Die Aufbereitung von medizinischen Einwegprodukten kann nachweislich zu Kosteneinsparungen führen. Das geht aus einem aktuellen Gutachten hervor, das EU-Gesundheitskommissar John Dalli vorliegt. Anlass der Kosten-Nutzen-Berechnung war ein Bericht der EU-Kommission zur "Wiederaufbereitung von Medizinprodukten in der EU" vom September 2010. Kritiker des Reprocessing zweifeln am ökonomischen Nutzen und verweisen auf mögliche gesundheitliche Risiken durch die Verwendung aufbereiteter Medizinprodukte für den einmaligen Gebrauch.
Ärzte und Gesundheitsökonomen haben anhand eines Rechenbeispiels nachgewiesen, dass die Aufbereitung von medizinischen Einmalprodukten nach einem validierten Verfahren zu enormen Kosteneinsparungen führen kann. Mit dem Gutachten kommen die Experten einer Forderung von Gesundheitskommissar Dalli nach, Nachweise dafür zu liefern, dass die Verwendung von aufbereiteten Einmalprodukten sowohl unter betriebswirtschaftlichen als auch gesamtwirtschaftlichen Aspekten dazu beitragen kann, Kosten im Gesundheitswesen zu senken.
Gutachten zur Kosten-Nutzen-Bewertung
Verfasser des Gutachtens ist eine deutsche Expertengruppe für die Sicherheit bei der Wiederaufbereitung von Medizinprodukten, kurz Smdr, unter Federführung des Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff vom Centrum für Krankenhausmanagement an der Universität Münster. Zu den Mitgliedern der Smdr gehören Ärzte aus den Bereichen Hygiene, Kardiologie und Chirurgie, Zahnärzte, Gesundheitsökonomen, Werkstoff- und Medizinproduktespezialisten sowie Anwälte für Medizinrecht.
Kosten-Nutzen-Berechnungen zur Aufbereitung von Medizinprodukten fehlen auf europäischer Ebene bislang. Darauf hatte ein von der Brüsseler Behörde eingesetztes wissenschaftliches Gremium (Scenhir) hingewiesen, das sich mit neu auftretenden und neu identifizierbaren Gesundheitsrisiken befasst. Aus dem Scenhir-Bericht vom September 2010 geht ferner hervor, dass sich gesundheitliche Risiken durch die Verwendung von aufbereiteten medizinischen Einmalprodukten nicht ausschließen lassen. Das Gremium hatte zugleich angemerkt, dass die Datenlage auch hierfür unzureichend ist.
In ihrem Gutachten vergleicht die Smdr die Nutzung aufbereiteter versus neuer Ablationskatheter miteinander. Diese Produkte kommen in Deutschland bei etwa 46 000 Patienten und in Europa bei rund 165 000 Patienten im Rahmen von Katheteruntersuchungen des Herzens zum Einsatz. Pro Eingriff werden 3–4 Katheter benötigt.
"Während ein neuer, ungekühlter RF-Ablationskatheter das Krankenhaus durchschnittlich 1 190 Euro kostet, beträgt der Preis für einen aufbereiteten Katheter pro Prozedur nur etwa 450 Euro", so von Eiff. Das entspricht dem Gesundheitsökonomen zufolge einem Einsparvolumen von hochgerechnet 16,451 Millionen Euro für Deutschland. Europaweit ließen sich durch die Verwendung aufbereiteter Ablationskatheter rund 59,02 Millionen Euro sparen.
Die Kostensenkungen könnten wiederum dazu beitragen, Investitionen zu tätigen, die sowohl der Volkswirtschaft als auch der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgungsqualität zugute kommen, so ein weiteres Fazit des Gutachtens.
"Das Rechenbeispiel zeigt, wie viel Kostenersparnis allein bei einer einzelnen Produktgruppe erzielt werden könnte und steht stellvertretend für das generelle Einsparpotenzial der Wiederaufbereitung", so von Eiff. Dies dürfe allerdings nur für solche Produkte gelten, für die ein validiertes Wiederaufbereitungsverfahren existiert bzw. entwickelt werden kann.
Kritiker sind skeptisch und fordern Kennzeichnungspflicht
Kritiker der Wiederaufbereitung, wie der europäische Dachverband der Medizinproduktehersteller Eucomed, fordern indes ein generelles Verbot des Reprocessing in Europa aufgrund der möglichen gesundheitlichen Gefährdung der Patienten durch aufbereitete Einmalprodukte.
Auch der CDU-Europaabgeordnete und Arzt Dr. Thomas Ulmer ist skeptisch: "Das Gutachten ist meiner Ansicht nach einseitig und lässt keinen allgemeingültigen Schluss zu, dass die Wiederaufbereitung von Einmalprodukten generell Kosten einspart." Ulmer spricht sich zwar nicht grundsätzlich gegen das Reprocessing aus. Allerdings sollte es seiner Ansicht nach ein europaweit einheitliches validiertes Verfahren zur Aufbereitung geben. Der CDU-Politiker fordert überdies eine generelle Kennzeichnungspflicht für wiederaufbereitete Produkte. "Patienten, Ärzte und Krankenhauspersonal müssen wissen, ob das Produkt neu ist oder bereits verwendet wurde."
Auch ist es nach Meinung von Ulmer zwingend erforderlich, den Zusammenhang von Krankenhausinfektionen und der Verwendung von wiederaufbereiteten Einwegprodukten z. B. mittels Langfriststudien über einen Zeitraum von 5–10 Jahren näher zu untersuchen. "Endokarditis lenta, eine Entzündung der Herzinnenhaut, tritt beispielsweise erst mit massiver zeitlicher Verzögerung auf", so Ulmer.
Diese Sorge ist nach Auffassung des Smdr-Sprechers und Hygieneexperten Prof. Dr. Axel Kramer unbegründet: "Wir haben in Deutschland so hohe Sicherheitsvorschriften, die übrigens gleichermaßen für Einweg- wie für Mehrweg-Medizinprodukte gelten, dass nach vorausgehender Produkt- und Risikoanalyse zur Ermittlung der Möglichkeit der Wiederaufbereitung, produktspezifischer Verfahrensfestlegung und sachgerechter Aufbereitung keine erhöhte Gefahr für die Patienten besteht."
Ulmer hofft indessen, dass EU-Gesundheitskommissar John Dalli alsbald konkrete Vorschläge für eine einheitliche Regelung zur Wiederaufbereitung von Medizinprodukten für den einmaligen Gebrauch macht, um die rechtliche Grauzone, die es in diesem Bereich noch gibt, endlich zu schließen.