Zentralbl Chir 2013; 138(1): 57-63
DOI: 10.1055/s-0031-1283883
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) an einem Universitätsklinikum

Establishing an Ambulatory Health-Care Centre (AHCC) at a University Hospital
A. Krüll
1   UKE, Geschäftsführung Ambulanzzentrum, Hamburg, Deutschland
,
J. F. Debatin
2   UKE, Ärztliche Direktion, Hamburg, Deutschland
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Krüll
Ambulanzzentrum der UKE GmbH
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Deutschland   
Phone: +49 / 40 / 7 41 05 79 11   
Fax: +49 / 40 / 7 41 05 99 81   

Publication History

Publication Date:
16 March 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund: Durch die Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) besteht seit Januar 2004 auch für Krankenhäuser die Möglichkeit, ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu gründen. Nach einer etwa halbjährigen Vorbereitungsphase hat das UKE im September 2004 als erste Universitätsklinik in Deutschland mit der „Ambulanzzentrum des UKE GmbH“ den Betrieb eines MVZ aufgenommen. In dem folgenden Beitrag wird über den Aufbau des Ambulanzzentrums berichtet und die gesammelten Erfahrungen geschildert.

Material und Methode: In der Anfangsphase waren zunächst nur die Fachrichtungen Strahlentherapie und Nuklearmedizin vertreten. Beide Fächer, insbesondere die Strahlentherapie, waren durch den weitgehenden Verlust der ambulanten Patienten existenziell bedroht. Das zentrale Motiv für die Gründung des Ambulanzzentrums war, den Fortbestand beider Bereiche zu sichern und bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Nach Inbetriebnahme nahmen die Zuweisungen von niedergelassenen Kollegen sowohl für die Strahlentherapie als auch für die Nuklearmedizin schnell zu. Die positiven Entwicklungen führten dazu, dass auch andere Fachbereiche des UKE ihr Interesse bekundeten, ihre ambulanten Aktivitäten um Strukturen des MVZ zu ergänzen.

Ergebnisse: Im Laufe der folgenden Jahre wuchs das Ambulanzzentrum stetig. Mittlerweile sind 24 Fachbereiche im MVZ vertreten und die Einrichtung verfügt über insgesamt 49 Vertragsarztsitze. Die Anzahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte ist auf 85 angestiegen, wobei allerdings einige von ihnen auch nur mit einer reduzierten Stundenzahl (Teilzeit) im MVZ beschäftigt sind. Darüber hinaus wurden im Laufe der Jahre mehr als 83 nichtärztliche Mitarbeiter eingestellt. Hierbei handelt es sich überwiegend um Physiotherapeutinnen, MTRAs sowie auch um MFAs. Mit der wachsenden Anzahl der Fachbereiche im MVZ hat auch die Zahl der Behandlungsfälle stetig zugenommen. Derzeit werden im Ambulanzzentrum etwa 20 000 Fälle pro Quartal behandelt.

Schlussfolgerungen: Die mit der Gründung eines MVZ im UKE gemachten Erfahrungen sind durchweg positiv. Bessere sektorübergreifende Medizin, Unterstützung der niedergelassenen Überweiser, zufriedene MVZ-Ärzte und eine Stärkung von Forschung und Lehre fassen die Erfahrung der letzten 7 Jahre zusammen. Die Ambulanzzentrum des UKE GmbH wird sich auch zukünftig bemühen, ihr Leistungsangebot durch weitere Disziplinen sinnvoll zu erweitern.


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Abstract

Background: Since January 2004 hospitals have the opportunity to establish an ambulatory health-care centre (Medizinisches Versorgungszentrum – MVZ) as a result of the introduction of the Health-care Modernisation Act (Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung – GMG). After about a half-year preparatory phase, the UKE, in September 2004, began operation of the “Ambulanzzentrum des UKE GmbH” (a limited liability company) as the first MVZ at a university hospital in Germany. We report here on the establishment of the MVZ and the experience made.

Materials and Methods: In the initial phase, only the medical fields of radiation therapy and nuclear medicine were represented. Both disciplines, especially radiation therapy, were existentially threatened by the extensive loss of ambulatory patients. The central motive for the establishment of the ambulatory health-care centre was to secure the survival of both disciplines and to preserve existing jobs. After it was put into operation, the referrals from practice-based colleagues to both radiation therapy and nuclear medicine increased quickly. The positive developments caused other departments of the UKE to express their interest in supplementing their outpatient activities with facilities in the MVZ.

Results: Over the following years, the ambulance centre grew steadily. Now 24 departments are represented in the MVZ, and the centre has a total of 49 positions for physicians contracted by and registered within the German public health insurance system. The number of salaried doctors has risen to 85, although many of these only work part time in the MVZ. Also more than 83 non-medical staff members were hired over the years. These were mostly physiotherapists, radiographers, and medical assistants. With the growing number of departments in the MVZ, the number of treated cases grew steadily. Currently approximately 20 000 cases are treated in each quarter of a year.

Conclusions: The experience made while establishing an ambulatory health-care centre is very positive. Better cross-sectoral medicine, support of referring practice-based colleagues, content of centre-physicians and a strengthening of research and teaching summarise the experience of the last 7 years accurately. The outpatient centre of UKE GmbH will strive to continue to expand its range of medical services into other medical fields whenever it makes sense.


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Einleitung

Durch die Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) besteht seit Januar 2004 auch für Krankenhäuser die Möglichkeit, ein medizinisches Versorgungszentrum zu gründen. Die rechtliche Grundlage für die Errichtung eines MVZ ist im § 95 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) geregelt. Im Januar 2007 wurden die Bedingungen für Medizinische Versorgungszentren noch einmal durch das Vertragsarztrechts-Änderungs-Gesetz (VÄndG) modifiziert und teilweise die Möglichkeiten noch erweitert [1].

Krankenhäuser können nun durch die Gründung eines Versorgungszentrums im vertragsärztlichen Bereich tätig werden und umgekehrt können Vertragsärzte die Übernahme von Krankenhausabteilungen anbieten [2].

Medizinische Versorgungszentren sind fachübergreifende Einrichtungen, die durch eine koordinierte Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen die medizinische Versorgung der ambulanten Patienten verbessern sollen [3] [4]. Zu denen am häufigsten vertretenen Fachgruppen gehören Hausärzte, Internisten und Chirurgen [5]. Chirurgen stellen somit in vielen medizinischen Versorgungszentren eine bedeutende Fachgruppe dar [6].

Ein MVZ muss ärztlich geleitet werden, und die in ihm arbeitenden Fachärzte sind entweder als selbstständige Vertragsärzte tätig oder arbeiten als angestellte Ärzte im MVZ. Als mögliche Organisationsformen waren bisher unter anderem eine GmbH, eine GbR, eine AG, eine PartG, Stiftungen sowie auch Vereine möglich. Die Medizinischen Versorgungszentren konnten bis dato durch Vertragsärzte, aber auch durch andere Personen oder Einrichtungen, die zur Erbringung ärztlicher oder nichtärztlicher medizinischer Leistungen berechtigt sind, wie z. B. Krankenhäuser, Apotheken oder Rehabilitationseinrichtungen gegründet werden. Die Medizinischen Versorgungszentren nehmen ebenso wie die niedergelassenen Kollegen an der Vertragsärztlichen Krankenversorgung teil [7] [8] [9].

Bei der Formulierung des neuen Versorgungsgesetzes, das am 1.1.2012 in Kraft trat, wurden jedoch die bisher sehr flexiblen Rahmenbedingungen für Medizinische Versorgungszentren deutlich eingeschränkt und die Zulassungsbedingungen verschärft [10] [11] [12] [13] [14].

Seit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes hat die Anzahl der neu gegründeten Medizinischen Versorgungszentren rasch zugenommen. Nach der jüngsten Zusammenstellung der KBV [5] waren am Ende des 4. Quartals 2010 insgesamt 1654 MVZ zugelassen worden. Von den insgesamt 8610 im MVZ tätigen Ärzten waren 7278 im Angestelltenverhältnis beschäftigt. 43,4 % der Medizinischen Versorgungszentren wurden durch Vertragsärzte betrieben und 36,7 % der MVZ befanden sich in der Trägerschaft eines Krankenhauses.

Die Anzahl der Medizinischen Versorgungszentren, die durch ein Krankenhaus gegründet werden, nimmt kontinuierlich zu. Sie werden am häufigsten in Form einer GmbH geführt. Seltener wird als Organisationsform eine GbR gewählt [15]. Medizinische Versorgungszentren an einem Krankenhaus arbeiten weitgehend nur mit angestellten Ärzten. Nach einer Erhebung des Wissenschaftsrats, die im Juli 2010 veröffentlicht wurde, haben bereits insgesamt 18 Universitätskliniken angegeben, ein (oder mehrere) Medizinische Versorgungszentren zu betreiben [16].

In dem Beitrag wird der Aufbau eines Medizinischen Versorgungszentrums an dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf geschildert und über die bisherigen Erfahrungen berichtet.


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Material und Methode

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat sich bereits sehr früh entschlossen, ein Medizinisches Versorgungszentrum zu gründen. Nach einer etwa halbjährigen Vorbereitungsphase konnte das UKE im September 2004 als erste Universitätsklinik in Deutschland mit der Ambulanzzentrum des UKE GmbH den Betrieb aufnehmen.

Beweggründe

In der Anfangsphase waren zunächst nur die Fachrichtungen Strahlentherapie und Nuklearmedizin vertreten. Beide Fächer, insbesondere die Strahlentherapie, waren durch den weitgehenden Verlust der ambulanten Patienten existenziell bedroht. Persönliche und Instituts-Ermächtigungen wurden von der Kassenärztlichen Vereinigung unter Verweis auf die zunehmende Versorgung ambulanter Patienten durch niedergelassene Kollegen immer mehr eingeschränkt. Eine ambulante Behandlung von Patienten in der Strahlentherapie über die Hochschulambulanzzulassung kam bei einer Pauschalvergütung von unter € 50 aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage. Ähnlich wie in der Strahlentherapie wurden auch in der Nuklearmedizin vermehrt Untersuchungen, die vormals unter stationären Bedingungen durchgeführt wurden, in den ambulanten Sektor verlagert. Auch diese waren im Rahmen der Hochschulambulanz nicht mehr kostendeckend zu erbringen. Das zentrale Motiv für die Gründung des Ambulanzzentrums war, somit den Fortbestand der Strahlentherapie und auch der Nuklearmedizin insbesondere im Hinblick auf die akademischen Potenziale dieser Fächer zu sichern und bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Es bestand außerdem der Wunsch, die vorhandenen Ressourcen sowie die hoch spezialisierten Leistungen auch weiterhin den ambulanten Patienten anbieten zu können.


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Gründungsphase

Der Aufbau des Medizinischen Versorgungszentrums wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, der Hamburger Ärztekammer, der Behörde für Wissenschaft und Forschung, dem Fachbereich Medizin des UKE sowie auch durch die verschiedenen Gremien des Klinikums einschließlich der Personalräte unterstützt.

Zunächst mussten allerdings zahlreiche Auflagen zum Datenschutz, zum Strahlenschutz, zur Aktenführung, zur Protokollierung sowie auch zur Archivierung umgesetzt werden. Zwischen dem Ambulanzzentrum und dem UKE wurde ein Kooperationsvertrag geschlossen, der die Bereitstellung des erforderlichen Personals, die Nutzung der Behandlungs- und Funktionsräume sowie auch die Aufteilung der Behandlungsgeräte regelt. Das Ambulanzzentrum zahlt dem UKE für die Überlassung nicht ärztlicher Personalressourcen und weiterer Infrastruktur eine Aufwandsentschädigung, deren Höhe sich am tatsächlichen Aufwand orientiert. Die Ambulanzzentrum des UKE GmbH wurde als 100 %ige Tochtergesellschaft des UKE konzipiert und gegründet. An der gesellschaftsrechtlichen Form hat sich nichts verändert. Das UKE wird als Gesellschafter vom UKE-Vorstand repräsentiert. Damit wird auf der Steuerungsebene die enge Interaktion zwischen UKE und dem Ambulanzzentrum nach innen und außen verdeutlicht. Als Geschäftsführer der GmbH wurden der Ärztliche Leiter des MVZ sowie ein Diplomkaufmann eingesetzt. Ferner wurde jeder medizinischer Fachbereich einer ärztlichen Bereichsleitung unterstellt.

Der Aufbau des Versorgungszentrums am UKE erfolgte kontinuierlich und umfasste immer mehr Fachbereiche. Die strategische Ausrichtung der Einrichtung wird eingehend erläutert. So werden durch das Ambulanzzentrum insbesondere hoch spezialisierte Leistungen angeboten. Diskutiert werden außerdem die Auswirkungen auf Forschung und Lehre. Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kollegen im Umfeld des Klinikums geschildert. Schließlich werden ausführlich die geänderten Rahmenbedingungen für MVZ, die mit dem neuen Versorgungsgesetz 2012 in Kraft traten, dargelegt.


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Ergebnisse

Nach Inbetriebnahme des Ambulanzzentrums nahmen die Zuweisungen von niedergelassenen Kollegen sowohl für die Strahlentherapie als auch für die Nuklearmedizin schnell zu. Da in der Strahlentherapie bereits nach kurzer Zeit die personellen Kapazitätsgrenzen erreicht waren, wurden in rascher Folge weitere Fachärztinnen / Fachärzte eingestellt. Die positiven Entwicklungen sowohl in der Strahlentherapie als auch in der Nuklearmedizin führten dazu, dass auch andere Fachbereiche des UKE ihr Interesse bekundeten, ihre ambulanten Aktivitäten um Strukturen des MVZ zu ergänzen. Als nächster Bereich wurde die Ambulanz der Neurologischen Klinik mit ihrem Schwerpunkt „Diagnose und Therapie des Morbus Parkinson“ aufgenommen.

Im Laufe der folgenden Jahre bekundeten immer mehr Kliniken Interesse, ambulante Medizinangebote im Rahmen eines Medizinischen Versorgungszentrums zu organisieren. Vor jeder Übernahme erfolgte zunächst eine eingehende strategische Abstimmung mit dem Gesellschafter, vertreten durch den UKE-Vorstand, sowie eine umfassende betriebswirtschaftliche Analyse des jeweiligen Bereiches. Relativ unproblematisch gestaltete sich die Übernahme, wenn es sich um einen Fachbereich handelte, der nicht einer Zulassungsbeschränkung unterlag. In allen anderen Fällen musste zuvor ein freier Vertragsarztsitz erworben werden. Besonders schwierig gestaltete sich dies zum Beispiel in der Diagnostischen Radiologie. Auch die Anstellung einer Psychologin gelang erst nach zahlreichen Bewerbungen um einen ausgeschriebenen psychotherapeutischen Sitz.

Dennoch wuchs das Ambulanzzentrum stetig, bei einer ersten Zwischenbilanz nach 4 Jahren bestand das MVZ bereits aus 15 Fachdisziplinen und es waren insgesamt 28 Fachärztinnen bzw. Fachärzte angestellt.

Mittlerweile (Stand November 2011) sind 24 Fachbereiche im Ambulanzzentrum vertreten ([Abb. 1]). Das MVZ verfügt über insgesamt 49 Vertragsarztsitze. Die Anzahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte ist auf 85 angestiegen, wobei allerdings viele ärztliche Kollegen auch nur mit einer reduzierten Stundenzahl (Teilzeit) im MVZ beschäftigt sind. Gleichzeitig sind diese Ärzte für die verbleibende Arbeitszeit im UKE angestellt. Darüber hinaus wurden im Laufe der Jahre mehr als 83 nichtärztliche Mitarbeiter eingestellt. Hierbei handelt es sich überwiegend um Physiotherapeutinnen, MTRAs sowie auch um MFAs.

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Abb. 1 Fächerspektrum der Ambulanzzentrum des UKE GmbH.

Mit der wachsenden Anzahl der Fachbereiche im MVZ hat auch die Zahl der Behandlungsfälle stetig zugenommen. Derzeit werden im Ambulanzzentrum etwa 20 000 Fälle pro Quartal behandelt. Durch die kontinuierliche Zunahme der Behandlungsfälle sind auch die Umsatzzahlen des MVZ weiter angestiegen. Lediglich der Einbruch des EBM-Punktwertes führte in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2009 zu einem deutlichen Rückgang des Umsatzes. Dieser Verlust konnte inzwischen wieder weitgehend kompensiert werden. Der aktuelle Umsatzrückgang ist durch eine quotierte Vergütung der Laborleistungen bedingt. ([Abb. 2]). Die insgesamt verbesserte Ertragssituation hat dazu geführt, dass zahlreiche Investitionen getätigt werden konnten.

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Abb. 2 Entwicklung der Umsatzzahlen des Ambulanzzentrums der UKE GmbH, 4. Quartal 2004 – 1. Quartal 2011.

Die Anzahl der im Rahmen der Hochschulermächtigung erbrachten ambulanten medizinischen Leistungen hat trotz des stetigen Ausbaus des Medizinischen Versorgungszentrums nicht abgenommen. So werden weiterhin pro Quartal 17 500 Fälle, die in den Hochschulambulanzen behandelt werden, vergütet. Diese Zahl wurde auch nach Gründung des Ambulanzzentrums stets erreicht und häufig sogar überschritten.


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Diskussion

Der wirtschaftliche Druck hat mit der Einführung der DRGs Anfang 2004 auch die Universitätskliniken erreicht. Auf Dauer können verlustbringende Bereiche nicht aufrecht erhalten werden. Aus diesem Grund können auch an einem Universitätsklinikum ganze Fachrichtungen in Frage gestellt werden. Dies war im Jahre 2004 am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf für die Strahlentherapie der Fall. Aufgrund der zunehmenden Verlagerung der Behandlungen in den ambulanten Bereich und dem weitgehenden Verlust einer Ermächtigung drohte die Einstellung der Strahlentherapie am UKE. Die damit verbundenen negativen Konsequenzen für die stationäre Versorgung von onkologischen Patienten sowie auch für Forschung und Lehre wären gravierend gewesen.

Zahlreiche alternative Lösungsvorschläge wurden erarbeitet, und auch die Möglichkeit einer Praxisgründung innerhalb des UKE wurde eingehend geprüft. Letztendlich überwog jedoch die Meinung, dass ein solches Konstrukt innerhalb eines Universitätsklinikums einen zu großen Fremdkörper darstellen würde. Außerdem zeichnete sich bereits ab, dass auch für andere Bereiche wie z. B. die ebenfalls defizitäre Ambulanz der Nuklearmedizin eine Lösung gefunden werden musste. Eingehend diskutiert wurde auch die Möglichkeit, Zulassungen für hoch spezialisierte Leistungen gemäß § 116 b SGB V zu beantragen. Es wurde aber bald deutlich, dass zum damaligen Zeitpunkt diesbezüglich kein rasches Einvernehmen mit den zuständigen Institutionen und Gremien erzielt worden wäre. Schließlich entwickelte sich die Idee, auf dem Gelände des Universitätsklinikums ein fachübergreifendes Medizinisches Versorgungszentrum zu gründen und dieses in die jeweils vorhandenen baulichen Strukturen zu integrieren.

Auf der strategischen Führungsebene des UKE wurde das MVZ-Konzept von Anfang an als außerordentlich attraktiv eingeschätzt, da es auch neue Perspektiven für eine sektor-übergreifende Medizin zu eröffnen versprach. Gleichzeitig bestanden aber erhebliche Ängste und Sorgen, die durch zahlreiche Kommentare und Stellungnahmen noch unterstützt wurden. Heute, nach mehr als sieben Jahre nach Gründung des MVZ am UKE, bleibt festzustellen, dass die damals formulierten Sorgen unbegründet waren und sich das MVZ bis heute sehr erfolgreich entwickelt hat. Dennoch soll auf folgende damals geäußerte Einwände noch einmal eingegangen werden:

  1. Niedergelassene Ärzte werden das MVZ und das gesamte UKE boykottieren:
    Es bestand die Befürchtung, dass viele niedergelassene Kollegen aufgrund der starken Konkurrenzsituation innerhalb des Stadtstaates Hamburg ihre Patienten nicht mehr ins UKE überweisen würden. In Übereinstimmung mit der Portfolio-Fokussierung des UKE lagen die inhaltlichen Schwerpunkte des MVZ aber stets auf dem Angebot von hoch spezialisierten Leistungen, die nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung zum Portfolio der niedergelassenen Ärzte im Umfeld des Universitätsklinikums stehen.
    Zu den hoch spezialisierten Leistungen des Ambulanzzentrums gehören beispielhaft:
    Neurologische Behandlung von Bewegungsstörungen (insbesondere M. Parkinson), Strahlentherapie von kindlichen Malignomen, stereotaktisch geführte Bestrahlung von Hirnprozessen, intensitätsmodulierte Tomotherapie maligner Tumoren, Entdeckung von Malignomen der Leber mithilfe von CT und MRT, Früherkennung von Krebserkrankungen der Haut, HR-Computertomografie bei interstitiellen Lungenerkrankungen, PET / CT-Diagnostik bei malignen Erkrankungen, endoskopische Therapie von Polypen und Stenosen im Bereich des Kolons, Einsatz der PET / CT in der Bestrahlungsplanung, Behandlung von HIV- und AIDS-Erkrankungen, infektiologische Betreuung der Opfer von Gewaltdelikten, Diagnose und Therapie der Borreliose, Diagnose und Behandlung der Tuberkulose, Therapie chronischer regionaler Schmerzsyndrome (z. B. Morbus Sudeck) und die psychoonkologische Betreuung von Tumorpatienten.
    Auch der Bereich Allgemeinmedizin des MVZ ist nicht ausgerichtet, um Patienten aus der Umgebung des UKE hausärztlich zu versorgen, sondern das Angebot richtet sich vornehmlich an Angehörige des Universitätsklinikums sowie auch an Mitarbeiter der Tochtergesellschaften des Krankenhauses.
    Bei näherer Betrachtung konnten somit die Sorgen und Ängste der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen schnell aufgefangen werden. Entscheidend war ein maximal transparentes Vorgehen mit vielen begleitenden Gesprächen, in denen auf die inhaltliche Ausrichtung hingewiesen wurde. Gleichzeitig wurde den Wünschen vieler niedergelassener Überweiser entsprochen, in dem das Service-Angebot des UKE verbessert wurde. So wurden in verschiedenen Bereichen die Sprechstundenzeiten erweitert und auch die Erreichbarkeit der Mitarbeiter deutlich verbessert. Außerdem wurden wiederholt Informations- und Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, bei denen immer wieder das spezialisierte Leistungsspektrum der verschiedenen Fachdisziplinen dem Hamburger Fachpublikum präsentiert wurde.
    Darüber hinaus hat das Ambulanzzentrum frühzeitig für die zugewiesenen Patienten eine gewisse „Lotsenfunktion“ übernommen. Wird ein Patient zunächst ambulant zugewiesen und es stellt sich aber im Verlauf heraus, dass eine Untersuchung oder eine Behandlung nicht unter ambulanten Bedingungen durchgeführt werden kann (z. B. aufgrund eines deutlich reduzierten Allgemeinzustandes), besteht die Möglichkeit, den Patienten rasch in die jeweilige Klinik einzuweisen. Hierdurch werden dem Patienten unnötige Wartezeiten erspart und der zuweisende Kollege muss sich nicht erst um ein Krankenhausbett bemühen. Ferner können auch vormals stationäre Patienten des UKE nahtlos im MVZ ambulant weiterbehandelt werden.
    Sind ferner für einen ambulanten Patienten noch ergänzende Spezialuntersuchungen medizinisch notwendig, können Überweisungen zu einer anderen Fachrichtung innerhalb des Ambulanzzentrums direkt vorgenommen werden. Die Überweisung zu weiteren Untersuchungen erfolgt aber grundsätzlich nur in Abstimmung mit dem primär zuweisenden Kollegen. Die Rücksprache mit den Kollegen erfolgt unter anderem auch, um eventuelle Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Dieses kollegiale Verhalten hat nicht unerheblich dazu beigetragen, die Akzeptanz des Versorgungszentrums unter den niedergelassenen Ärzten zu steigern.
    Mehrere Bereiche haben inzwischen Netzwerkstrukturen aufgebaut. So nehmen Ärzte der Strahlentherapie an zahlreichen Tumorkonferenzen in kooperierenden Krankenhäusern teil und arbeiten mit Onkologischen Praxen der Stadt sehr eng zusammen. Mit Gründung des Universitären Cancer-Centers (UCCH) besteht für die dem Ambulanzzentrum zugewiesenen onkologischen Patienten darüber hinaus auch die Möglichkeit, sie – unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Auflagen – im Rahmen einer interdisziplinären Sprechstunde oder Tumorkonferenz vorzustellen. Diese Vernetzung steigert die Qualität der medizinischen Versorgung und wird von den niedergelassenen Kooperationspartnern ausgesprochen geschätzt.

  2. Das MVZ wird negative Auswirkungen auf Lehre und Forschung haben:
    Beim Aufbau des Medizinischen Versorgungszentrums bestand die Sorge, dass durch die strukturellen Veränderungen innerhalb des Klinikums sowohl die Lehre als auch die Forschung beeinträchtigt werden würden. Diese Befürchtungen wurden auch von einzelnen Fachgesellschaften geäußert [17]. Es wurde deshalb durch den Vorstand des UKE festgelegt, dass die Ärzte im Ambulanzzentrum den wissenschaftlichen Mitarbeitern des UKE gleichgestellt sind und somit die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten bezüglich Lehre und Forschung haben. Mehrere ärztliche Mitarbeiter des Ambulanzzentrums sind habilitiert und haben ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit nach dem Wechsel in das MVZ unverändert fortgesetzt. Auch die Befürchtungen, dass Patienten nicht mehr für die Lehre oder für klinische Studien zur Verfügung stehen würden, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: die Gesamtzahl der in der Hochschulambulanz behandelten Patienten ist parallel zum Aufbau des MVZ sogar noch gestiegen. Diese Entwicklung reflektiert die zunehmende Bedeutung sektor-übergreifender Behandlungsangebote insbesondere für chronisch kranke Patienten.
    Außerdem wurde es durch die Abfassung spezieller Einwilligungserklärungen möglich, dass sowohl die jeweilige Klinik als auch der zugehörige ambulante Bereich des Medizinischen Versorgungszentrums die Daten der behandelten Patienten gemeinsam wissenschaftlich auswerten und Patienten auch in gemeinsame Studien einbringen können. So werden schwerpunktmäßig in der Radioonkologie, in der Neurologie und auch in der Infektiologie zahlreiche Patienten aus dem MVZ in klinische Studien eingebracht. In der Infektiologie besteht außerdem eine enge Verzahnung mit der integrierten Studienambulanz. In der Neurologie werden die Studien zusammen mit der Neurologischen Klinik durchgeführt. Bei einzelnen Krankheitsbildern wie z. B. der HIV-Infektion bzw. -Erkrankung oder beim Morbus Parkinson wird zusammen mit anderen Universitätskliniken / Instituten auch begleitende Grundlagenforschung betrieben.
    Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass in den Ambulanzen des MVZ häufig Patienten mit seltenen bzw. ausgefallenen Krankheitsbildern behandelt werden und sich dadurch das Spektrum derjenigen Patienten, die für die Lehre zur Verfügung stehen, eher noch erweitert hat. So werden in der Strahlentherapie jede Woche ambulante Patienten mit interessanten Krankheitsbildern im Rahmen einer interdisziplinären onkologischen Vorlesung den Studierenden vorgestellt und deren Behandlung ausführlich besprochen. Entsprechend den aktuellen Empfehlungen des Wissenschaftsrates, der das UKE im letzten Jahr begangen hat, werden zukünftig die Lehr- und Forschungsaktivitäten im Ambulanzzentrum noch weiter intensiviert.

  3. Es wird nicht genügend qualifizierte Ärzte geben, die im MVZ arbeiten wollen:
    Genau das Gegenteil war von Anfang an der Fall. Für viele Oberärzte des UKE bietet der Wechsel in das Ambulanzzentrum eine attraktive Chance, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, ohne das wirtschaftliche Risiko einer Praxisgründung bzw. Übernahme eingehen zu müssen. Besonders positiv wird die Möglichkeit bewertet, jeweils einen Teil der Arbeitszeit im Ambulanzzentrum und den verbleibenden Teil in der Klinik zu verbringen. So wird sektor-übergreifende Medizin zur Wirklichkeit. Dies steigert die Zufriedenheit der behandelnden Ärzte beinahe in gleichem Maß wie sich die Qualität der Behandlung verbessert. Darüber hinaus besteht für alle MVZ-Ärzte auch weiterhin die Möglichkeit, an der Forschung zu partizipieren und eine Lehrtätigkeit auszuüben. Die mit der Errichtung des Medizinischen Versorgungszentrums verbundenen Möglichkeiten haben viele erfahrene Kollegen dazu bewogen, am UKE zu bleiben. In Zeiten eines zunehmenden Ärztemangels stellt diese wirklich unerwartete Entwicklung einen klaren Standortvorteil dar.

Natürlich gibt es weitere Vorteile einer MVZ-Struktur innerhalb eines Klinikums. Neben einer engeren Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor hat sich durch die Gründung des Ambulanzzentrums insbesondere auch die Verstärkung der fachübergreifenden Betreuung im ambulanten Sektor als großer Vorteil für die Patienten erwiesen. Ferner hat die Steigerung der Erlöse in den ambulanten Bereichen letztlich auch zur finanziellen Sanierung des UKE beigetragen. Zahlreiche Geräteinvestitionen wären ohne diese zusätzlichen Erlöse nicht möglich gewesen. Die über MVZ-Erlöse finanzierten Geräte werden häufig auch zur Versorgung stationärer Patienten sowie zu Forschungs- und Lehrzwecken genutzt.

Der Betrieb eines MVZ im direkten Umfeld einer Klinik birgt allerdings auch Risiken, wie sie durch Vorkommnisse in der jüngsten Vergangenheit nochmals unterstrichen wurden [18]. Grundsätzlich gilt, dass in einem Medizinischen Versorgungszentrum vertragsärztliche Leistungen nur dann abgerechnet werden können, wenn sie von einem durch die KV zugelassenen Arzt erbracht wurden. Dies ist in Bereichen, in denen Klinik und Versorgungszentrum strukturell eng zusammenarbeiten, nicht immer einfach zu gewährleisten. Es müssen deshalb die Abläufe und Zuständigkeiten durch Verfahrensanweisungen klar definiert und implementiert werden.


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Schlussfolgerung

Seit Einführung des GKV-Modernisierungsgesetzes löst sich die strenge Trennung zwischen der ambulanten und der stationären Krankenversorgung zunehmend auf [19]. Medizinische Versorgungszentren bieten die Möglichkeit, den ambulanten sowie auch den stationären Bereich stärker zu verzahnen und die Sektorengrenze durchlässiger zu gestalten. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Politik auch weiterhin das Betreiben medizinischer Versorgungszentren durch Krankenhäuser unterstützen wird [20] [21]. Durch eine neue Fassung der Zulassungsbedingungen soll jedoch erreicht werden, dass die ärztliche Tätigkeit in einem MVZ zukünftig ausschließlich von medizinischen Gesichtspunkten geleitet wird [22]. Insbesondere profitorientierten Investoren soll es nicht mehr möglich sein, ein MVZ zu betreiben. So sieht der Referentenentwurf zum neuen Versorgungsgesetz vor, dass als mögliche Rechtsform für Medizinische Versorgungszentren nur noch Personalgesellschaften oder GmbHs zugelassen sind. Um insbesondere auch die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen zu sichern, können in der Zukunft MVZ nur noch von Vertragsärzten oder von Krankenhäusern und nur in Ausnahmefällen durch gemeinnützige Trägerorganisationen gegründet werden. Die Leitung eines MVZ soll auch weiterhin sowohl rechtlich als auch tatsächlich in ärztlicher Hand liegen, wobei der ärztliche Leiter auch wirklich in dem Versorgungszentrum arbeiten muss. Schließlich wird auch der Erwerb eines Kassenarztsitzes zukünftig neuen Regularien unterliegen und auch die Verlegung eines Sitzes in ein MVZ wird nur noch möglich sein, wenn dadurch keine Unterversorgung in einem Bezirk entsteht. Die Entscheidung hierüber obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen. [10] [11] [12] [13] [14]

Die seit der Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums am UKE gemachten Erfahrungen sind bisher überwiegend positiv. Eine besser verzahnte medizinische Versorgung der Patienten, die Unterstützung der niedergelassenen Überweiser, zufriedene ärztliche Mitarbeiter und auch eine Stärkung von Forschung und Lehre fassen die Erfahrung der letzten 7 Jahre zusammen. Die Ambulanzzentrum des UKE GmbH wird sich auch zukünftig bemühen, ihr bisheriges Fächerspektrum durch die Aufnahme weiterer Disziplinen sinnvoll zu ergänzen. Das weitere Wachstum des Versorgungszentrums wird aber unter den geänderten Rahmenbedingungen voraussichtlich langsamer als bisher erfolgen.


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Interessenkonflikt: Nein


Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Krüll
Ambulanzzentrum der UKE GmbH
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Deutschland   
Phone: +49 / 40 / 7 41 05 79 11   
Fax: +49 / 40 / 7 41 05 99 81   


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Abb. 1 Fächerspektrum der Ambulanzzentrum des UKE GmbH.
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Abb. 2 Entwicklung der Umsatzzahlen des Ambulanzzentrums der UKE GmbH, 4. Quartal 2004 – 1. Quartal 2011.