Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2011; 18(2): 57-58
DOI: 10.1055/s-0031-1277608
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Höhenflüge in Frankreich – Mehr als eine fliegerärztliche Fortbildung

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Publication Date:
21 April 2011 (online)

 
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Abb. 1 Sonne, Wind und Berge: Jede Wolke bedeutet einen Lift nach oben.

Einige Kollegen der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin (DGLRM) mit gültiger Lizenz zum Segelflug treffen sich jedes Frühjahr zu einer speziellen Fortbildung in der französischen Provence, http://www.dglrm.de/termine. Sie kratzen 2 Wochen von unten an der Stratosphäre. Sie hoffen dort auf starken Nordwind, der bei laminarer oder störungsfreier Strömung über Hindernisse Wellenaufwinde verursacht. Das funktioniert wie bei einem großen Stein im Flussbett, der an der Oberfläche eine Welle verursacht. Die Segelflieger können mit Sauerstoff Höhen von über 8000 Metern erreichen.

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Ein Flug im Jahr 1996

Nach den täglichen Vorträgen im Hörsaal von Saint Auban, Frankreich, transportieren Schleppflugzeuge die Segelflugzeuge an den nächsten Berghang. Kurz nach dem Start werden beide Flieger von einem turbulenten Abwindfeld heftig durchgeschüttelt. Nach dem Ausklinken bläst der Wind den Flieger im Hangflug wie erwartet bergauf. Alle Segelflieger gewinnen hier Höhe in Achterschleifen - zur Sicherheit immer mit Schulterblick vor dem Einkurven. Der nächste Ort zum Höhengewinn führt durch einen turbulenten Abwind. Mit ausgefahrenem Fahrwerk und ein Außenlandefeld sicher im Visier findet der Flieger in 300 Metern Höhe über Grund eher zufällig einen Hauch von Aufwind, der sich erst zäh zu einem engen Aufwindschlauch entwickelt. Drei Optionen hat man im Flug:

  1. weiter fliegen

  2. parken, abwarten und dabei Höhe gewinnen

  3. oder zurück zur Landung.

Das Fahrwerk wird 500 m weiter oben wieder eingefahren. Der ruppige Aufwind geht in ruhigeres Steigen über. In 2500 m Höhe kommt der Einsatz des Pulsoxymeters: Die Sättigung liegt bei 98 %. In 3000 m Höhe sinkt die Sättigung auf 96 %. Es folgt die Vorbereitung für den Höhenflug:

  • O2-Maske hervorholen

  • Mütze ab, Brille ab

  • Maske über den Kopf ziehen

  • Flasche aufdrehen

  • Druckkontrolle

  • Brille wieder auf, Mütze auf

  • einige Atemzüge zur Probe, damit Anstieg der Sättigung auf 99 %

Inzwischen ist das Steigen in herzhaftes Fallen umgeschlagen. Die Haube ist von innen wegen der Expiration nach der Anstrengung vereist. Ein Blick auf die Instrumente klärt die Lage. Der Staudruck-Fahrtmesser zeigt 80 km/h, aber das GPS 15 km/h - leider nach rückwärts. Der Grund ist ein direkter Gegenwind mit etwa 95 km/h. Die Therapie: Steuerknüppel kräftig nach vorn und mit 150 km/h vorwärts. Nach 500 m Höhenverlust ist das Aufwindgebiet wieder erreicht. Der Flieger wurde nun genau gegen den Wind getrimmt, so dass er über dem Boden fast stillsteht. Gegen das Eis und zur Lagekontrolle hilft das offene Seitenfenster. Der Höhenmesser dreht sich jetzt wie ein Uhrwerk nach oben. Von Turbulenzen gibt es keine Spur mehr.

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Unterwegs zur Höhe von Himalaja-Gipfeln

Das Blau des Himmels ist beinahe schwarz. Die Sicht ist hier oben grandios und geschätzte 100 km weit möglich. Für den Fall, dass jetzt in 6000 m Höhe bei -39 °C das Sauerstoff-Gerät ausfällt, hatte ich noch eine Reserveflasche der Nationalen Volksarmee (NVA) dabei. Aber was machen die Kollegen, die mit dem geliehenen System von Schwester Rigida unterwegs sind? Ist der medizinische Sauerstoff nicht feuchter, so dass die Armaturen einfrieren? Man hat mit einem 23 Jahre alten Flieger aus 220 kg Kunststoff und Balsaholz in dieser Höhe nichts verloren. Besonders dann nicht, wenn das Leben an zwei Sauerstoff-Flaschen hängt. Wir sind unterwegs zur Gipfelhöhe des Mount Everest. Ist das jetzt schon die hypoxische Höheneuphorie?

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Abb. 2 Panorama aus dem Cockpit in 8000 m Höhe.

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Kratzen an der Stratosphäre

Das Gefühl weicht aus den Füßen. Isometrische Gymnastik ändert nichts. Erreicht sind 8000 m. Das genügt für einen Segelflug mit Rückenwind bis Korsika. In 8900 m Höhe erfolgt eine Runde Abschlussfotos. Anschließend gehen das Fahrwerk und die Bremsklappen raus, der Vogel wird auf die Nase gedrückt und nichts wie ab nach unten. Der Abstieg zieht sich schier endlos, denn Segelflieger sinken nun mal schlecht. Das Antidiuretische Hormon (ADH) und die Kälte fordern Entlastung.

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Verkürzter Landeanflug gegen den Wind

Der Tower meldet böigen Nordwind bis 70 km/h. Eine normale Landung mit 90 km/h wäre gleichbedeutend mit einer Bruchlandung im Sinne eines freien Falles aus 6 bis 8 m Höhe: In den letzten Höhenmetern nimmt die Windgeschwindigkeit und damit auch Auftrieb sowie Gleiten ab. Dies erfolgt teils schlagartig. Also beschleunigen wir sofort auf 150 km/h und verkürzen den Landeanflug exakt gegen den Wind. Es ist Verlass auf die morgendlichen Turbulenzen, die noch an Ort und Stelle sind. Beim Ausstieg stolpere ich fast über die eingefrorenen Füße. Mit der Hilfe von 6 Kollegen, die die Tragflächen beim Abrüsten im Sturm festhalten müssen, verschwindet der kleine Segelflieger 7 Stunden nach dem Start sicher in seinem Anhänger.

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Abb. 3 Eine Hand zum Fliegen, eine Hand für das Pulsoxymeter und eine Hand für die Kamera.

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Nachtrag

Dokumentiert wurde für den Flug im Jahr 1996 eine Dichtehöhe von 383 Hektopascal. Das bedeutet - im Vergleich mit dem Sauerstoffgehalt auf Meereshöhe - nur etwa 38 % Sauerstoffgehalt in der Atemluft. Fehlt der Sauerstoff, hat man noch 3 bis 5 Minuten Zeit zu unterscheiden, ob man den Steuerknüppel oder eine Harfe in der Hand hat. Alle Segelflugzeuge sind so konstruiert, dass sie ohne Ruderbewegung allein weiterfliegen. Es gibt vereinzelte Berichte von Piloten, die in tieferen Luftschichten noch fliegend wieder aus der Ohnmacht erwacht sind.

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Ein Flug im Jahr 2011

Dieselben Piloten fliegen mit kleinen Kollisionswarngeräten, die untereinander kommunizieren und außerdem die Steigwerte der anderen Flieger melden. Gleichzeitig warnen die kleinen Helfer vor den unsichtbaren Seilbahnen und Überlandleitungen. Die neuen Sauerstoffgeräte pusten höchst effektiv beim Einatmen ausreichend Sauerstoff in die Nase. Die Höhenflüge sind inzwischen eingeschränkt und die alten Sünden vergessen. Stattdessen sind Streckenflüge mit Abschnitten von bis zu 100 km Länge, ohne Höhenverlust und nur im Geradeausflug bei Geschwindigkeiten von 120 bis 150 km/h möglich. Die Piloten der Meisterklasse nutzen Wellenaufwinde ab 6 Uhr morgens für Flüge in 4 bis 7 km Höhe von Süd-Frankreich bis nach Österreich und wieder zurück. Der Weltmeister Klaus Ohlmann bewältigte an einem Tag in den Anden eine Strecke 3000 km.

Dr. Klaus-Heiko Wassill, Gießen

Homepage der Fortbildung:
http://www.stagekriebel.de

 
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Abb. 1 Sonne, Wind und Berge: Jede Wolke bedeutet einen Lift nach oben.

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Abb. 2 Panorama aus dem Cockpit in 8000 m Höhe.

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Abb. 3 Eine Hand zum Fliegen, eine Hand für das Pulsoxymeter und eine Hand für die Kamera.