B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2012; 28(3): 111
DOI: 10.1055/s-0031-1284017
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© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

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Publication Date:
18 June 2012 (online)

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    Liebe Leserinnen, liebe Leser!

    Obgleich die Bevölkerungszahl in Deutschland eine leicht rückläufige Entwicklung abbildet, zeigen die Anträge auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere seit 2005 (Statistik: DRV-Bund) eine deutliche Zunahme. Im Binnenverhältnis ist aber auch erkennbar, dass die Zuwächse überproportional als Anschlussheilbehandlungen (AHB) und weniger im Segment der allgemeinen Heilverfahren zu verzeichnen sind. Der Anteil der allgemeinen Heilverfahren betrug im Jahre 1995 noch 86 % und ist bis 2010 auf einen Anteil von 67 % eingeschmolzen. 

    Ein vergleichbares Zahlenwerk liegt für den Bereich der gesetzlichen Krankenkassen leider nicht vor. Dies wäre durchaus interessant, um einerseits den politischen Auftrag „Reha vor Rente“ gleichermaßen mit dem Aufrag „Reha vor Pflege“ einer Bewertung zuzuführen. 

    Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb gilt es, unter dem Aspekt der Förderung und des Erhalts der Volksgesundheit alle gebotenen Anstrengungen zu unternehmen. Im Rahmen der medizinischen Rehabilitation sind mit der Umsetzung der ganztägig ambulanten Form der Reha Veränderungen erfolgt, die in vielerlei Hinsicht als positive Weiterentwicklung und als Fortschritt innerhalb der Versorgungslandschaft zu werten sind. 

    Dieser vollwertigen Gleichstellung der stationären mit der ganztägig ambulanten medizinischen Rehabilitation wurde zuletzt mit dem GKV-VStG 2012 Rechnung getragen. Die wohnortnahe Versorgung mit Leistungen der ambulanten medizinischen Rehabilitation kann durch die engmaschige Verknüpfung mit dem kurativen System, mit Partnern aus dem Bereich der Arbeitsmedizin und mit sozialen Versorgungsstrukturen ihre Stärken einbringen. 

    Wenn wir den Fokus auf die Bedarfe der Menschen ausrichten, erkennen wir die außerordentliche Bedeutung der Bereiche Rehabilitation und Prävention, die gleichsam einer Medaille 2 sich ergänzende Seiten aufweist. Temporär und fallbezogen wird es mal mehr die eine, dann die andere Seite sein, deren Leistungen in Anspruch genommen werden. Dies bedingt aber auch eine weitere aktive Auseinandersetzung der Kostenträger mit der Zuordnung partikularer Leistungen einerseits und übergreifenden Regelungen andererseits. Der Erhalt der Teilhabefähigkeit ist eine übergeordnete und ganzheitliche Aufgabe der sozialen Sicherungssysteme. 

    Ebenso sind die Leistungserbringer gefordert, ihr Portfolio den Anforderungen aus diesem Versorgungsauftrag anzupassen. Beispielhaft dafür lassen sich die Entwicklungen der letzten Jahre, in denen die formale und strukturelle Kooperation der DVGS und des BamR auf gemeinsame Ziele hin ausgerichtet wurde, als zukunftsweisend definieren. 

    Das Zusammenfügen von sich ergänzenden Modulen dient dem gemeinsamen Heben von Ressourcen und der Nutzung vorhandener Expertise und der weiteren Entwicklung der Qualität in allen Bereichen. Prägnant sind arbeitsplatzbezogene und teilhabeorientierte, wohnortnahe Kooperationsmodelle mit gleichzeitiger Integration von Prävention und Rehabilitation. Unter Berücksichtigung der Entwicklungen der demografischen Situation und des Arbeitsmarktes erscheint eine deutliche Intensivierung und Weiterentwicklung ambulanter rehabilitativer Versorgungsstrukturen eine besondere Herausforderung in allen Leistungsträgerbereichen. 

    Dabei ist die Flexibilisierung rehabilitativer Prozesse eines der Ziele, das der ambulanten Reha auf den Leib geschneidert ist. Es ist notwendig, verschiedene inhaltliche Ansätze zu überlegen, z. B. eine zeitliche und medizinisch begründete Stufung, inhaltliche Modifikationen nach individuellem Reha-Verlauf, zielgerichtete Umsetzung von Kombinationsmodellen (stationär-ambulante Nachsorge), bedarfsgerechte Einführung berufsbegleitender Angebote, Modifikation der stufenweisen Wiedereingliederung, abgestufte und zeitnahe Kombimodelle medizinischer und beruflicher Rehabilitationsleistungen und die systematische Umsetzung von Nachsorgeprogrammen. Dazu werden weitere Studien zur Verifizierung der Ergebnisqualität erforderlich sein, den Stellenwert von Rehabilitation und Prävention im gesamten Versorgungssystem zu untermauern. Diesem Anspruch sollte schon alleine durch die publizierten Anforderungen und die zu erwartenden Benefits aus volkswirtschaftlicher Perspektive Genüge getan werden. 

    Lassen sie mich an dieser Stelle jedoch noch auf die dringende Notwendigkeit der finanziellen Absicherung dieser Leistungen eingehen. 

    Die derzeit von der Politik und den Kostenträgern kommunizierten Indikatoren zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen Rehabilitation und Prävention lassen keinen Grund zu Optimismus aufkommen, wenn es um die wirtschaftliche Grundsicherung der Leistungserbringer geht. Weder die rückläufigen Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen für die Bereiche „Vorsorge und Rehabilitation“, noch die Erklärung der Politik, den „Rehadeckel“ der DRV ab dem Jahre 2017 anzuheben, lösen die aktuellen Probleme. 

    Mit der, über Jahre hinweg eindrucksvoll dokumentierten hohen Qualität (Ergebnisberichte DRV-Bund) hat die ambulante Rehabilitation ihre Hausaufgaben gemacht und ist überproportional in Vorleistungen getreten. Deshalb und schon allein um ihrer selbst willen muss sie den Anspruch auf eine leistungsgerechte Vergütung öffentlich machen. Die gleichen Parameter gelten für die Leistungen der Gesundheitsförderung im Rahmen der Prävention. 

    Die Grundsätze des § 12 SGB V zur Wirtschaftlichkeit müssen in einem bilateral reziproken Verhältnis gleichermaßen für die Leistungserbringer wie für die Kostenträger zur Anwendung kommen. Darauf aufbauend stellen wir uns gerne gemeinsam den Herausforderungen, die wir für den Erhalt der Teilhabefähigkeit der Menschen in unserem Land benötigen. 

    Ihr Hermann-Josef Schmid
    (Vorstandsvorsitzender der BamR)