Nicht alles, was als Fortschritt reklamiert wird, kommt
tatsächlich dem Patienten zugute, entweder, weil es nicht
wissenschaftlich geprüft und seine Wirkung unsicher ist – wie
die meisten „Disease Management Programme” (DMP) der
Krankenkassen – oder weil es aus unterschiedlichen Gründen
seinen Weg in die medizinische Anwendung nicht findet, wie zum Beispiel
ein in einer kontrollierten Studie geprüftes DMP für
die Herzinsuffizienz. Hier kann nicht mit Kosten argumentiert werden,
sondern es geht um den Stellenwert der Wissenschaftlichkeit in der
Versorgung. Fortschritt in der Medizin bedarf zum einen der klinischen
Forschung und zum anderen der Überprüfung, inwieweit
Studienergebnisse sich im Alltag reproduzieren lassen, also der
Versorgungsforschung. Mit den Methoden der Versorgungsforschung
lassen sich über die Wirkung einzelner Medikamente hinaus,
diagnostische oder therapeutische Konzepte überprüfen.
Es lässt sich auch klären, inwieweit und wie rasch
Forschungsergebnisse in der medizinischen Versorgung ankommen.
Das Programm „Klinische Studien”, gemeinsam getragen
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) hat auch in Deutschland
zu einem Niveau der patientenorientierten Forschung geführt,
das alle Qualitätskriterien erfüllt. Das Programm
ist eine Erfolgsstory und hat es geschafft, patientenorientierte klinische
Forschung in Deutschland international konkurrenzfähig
zu machen. Klinische Forschung und Versorgungsforschung ringen nach wie
vor in Deutschland um Anerkennung und geeignete Finanzierung. Die
Einrichtung von organbezogenen Forschungszentren, zum Teil geleitet
von Grundlagenforschern, soll in Zukunft auch klinische Studienprogramme
aufbauen oder ihre Betreuung übernehmen. Diese Entwicklungen
sind gerade für eine internistische Forschung, die unterschiedliche
Organdisziplinen zusammenführt und im Zeitalter einer hohen
und zunehmenden Lebenserwartung und Multimorbidität eines
großen Bevölkerungsanteils von besonderer Bedeutung
ist, wahrscheinlich nicht förderlich. Mit Unterstützung
des BMBF eingerichtete und inzwischen erprobte klinische Forschungsstrukturen
wie die Interdisziplinären Zentren für Klinische
Forschung (IZKF) oder die Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren
(IFB), die eine Mission für die interdisziplinäre
klinische Forschung erfüllen, könnten mit der
Beendigung eines offen ausgeschriebenen Studienprogramms die Grundlage
ihrer Förderung verlieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin versteht
es als ihren Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse in angewandte
Heilkunde zu übertragen und so die Fortschritte der Inneren
Medizin unmittelbar dem Patienten zugutekommen zu lassen. Diesem
Grundsatz folgen auch die DGIM-Gesellschaftsausgaben der DMW, die
neueste Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für die
Praxis zusammenfassen.
Von den Schwerpunkten der Inneren Medizin lassen sich höchstens
die Kardiologie, die Nephrologie, die Pneumologie und vielleicht
noch die Angiologie auf ein Organ festlegen, alle anderen beschäftigen
sich a priori entweder mit Organsystemen, mit Systemerkrankungen
oder sind Querschnittsfächer wie die Geriatrie und die
Intensivmedizin. Beiträge dieser DGIM-Gesellschaftsausgabe
berichten aber, dass die kardiovaskuläre Komorbidität
bei Psoriasis-Arthritis hoch, dass sie bei COPD ein wichtiger Prognosefaktor
ist, dass Diabetiker bei der PTA von Drug Eluting Stents profitieren
und dass die Dialyse bei Herzinsuffizienz und Leberzirrhose wirksam sein
kann. Diese Zitate sollen verdeutlichen, wie wichtig eine internistische
Betrachtungsweise für die Diagnostik und Therapie unserer
Patienten ist. Sie weisen aber auch auf einen dringlichen Forschungsbedarf
hin, denn die meisten klinischen Studien schließen multimorbide
Patienten aus. Ein anderes Thema dieses Heftes, das fortgeschrittene
Lungenkarzinom, weist die Palliativmedizin als wichtiges Forschungsgebiet
aus. Palliativmedizin wird in der Öffentlichkeit häufig als
ethisches und politisches Problem gesehen, der Mangel an überprüften
Konzepten wird dabei kaum wahrgenommen.
Die Herausgeber der DGIM-Gesellschaftsausgaben der DMW sorgen
für die Kommunikation neuester Ergebnisse der klinischen
Forschung und ihrer Bedeutung für die Patientenversorgung.
Aber auch Lücken im Kenntnisstand werden diskutiert und
notwendige Projekte und Perspektiven der klinischen Forschung aufgezeigt.
Heute wollten wir auf ein generelles Defizit in der interdisziplinären
organübergreifenden „internistischen Forschung” hinweisen,
die durch die langfristige Einrichtung von Organforschungszentren
durch das BMBF möglicherweise weiter ins Abseits gerät.