auf eindeutig nachweisbare biologische Unterschiede zurückgehen. Dies gilt beispielsweise für das "biologische Risiko" einer Schwangerschaft bei der Berechnung privater Krankenversicherungsbeiträge. Dem Urteil zufolge müssen die Versicherer nach einer Übergangsfrist von 3 Jahren Neuverträge auf Unisextarife für alle Policen anbieten. Altverträge müssen nicht angepasst werden.

    Das Urteil stieß auf ein geteiltes Echo. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft warnte, Unisex-Tarife würden zu einem Anstieg des durchschnittlichen Prämienniveaus führen.

    Der Bundesverband der Verbraucherzentralen wiederum begrüßt das Urteil. Bei den Riester-Verträgen habe die Anpassung schließlich auch geklappt. Dort gibt es bereits seit dem Jahr 2006 Einheitstarife. Unisextarife sind ferner bei Rechtsschutzpolicen und einigen Sachversicherungen Standard.

    Petra Spielberg, Köln/Brüssel