Aus Anlass des 100. Geburtstages von OMR Prof. Dr. med. habil. Dr. h.c. Paul Steinbrück erinnern wir an seine herausragende Bedeutung für die Tuberkulose-Bekämpfung in der DDR.
Paul Steinbrück wurde am 5.08.1911 in Helbra geboren. Nach Abschluss der Volksschule besuchte er das Gymnasium in Eisleben, wo er 1929 das Abitur ablegte. Anschließend begann er ein Medizinstudium in Leipzig, das er in Würzburg und in Halle/Saale fortsetzte. Im November 1935 erhielt er nach bestandenem Staatsexamen die Bestallung als Arzt. Er promovierte 1936 bei Emil Abderhalden in Halle/Saale mit der Dissertation "Untersuchungen über die Ausscheidung polypeptidspaltender Fermente im Harn des gesunden und kranken Organismus".
Professor Paul Steinbrück (Bild: Privatarchiv Steinbrück)
Nach dem Staatsexamen war er als Assistenzarzt in Sangerhausen, Berlin-Lichtenberg und Hannover tätig, wo er seine Ausbildung zum Kinderarzt begann. Durch eine Tuberkulose-Erkrankung wurde diese jäh unterbrochen. Während eines Heilstättenaufenthalts lernte er die Probleme der Menschen kennen, die durch die lange Krankheit entstanden. Leid und Tod der Kranken waren für ihn der Anlass, sich dieser Krankheit zu widmen und die Ausbildung zum Tuberkulose-Arzt in der Knappschafts-Heilstätte Albrechtshaus/Harz zu absolvieren. Die Krankheit gewann damit für sein weiteres Leben eine schicksalhafte Bedeutung.
Unter dem Zwang des Ärztemangels wurde er am Ende des Kriegs als Chefarzt dieser Heilstätte eingesetzt. 1947 erfolgte die Berufung zum Leiter der Tuberkulose-Fürsorgerstelle in Halle/Saale. Gleichzeitig wurden ihm auch die Aufgaben des Landestuberkulosearztes des Landes Sachsen-Anhalt und des Chefarztes der Lungenabteilung des Waldkrankenhauses Halle-Dölau übertragen. Neben seiner umfangreichen ärztlichen Tätigkeit bewies er hier auch seine herausragenden organisatorischen Fähigkeiten.
Trotz der intensiven Bemühungen um eine Eindämmung der Krankheit blieb den Ärzten in den ersten Nachkriegsjahren wegen der schlechten sozialen Bedingungen ein entscheidender Erfolg versagt. Im Gründungsjahr der DDR 1949 wurden noch eine hohe Inzidenz und eine hohe Todesrate registriert. Die alarmierenden Zahlen führten zur Gründung des Tuberkulose-Forschungsinstitutes in Berlin-Buch mit dem Ziel, alle bisherigen Tuberkulose-Bekämpfungsmaßnahmen zu konzentrieren und eine wirksame Strategie zu entwickeln. Steinbrück wurde am 01.10.1951 zum Direktor dieses Instituts berufen. Mit seiner fachlichen Kompetenz, seinem Ideenreichtum, seiner Überzeugungskraft und seinem unermüdlichen Einsatz leistete er einen wesentlichen Beitrag zur baulichen und inhaltlichen Gestaltung des Instituts.
Steinbrück widmete sich mit Hingabe der Entwicklung des Tuberkulose-Forschungsinstituts, und es wurde ein wichtiger Teil seines Lebens. Seiner persönlichen Ausstrahlung ist es zu verdanken, dass er kompetente Ärzte und Wissenschaftler für die Mitarbeit im Institut gewinnen konnte, die mit ihren Erfahrungen sehr schnell die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Klinik und den wissenschaftlichen Abteilungen in diesem Institut erkannten und entsprechend wirksam werden konnten. Sie alle stellten sich den großen Herausforderungen, die das Ziel verfolgten, die Tuberkulose als Volkskrankheit schnell zu überwinden.
Das Tuberkulose-Forschungsinstitut wurde die Leiteinrichtung der Tuberkulose- Bekämpfung in der DDR. Von hier wurden die Volks-Röntgen-Reihenuntersuchungen und die BCG-Impfaktionen (Impfungen mit dem Lebensimpfstoff Bacille Calmette-Guérin) organisiert, die über viele Jahre wichtige Säulen in der Strategie der Tuberkulose-Bekämpfung waren. Später wurden hier gemeinsam mit den großen Lungenkliniken und der Fachgesellschaft umfangreiche Therapiestudien koordiniert, die zu den Therapieempfehlungen für die Tuberkulose führten.
Eine vordergründige Aufgabe des Instituts war die epidemiologische Überwachung der Tuberkulose-Entwicklung. Dazu wurde von den in den Bezirken und Kreisen arbeitenden Tuberkulose-Ärzten das erforderliche Zahlenmaterial angefordert; gleichzeitig war damit auch eine Effektivitätskontrolle möglich. Seit 1952 wurden zusätzlich unter der Leitung von Steinbrück alle wissenschaftlichen Aktivitäten und organisatorischen Maßnahmen auf dem Fachgebiet im "Arbeitskreis zur Erforschung und Bekämpfung der Tuberkulose" zusammengeführt; dieser war später beim Forschungsrat der DDR etabliert und firmierte seit 1965 als Problemkommission für Lungenkrankheiten und Tuberkulose.
Besondere Aufmerksamkeit hat Steinbrück der Weiterbildung der Tuberkulose-Ärzte gewidmet. Sein Ziel war es, eine breite Basis zu schaffen für den Übergang zu Lungenfachärzten, da sich mit der erfolgreichen Einführung der antituberkulotischen Chemotherapie ein schneller Rückgang der Tuberkulose abzeichnete und damit andere Lungenkrankheiten in den Blickpunkt rückten. Nach seiner Habilitation 1963 wurde er zum Professor mit Lehrauftrag an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen. Neben der studentischen Ausbildung organisierte er als Inhaber des Lehrstuhls Lungenkrankheiten an der Akademie für ärztliche Fortbildung der DDR viele Weiterbildungsveranstaltungen, die großen Zuspruch fanden. Seine Vorstellungen für eine internistische Grundausbildung mit einer zusätzlichen pneumologischen Subspezialisierung wurden 1978 in der Facharztordnung festgeschrieben. Damit blieb das Fachgebiet selbständig und konnte zukunftsorientiert weiterentwickelt werden.
Steinbrück arbeitete aktiv in Gremien der WHO (World Health Organization) und der IUAT (International Union Against Tubercolosis) mit, wo sein Rat als Experte hoch geschätzt war. Er war besonders an der Erarbeitung der Therapieempfehlungen für die Chemotherapie der Tuberkulose beteiligt. Die hervorragenden Leistungen und Arbeitsergebnisse von Steinbrück wurden u. a. mit dem Ehrentitel "Verdienter Arzt des Volkes" gewürdigt. Zusammen mit den Mitgliedern der Problemkommission Lungenkrankheiten und Tuberkulose wurde er 1964 mit dem Nationalpreis für Wissenschaft und Technik I. Klasse gewürdigt. Er wurde zum Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin gewählt und war Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer Fachgesellschaften. Von der Humboldt-Universität wurde ihm die Ehrendoktorwürde verliehen.
Neben seiner umfangreichen Tätigkeit im Institut, auf Kongressen und Weiterbildungsveranstaltungen gab Steinbrück von 1974 bis 1984 die "Zeitschrift für Erkrankungen der Atmungsorgane" (früher "Zeitschrift für Tuberkulose") heraus und entwickelte sie zu einem wichtigen Publikationsorgan auf dem Gebiet der Lungenkrankheiten.
1979 gab Steinbrück die Leitung des Instituts ab, das sich als "Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose" (FLT) weit über die Grenzen des Landes einen Namen gemacht hat. Er befasste sich fortan neben seiner Tätigkeit als Chefredakteur und als Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR mit der Geschichte der Medizin, widmete sich aber auch mit viel Muße seiner Familie und seinem schönen Haus und Garten.
Paul Steinbrück ist am 30.11.1994 in Berlin verstorben. Allen, die das Glück hatten, mit ihm eine längere Zeit zusammen zu arbeiten, ist er als kompetenter, ideenreicher und überzeugender Arzt und als verständnisvoller Mensch in guter Erinnerung.
PD Dr. Bernhard Wiesner, Bad Berka