Der Klinikarzt 2011; 40(08): 336-337
DOI: 10.1055/s-0031-1286560
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommunikation

Lösungsorientiert statt problemhypnotisiert
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Nicole Krüttgen
Ruhl Consulting AG
Harrlachweg 1
68163 Mannheim

Stefan Ruhl
Ruhl Consulting AG
Harrlachweg 1
68163 Mannheim

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. August 2011 (online)

 
 
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(Bild: Creativ Collection)

Für die Problemhypnose gibt es keinen ICD-Schlüssel und auch als offizielles Krankheitsbild ist sie nicht anerkannt. Dabei trifft man sie gerade in Kliniken recht häufig. Zurück geht sie auf eine stark problemorientierte Kommunikation. Im Führungsalltag kann diese Art der Kommunikation unerwünschte Folgen haben. In scheinbar endlosen Runden werden Probleme von allen Seiten beleuchtet und diskutiert – bis sie zuschnappt: die Problemhypnose. Die Symptome sind leicht zu erkennen, man wird von der Last der Probleme geradezu in den Stuhl gedrückt, fühlt sich müde und überfordert. Angesichts der Problemfülle entsteht ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. In einer Art problemhypnotischer Amnesie scheinen die Beteiligten zu vergessen, wo ihre Stärken liegen und was sie schon an Lösungen auf den Weg gebracht haben. Max Frisch hat es anders ausgedrückt: "Menschen leiden nicht an ihrem Leben, sondern unter den Geschichten, die sie über ihr Leben erzählen." Und so lohnt es sich für eine Führungskraft, zuzuhören, welche Geschichten in ihrer Abteilung erzählt werden. Sollten die Mitarbeiter eher zur Inszenierung von Dramen neigen, wird es Zeit, durch ein bisschen Zauber der lösungsorientierten Fragen das Scheinwerferlicht auf die Erfolgsgeschichten zu lenken [1] . Dafür die richtigen Impulse zu setzen, ist Aufgabe des Vorgesetzten.

Fragen als Instrument der empathischen Führung

Betrachten wir zuerst die Frage als Führungsinstrument [2]. Für viele ist die Frage nur ein Werkzeug, um gezielt Informationen zu gewinnen. Doch Fragen können viel mehr, als nur unser Wissen zu erweitern. Fragen führen, indem sie die Aufmerksamkeit des Gegenübers in eine bestimmte Richtung einladen. Jede Frage, die gestellt wird, regt den Adressaten an, seine Gedanken auf den Inhalt der Frage zu richten. Damit hat der Fragensteller die Möglichkeit, neue Perspektiven zu eröffnen und Einfluss auf die Gedanken des Gegenübers zu nehmen. Zudem signalisieren Fragen dem Gesprächspartner Interesse an seiner Meinung und schaffen eine Vertrauensbasis. Wer fragt, der führt, wusste daher schon Sokrates.

Und doch zeigt die Erfahrung, dass z. B. bei Mitarbeitergesprächen dreiviertel der Redezeit eher auf den Chef als auf den Mitarbeiter entfällt. Gute Fragen zu stellen ist jedoch auch eine Kunst, die gelernt sein will. Zudem spielt die innere Haltung eine wichtige Rolle [3]. Nicht umsonst sind Fragen ein Instrument der empathischen Führung. Eine gute Frage setzt eine innere Haltung der Neugier, Offenheit und Bewertungsfreiheit voraus. Man muss bereit sein, sich auf den anderen einzustimmen und zuzuhören.


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Problemlösung ohne Ursachenforschung

In Organisationen gilt oft der Grundsatz "aus Fehlern lernen" und die Idee, dass man Probleme auch lösen kann, ohne ihre Ursachen zu kennen, ist nicht weit verbreitet in der Führungspraxis. Im Klinikalltag, wo Diagnose und Ursachenforschung oder Qualitäts- und Risikomanagement fest verankerte Instrumente sind, gilt das vielleicht noch ein wenig mehr. Daher kann es insbesondere auf der Ebene der Führung wichtig sein, ergänzende Ansätze zu kennen und diese situativ anzuwenden.


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Konzentration auf Ziele statt auf Probleme

Impulse hierzu gibt z. B. die "lösungsorientierte Kurzzeittherapie". Steve de Shazer (Amerikanischer Psychotherapeut, 1940–2004) hat diese Therapieform zusammen mit seiner Frau Kim Berg 1982 entwickelt [4]. In ihrem neuen Therapieansatz folgten die beiden der Annahme, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen und Problemausnahmen zu konzentrieren anstatt auf das Problem und seine Entstehung. So hat de Shazer viele Menschen mit der lösungsorientierten Kurzzeittherapie behandelt, ohne jemals über ihr Problem gesprochen zu haben. Er umschreibt dies wie folgt: "Wenn ich in einem Hochhaus bin und es brennt, hilft es relativ wenig, wenn ich frage: wie ist der Brand entstanden? und relativ viel, wenn ich frage: wo ist der Notausgang?"

In der lösungsorientierten Kurzzeittherapie arbeitete de Shazer mit seiner sogenannten Wunderfrage. Diese sieht in der Ausgestaltung in etwa wie folgt aus: "Stellen Sie sich vor, unsere Sitzung wäre zu Ende und Sie fahren nach Hause, verrichten noch die Dinge, die Sie heute verrichten wollen. Irgendwann werden Sie Abend essen, noch ein wenig aufräumen, entspannen und dann beschließen ins Bett zu gehen. Sie gehen in Ihr Schlafzimmer, legen sich in Ihr Bett und schlafen ein. Während Sie schlafen, geschieht ein Wunder. Am nächsten Morgen wachen Sie auf und wissen nicht, dass das Wunder geschehen ist. Das Wunder besteht darin, dass das Problem, wegen dem Sie hier sind, nicht mehr existiert. Woran würde Sie es als erstes merken, dass das Problem sich aufgelöst hat?"


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Wunderfrage im klinischen Alltag

Es würde sicher etwas seltsam anmuten, die Wunderfrage für den klinischen Alltag zu übernehmen. In abgewandter Form lässt sie sich jedoch gut integrieren. Zu Beginn eines Projektes z. B.: "Stellen Sie sich vor, wir hätten das Projekt gemeinsam durchgeführt. Wir würden nun schon auf einige Wochen gemeinsame Projektarbeit zurückblicken. Jetzt stünden wir am Ende unseres Projektes und sie würden sagen, es war gut, dass wir dieses Projekt durchgeführt haben. Woran würden Sie merken, dass wir das Projekt erfolgreich beendet haben? Was wäre dann anders?" Es geht also darum, die Gedanken der Mitarbeiter in Richtung des Ziels zu lenken bzw. auf die Dinge, die in den Augen der Mitarbeiter erreicht werden sollen.

Bei den Antworten auf diese Frage gilt es etwas genauer hinzuhören und zu präzisieren, damit aussagekräftige Bilder entstehen. So sind z. B. Pauschalierungen zu hinterfragen: Ein "dann wären wir zufriedener" sagt noch nichts über die genaue Ausgestaltung des Zielzustandes aus, auch fühlt sich Zufriedenheit für jeden anders an. Möglichkeiten, gezielter nachzufragen, bieten die folgenden Formulierungen:

  • "Woran würden Sie das merken?"

  • "Was würden Sie dann anders machen?"

Gleiches gilt für negative Formulierungen: Ein "dann hätten wir nicht mehr so viel Stress", lässt sich durch die einfache Frage "was stattdessen" in eine positive Zustandsbeschreibung umformulieren.

Oft neigen Mitarbeiter auch dazu, den Fokus auf andere Bereiche oder Personen zu verlagern. Mögliche Antworten sind z. B. "Dann würde die Abteilung xy besser mitarbeiten." Auch hier ist es wichtig, die Perspektive zu wechseln und wieder in die eigene Abteilung zu verlagern. Dies gelingt durch ein "Auf welches Verhalten/ Veränderung von uns würde das zurückgehen?" Die hier aufgezählten Beispiele geben eine Idee dafür, wie wichtig es ist, sich bei der Frage auf die Mitarbeiter einzustimmen und genau zuzuhören. Viel zu oft lassen sich Führungskräfte mit einer Pauschalierung zufriedenstellen, anstelle in der neugierigen Haltung weiter zu fragen, bis wirklich klare Bilder entstanden sind.

In Ergänzung zur Wunderfrage nutzte de Shazer die Ausnahmefrage, um vorhandene Ressourcen zu mobilisieren: "Wann in letzter Zeit war es schon mal ein bisschen so wie nach dem Wunder?" Und in der Folge: "Was waren damals die Konditionen, dass es anders sein konnte, und was war Ihr Beitrag dazu?"

Nachdem die erste Frage also den Blick in die Zukunft lenkt und einen möglichen "Lösungszustand" vorweg nimmt, richtet die zweite Frage die Gedanken auf die vorhanden Ressourcen, Lösungsansätze und schon verbuchte Erfolge. Es wird klar, was für Bedingungen für die Erfolge nötig waren bzw. was die handelnden Personen dazu beigetragen haben. Damit werden gleichzeitig Schlüsselfaktoren für die Veränderung identifiziert.


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Weitere lösungsorientierte Fragemodelle

Abgesehen von der Wunderfrage, die sicherlich in ihrer Anwendung etwas gewöhnungsbedürftig ist, gibt es noch weitere lösungsorientierte Fragemodelle, die sich einfacher in den Führungsalltag integrieren lassen. Eine davon ist die Skalierungsfrage [5]. Sie hat den Vorteil, dass sie Zwischenräume erzeugt. So relativiert die Frage, "auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 ‘ganz schlecht und nicht auszuhalten‘ bedeutet und 10 für ‘sehr gut und nicht zu verbessern‘ steht, wie bewerten Sie die aktuelle Situation?" Anhand dieser Bewertung zeigt sich, dass die Situation oft gar nicht so fürchterlich ist und eher selten eine 1 vergeben wird. Legt der Mitarbeiter sich z. B. auf eine 3 fest, kann eine Folgefrage lauten, "Was müssen wir tun, um zu einer 3,5 zu gelangen?" Man lädt die Mitarbeiter zum Nachdenken ein und eröffnet gleichzeitig den Raum für kleinere Verbesserungsschritte. Damit werden auch Blockaden wie "wir können ja eh nichts ändern" geweitet und Perspektiven angeboten.

Ein anderes Instrument ist die hypothetische Frage [6]. Sie hilft Raum für Optionen zu schaffen und den Mitarbeitern ein Gefühl von Gestaltbarkeit zu vermitteln. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass diese Fragen Prozesse in Gang bringen sollen und es weniger darum geht, die geschaffenen Optionen auch tatsächlich zu verwirklichen. Hypothetische Fragen beginnen mit "Angenommen Sie würden...". Es wird etwas hypothetisch angeboten und anschließend hinterfragt, was sich dadurch ändern würde. Also, "Angenommen Sie würden xyz machen – würde das für Sie etwas ändern und wenn ja, was genau würde sich ändern?" Auf diese Weise lassen sich verschiedene Szenarien durchspielen und man kann die Resonanz darauf prüfen. Gerade in Situationen, wo die Mitarbeiter das Gefühl haben, sie können doch nichts ändern oder bewegen, schaffen hypothetische Fragen einen optionalen Raum von "ich kann doch noch aktiv sein" und damit eine Atmosphäre der Selbstwirksamkeit – eine der Voraussetzungen dafür sich auf den Weg in die Veränderung zu machen.


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Fazit

Die hier angeführten Beispiele geben eine kleine Skriptanweisung, wie Führungskräfte die Perspektiven ihrer Mitarbeiter vom Problem hin zur Lösung lenken können. Das setzt voraus, dass sie rechtzeitig die Gefahren der Problemhypnose erkennen und eine lösungsorientierte Kommunikation anwenden. Nicht zuletzt verlangt die Fragetechnik auch eine Abkehr von den oft hierarchisch gestalteten Strukturen von Kliniken, in denen das Prinzip "der Chef hat das Sagen" vorherrscht.


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Nicole Krüttgen
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Stefan Ruhl
  • Literatur

  • 1 Klein Rudolf, Kannich Andreas. Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2007
  • 2 Seliger Ruth. Das Dschungelbuch der Führung – Ein Navigationssystem für Führungskräfte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2008
  • 3 Eberts Elke, Krüttgen Nicole, Ruhl Stefan, Wiebe Doro. "Innere Haltung" – Erfolgsfaktor in der Kommunikation. klinikarzt 2011; 40 (Suppl. 06) 280-284
  • 4 de Shazer Steve. Worte waren ursprünglich Zauber: Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Heidelberg: Auer-System-Verlag; 2009
  • 5 Klein Rudolf, Kannich Andreas. Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2007
  • 6 Fischer-Epe Maren. Coaching. Miteinander Ziele erreichen. Hamburg: Reinbek bei Hamburg; 2009

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Nicole Krüttgen
Ruhl Consulting AG
Harrlachweg 1
68163 Mannheim

Stefan Ruhl
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  • Literatur

  • 1 Klein Rudolf, Kannich Andreas. Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2007
  • 2 Seliger Ruth. Das Dschungelbuch der Führung – Ein Navigationssystem für Führungskräfte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2008
  • 3 Eberts Elke, Krüttgen Nicole, Ruhl Stefan, Wiebe Doro. "Innere Haltung" – Erfolgsfaktor in der Kommunikation. klinikarzt 2011; 40 (Suppl. 06) 280-284
  • 4 de Shazer Steve. Worte waren ursprünglich Zauber: Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Heidelberg: Auer-System-Verlag; 2009
  • 5 Klein Rudolf, Kannich Andreas. Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer Verlag; 2007
  • 6 Fischer-Epe Maren. Coaching. Miteinander Ziele erreichen. Hamburg: Reinbek bei Hamburg; 2009

 
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