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DOI: 10.1055/s-0031-1284732
Gesundheit von Jungen und Männern – Medizin und Gesellschaft werden den Bedürfnissen nicht ausreichend gerecht
Korrespondenz
Publication History
Publication Date:
20 July 2011 (online)
- Gesellschaftliche Sicht auf Männer muss sich ändern
- Spezifische Bedürfnisse von Jungen und Männern beachten
"Ein Mann, der zu beschäftigt ist, sich um seine Gesundheit zu kümmern, ist wie ein Handwerker der keine Zeit hat, seine Werkzeuge zu pflegen", sagt ein spanisches Sprichwort. Doch es sind nicht nur die Männer selbst, die ihre Gesundheit mitunter sträflich vernachlässigen, indem sie zu viel arbeiten, sich ungesund ernähren, zu viel Alkohol trinken oder sich zu wenig bewegen. Vielmehr scheinen gesellschaftliche Umstände und fehlende oder unzureichende, auf die spezifischen Bedürfnisse des männlichen Geschlechts ausgerichtete Gesundheitsangebote wesentlich mit dafür verantwortlich zu sein, dass die Lebenserwartung der Männer der der Frauen noch immer rund fünfeinhalb Jahre hinterher hinkt. Zu diesem Schluss kommen die Autoren des ersten deutschen Männergesundheitsberichts.
Die medizinische Versorgung sowie Angebote zur Gesundheitsinformation und Vorsorge müssen sich besser an den spezifischen Bedürfnissen von Männern und Frauen orientieren. Dies gilt in besonderem Maße für psychische Erkrankungen. Denn sowohl das Gesundheitsverhalten der männlichen und weiblichen Bevölkerung als auch die Erwartungen der Gesellschaft an das jeweilige Geschlecht unterscheiden sich zum Teil erheblich.
Zu diesen Ergebnissen kommt der erste deutsche Männergesundheitsbericht, herausgegeben von der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. mit Unterstützung der DKV Deutsche Krankenversicherung AG.
Gesellschaftliche Sicht auf Männer muss sich ändern
Die zentrale Botschaft des Männergesundheitsberichts lautet: "Wer die Gesundheit des Mannes wirklich fördern will, muss körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden ganzheitlich stärken." Denn Männer seien nicht die "Gesundheitsidioten", als die sie immer wieder dargestellt werden. "Es ist vielmehr die gesellschaftliche Sicht auf Männer, die sich ändern muss. Und daran müssen die Männer natürlich selbst mitarbeiten", so Dr. Matthias Stiehler von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. bei einer Fachtagung in der evangelischen Akademie Bad Boll.
Ein Blick in die Historie belegt zudem ein anderes interessantes Phänomen. "Die viel zitierte Doppelbelastung von Familie und Beruf ist erstaunlicherweise nach allen vorliegenden Untersuchungen eher gesundheitsförderlich im Vergleich zu der einseitigen beruflichen Belastung, der die meisten Männer ausgesetzt sind", berichtete Prof. Dr. phil. Martin Dinges vom Institut für Geschichte der Medizin in Stuttgart.
Beleg hierfür sei unter anderem die zunehmende Zahl berufstätiger Frauen vor allem seit Mitte der 1980er Jahre. Seither habe sich die Differenz in der Lebenserwartung von Frauen und Männern um rund eineinhalb Jahre verringert. Die Weiterentwicklungen der Medizin hätten hierbei nur eine untergeordnete Rolle gespielt. "Für die gewonnen Lebensjahre der letzten 3 Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts liegt der Beitrag der Medizin nur bei einem Viertel", betonte Dinges.
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Spezifische Bedürfnisse von Jungen und Männern beachten
Es sei wichtig, medizinische Angebote stärker als bislang auf die spezifischen Bedürfnisse von Jungen und Männern auszurichten, betonten Dr. rer. soc. Reinhard Winter und Gunter Neubauer vom Sozialwissenschaftlichen Institut Tübingen. Denn bereits männliche Schulkinder würden mit Angeboten zur Gesundheitsförderung und -bildung schlechter erreicht als Mädchen, obwohl Jungen bis zum Alter von 17 Jahren signifikant häufiger Unfälle und Verletzungen erlitten und zu Übergewicht neigten als gleichaltrige Mädchen. Männliche Heranwachsende würden auch deutlich häufiger Selbstmord begehen. "Jeweils dreimal mehr Jungen als Mädchen sterben durch Suizid", so Winter.
Ein Grund hierfür sei, dass Jungen dem Klischee des starken Geschlechts entsprechend bei psychischen Problemen eher zu Gewalt und Suchtverhalten neigten, anstatt sich Hilfe zu suchen. Zugleich billige die Gesellschaft männlichen Jugendlichen weniger als Frauen psychische Schwächen zu. Dr. Matthias Stiehler vom Institut für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft in Dresden verwies darauf, dass die hohe Komorbidität zwischen der Neigung zum Selbstmord und typisch männlichen psychischen Erkrankungen, wie Depressionen und antisoziale Persönlichkeitsstörungen, leider noch allzu oft verkannt werde.
Auch würden das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) oder die zunehmende Spiel- und Computersucht von männlichen Jugendlichen nicht ausreichend analysiert. "Das schnelle Verschreiben von Ritalin bei ADHS zeigt, dass es allemal einfacher ist, ein Medikament zu verabreichen, als sich mit hinter den Symptomen steckenden Ursachen auseinanderzusetzen", kritisierte der Diplomtheologe.
Während zudem Mädchen durch Besuche beim Frauenarzt frühzeitig regelmäßig Zugang zum Medizinbetrieb bekämen und dadurch auch für andere Vorsorge- und medizinische Leistungen besser erreichbar seien, fehle Jungen und Männern ein solcher "Vertrauensarzt", der sie von der Pubertät bis ins hohe Alter begleitet.
Dies spiegelt sich auch im Patientenaufkommen wider. So beträgt der Anteil der Frauen in den Arztpraxen im Schnitt 60%, während Männer nur rund 40% der Patienten ausmachen. "Diese Geschlechterverteilung ist seither erstaunlich stabil – trotz aller Erweiterungen des medizinischen Leistungsangebots", so Dinges. Einig sind sich die Experten darüber, dass Angebote zur Gesundheitsförderung, zum Beispiel in Schulen oder auf speziellen Jugendgesundheitstagen, auch gezielter auf das Problem der Schichtzugehörigkeit eingehen sollten. "Über Aufklärungsbroschüren, selbst wenn sie in verschiedenen Sprachen vorliegen, erreichen sie Migranten zum Beispiel kaum", sagte der Pädiater Dr. Bernhard Stier aus Butzbach.
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