RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0031-1284734
Pilzinfektionen bei geriatrischen Patienten – Hohes Risiko aus Neugierde entdeckt
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
20. Juli 2011 (online)
? Sie haben Anfang des Jahres einen Vortrag auf dem Symposium Intensivmedizin und Intensivpflege in Bremen gehalten, der auf großes Interesse gestoßen ist. Was hat Sie dazu veranlasst, sich mit Mykosen bei geriatrischen Patienten zu beschäftigen?
Hans-Jürgen Heppner: Angesichts der wachsenden Anzahl immer älter werdender Menschen, die mit schweren Erkrankungen länger therapiert werden, müssen wir den besonderen Bedürfnissen des geriatrischen Patienten gerecht werden. Bezüglich der Mykosen war es bei mir aber pure Neugierde. Ich war bis vor einiger Zeit der Ansicht, dass es invasive Pilzinfektionen eher selten gibt und diese auf unserer Intensivstation eine untergeordnete Rolle spielen. Wir hatten dann aber eine ganze Reihe von Patienten, die Fieber entwickelten und sich trotz antibiotischer Therapie nicht besserten. Wir sind den Symptomen genauer nachgegangen und diagnostisch auf Pilzinfektionen gestoßen. Das hat uns die Augen geöffnet, aber auch deutlich gemacht, dass man wirklich nach Pilzen suchen und daran denken muss, weil Mykosen keine typischen Anzeichen haben.
? Wie weit hat sich Ihrer Meinung nach die Aufmerksamkeit für Mykosen in den Kliniken schon etabliert?
Hans-Jürgen Heppner: Flächendeckend hat sich die so genannte "Fungal Awareness" sicher noch nicht durchgesetzt. Ich selbst gehörte auch zu den Skeptikern, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Infektionen relativ häufig vorkommen. Beeindruckend war für mich eine zweitägige Fortbildungsveranstaltung zum Thema Mykosen, an der ich teilgenommen habe. Ich habe dort viel über das Risiko invasiver Mykosen erfahren und habe danach die Problematik aus einer ganz anderen Perspektive gesehen, z. B., dass eine frühzeitige, adäquate antimykotische Therapie bei schwerkranken Intensivpatienten von großer Bedeutung ist.
? Welche Risikofaktoren legen die Vermutung auf eine Mykose nahe?
Hans-Jürgen Heppner: Bei geriatrischen Intensivpatienten stellt die Gabe von Antibiotika und Kortikosteroiden schon ein grundsätzliches Risiko dar. Hinzu kommen das Alter und eine zumeist schon geschwächte Immunabwehr. Die Liste weiterer Faktoren ist lang, jeder einzelne sollte in die Überlegungen mit einbezogen werden: zentrale Gefäßkatheter, Blasenkatheter, parenterale Ernährung, Beatmung, rezidivierende GI-Perforation, Pankreatitis, Splenektomie, langer Intensivaufenthalt, Nierenfunktionsstörung, (hypovolämischer) Schock, Diabetes mellitus, Diarrhö, schwere Mucositis.
? Würde der Verdacht auf eine Mykose schon die antimykotische Therapie rechtfertigen, so lange der Erreger noch nicht feststeht?
Hans-Jürgen Heppner: Um keine Zeit zu verlieren ist die empirische Therapie durchaus gerechtfertigt. Dazu stehen heute verträgliche Substanzen zur Behandlung der Candida-Infektionen wie die Echinocandine (z. B. Anidulafungin, Caspofungin) zur Verfügung. Was die Erregereinschätzung betrifft, sind Infektionen mit Candida albicans zwar die häufigste Mykose, wir haben in einer retrospektiven Untersuchung jedoch das vermehrte Auftreten von non-albicans Spezies beim älteren Patienten gesehen wie C. glabrata, C. tropicalis, C. krusei, C. parapsilosis und C.guilliermondii. Es kommen auch Aspergillosen vor und dafür ist Voriconazol das Mittel der Wahl. Sobald der mikrobiologische Befund feststeht, kann immer noch deeskaliert bzw. auf ein orales Antimykotikum umgestellt werden.
? Geriatrische Intensivpatienten erhalten in der Regel eine Vielzahl an Medikamenten. Welche Anforderungen werden an ein Antimykotikum gestellt, um eine zusätzliche Leber- und Nierenbelastung möglichst gering zu halten?
Hans-Jürgen Heppner: Zur Behandlung der mit Abstand am häufigsten (90 %) vorkommenden Candida-Infektionen ist nach meinen Erfahrungen Anidulafungin die optimale Substanz. Sie erfüllt die Anforderung bei multimorbiden Patienten am besten, weil sie keine Interaktion mit anderen Medikamenten aufweist, sehr gut verträglich und nebenwirkungsarm ist und keine zusätzliche Leberbelastung darstellt.
Herr Dr. Heppner, vielen Dank für das Gespräch!
Generell ist bei Intensivpatienten das Risiko für die Entwicklung einer invasiven Candida-Infektion stark erhöht. Die Wahrscheinlichkeit einer Candidämie steigt bei längerem Aufenthalt auf einer Intensivstation, insbesondere ab Tag 7, stark an. Intensivpatienten sind deshalb so stark gefährdet, weil bei ihnen häufig mehrere der genannten prädisponierenden Faktoren zusammenkommen. Der Anteil der Intensivpatienten an der Gesamtzahl der Fälle invasiver Candida-Infektionen beträgt daher etwa 30–50 %, die Mehrzahl der Fälle wird auf chirurgischen Intensivstationen beobachtet. Ein weiterer entscheidender Risikofaktor ist das Alter. Candidämien zeigen eine zweigipflige Altersverteilung mit einer Häufung bei Früh- und Neugeborenen und bei älteren Patienten. Die Inzidenz liegt in der Altersgruppe über 65 Jahre um ein Mehrfaches höher als bei jüngeren Erwachsenen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die oben angeführten prädisponierenden Faktoren bei dieser Altersgruppe gehäuft auftreten. Die meisten ITS-Patienten sind zwischen 70 und 80 Jahre alt. Aufgrund der demografischen Entwicklung muss für die Zukunft mit einer höheren Inzidenz invasiver Mykosen gerechnet werden.
Dr. Hans-Jürgen Heppner, Nürnberg
#